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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Arbeit und Soziales
„Wer, wenn nicht wir?“
Die Zeit zum Wandel drängt!
Von Hans-Dieter Hey

Wie Finanz- und Wirtschaftskrise zeigen, hat der Markt versagt und ist nicht geeignet, die Zukunft der Gesellschaft sozial ordnend einzurichten. Seine Unfähigkeit verhindert zudem eine nachhaltige, zukunftsorientierte und ressourcenschonende Versorgungswirtschaft – weg von wahnwitziger Wachstumsideologie. Dass ein Wandel dringend notwendig ist, steht außer Frage. Aus Furcht vor Veränderung bringen die Menschen bis jetzt nicht die Kraft für einen deutlichen Politikwechsel auf. Doch es gibt Vordenker, die dem teilnahmslosen Verharren ein Ende bereiten wollen.


Zerfall der Gesellschaft als Folge falscher Politik

Je heftiger die Amplituden kapitalistischer Krisen – wie zur Zeit – mit den entsprechenden gesellschaftlichen und sozialen Folgen ausschlagen, umso penetranter machen die Akteure des Kapitals die Politik zu ihrer eigenen Sache. Wir haben in dieser Zeit festzustellen, dass die gewählten „Volksvertreter“ – vor allem von CDU/CSU, SPD, FDP aber auch den Grünen – deshalb zum Durchsetzen einer Politik bereit waren und sind, die rechtstaatliche Regeln mehr und mehr verlässt. „Die politische Krise findet ihren Ausdruck in einer sowohl wettbewerbsorientierten wie nach innen autoritären und nach außen militaristischen Ausrichtung des Staates“, sagen die Akteure eine neuen zivilgesellschaftlichen Bewegung in ihrem Arbeitspapier. Diese Bewegung nahm im November 2008 in Frankfurt ihren Anfang.


Das falsche Mittel, wenn es eigentlich....
Quelle: Werbung - Foto: gesichter zei(ch/g)en  
Die Folgen sind die Aushöhlung des Rechtssystems und eine bedrohliche Spaltung der Gesellschaft in immer größere Armut und enormes Reichtum. Vorausgegangen waren die Auswüchse des Raubtierkapitalismus, die ungleiche Verteilung gesellschaftlich erwirtschafteten Vermögens, die völkerrechtswidrigen, hegemonialen Kriege unter deutscher Beteiligung, Agenda 2010, das Ausdehnen des Überwachungsstaats und der Raubbau an den natürlichen Ressourcen. Es handelt sich längst nicht mehr um eine Finanz- oder Wirtschaftskrise. „Die gesellschaftliche Krise manifestiert sich in dem fortschreitenden Verfall der sozialkulturellen Infrastruktur der Republik“, heißt es in ihrem Text.

Demokratische und soziale Erneuerung notwendig

Gefordert wird von den Akteuren ein deutlicher Politikwechsel mit einer demokratischen und sozialen Erneuerung. Es handelt sich um politische Menschen, die eine neue Zivilgesellschaft einfordern. In Frankfurt haben sich einige von ihnen im November getroffen, um den Rahmen für eine zukunftsfähige Gesellschaft abzustecken und Verbündete für einen Politikwechsel zu gewinnen. Denn 2009 wird ein Wahl-Mammutjahr mit Europa-, Landtags- und Bundestagswahlen - die Gelegenheit, einer längst überfälligen gesellschaftlichen Veränderung auf die Sprünge zu helfen.

Es geht dabei nicht um Phantasten, sondern es handelt sich um Wissenschaftler und politisch engagierte Menschen, die mitten im Leben stehen, engagiert in Nichtregierungsorganisationen wie attac, in Bürgerrechts- und Friedensorganisationen, in Gewerkschaften, Umwelt- und Erwerbslosenverbänden. Sie sind der Überzeugung, dass das „Ende der Hegemonie des Neoliberalismus“ neue Chancen biete für eine „sozial-emanzipatorische, ökologisch nachhaltige und global friedenstiftende“ Entwicklung.

