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Medien
Zur Medienberichterstattung über Atomwaffen in Deutschland
Informationskanäle für Zielgruppen
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Im vergangenen Monat fand das Thema „Atomwaffen in Europa“ unerwartet breiten Eingang in die Medien. Auslöser war eine Studie der US-Luftwaffe über mangelnde Sicherheitsvorkehrungen an den deutschen Atomwaffenstandorten Ramstein (Pfalz), Büchel (Eifel), Nörvenich (NRW). [4]. Am 30. August plant die Friedensbewegung Proteste in Büchel. Im folgenden Text wird analysiert, über welche Informationskanäle die Zielgruppen mit „Wissen“ über die Atomwaffenstandorte gespeist werden. – Die Redaktion.

Atomwaffenstandort Ramstein
 
Was die Atomwaffen in Ramstein angeht, stoßen wir auf ein interessantes Phänomen. Laut dpa-Meldung vom 25.6.2008 sollen die Waffen im Jahr 2004 abgezogen worden sein. Laut ddp-Meldung vom 25.6.2008 (wie auch der Spiegel-Mitteilung vom 9.7.2007) sollen die 130 in Ramstein stationierten Atomwaffen im darauf folgenden Jahr, also 2005 ausgelagert worden sein. Und laut 'Neues Deutschland' vom 23.6.2008 [13] ist Ramstein seit Juli 2007 atomwaffenfrei. Gemäß einer aktuellen dpa-Grafik im Wiesbadener Kurier und im Münchner Merkur vom 24.6.2008 sind in Ramstein aber alle 130 Atomwaffen vorhanden. Wenn wir annehmen, dass die Angaben nicht allesamt aus der Luft gegriffen sind und der Wahrheit entsprechen, dann herrscht ein reges Kommen und Gehen. Einlagern, auslagern, einlagern, auslagern, einlagern, auslagern, einlagern... Denn der komplette Bestand läßt sich schließlich nicht mehrfach beseitigen, ohne ihn immer wieder aufzufüllen.

Ramstein Kaserne
Kaserne Ramstein – Atomwaffen weg???
Foto: Arbeiterfotografie


Atomwaffenstandorte Büchel und Nörvenich
 
Was die weiteren Stationierungsorte angeht, liegen die Dinge etwas einfacher. Alle Veröffentlichungen sind sich einig, daß in Nörvenich zurzeit keine Atomwaffen gelagert sind. In Büchel herrscht dagegen wieder mehr Vielfalt: hier sollen sich - je nachdem, wo wir nachlesen - zurzeit 10 bis 20 oder 20 oder etwa 30 Atomwaffen befinden.
 
Informationsquelle Nassauer
 
Woher nehmen die Medien diese Informationen? Eine beliebte Quelle ist ein Herr Nassauer. Der behauptet, in Büchel befänden sich 10 bis 20 Atomwaffen und in Ramstein keine. Das behauptet er mit ziemlicher Gewißheit. Wer ist dieser Herr Nassauer, der in Veröffentlichungen der Friedensbewegung als Friedensforscher tituliert wird, und dem die Ehre zukommt, in der Süddeutschen Zeitung [7] und für die dem Bundesinnenministerium unterstehende Bundeszentrale für politische Bildung [6] schreiben zu dürfen? Er ist Leiter des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BITS). Was ist das für ein Unternehmen? Und vor allem: wie wird es finanziert? Die Antwort gibt BITS - das nicht nur informieren sondern auch „Einfluß nehmen" will - selbst: „BITS wird von renommierten Stiftungen und Organisationen unterstützt" - zu mehr als 90 Prozent. Was haben wir uns unter dem Begriff „renommiert“ vorzustellen? „BITS finanziert seine Projekte zu mehr als 90 Prozent aus Mittteln, die von Stiftungen wie der Ford Foundation, der W. Alton Jones Foundation oder der Heinrich-Böll-Stiftung zur Verfügung gestellt werden." [9]

Proteste vor dem Fliegerhorst Büchel
Proteste vor dem Fliegerhorst Büchel | Foto: www.atomwaffenfrei.de
 
Die Heinrich-Böll-Stiftung ist die Bündnis 90/Die Grünen nahestehende Stiftung - einer Partei, die mit verantwortlich ist für die völkerrechtswidrigen Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan.
 
