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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Reisebegleitung einer Holocaust-Überlebenden von Freiburg bis Köln
Hedy Epstein zum 85. Geburtstag
Von Edith Lutz

Hedy Epstein ist Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin. Geboren am 15. August 1924 in Freiburg im Breisgau, wurde sie 1939 von ihren jüdischen Eltern mit einem Kindertransport nach England geschickt, wo sie 1942 die letzten Lebenszeichen ihrer Eltern aus Auschwitz erhielt. 1945 kehrte sie nach Deutschland zurück, um am Nürnberger Ärzteprozess als Übersetzerin teilzunehmen, 1948 wanderte sie in die USA aus, wo sie sich für Opfer von Diskriminierungen und für die Rechte rassistisch ausgegrenzter Menschen engagiert. In den 1970er Jahren betreute sie Vietnamkriegsdeserteure. In Vorträgen erinnert sie an die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten, seit Jahren setzt sie sich auf Reisen nach Israel für die Rechte der Palästinenser ein. Edith Lutz hat Hedy Epstein anlässlich ihres 85. Geburtstags begleitet. – Die Redaktion

Hedy Epstein vor der "Erinnerungstafel“ in
Kippenheim
Fotos: Edith Lutz
Hedy Epstein landet am 14. August um 10.20 Uhr nach 24-stündiger Flugzeit (mit Zwischenlandung) am Frankfurter Flughafen. Am Nachmittag trifft sie in Freiburg ein. Ihr bleiben knapp vier Stunden Erholungszeit im Hotel am Rathaus, bevor sie um 19 Uhr zu einer Begrüßungs- und Geburtstagsfeier abgeholt wird. Der dreitägige Hotelaufenthalt, nebst einem (geplanten) Essen mit Vertretern der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der jüdischen Gemeinde ist ein Geburtstagsgeschenk der Stadt Freiburg. Den Flug nach Deutschland finanzierte die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“.
 
Jüdisch-spanische Flamenco-Musik
 
Etwa 25 Personen waren zur Feier im Restaurant „Waldsee“ erschienen, eine gemischte Gesellschaft von Freunden und Bewunderern, Vertretern der „Jüdischen Stimme“ und der Freiburger Kantstiftung. Jörg Hofmann, Gitarrist des Flamenco-Ensembles „madrugáflamenca“ spielte ihr zu Ehren eine „Petenera“, eine Flamencogattung, deren Ursprung in der jüdisch-spanischen Kultur vor der Vertreibung der Juden (1492) liegt. Beim zweiten Vortragsstück kamen die Mitfeiernden in den Genuss einer „Alegría“, übersetzt ‚Freude’. Zwei Tage später ließen sich einige der Feiernden tiefer in die Welt des Flamenco einführen, als sie bei sommerlich-spanischen Temperaturen im Rathausinnenhof die Aufführung „Flamenco unter Sternen“ der „madrugáflamenca“ besuchten. Auch Hedy Epsteins Vorfahren stammten aus Spanien, aus Sfarad, wie die Juden sagten. Ein alter Fächer, ein Erbstück, erinnert sie daran.
 
Der aus dem Irak stammende Schaffan Soleiman, Lehrer für orientalische Musik, trug mit seiner Oud, einem 12-saitigem Instrument und Vorläufer der abendländischen Laute, traditionelle arabische Weisen vor. Viel Anklang fand eine spontan entstandene gemeinsam gespielte Improvisation auf der arabischen Oud und der spanischen Gitarre. Anschließend begeisterten die jungen Tänzer und Tänzerinnen einer Debka-Tanzgruppe das Publikum mit traditionellem palästinensischem Tanz. Das Geburtstagskind bedankte sich mit einer kleinen Rede und versäumte nicht, auf ihre kommende Reise mit der „Freegaza“-Bewegung hinzuweisen. Wer Hedy Epstein nachträglich etwas schenken möchte, kann mit einer kleinen Spende zum Kauf eines Schiffes beitragen. (1)


