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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Antwort an das Landwirtschaftsministerium in Hannover
Agro-Gentechnik: Indoktrination in Schulen
Von Gudrun Kaufmann

Über „Seilschaften und Netzwerke der Agro-Gentechnik in Medien und Politik“ hatte die Gesundheits- und Ernährungsberaterin Gudrun Kaufmann in NRhZ 183 berichtet und darauf einen ärgerlichen Leserbrief von Gert Hahne aus dem Ministerbüro des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung erhalten (s. LeserInnenbriefe), in dem ihr “fehlerhafte und unvollständige Angaben“ vorgeworfen werden. Hier ihre Antwort. – Die Redaktion.

Antwortet dem
Landwirtschafts-
ministerium
in Hannover –
Gudrun Kaufmann

Nachdem in Hannover die ersten Gentechnik-Labore in Schulen eingerichtet werden, und seitens des Ministeriums in Hannover bezüglich meines Artikels zu „Seilschaften und Netzwerke der Agro-Gentechnik in Medien und Politik - Kontrolle oder Kollaboration?“ (http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13415) auf „Die Behandlung ethischer Fragen und die Ausbildung von Urteilsfähigkeit (der Schüler/innen, G.K.) über Nutzen und Risiken der Grünen Gentechnik“ hingewiesen und großer Wert gelegt wurde, möchte ich öffentlich folgende Fragen zur erwünschten „Urteilsfähigkeit“ an alle betreffenden Institutionen einschließlich Schulen stellen:
 
Fragen zur erwünschten „Urteilsfähigkeit“
 
Die Schulen werden bei dem Projekt HannoverGEN u. a. von dem Institut für Pflanzengenetik von der Universität Hannover unterstützt. - Wie gelingt es gerade diesem Institut, dass pro Gentechnik eingestellt ist, SchülerInnen sowie Lehrkräfte über sämtliche Risiken, die mit der Gentechnik verbunden sind, einschließlich gesundheitlicher Risiken, (teurer) Abhängigkeit einer Weltbevölkerung von Gentechnikkonzernen, die in Zukunft alleine über die Produktion von Nahrungsmitteln entscheiden wollen, und einer langsamen Verseuchung des Bodens durch Spritzmittel wie Roundup aufzuklären? Wird von den Instituten der Leibniz Universität Hannover und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, die ebenfalls in den Schulen involviert sind, die neueste französische Toxizitäts-Studie der Universität Caen, die auch von der angesehenen American Chemical Society veröffentlicht wurde, an die SchülerInnen und Lehrkräfte weiter gegeben?
 
Schaden unausweichlich
 
Im Kommentar zur Studie von Trace Consult. zum Thema „ACS: Französische Untersuchung belegt Roundup-Herbizidrückstände führen zum Tode von Humanzellen & sind schlecht bewertet“ (23. 12. 2008) heißt es: „Die Resultate zeigen im Wesentlichen, dass Rückstände des bekannten Glyfosat-Herbizids Roundup, die in allen GVO-Lebens- und Futtermitteln nachweisbar sind, bei menschlichen Zellen schädlich und sogar tödlich wirken können - selbst bei niedrigen Mengen“. Und weiter liest man da: „Im vorliegenden Fall ist der Schaden „indirekt“ - aber er ist nichtsdestoweniger unausweichlich, da alle Roundup Ready Pflanzen, die für Lebens- oder Futtermittel verwendet werden, auf oder über dem versuchten Niveau Roundup Rückstände enthalten.“ Der Volltext der veröffentlichten Arbeit auf Englisch lässt sich im PDF- Format herunterladen bei: http://www.traceconsult.ch/71664/77643.html (bitte bis fast zum Fuß der Seite herunterscrollen).
 
Filme, Bücher, WissenschaftlerInnen
 
In diesem Zusammenhang frage ich, ob neben dieser Studie allen den an HannoverGEN Beteiligten inklusive den dafür zuständigen Ministern folgende wichtige Filme und Schriften bekannt sind: „Leben außer Kontrolle“ von Bertram Verhaag und Gabriele Kröber, „Feldversuch Hawaii“, „Arme Sau“ (Patentaufkauf), „Monsanto, mit Gift und Genen“ von Marie Monique Robin (1) sowie die Rede „Wider die Angst: Satyagrah“a von Vandana Shiva, Dr. der Physik, indische Bürgerrechtlerin, Trägerin des alternativen Nobelpreises und des „Blue Planet Award“ der deutschen Stiftung “ethecon“ (NRhZ berichtete darüber).
 