Die Ford Foundation ist die US-amerikanische Stiftung, über die CIA-Aktivitäten in Europa finanziert worden sind. Bekannt geworden ist vor allem die Finanzierung des Congress for Cultural Freedom (Kongress für die kulturelle Freiheit). 2001 ist ein Buch mit dem Titel „The Ford Foundation and the CIA - A documented case of philanthropic collaboration with the Secret Police“ (Ein dokumentierter Fall von menschenfreunlicher Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei) erschienen [16]. Aber es sind auch personelle Verknüpfungen zwischen Ford Foundation und CIA bekannt geworden: Shepard Stone war ab 1950 Leiter des Amtes für öffentliche Angelegenheiten und Informationswesen beim amerikanischen Hochkommissar in Deutschland, ab 1953 Mitglied im Stab der Ford Foundation und wurde dann 1968-73 Präsident der CIA-Organisation Kongress für die kulturelle Freiheit in Paris, bevor er 1974 Gründungsdirektor des u.a. vom US-Außenministerium finanzierten Berliner Aspen-Instituts, zum Ehrenbürger Berlins ernannt und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. [19]
 
Und auch heute befinden sie sich in trauter Runde, z.B. wenn sie - organisiert von der Heinrich-Böll-Stiftung - über die „Nachwirkungen des 11. September“ und die daraus erwachsenden „neuen Herausforderungen an die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik“ nachdenken: der bis 2007 amtierende Direktor des Berliner Aspen Institute (Jeffrey Gedmin), dubiose Politiker wie der „grüne“ Daniel Cohn-Bendit, Nato-Pressesprecher Jamie Shea, Funktionsträger der Heinrich-Böll-Stiftung und der Direktor des „Berlin Information-center for Transatlantic Security'“(BITS), Herr Otfried Nassauer. [14]
 
Informationsquelle Spiegel
 
Das Neue Deutschland vermittelt, daß seit Juli 2007 Büchel angeblich einziger Atomwaffenstandort in Deutschland sei [13]. Wenn neben Büchel nur Ramstein als Standort in Betracht kommt, ist zu schließen, daß zu diesem Zeitpunkt Ramstein geräumt worden sein muß. Aber es gibt keine Angabe, woher die Information stammt. Juli 2007 ist lediglich der Monat, in dem der Spiegel - und dann andere - verbreitet haben, die Atomwaffen in Ramstein seien weg.

Fiat g91 jaboG33 Jörg Hammes
Bundeswehr-Jagdbomber in Büchel | Foto: Jörg Hammes
 
„Während der umfangreichen Bauarbeiten auf der Air Base in den vergangenen Jahren... wurden die Atomwaffen aus Sicherheitsgründen ausgelagert. Das hatte der Spiegel im Jahr 2005 berichtet." So steht es in einem Text von Herrn Nassauer, den dieser im Juli 2007 verbreitet hat und der sich auch auf der website des Friedensratschlags wiederfindet. [8]
 
Es ist ein Spiegel-Artikel mit der Überschrift „USA haben Nuklear-Arsenal in Ramstein geräumt“ von Matthias Gebauer und John Goetz vom 9. Juli 2007 [10], in dem behauptet wird: „Im Jahr 2005 hatte die US-Armee nach SPIEGEL-Informationen alle nuklearen Waffen wegen umfangreicher Umbauarbeiten in Ramstein ausgelagert, vermutlich in die USA. Möglicherweise kamen die Waffen nie nach Deutschland zurück." Von Auslagerung ist die Rede. Dabei sieht es ganz danach aus, als sei Ramstein lediglich in einer von der US-Luftwaffe veröffentlichten Liste vom 29.1.2007 - im Gegensatz zu einer zwei Jahre älteren - nicht geführt.
 
