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Literatur
Pop Shop – Jugendliche in Haft erzählen
Parteiisch sein – junge Männer in Haft erzählen
Von Dr. Sebastian Trautmann

Seit Mitte der 90er Jahren des letzten Jahrhunderts besteht in der Jugenduntersuchungshaftanstalt Köln-Ossendorf ein vom Kölner Appell gegen Rassismus organisierter Gesprächskreis, in dem wöchentlich Gefangene mit einem oder mehreren Mitarbeitern des Vereins zusammenkommen und über ihren Alltag im Gefängnis reden. Im Jahre 2005 machte Klaus Jünschke hieraus eine „Erzählwerkstatt“ mit dem erklärten Ziel, die Erzählungen der Jugendlichen in einem Buch zusammen zu führen und ihrer Sicht der Dinge auch jenseits der Gefängnismauern die Möglichkeit der Wahrnehmung zu verschaffen.

Die Resonanz der Gefangenen auf das Projekt war unerwartet gut, so gut, dass Interessenten auf eine Warteliste gesetzt werden mussten. Über ein Jahr nutzten rund zwanzig Jugendliche die Gelegenheit und gaben ihre Erfahrungen, Empfindungen, Ängste, Träume und Sehnsüchte zu Protokoll. Einige brachten sogar den Mut auf, sich von dem Kölner Fotografen Jörg Hauenstein portraitieren zu lassen. Herausgekommen ist ein ganz erstaunlicher Band mit dem Titel: „Pop Shop – Gespräche mit Jugendlichen in Haft“.


Pop Shop, das bedeutet im Jargon der Gefangenen das Verbot die Zelle für den Freigang oder zum Umschluss [1] zu verlassen. Der Begriff bringt das Lebensgefühlt im Gefängnis zum Ausdruck, unter dem alle Insassen – egal wie cool und abgebrüht sie sich geben – leiden: Langeweile, Ausgeliefertsein und vor allem Einsamkeit, die sie mit aller Wucht wie ein böser Fluch umfängt, sobald sich die Zellentür hinter ihnen schließt und die sich nur mit Mühe durch einen Fernseher in Schach halten lässt.

Foto: meaning media



Aber es ist nicht allein das Lebensgefühl im Knast, über das die Gefangenen erzählen. Das Buch gibt Raum, viel Raum für alle Themen, die junge Männer im Alter zwischen 16 und 23 Jahren bewegen: Väter, Frauen, Gruppen, Drogen, Schule, Sexualität, die Zeit vor, während und nach der Haft. Natürlich werden viele alterstypische Bemerkungen gemacht, die unabhängig davon sind, ob ein junger Mann eine kriminelle Karriere hinter sich hat oder in bürgerlicheren Verhältnissen lebt: Dazu gehören sicherlich eine mehr oder wenig stark ausgeprägte Homophobie, der übliche Machismo, was Frauen, Autos und meist grundlos aggressives Verhalten gegenüber gleichaltrigen Geschlechtsgenossen betrifft.

Allerdings entfaltet das Buch da seine Stärken, wo es nicht um diese jugendtypischen Befindlichkeiten, sondern um die eigenen zum Teil schweren Straftaten, die Erfahrungen mit Polizei, Justiz und Sozialapparat, die Opfer und nicht zuletzt den grauen Alltag im Gefängnis und die Perspektiven für die Zeit danach geht.



Grauer Alltag im Knast
Foto: meaning media

Dabei fällt auf, dass die Jugendlichen ihre Situation erstaunlich nüchtern betrachten. Die eigenen Taten werden nicht schöngeredet: „Wenn ich hier nicht reingekommen wäre, dann hätte ich noch mehr Scheiß gebaut.“ bemerkt einer der Gefangenen. Ein anderer stellt fest: „Die Leute, die im Knast waren, die haben mir gesagt, Scheiße, aber die haben nicht erzählt, wie Scheiße das war, die haben nicht die Situation und die Tage erzählt, was passiert. Ganz ehrlich, keiner ist hier glücklich.“

Wie wertvoll plötzlich kleinste Freiräume werden, zeigt sich an einer Diskussion über die Gitter an den Fenstern: „Im Erdgeschoß haben alle Fliegengitter. Ich war drei Monate unten, du fühlst dich schlimmer als im Zwinger. Ich bin danach in den ersten Stock gekommen und hatte wirklich Glücksgefühle.“ Ein Mitgefangener ergänzt zu den üblichen Gitterstäben in den oberen Stockwerken: „Man kann rausgucken, man kann die Hände raushalten, ich kann einen Spiegel raushalten und zum Nachbarn gucken. Ich hab sogar schon meinen Fernseher ans Gitter gehalten und mein Nachbar konnte mit seinem Spiegel mit mir zusammen fernsehen. Du hast mehr Freiheit und fühlst dich freier.“