Hedy in ihrem ehemaligen Kinderzimmer
 
15. August - den Tag ihres 85. Geburtstags feierte Hedy Epstein mit Freunden aus ihrem Heimatort Kippenheim und Umgebung. Zu den Orten der Umgebung gehört Ettenheim, wo Hedy, damals noch Hedy Wachenheimer, bis 1938 das Realgymnasium besuchte; genauer gesagt, bis zu jenem 10. November 1938, als sie mit den Worten „Raus mit dir, du Dreckjude“ aufgefordert wurde, das Gymnasium zu verlassen.
 
Was bedeutet es für Hedy Epstein heute, wenn nach etwas mehr als 70 Jahren an diesem Ort der Geburtstagskuchen angeschnitten wird? – „Es ist nicht irgendein Kuchen“, sagt sie, „jemand hat sich erinnert, dass ich diesen Kuchen besonders gerne mochte. Es ist sozusagen ein ‚Kuchen der Erinnerung’.“


Hedy mit einer Schulkameradin vor ihrem Elternhaus
 
Begonnen hatte der denkwürdige Tag in Freiburg, ihrem Geburtsort. Mehr als die Eintragung ins Geburtsregister verbindet Hedy Epstein selber nicht mit dieser Stadt. Sie war in Kippenheim zu Hause. So fügte es sich sehr gut, dass der ehemalige Schulleiter von Kippenheim sie in ihrem Freiburger Hotel abholte und nach Kippenheim brachte. Der erste Besuch galt natürlich ihrem Elternhaus in der Bahnhofstraße 2. Für diesen Besuch gab es an ihrem Geburtstag noch einen weiteren besonderen Grund. An diesem Haus war auf Privatinitiative und mit Zustimmung des Hausbesitzers eine „Erinnerungstafel“ für Hedy Epstein angebracht worden, die an ihrem Geburtstag um 11 Uhr im Beisein des ehemaligen Bürgermeisters, und von Bürgern und Freunden aus Kippenheim und Umgebung feierlich enthüllt wurde. Auch ein ortsansässiger Überlebender des Holocausts, sowie eine ehemalige Schulkameradin kamen zur Feierstunde.An die in Auschwitz ermordeten Eltern erinnern zwei Stolpersteine auf dem Gehweg vor dem Haus.


Stolpersteine zur Erinnerung an ihre in Auschwitz ermordeten Eltern
 
Die Erinnerungstafel soll nach Vorstellung der Privatinitiative ein Projekt eröffnen, mit dem Persönlichkeiten geehrt werden, „die sich nachhaltig für Toleranz und die Wahrung von Menschenrechten eingesetzt und verdient gemacht haben“. Eine solche Persönlichkeit ist auch Hedy Epstein. Wie die Gedenktafel mitteilt, setzt sie sich „für soziale Gerechtigkeit, gegen Diskriminierung, Krieg und Gewalt“ ein. Und sie tut dies nicht nur mit Worten, sondern auch in ihrem hohen Alter noch mit Taten, ob bei Demonstrationen gegen den illegalen Mauerbau im besetzten Palästina oder bei Aktionen der „Freegaza“-Bewegung, der sie angehört. Hedy Epstein hofft, bald auch mit einer größeren deutschen Beteiligung nach Gaza segeln zu können und die Blockade durchbrechen zu helfen. (1)
 
Vor ihrer Abreise aus Freiburg am 17. August findet ein gemeinsames Frühstück mit einer Vertreterin der Stadt Freiburg statt. Sie überreicht Hedy Epstein einen Glückwunsch-Brief des verhinderten Oberbürgermeisters. Auf das angebotene Essen mit geladenen Gästen hat Hedy Epstein aus terminlichen Gründung verzichtet.
 