Der Name John Goetz verbindet sich noch mit anderen Veröffentlichungen in der deutschen Medienlandschaft. Für die am 24.2.2005 ausgestrahlte Fernsehsendung MONITOR fabrizierte der US-amerikanische Reporter einen wohlwollenden Beitrag über die Kriegsbefürworter einer Pro-Bush-Demo anläßlich des Bush-Besuchs in Mainz. Und für die Fernsehsendung Panorama vom 11.12.2003 fiel er Mitgliedern der Friedensbewegung in den Rücken, indem er sich als Unterstützer derselben ausgab und den Beitrag „Spenden für den Terror“ fabrizierte, für den er Irak-Kriegsgegner wie den Heidelberger Friedensaktivisten Joachim Guilliard interviewt hatte, deren Aussagen aber böswillig verzerrte, indem er aus den Interviews nur wenige aus dem Zusammenhang gerissene Fetzen brachte. [19]
 
Was wir ohne Wissen alles wissen sollen
 
Es ist verwunderlich: Die von Herrn Nassauer und Herrn Goetz verbreiteten Behauptungen scheinen auch für die Friedensbewegung maßgebend zu sein. Es scheint, als vermittelten sie, was wir ohne Wissen alles wissen sollen. In dem Aufruf zur Demonstration in Büchel am 30. August für eine atomwaffenfreie Zukunft wird fraglos davon ausgegangen: in Büchel lagern 20 Atombomben - und dies seien die „restlichen 20 US-Atomwaffen" in Deutschland [1].
Ottfried Nassauer
Otfried Nassauer – überall dabei.
Hier auf der Konferenz „Weg mit der
Mauer in Palästina!“ | Quelle:
www.konferenz.stopptdiemauer.de
Dabei gibt es auch andere Darstellungen, z.B. in einer AFP-Meldung vom 23.6.2008. Die Hauptaussage darin ist einfach: „Wie viele atomare Sprengköpfe derzeit in Deutschland gelagert werden, ist unklar." In dieser Meldung kommt die als Rüstungskontrollexpertin bezeichnete Annette Schaper von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main zu Wort. Nach ihren Angaben gibt es in Deutschland derzeit mindestens 30 atomare Sprengköpfe – mindestens 10 in Büchel und 20 in Ramstein. „Bekannt ist, dass 1995 von dort [Nörvenich] 20 Bomben nach Ramstein ausgelagert wurden, wo sie weiterhin zum Abwurf durch deutsche Tornados des Jagdbombergeschwaders 31 bereitgehalten werden, das in Nörvenich stationiert ist."
 

Karte der US-Atomwaffenstandorte in Europa - NRDC-Darstellung von Februar 2005 - Grundlage für dpa-Grafik von Juni 2008 [2]
Quelle:Arbeiterfotografie



Anzahl der US-Atomwaffen an den verschiedenen Standorten in Europa - NRDC-Darstellung von Februar 2005 - identisch in dpa-Grafik von Juni 2008 [2]
Quelle: Arbeiterfotografie


„In Ramstein waren dem NRDC [Natural Resources Defence Council] zufolge bis 2005 bis zu 130 Atombomben eingelagert. 90 davon waren zum Abwurf durch US-Flugzeuge vorgesehen, weitere 40 konnten an Tornados der Bundeswehr angebracht werden." Nach Angaben des NRDC „waren auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel bei Cochem an der Mosel zum damaligen Zeitpunkt 20 Atombomben vom Typ B61 einsatzbereit. Wie viele davon derzeit noch vorhanden sind, ist unklar." - Möglicherweise keine. Auch das ist denkbar.
 
Wie ist es bei der herrschenden Informationslage - alles unterliegt der Geheimhaltung - möglich, daß der Eindruck entsteht, als gäbe es halbwegs gesicherte Informationen? Wer sind diejenigen, die diesen Eindruck entstehen lassen - und in wessen Interesse? Wer garantiert, daß Angaben, die öffentlich werden, nicht der Desinformation dienen? Berichte aus den USA finden ihre weltweiten Verbreiter. Oft sind es - im Verbund mit den Medien - kleine Institute, die kaum einer öffentlichen Kontrolle unterliegen, die diese Funktion wahrnehmen - in Deutschland beispielsweise das Informationszentrum des Herrn Nassauer. Über eingespielte Informationskanäle verbreitet sich ein „Wissen“, das kein Wissen ist. (PK)

Links:
 
