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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Sport
Apropos Diktatur und Presse
Alkoholfahrten
Von Hermann

An dieser Stelle war eigentlich ein wahnsinnig lustiger Reisebericht über Hoffenheim geplant. Über das Terrorregime des irren Diktators, der einst die Software zum Gelddrucken erfand und sich daraufhin die Modelleisenbahnanlage aus seiner Kindheit in groß nachbauen ließ und nun keine Kosten scheut, dieser irgendeine Art von Leben einzuhauchen, über die beschwerliche Anreise der Kölner Delegation, den Empfang durch eine traditionelle Trachtengruppe der Rhein-Neckar-Region und über eine umzäunte Wiese auf der zwei Laienspieltruppen den Volkssport der Gäste aus der Domstadt nachempfanden.

Das Regime scheint am Ende – Schlange stehen für Lebensmittel – Versorgungsengpässe in „Hoffenheim“

Und das Ganze wollte ich würzen mit einer gepflegten Prise augenzwinkerndem Zynismus. Aber das geht leider nicht. Denn nichts an Hoffenheim birgt auch nur ein klitzekleines bisschen Lustigkeit. Witze über Dietmar Hopp und sein ‚Modell Hoffenheim’ spielen mit denen über Reiner Calmunds Übergewicht und Angela Merkels Aussehen in der Kreisliga das Humors, und die quillt bereits über vor unterklassigen Kabarettisten und sogenannten scharfzüngigen Satirikern. Aber bitte ohne mich.
 
Das Offensichtliche ‚bitterböse’ zu überzeichnen finden nur Menschen lustig, die den Begriff ‚Realsatire’ für ein Juwel ihres Wortschatzes halten. Abgesehen davon ist dem Phänomen „TSG Hoffenheim“ bereits viel zu viel Aufmerksamkeit beigemessen worden. Ich werde mich erst wieder dazu äußern, wenn Herr Hopp sein Fehlverhalten eingesehen hat und standesgemäß dazu übergegangen ist, seine Milliarden lieber in teuren Drogen und leichten Damen anzulegen, um mit beidem rauschende Feste auf seiner Yacht zu feiern. Bis es soweit ist, bediene ich mich, falls die Rede von der „TSG Hoffenheim“ unumgänglich sein sollte, der Anführungsstriche, mit denen die Springer-Presse einst ihrer Weigerung Ausdruck verlieh, den Staat „DDR“ anzuerkennen.
 
Apropos Diktatur und Presse: Hier in meiner Heimatstadt haben die gleichgeschalteten Tageszeitungen urplötzlich ihre Liebe zum ortsansässigen Zweitligaclub wiederentdeckt. Zwei Siege in Folge reichten aus, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass der FC sich jetzt gefunden habe und zu Höherem berufen sei. Selbst eine Niederlage wird vorerst lediglich mit einem ‚Schade’ zur Kenntnis genommen. Die Gazetten glauben ihr Ohr eben immer am Puls der Fans zu haben. Nach dem Doppelpack unseres Superstürmers und ehemaligen Fehleinkaufs Novakovic bemerkte der EXPRESS, dass die Fans ihm seine Alkoholfahrt nach angeblichem Weihnachtsmarktbesuch verziehen haben. Es ist toll, aus der Zeitung zu erfahren, wie bitter enttäuscht man doch über dieses Fehlverhalten war. 


Erinnerungen an Legebatterien werden wach – nicht einmal die Exekutive wird artgerecht gehalten

Mir persönlich ist es relativ egal, was ein Spieler in seiner Freizeit treibt, solange er beizeiten ansehnlich seiner Arbeit nachkommt. Würde er nach Feierabend eine weiße Kapuze überziehen und Kreuze anzünden, sähe das natürlich anders aus, aber den Alltagsstress mit dem Konsum alkoholhaltiger Erfrischungsgetränke zu kompensieren, halte ich für legitim und nachvollziehbar. Daher kann ich vom Verein verhängte Geldstrafen nicht wirklich gutheißen, solange die Leistungen nicht unter den nächtlichen Discothekenbesuchen leiden. Und mit der Vorbildfunktion braucht mir keiner zu kommen. Ecken- und kantenlose Fußballstreber wie ein Michael Ballack kommen bei der Zielgruppe der Sechs- bis Vierzehnjährigen vielleicht gut an, echte Charaktere wie Vinnie Jones oder Eric Cantona bleiben hingegen nicht nur wegen ihrer auf dem Rasen gezeigten Fähigkeiten auch bei gereifteren Zielgruppen auf alle Zeiten unvergessen.
 
Daher sollte auch der Verein einsehen, dass ein nächtlicher Ausflug an den Tresen einem Stürmer vielleicht hilft, sich den nötigen Ausgleich zu verschaffen um sonntags darauf unbeschwert zur Tat schreiten zu können. Und so, wie sich Pokalniederlagen immer schön damit entschärfen lassen, dass man sich fortan ‚voll und ganz auf die Liga konzentrieren kann’, könnte man hier auch entschuldigend einwerfen, dass sich Novakovic nun voll und ganz dem Fußballsport widmen kann, und sich vorerst keine Gedanken darüber zu machen brauch, welchen Sportwagen er sich denn als nächstes zulegt. Ich breche hier für unseren jungen Slowenen eine Lanze, weil wir eines gemeinsam haben, wie meine „Hoffenheim“-Fahrt und seine „Weihnachtsmarkt“-Fahrt zeigen: Wir füllen unsere Freizeit gerne mit Alkoholfahrten aus.


Potemkinsche Zustände – blau-weiße Winkelemente sollen Fußballstimmung suggerieren
Fotos: Hermann

Ich bin aber so klug, das Steuern des KFZ einem Profi zu überlassen, was Nova in den nächsten Monaten wohl auch tun wird. Seine künftigen Taxitouren könnte er ja dazu nutzen, sich mental auf die kommende Ligabegegnung vorzubereiten, denn nur, um in den Luxus dieser Vorbereitungszeit zu kommen, sind wir ja in der ersten Pokalrunde ausgeschieden. Es lässt sich aus allem auch etwas Positives ziehen, selbst aus dem ‚Modell „Hoffenheim“’ (wenn auch nur für einen verschwindend kleinen Personenkreis): Verglichen mit „Hoffenheim“ können sich sogar Wolfsburg und Leverkusen wie pulsierende Fußballstädte fühlen. Ein Grund mehr, das Terrorregime zu verachten. (PK)
 

Online-Flyer Nr. 125  vom 12.12.2007



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