Marie-Monique Robin ist französische Journalistin und Filmemacherin. Genaueste Recherchen über die Machenschaften des US-Biotech-Konzerns Monsanto, der mit Gentechnikfirmen auch in Deutschland zusammenarbeitet, stammen von ihr. In einem Interview von natur + kosmos mit Frau Robin heißt es: „Bei uns herrscht im entscheidenden Gremium, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, der gleiche Interessenkonflikt. 80 Prozent der Wissenschaftler dort arbeiten für Monsanto und andere Saatguthersteller wie Syngenta oder BAYER CropScience. Ich habe mit zwei französischen Abgeordneten gesprochen, die ihren Unmut auch in der Zeitung Le Monde veröffentlicht haben. Sie sagen, der politische Druck, die Zulassung der GVO umzusetzen, sei unerträglich. Da geht es nicht nur um normale Lobbyarbeit, sondern auch um Bestechung und all diese Dinge.“ - Das gesamte Interview ist unter http://www.natur.de/scripts/basics/natur/news/basics.prg?session=4e2a8edd49a0f985_492967&a_no=2842 zu lesen.
 
Ich frage außerdem: Ist der Inhalt folgender Bücher bekannt: „Agro-Gentechnik: Die Saat des Bösen – Die schleichende Vergiftung von Böden und Nahrung“ von Dr. Antônio Inácio Andrioli und Richard Fuchs, „Den Schatz bewahren“ von Angela von Beesten, Vorstand des Ökologischen Ärztebund, ÖÄB, „Trojanische Saaten“ von Jeffrey Smith aus den USA - um nur einige zu nennen.
 
Ganz besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Bücher „Das Imperium der Schande“ und „Die neuen Herrscher der Welt“ von Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und emeritierter Professor für Soziologie der Universität Genf und der Universität Paris-Sorbonne. Bis 1999 war Jean Ziegler Nationalrat im Parlament der Schweizer Eidgenossenschaft. Er zeigt konkret, „wie die Refeudalisierung der Welt ganze Staaten zerstört, aber auch, wie sich allmählich Widerstand zu regen beginnt.“
 
Wird dieses ganze Informationsmaterial den SchülernInnen und Lehrkräften im Rahmen des Projektes HannoverGEN gezeigt, um ihre „Urteilsfähigkeit“ zu stärken? Werden die Bücher gelesen, um darüber zu sprechen? Sind den Lehrkräften diese Bücher und Filme überhaupt bekannt? Sind sie dem Elternbeirat bekannt, der, so Dr. Hahne vom Ministerbüro in Hannover, ebenfalls für die Einführung der Gentechnik in Schulen gestimmt hat? Um die Urteilskraft von Menschen, hier insbesondere von Jugendlichen, zu stärken und um die Wissenschaftlichkeit in punkto „Pro und Contra“ zu fördern, müssen beide Seiten in einer Schule vertreten sein!
 
Neutralität an den Schulen?
 
Da mein Briefwechsel mit Herrn Dr. Gert Hahne eindeutig zeigt, dass die zuständigen Gremien pro Agro-Gentechnik eingestellt sind, wage ich zu bezweifeln, dass eine Neutralität an den Schulen gewahrt bleibt, sondern muss leider davon ausgehen, dass man ganz im Gegenteil vielmehr mit allen Mitteln versucht, die zukünftige Generation pro Gentechnik einzustimmen (Briefwechsel ist einsehbar bei mir).
 
Wichtig wäre zum Beispiel, einen Wissenschaftler wie Dr. Antônio Andrioli in die Schulen einzuladen, damit dort eine faire Aufklärung stattfinden kann. Oder lassen Sie in den Schulen eine Podiumsdiskussion mit einem Vertreter des Instituts für Pflanzengenetik, z. B. mit Prof. Dr. Hans-Jörg Jacobsen und Dr. Antônio Andrioli stattfinden. Dr. Andrioli als international anerkannter Wissenschaftler, besitzt weit reichende Erfahrung bezüglich Brasiliens, einem Land, in dem die Gentechnik Enteignung der Bauern und Verseuchung des Landes einschließlich eines Verlustes der Artenvielfalt bedeutet. Er ist vom Bildungsminister Brasiliens als Mitglied einer Kommission zur Gründung einer neuen staatlichen Universität eingesetzt worden, die von den ländlichen Sozialbewegungen getragen wird und sich schwerpunktmäßig um Familienlandwirtschaft und Ernährungssouveranität kümmern wird.
 