Klaus Jünschke (Herausgeber von Pop Shop) im Gespräch
Foto: Jörg Hauenstein

Die Erzählungen der Jugendlichen drehen sich um einen Alltag im Knast, der nicht mehr Skandalöses oder Sensationelles umfasst, als man sich mit ein bisschen Phantasie ausmalen kann. Die Zimmer stinken, die Toiletten in den Zellen sind dreckig und werden auch vom ständigen Putzen nicht sauber; die einen Zellengenossen – im Jargon „Spannmann“ genannt – nerven und beklauen die anderen. Das Essen ist fade und geschmacklos. Auch wenn die meisten Vollzugsbeamten sich korrekt verhalten, so sind doch immer einige dabei, die willkürlich handeln. Freunde und Freundinnen machen sich rar und mit ein bisschen Glück hält die Familie einem die Stange. Die Jugendlichen schlagen sich, und wer sich nicht gegen die Gewalt der anderen wehrt, geht unter.

Aber im Gegensatz zu unserer Vorstellung, füllen sich die Bilder plötzlich mit Leben, man sieht Gesichter, glaubt die trotzig-verzweifelten Stimmen der jungen Männer zu hören, die nicht begreifen wollen, dass sie schon lange nicht mehr Herr ihrer selbst sind. Es sind Menschen, deren ganzes Leben von Gewalt geprägt war, Gewalt, die sie sowohl selbst in Form von Schlägen durch den Vater oder Älteren an sich erlebt als auch Gewalt, die sie an anderen verübt haben. „Für uns war das Abziehen irgendwie normal, wir sind damit aufgewachsen. Als wir klein waren, wurden wir von den Großen abgezogen und verprügelt. Und als wir ein bisschen größer wurden, haben wir das für normal gehalten.“

In dieser Abwärtsspirale aus Gewalt, Rebellion und Anpassung stellt der Aufenthalt im Gefängnis einen vorläufigen Tiefpunkt dar, den alle Beteiligten als Fanal und Aufforderung zur Umkehr betrachten. Aber nur die wenigsten haben die Möglichkeit hierzu, sei es weil die Zeit hinter Gittern nicht die Ursachen für ihre Verhaltensweisen beseitigt hat: „Ich bin am Überlegen, was mach ich, wenn ich viel Kelle kriege, sagen wir mal drei Jahre. Was mache ich mit diesen drei Jahren, wie kann ich diese drei Jahre zu meinen Gunsten verbringen? Was kann ich machen, damit diese Aggressionen nicht mehr vorkommen? Wenn ich das nicht weiß, dann komm ich raus, und wenn mich einer anmacht, dann bin ich direkt auf 180. Ich hau den um und komme noch für längere Zeit rein.“

Sei es, weil sie wirtschaftlich und sozial noch perspektivloser dastehen als zuvor: „Anstatt einen an der Hand zu packen, wenn du vom Knast rauskommst, und dem diesen Weg zu zeigen, dem zu helfen Arbeit zu finden. Stattdessen geht die Tür auf, raus, such dir eine Arbeit. Der findet keine Arbeit und begeht direkt wieder einen Raub.“  Die Erzählungen zeigen, wie hoffnungslos sich die Situation der Jugendlichen nicht nur aus ihrer Perspektive darstellt, und zugleich wird deutlich, dass schon die Gespräche mit einem vom Gefängnis unbeteiligten Dritten, das Erzählen-Können ohne sozialtherapeutischen Anspruch befreiend wirkt und ein erster Schritt ist, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

„Pop Shop – Gespräche mit Jugendlichen in Haft“ ist ein außerordentlich wichtiger Beitrag zu der aktuellen Diskussion über die Zukunft des Jugendstrafvollzugs. Es ist eines der raren Beiträge zu diesem Thema, in dem die Jugendliche einmal nicht als Forschungsobjekt, Täter, Beschuldigte oder Opfer eines Systems, sondern als Menschen in ihrer Widersprüchlichkeit und Verletzlichkeit erscheinen. Das Buch gibt einen tiefen und sehr authentischen Einblick in die Situation in den Jugendgefängnissen und ist zugleich ein Appell, die Reform des Jugendstrafvollzugs nicht nur unter dem Aspekt einer verbesserten Prävention, sondern auch als wahrgenommene Verantwortung gegenüber den in Haft sitzenden Menschen zu begreifen. (CH)

[1] Besuch eines Mitgefangenen in seiner Zelle

Das Buch kann über www.jugendliche-in-haft.de bestellt werden.

  Herausgegeben von Klaus Jünschke Christiane Ensslin und Jörg Hauenstein

„Pop Shop –
Gespräche mit Jugendlichen in Haft“


Eerschienen im konkret-Verlag:
240 Seiten,
gebunden mit zahlreichen Fotos,
16 Euro, 28 SFr.

ISBN 978-3-89458-254-8

 

Online-Flyer Nr. 115  vom 03.10.2007



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