NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

Fenster schließen

Glossen
Hans Werner Sinn: „Mit etwas mehr Ungerechtigkeit lebt es sich besser...“
Über Sinn und Unsinn
Von Christian Heinrici

Und über Hans-Werner Sinn, „Wirtschaftsweiser“, Chef des Ifo-Instituts, das die Bundesregierungen gerne in Wirtschaftssachen berät, und Bollwerk des Neoliberalismus in Deutschland. Den kennen Sie: Das ist der gute Onkel, der manchen Zeitgenossen an einen zu groß geratenen Gartenzwerg erinnern könnte und sich eben auch manchmal so benimmt: (Gelinde gesagt) ziemlich unverhältnismäßig war auch sein Vergleich der aktuellen Managerschelte mit dem Holocaust: durch die Wirtschaftskrise von 1929 seien die Juden zu Sündenböcken geworden, heute seien es die Manager.

Josef Ackermann Foto: Marcello Casal Jr. Agencia Brasil
Josef Ackermann: So sehen Opfer        
aus... | Foto: Marcello Casal Jr. /
Agencia Brasil
Ja, alles Opfer, diese armen Manager... aber wen meinte Hans-Werner denn tiefsinnig damit? Vielleicht die Manager der Oppenheim Bank? Oder den armen Steuerflüchtling Klaus Zumwinkel? Oder vielleicht sogar Mr. „Victory“ Josef Ackermann, der ja schon im Mannesmann-Prozess Opfer war?!

Ebendieser Chef der Deutschen Bank wollte die 470 Milliarden Euro, die die Bundesregierung den Banken zur „Rettung aus der Finanzkrise“ Verfügung stellt, gar nicht haben... Die Bundesregierung hat ihnen das Geld natürlich nicht geschenkt – wenigstens NOCH nicht, sie hat es ihnen zur Verfügung gestellt, damit die Banken wieder „fluide werden“, die Geldwirtschaft wieder angekurbelt wird... Aber sie hat auch Bedingungen an die Verwendung geknüpft, und diese „unverschämte Einmischung“ in ihre Geschäfte, gefiel den Banken und ihren Managern natürlich gar nicht...

470 Milliarden Euro diese Zahl muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen... das ist eine 47 mit zehn Nullen. Und wenn die Krise des Finanzsystems so weitergeht, werden davon wohl ausschließlich die zehn Nullen übrig bleiben. Anders gerechnet könnte man auch von dem Geld 432 Millionen Kinderhortplätze ein ganzes Jahr sponsern, inklusive Essen und Getränke – und da es längst nicht so viele Kinder in Deutschland oder in Europa gibt, würde das Geld in der Bundesrepublik rund 21einhalb Jahre reichen.

„Bildungsfarbe“, Kostas Koufogiorgos
„Bildungsfarbe“, Kostas Koufogiorgos

Wer nicht lesen möchte, muss hören:
Hier Heinricis Glosse zum anhören file.mp3

Und Herr Professor Sinn wiederum, der regelmäßig mit Anfällen von Unterwerfung als „Experte“ vor die Fernsehkameras gezerrt wird, hat wohl auch immer noch nicht mitbekommen, dass uns genau das zur Zeit im Lande Probleme macht, von dem er so überzeugt ist: niedrige Einkommen, Armutsarbeit und staatsunterfütterte Löhne mit Gewinnen für die Monopolwirtschaft, die anderswo dann gerne verzockt werden.

Doch dieser Un-Sinn kann noch weiter durchdekliniert werden: Liegt das alles nur an einer Sinnestrübung, wenn der Ifo-Weise und Aufsichtsratsvorsitzende der „HypoVereinsbank“ [1] weiterhin bestreitet, dass ein Dreiviertel aller Erwerbslosen für den Arbeitsmarkt „ausreichend qualifiziert“ seien, und gleichzeitig sein Institut konstatieren lässt, dass mehr freie und weniger staatliche Schulen den Bildungsstandard heben?! Und überhaupt, weg mit diesem überholten Gemeinsinn, dem unnötigen Kropf aus „Sozialstaat“, Gewerkschaften und Gerechtigkeitsfanatikern...

Hans-Werner Sinn Quelle: Ifo-Institut
Hans-Werner Sinn – was macht die BASF
hinter ihm?! | Quelle: Ifo-Institut
„Mit etwas mehr Ungerechtigkeit lebt es sich besser...“ sagte der „Weise“ in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung.

So, und nun an dieser Stelle noch ein paar grundlegende Worte zum Stichwort Sinn: Dieses Wirtschaftssystem – allem voran natürlich die Geld- und Kreditwirtschaft – ist total unsinnig! Das – um eine neuerdings beliebte amerikanische Redewendung zu benutzen – macht nur Sinn für diejenigen, die davon profitieren, und das sind die Geldgeber. Und das Kapital kennt ja bekanntlich keine Grenzen, weder geographische, noch moralische, noch Wachstumsgrenzen:

Es sind Börsenmakler, die in Krisenzeiten empfehlen, Rüstungsfonds zu kaufen, das seien „gute Investitionen“. Und es sind die „international aufgestellten“ Kreditinstitute, die ihr Geld lustig über den ganzen Planeten hinweg verschieben, gerade, wohin die Rendite es will und ganz egal, ob ein paar Arbeitsplätze dabei drauf gehen. Natürlich fallen so auch ein paar Kleinigkeiten für die Anleger, die Kreditinstitute, die Börsenmakler und wohl auch für die „Ratingagenturen“, die die Anlagen bewerten, ab. Ach, alles nur Peanuts...?! wobei mir wieder nur die 432 Millionen Kinderhortplätze einfallen!

Nein, dieses System ist zutiefst unsinnig: Eine Wirtschaft basiert normalerweise auf der Schaffung von Werten, aber wer Werte schafft, Güter produziert oder verarbeitet, bekommt in diesem Wirtschaftssystem wirklich nur ein paar Peanuts – kurioserweise in großen Teilen Menschen, die in Ländern leben, die angeblich noch „entwickelt“ werden müssen. Für diejenigen, die die Güter vertreiben und vermarkten, fällt schon ein wenig mehr ab. Aber diejenigen, die eigentlich nichts tun, eben keine Werte schaffen, sondern im Gegenteil das ganze an „Terminwarenbörsen“ oder sonst wo verzocken, bekommen in diesem System das allermeiste.

Peanuts Erdnüsse in Burkina Faso Foto: RomanBonnefoy Montage: Heinrici
Burkina Faso: „ Where do all the Peanuts go?!“
Foto: Roman Bonnefoy, Montage: Christian Heinrici

Von daher können vielleicht ja auch Sie den möglichen Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems mit einem weinenden und einem lachenden Auge sehen: Wenn die Bundesregierung und andere nicht doch den Weg in einen neuen Staatsfaschismus einschlagen sollte [2], dann besteht vielleicht in diesem „Zusammenbruch“ eben gerade die Chance, ein weltweit gerechtes Wirtschaftssystem aufzubauen, in dem der Mensch nicht allein Humankapital und Spekulationsfaktor ist.

In diesem Sinne und im Gedenken an die armen Opfer – nicht die der Wirtschaftskrise – sondern die Opfer der Weltwirtschaft. (HDH)


[1] Die „HypoVereinsbank“ gehört zur „UniCredit Group“, der zweitgrößten Bank Europas.
[2] Siehe die weltweiten Bundeswehreinsätze, inklusive Deutschland, oder den grassierenden Überwachungsstaat
Startbild unter Verwendung eines Fotos von Walter J. Pilsak






Online-Flyer Nr. 170  vom 29.10.2008



Startseite           nach oben