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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Über Urantransporte in Deutschland und internationale Geschäfte – Teil 1
Deutschlands strahlende Zukunft
Von Michael Schulze von Glaßer

Seit dieser Woche sind Sie wieder „on“, die Atomkraftwerke Krümmel und Brockdorf, und der Vorstandsvorsitzende von Vattenfall hofft, auch das pannenträchtige AKW Brunsbüttel noch bis Ende des Jahres wieder anschalten zu können. Derweil tuckert ab- und angereichertes Uran aus Deutschland über Europas Straßen, Schienen und Schifffahrtswege – auch durch stark bevölkerte Gebiete, wie das Ruhrgebiet und die Rheinschiene. Lesen Sie hier in Folge Michael Schulze von Glaßers Hintergrundartikel über internationale Geschäfte für eine „strahlende Zukunft“.

„Langsam versank die Sonne am Horizont, an diesem Mittwochabend...“ schrieb der Autor über den 5. März 2008 und über etwas, das sich regelmäßig in Westfalen ereignet – die Redaktion:

In den Straßen der Münsteraner Innenstadt tummelten sich noch zahlreiche Menschen – die meisten PendlerInnen und StudentInnen hatten den Heimweg angetreten. Die Menschenmassen drängten sich durch den unansehnlichen Hauptbahnhof der Domstadt. Züge fuhren ein und aus – alles schien normal zu sein. Selbst als sich ein langer Güterzug durch den Bahnhof schob, erschien diese Rushhour wie eine an jedem anderen Werktagsabend. Einzig das vermehrte Polizeiaufkommen, eine kleine Gruppe Demonstranten und winzige gelbe Schilder an den Güterwaggons hätten die ahnungslosen Menschen am Hauptbahnhof nachdenklich stimmen können – was war in dem Güterzug?“

Urantransport rollt durch den Münsteraner Hauptbahnhof Foto: Michael Schulze von Glaßer
Sieht harmlos aus, steckt aber voller radioaktivem Uranhexafluorid: Atommülltransport kurz vor der Durchfahrt durch den Münsteraner Hbf
Foto: Michael Schulze von Glaßer


Man schmeckt es nicht, man riecht es nicht: Nur die kleinen „Radioaktiv“-Schildchen an den dunkelroten und braunen Güterwaggons lassen die Fracht erahnen: radioaktiver Atommüll. Keine abgebrannten Brennstäbe wie bei Castor-Transporten, sondern abgereichertes Uran – so genanntes Uranhexafluorid – fährt mehrmals im Jahr durch das Münsterland.

Per Zug wird die gefährliche Fracht zunächst von der Stadt Gronau über die Stationen Steinfurt – Münster – Greven – Rheine – Bad Bentheim – Almelo (Niederlande) bis nach Rotterdam gebracht – dabei passiert der Zug noch zahlreiche andere Städte. Im Rotterdamer Hafen wird der deutsche Atommüll auf ein Schiff verladen. Über Nord- und Ostsee geht es bis ins russische Sankt Petersburg. Die letzten rund Zweitausend Kilometer bis zum Ziel legt die nukleare Fracht wieder per Güterzug zurück: Endstation Sibirien.[1]

Urenco radioaktiv
Urenco und die sauberen Geschäftemacher  
– da bleibt nur die Flucht...
Urenco

Seit dem 15. August 1986 ist in der westfälischen Stadt Gronau, nahe der Grenze zu den Niederlanden und zum Bundesland Niedersachsen die erste und einzige Uranan-reicherungsanlage Deutschlands in Betrieb. Betreiber der Anlage ist der multinationale Konzern Urenco. Dieser gehört zu drei gleichen Teilen der „British Nuclear Fuels“,der „Ultracentrifuge Nederland“ [2] und der Uranit GmbH. Diese wiederum ist zu gleichen Teilen im Besitz der großen deutschen Energiekonzerne E.on und RWE. Urenco betreibt außerdem Anlagen im britischen Capenhurst und dem niederländischen Almelo. Neben der Urenco-Anreicherungsgruppe produziert der zweite Geschäftsbereich – die Urenco-Technologiegruppe – Zentrifugen für Anreicherungsanlagen. Bisher waren die einzigen Abnehmer die eigenen Anlagen – Ziel der Urenco-Technologiegruppe ist jedoch die weltweite Vermarktung ihrer Zentrifugen für Urananreicherungsanlagen.

Vielleicht wird Urenco ihre Technologie aber auch schon bald nach Indien liefern, das neuerdings Atomtechnik aus Deutschland importieren darf – die aufstrebende Macht in Asien ist dem Atomwaffen-Sperrvertrag noch immer nicht beigetreten und war daher 34 Jahre lang bei Atomfragen international isoliert. Im Jahr 2007 hatte die Urenco Limited – es handelt sich um ein Unternehmen britischen Rechts – einen Umsatz von knapp über einer Milliarde Euro. Der Reingewinn 2007 betrug 238,5 Millionen Euro. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 2.000 Menschen.

Gefährliche Urananreicherung

In der Gronauer Urananreicherungsanlage wird – wie in allen Urenco-Anlagen – Uran-238 im Zentrifugenverfahren angereichert. Natur-Uran besteht zu etwa 99,3 Prozent aus Uran-238 und nur zu etwa 0,7 Prozent aus Uran-235, der benötigt wird, um in Reaktoren (oder in Atombomben) gespalten werden zu können. Daher ist eine Anreicherung auf drei bis fünf Prozent Uran-235 (bei Atombomben auf 90 Prozent und mehr) erforderlich.