Man könnte auch Percy Schmeiser, Landwirt aus den USA, Träger des alternativen Nobelpreises, einladen, der genügend Praxiserfahrung hat. Oder einen anerkannten Vertreter aus England: S.K.H. Prinz Charles, der ebenfalls aus bekannten Gründen gegen Gentechnik eintritt. Er warnte im August 2008 in der Zeitung "Daily Telegraph", eine Abhängigkeit der Verbraucher von "gigantischen" Agrarkonzernen könne in einem "absoluten Desaster" enden, Das wäre "der klassische Weg, um sicherzustellen, dass es in der Zukunft keine Nahrungsmittel mehr gibt." Einladen könnte man auch die oben erwähnte Wissenschaftlerin Dr. Vandana Shiva, um an den Schulen ihr reichhaltiges Wissen zur Verfügung zu stellen.
 
Landwirtschaftliche Aufklärung im Labor
 
Merkwürdigerweise findet die “landwirtschaftliche Aufklärung“ der SchülerInnen in Hannover im „Labor“ statt! Lassen Sie Schüler doch zu den Bauern auf das Feld gehen, damit ihnen dort Landwirtschaft gezeigt wird, und damit sie auch die Möglichkeit bekommen, mit den Landwirten über deren Probleme und Befürchtungen zu sprechen, sie anzuhören!

Wie kommt es, dass bei Anfragen von Organisationen keinerlei Auskunft darüber gegeben wird, wie der Unterricht u. a. vom ethischen Standpunkt gehalten wird. Der Internetauftritt vom Modellprojekt HannoverGen (www.hannovergen.de) geht nicht in die Tiefe und zeigt nicht auf welche Weise wer welches Wissen vermittelt. Es gibt keine Transparenz, denn genau recherchierte Berichte wie der von Antje Lorch und Christoph Then, die die  Vorgehensweise von Monsanto und anderen Gentechnikfirmen aufdecken, fehlen dort natürlich. Man findet ihn aber unter www.boelw.de/uploads/media/pdf/Themen/Gentechnik/Studie_Agrogentechniknetz.pdf.
 
80 Prozent gegen Gentechnik
 
Die eine Million Euro für HannoverGen stammen laut Leserbrief von Herrn Hahne vom Ministerium zu 97 Prozent aus dem Haushalt des Landes Niedersachsen und aus dem Zukunftsfonds Niedersachsen, obwohl laut Umfragen bis zu 80 Prozent der Bevölkerung gegen Gentechnik sind. Hier wurden und werden also Entscheidungen gegen den Willen der BürgerInnen getroffen. Wurden denn die Eltern der betreffenden SchülerInnen schriftlich befragt, ob sie diese Labore in den Schulen haben wollen? Wurden sämtliche Lehrkräfte gefragt, ob sie dem Ganzen zustimmen, nachdem sie intensiv durch beide Seiten informiert wurden oder erhielten sie ohne Mitspracherecht einfach einen Lehrauftrag vom Kultusministerium?
 
Auch MinisterInnen wollen wiedergewählt werden. Es könnte ja sein, dass sich nun mündige BürgerInnen auf den Weg machen, um sich über die möglichen Folgen von HannoverGEN zu informieren, bevor sie zur Wahl gehen. Vielleicht hilft dieser Appell an die PolitikerInnen: Stoppen Sie diese Entwicklung! Sie tragen Verantwortung für die Bevölkerung, vor allem für die Jugendlichen, die unsere Zukunft sind, für den Erhalt unserer Erde ohne zerstörerische Gentechnik einzutreten. Dank jedenfalls an die NRhZ, meinen Bericht zu bringen. Ich hoffe, andere Zeitungen werden folgen. (PK)

 
(1) „Monsanto - mit Gift und Genen“, www.absolutmedien.de, 107 Min., 19,95 Euro. Der Film wird bis zum Herbst auf dem bundesweiten Filmfestival "Über Macht" der Gesellschafter-Initiative von Aktion Mensch gezeigt. Mehr dazu: diegesellschafter.de/uebermacht/index.php
Alles über den Film bei: www.arte.tv/de/wissen-entdeckung/Monsanto-mit-Gift-und-Genen/1912794.html Dazu das Buch „Mit Gift und Genen“, 464 Seiten, DVA, 1. Auflage (Januar 2009) - 19,95 €, ISBN: 3421043922

Gudrun Kaufmann ist ärztlich geprüfte Gesundheits- und Ernährungsberaterin der Gesellschaft für Gesundheitsberatung, GGB e. V. in 64407 Fränkisch-Crumbach und zu erreichen unter Tel.: 06164 / 5851, email guka-ernaehrung@web.de 

Foto Quelle: www.oekologischer-aerztebund.de

Online-Flyer Nr. 188  vom 11.03.2009



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