Dies erfordert Mut, Durchstehvermögen – und viele Verbündete. Denn die Politik hat bisher alles getan, um die Entfaltungsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen dadurch zu untergraben, dass sie die zivilgesellschaftliche Verständigung „dem Primat einer hoch konzentrierten Medienwirtschaft unterworfen“ haben und durch die traditionellen Bildungsinstitutionen „soziale Auslese und Spaltung reproduzieren“, so die Verfasser. Vor allem der Wirtschaftsliberalismus wurde mit Hilfe der Medien als Heilmittel propagiert. „Er existiert damit – bis heute – im habitus und in den Köpfen von Professoren, Zentralbankchefs, Journalisten und Studierenden, aber auch als Meinung im Alltagsdenken“, so Tobias Kröll in den Blättern für Deutsche und internationale Politik vom Dezember 2008. Es bedarf sicher besonderer Anstrengung, diese Denkschablonen und Glaubenssätze aufzubrechen.

In ihrem Arbeitspapier haben sie sich zunächst auf vier Grundsatzpunkte verständigt, die wir hier wiedergeben:

Gute Arbeit


Ein politisches Projekt, das einen Bogen schlägt von der Bekämpfung prekärer Arbeit in wachsenden Niedriglohnsektoren bis zu den immer öfter frustrierten Bedürfnissen Höherqualifizierter nach professioneller Entfaltung, und dabei nicht nur die Erwerbsarbeitsperspektive sondern ebenso die Erwerbslosen (Hartz IV u.a.) im Focus hat. Gute Arbeit ist ein Gegenprojekt zum Programm „Hauptsache Arbeit", mit dem arbeitsmarktpolitische Repression, Prekarisierung und Lohnsenkungen legitimiert werden. Gute Arbeit ist ein Projekt, das gegen Wettbewerbs- und standortpolitische Vereinnahmungsversuche profiliert werden kann und die Perspektive eines Umbaus der Wirtschaft entlang ökologischer Erfordernisse und gesellschaftlicher Bedürfnisse stark macht. Gute Arbeit ist ein bereits profiliertes Querschnittsprojekt, das unterschiedliche zivilgesellschaftliche Akteure – von der Gewerkschaftsbewegung über Sozialverbände bis zur Umweltbewegung – zusammenbringt. Ein auf Klimaschutz und nachhaltigen Ressourceneinsatz gerichtetes ökologisches Umbauprogramm könnte eine seiner weiteren Konkretisierungen sein. Dabei wäre auch eine Auseinandersetzung mit der Frage notwendig, was produziert werden soll und wie wir das gesellschaftlich organisieren wollen.

Soziale Gerechtigkeit


... darum geht, die Gesellschaft zu verändern
Foto:
gesichter zei(ch/g)en
Hierunter fallen politische Projekte, die vom gesetzlichen Mindestlohn über die Abschaffung von Hartz IV bis zu lebensstandardsichernden Renten reichen. Soziale Gerechtigkeit steht für den Zugang zu qualitativ hochwertigen medizinischen Leistungen nicht nur bei uns, sondern für alle Menschen. Soziale Gerechtigkeit steht für eine soziale Grundsicherung, die auch die vielen Erscheinungsformen verdeckter Armut, Ausgrenzung und Spaltung bekämpft. Soziale Gerechtigkeit steht für einen leistungsfähigen Sozialstaat, der als Bürgerversicherung individuelle Entfaltungsmöglichkeiten und Teilhabe für Alle ermöglicht. Daseinsvorsorge ist eine öffentliche Aufgabe, in der private Gewinninteressen nichts verloren haben. Soziale Gerechtigkeit erfordert Verteilungsgerechtigkeit zwischen Lohn-, Gewinn- und Vermögenseinkommen; ein Steuersystem, das von Oben nach Unten umverteilt, Schlupflöcher stopft und die Privilegierung von Vermögen beendet, überkommene Strukturen diskriminierender geschlechtlicher Arbeitsteilung (z.B. durch das Ehegattensplitting) beseitigt und hinreichend Ressourcen zur Finanzierung wachsender öffentlicher Aufgaben erschließt. Mit Konzepten wie der solidarischen Einfachsteuer liegen Alternativen vor und sind Bündnisperspektiven geknüpft.