[1] Aufruf zu den Protesten im August 2008 gegen Atomwaffenstationierung in Büchel: www.atomwaffenfrei.de/
[2] 'U.S. Nuclear Weapons in Europe - A review of post-Cold War policy, force levels, and war planning', Papier des National Resources Defence Council, Februar 2005: www.nrdc.org/
[3] Selbstdarstellung des National Resources Defence Council:
www.nrdc.org/
[4] 'Blue Ribbon Review of Nuclear Weapons - Policies and Procedures', US-Airforce, 8.2.2008 - Resümee: "Nuclear Surety in the USAF is sound, but needs strengthening." (Die nukleare Sicherheit in der US-Luftwaffe ist einwandfrei, muß aber verbessert werden) http://www.fas.org/
[5] Veröffentlichung im FAS Strategic Security Blog, 26.6.2007: "USAF Report: 'Most' Nuclear Weapon Sites In Europe Do Not Meet US Security Requirements" www.fas.org/
[6] Otfried Nassauer auf der website der Bundeszentrale für politische Bildung: '50 Jahre Nuklearwaffen in Deutschland', 2005:
www.bpb.de/publikationen/LDER97.html
[7] Otfried Nassauer in der Süddeutschen Zeitung, 12.7.2007: 'Ramstein ohne Atomwaffen': www.sueddeutsche.de/
[8] Otfried Nassauer auf der website des Friedensratschlags, 17.7.2007: 'Atomwaffen aus Ramstein abgezogen? - Friedensforscher Otfried Nassauer: Neue Dienstvorschrift der US-Luftwaffe in Europa sieht keine Nuklearinspektion für Ramstein vor' www.uni-kassel.de/
[9] Selbstdarstellung des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BITS): www.bits.de/frames/aboutd.htm
[10] Matthias Gebauer und John Goetz in 'Spiegel Online', 9.7.2007, 'Atomwaffen in Deutschland - USA haben Nuklear-Arsenal in Ramstein geräumt': www.spiegel.de/
[11] Spiegel-Artikel vom 4.6.2005, 'Rot-Grün kippt Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen' (darin die Behauptung: "Weil der Flugplatz Ramstein seit 2003 ausgebaut wird, schafften sie die rund 130 dort gelagerten A-Bomben in aller Stille weg - vermutlich in die USA."): www.spiegel.de/
[12] Spiegel-Artikel vom 2.5.2005, 'Demo in New York - Zehntausende fordern Zerstörung aller Atomwaffen' (darin heißt es noch: "An den Standorten Ramstein und Büchel lagern noch etwa 150 taktische Nuklearwaffen unter US-Aufsicht."): www.spiegel.de/
[13] René Heilig in 'Neues Deutschland', 23.6.2008: 'Atombomben-Alarm zu Friedenszeiten - Studie belegt: US-Nuklearwaffen in Europa sind nicht sicher / LINKE fordert Verschrottung' www.neues-deutschland.de/
[14] Dokumentation eines Projekts der Heinrich-Böll-Stiftung, 2003, 'Die Nachwirkungen des 11. September: Neue Herausforderungen an die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik': www.boell.be/
[15] Wikipedia über die 'Ford Foundation':
de.wikipedia.org/wiki/Ford_Foundation
[16] Einleitung zum Buch 'The Ford Foundation and the CIA: A documented case of philanthropic collaboration with the Secret Police' von James Petras, 15.12.2001: www.ratical.org/
[17] Wikipedia über das 'Aspen-Institut':
de.wikipedia.org/wiki/Aspen-Institut
[18] Betrachtung zur Dokumentation 'Benutzt und gesteuert - Künstler im Netz der CIA' von Hans-Rüdiger Minow, ausgestrahlt am 29.11.2006 bei 'arte' (mit Angaben zu Shepard Stone): www.arbeiterfotografie.com/
[19] Betrachtung zum Monitor-Beitrag von John Goetz 'Bush-Anhänger: die unterdrückte Minderheit', ausgestrahlt im Fernsehprogramm 'Das Erste' am 24.2.2005: www.arbeiterfotografie.com/

Dieser Artikel hat inzwischen eine lebhafte kontroverse Diskussion ausgelöst. Siehe unsere Leserbriefrubrik und die homepage der Autoren http://www.arbeiterfotografie.com/medien/index.html.



Online-Flyer Nr. 155  vom 16.07.2008

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