Je öfter das Uran die Zentrifugen, die zu hunderten in den Anlagen stehen, durchläuft, desto höher ist der Anreicherungsgrad – eine militärische Nutzung der Anlage kann daher niemals ausgeschlossen werden. Dies ist im Übrigen auch der Grund für die umstrittene Anreicherungsanlage im Iran. Experten schätzen, dass Deutschland innerhalb weniger Wochen in der Lage ist, eine eigene Atombombe zu bauen – das Know-how ist vorhanden, und der nötige Spaltstoff kann in Gronau problemlos angereichert werden.

Abdul Kadir Khan
Uranspion Khan
Relativ unbekannt ist auch, dass Urenco eine Mitverantwortung für den Bau der pakistanischen Atombombe trägt. Zwischen 1972 und 1976 arbeitete der pakistanische Ingenieur Abdul Kadir Khan für einen Subunternehmer in der Urenco-Anlage im niederländischen Almelo. Dort hatte er wegen unzureichender Sicherheitsmaßnahmen Zugriff auf die Pläne zum Bau einer fortschrittlichen Urananreicherungsanlage. Nach dem ersten Atomwaffentest Indiens im Jahre 1974 verhalf Khan der pakistanischen Regierung mithilfe der Urenco-Pläne zum Bau einer eigenen Anreicherungsanlage. Dort entstand das Spaltmaterial für die pakistanische Atombombe – Abdul Kadir Khan gilt daher als Vater des pakistanischen Atomwaffenprogramms. Khan wird zudem vorgeworfen die Urenco-Pläne auch an Libyen, Nordkorea und Iran verkauft zu haben.

Das Uran für die Gronauer Anlage bezieht Urenco aus Uranminen in Kanada, Australien, Südafrika und Kasachstan. Bevor damit jedoch gearbeitet werden kann, muss es in einer sogenannten Konversionsanlage in Hexafluorid umgewandelt werden. Das Uranhexafluorid (UF6) für die Gronauer Anlage kommt zu großen Teilen aus Frankreich; genauer gesagt aus dem Atomkomplex Pierrelatte/Tricastin.

Pierrelatte/Tricastin Foto: Arnaud 25
Der 65 Kilometer von Avignon gelegene Komplex Tricastin mit AKW, Urananreicherungs- und Urankonversionsanlage | Foto: Arnaud 25

Die Anlage gelangte im Sommer 2008 zu trauriger Berühmtheit, nachdem dort 100 Mitarbeiter durch einen defekten Schlauch, aus dem radioaktives Material austrat, kontaminiert wurden. Bereits zwei Wochen zuvor traten 74 Kilogramm Uran aus der Anlage aus und gelangten in zwei Flüsse. Noch im Jahre 2006 wurden große Mengen UF6 per Zug von Südfrankreich quer durch Rheinschiene und Ruhrgebiet in die Gronauer Anlage transportiert. Heute erreicht das hochgefährliche Material die Anreicherungsanlage auf weniger Aufsehen erregenden aber weitaus unsicheren Lastkraftwagen. Auch diese sollen durch den größten Ballungsraum Deutschlands fahren.

Bereits im Jahre 2003 verunglückte ein mit einem UF6-Container beladener Sattelschlepper in der Nähe von Almelo. Glücklichweise trat kein radioaktives Material aus. UF6 ist nur leicht strahlend aber hochgiftig. Kommt das Uranhexafluorid mit (Luft) Feuchtigkeit in Berührung reagiert es zu hochgiftiger Flusssäure. Die Säure kann sich gasförmig ausbreiten und ist stark ätzend. Einige Tropfen auf der Haut oder in den Atemwegen genügen zum sicheren Tod. Nach Austritt soll sich gasförmige Flusssäure innerhalb weniger Stunden mehrere Kilometer ausbreiten können und ganze Landstriche verseuchen.

Urananreicherungsanlage in Gronau Urenco
So soll nach Plänen der Urenco die Anlage in Gronau bald aussehen
Foto (Ausschnitt): Michael Schulze von Glaßer

Uranhexafluorid ist aber nicht nur der Ausgangsstoff für die Urananreicherung sondern auch gleichzeitig das Abfallprodukt – durch die Anreicherung entstehen zwei Uran-Fraktionen. Dem kleinen angereicherten und spaltbaren Uranteil steht ein großer abgereicherter UF6-Teil gegenüber: Auf eine Tonne angereichertes Spaltmaterial entfallen 5,5 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid. Es entsteht also massenhaft gefährlicher Atommüll in der Gronauer Anlage. Dieser lagert hundertfach in großen containerartigen 12,5 Tonnen-Fässern. Da die Lagerkapazitäten auf dem Urenco-Gelände direkt neben der Anreicherungsanlage begrenzt sind und giftiger Atommüll auch für ein äußerst bedenkliches Image sorgt, transportiert Urenco ihren Atommüll seit 1995 nach Russland.

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der NRhZ die Fortsetzung Michael Schulze von Glaßers Artikel über gefährliche Atommülltransporte und die Proteste dagegen.


Anmerkungen:
[1] Wie später auch noch einmal erwähnt wird und in der NRhZ 201 zu lesen war, besteht auch ein reger Austausch nuklearen Materials zwischen der Anlage in Gronau und Nuklearanlage Tricastin in Frankreich. Dazu fahren regelmäßig Züge und LKW durch Gegenden mit hoher Bevölkerungsdichte.
[2] Ehemals staatlich ist der Mehrheitseigner der BNFL mittlerweile das japanische Unternehmen Toshiba, an der niederländischen Teilfirma ETC ist außerdem der französische Nuklearkonzern Areva beteiligt.

(CH)

Online-Flyer Nr. 203  vom 24.06.2009



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