Bildung für Alle

Gemeint sind Projekte mit einer Vielzahl von Einzelthemen und -initiativen, die kommunikativ vernetzt werden könnten: PISA, ein antiquiertes Schulsystem, fehlende öffentliche Investitionen, G8, Studiengebühren usw. Gerade das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem ist dadurch charakterisiert, dass soziale Disparitäten nicht abgebaut, sondern noch verstärkt werden. Dieses System ist meilenweit von einem Anspruch auf Chancengerechtigkeit entfernt, wie Vergleiche insbesondere mit einem integrierten Bildungssystem in den skandinavischen Ländern zeigen. In diesen Vergleichen wird auch deutlich, welchen Anteil lebensbegleitende Weiterbildung an individuellem und gesellschaftlichem Fortschritt hat. Auch das herkömmliche System der dualen Berufsausbildung wird den Anforderungen einer zunehmend wissensbasierten Gesellschaft seit langem nicht mehr gerecht. Deshalb ist Bildung für Alle zu einem verschiedene Bevölkerungsklassen übergreifenden Zukunftsthema (auch in Wahlkämpfen) geworden.

Globale soziale und ökologische Rechte

Dabei handelt es sich um Projekte, in denen die globalen Widerspruchsdimensionen aufgegriffen werden: Hunger und Verelendung, die Krisen- und Ausbeutungsprozesse hochspekulativer internationaler Finanzmärkte, die globale Klimaveränderung, die mit Hochrüstung einhergehenden weltweiten Geschäfte der Rüstungsindustrie und zunehmenden Militärinterventionen. Forderungen nach Re-Regulierung der Finanzmärkte, Schuldenstreichung für Länder des Südens, global wirksamen Maßnahmen gegen die Umweltzerstörung und die entschiedene Verteidigung der Menschenrechte können hierzulande mit der Verantwortung eines erneuerten Europas verknüpft werden – ein Europa, das als neoliberale Deregulierungsgemeinschaft in eine politische Legitimationskrise gelotst worden ist. Die Alternativen neues Europäisches Sozialmodell, Friedensmacht Europa und Trendsetter im Klimaschutz durch transnationale Projekte eines nachhaltigen, ressourcenschonenden Umbaus der Wirtschaft drücken noch mehr Hoffnungen als Realitäten aus. Vor allem die Perspektive auf eine demokratische selbstbestimmte Europäische Union hat durch das Festhalten am autoritären Projekt der Verfassung ebenso Schaden erlitten wie durch die rasante Militarisierung von Außenpolitik und Außengrenzen. Die Europawahlen 2009 böten einen Rahmen, zivilgesellschaftliche Initiativen jenseits der Grenzen der Nationalstaaten zu erkunden, abzusprechen und zu starten.


Gewerkschafter Horst Schmitthenner auf einer Friedensdemonstration
Foto: Thomas Trueten – arbeiterfotografie.com


Der Gewerkschafter Horst Schmitthenner ist Beauftragter des „Verbindungsbüros Soziale Bewegungen“ in Frankfurt und weiß, dass dieses anspruchsvolle Projekt über die Zeit der anstehenden Wahlen hinausreichen wird. Es soll im nächsten Jahr massiv vorangetrieben werden, und dazu braucht es Verbündete. Am 7. Februar will man sich wieder im Frankfurter Gewerkschaftshaus treffen, um sich stärker zu vernetzen und weitere Verbündete zu suchen. 150 Multiplikatoren gibt es bereits, um den dringend notwendigen Paradigmenwechsel voranzutreiben. Doch es bedarf noch mehr, um politisch etwas zu bewegen: Die Menschen müssen ihr teilnahmsloses Verharren aufgeben. Es geht nämlich um sie selbst.

Kontakt:
Verbindungsbüro Soziale Bewegungen
Horst Schmitthenner
IG-Metall
Wilhelm-Leuschner-Str. 79
60329 Frankfurt
Telefon: 069-6693-2558


Online-Flyer Nr. 178  vom 24.12.2008



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