Einladung der Bonner Naqba-Gruppe
 
Der 18. August, Hedy Epsteins erster Tag in Köln beginnt mit einem vierstündigen Interview für den Westdeutschen Rundfunk. Der Sendetermin auf WDR5 „Erlebte Geschichten“ ist noch nicht bekannt. Am Abend folgt sie einer Einladung der Bonner Naqba-Gruppe (2). Der Ort des Treffens, das ifz oder Internationales Frauenzentrum, war gut ausgesucht. Die dort angebotene Thematik berührt auch Hedy Epsteins Arbeitsbereich: die Situation der Frauen in verschiedenen Ländern, Migrationspolitik aus Sicht der Frauen, sowie globale und lokale Zusammenhänge in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Durch ihr Studium („Urban Development“) und ihre persönlichen Begegnungen und Erfahrungen lenkte sich ihr Blick verstärkt auf soziale Benachteiligungen und Verletzungen von Menscherechten.
 
Der Seminarraum des ifz ist mit interessierten Zuhörern gut gefüllt, als Hedy Epstein von Menschenrechtsverletzungen in den israelisch besetzten Gebieten spricht. Den 70. Geburtstag hatte sie bereits hinter sich, als sie begann, an Demonstrationen gegen die Besetzung und gegen den Mauerbau teilzunehmen. Den Zuhörern, die viele Fragen an sie richten, hat sie zur Anschauung Gummigeschosse mitgebracht, denen die friedlich Demonstrierenden (neben Tränengas) ständig durch die Israelische Armee ausgesetzt sind. Sie selber hat durch eins der lautstarken israelischen Geschosse einen Hörschaden davongetragen, berichtet sie.
 
Spende für die „Freegaza“-Bewegung
 
Zu ihrem Einsatz gegen Ungerechtigkeit gehören auch ihre Bemühungen zur Aufhebung der Blockade des Gazastreifens. Hedy Epstein gehört mit zur „Freegaza“-Bewegung, der es im August letzten Jahres gelang, die Blockade zu durchbrechen und zwei Schiffe nach über 40 Jahren erstmalig wieder im Hafen von Gaza anlegen zu lassen. Der Hafen war mit europäischen Geldern aufgebaut worden, bevor ihn israelische Kriegsmaschinerie wieder zerstörte. Bei der nächsten „Freegaza“-Reise möchte Hedy Epstein wieder mit dabei sein. Die Zuhörer bedankten sich für ihre Ausführungen mit einer kleinen Spende für die „Freegaza“-Bewegung. Bei einem anschließenden Imbiss war Gelegenheit für einen gegenseitigen Austausch gegeben. 
 

Schiffsausflug rheinaufwärts am Drachenfels
vorbei
Der sechste Reisetag am 19.August ist der Erholung gewidmet: ein Schiffsausflug auf dem Rhein. Auch hier reist der Gedanke an die anstehende Seereise nach Gaza beim Anblick der vorüberziehenden Schiffe mit. Hedy Epstein und ihre Begleiter hoffen auf den Erwerb eines oder mehrerer seetüchtiger Schiffe, die sie noch vor den Herbststürmen nach Gaza bringen.
 
Den 20. August und letzten Tag ihres Aufenthalts in Deutschland verbringt Hedy Epstein in der Eifel. Nach einem weiteren Interview ist sie zum Nachmittag in die „Galerie Lammel“ in Nettersheim eingeladen. Hier werden dem Gast die reiche Sammlung jüdischer Künstler gezeigt, die größtenteils auch, wie Hedy Epstein, Überlebende des Holocausts sind oder waren. Anders als Hedy Epstein sind viele der ausgestellten Meister dem Staat Israel verbunden. Geprägt durch ihre Eltern als bekennende Anti-Zionisten, ist Hedy Epsteins Verhältnis zum Staat Israel immer zwiespältig gewesen. Einerseits begrüßte sie bei deren Entstehung diese Zufluchtsmöglichkeit für Juden, andererseits trug die zunehmende menschenverachtende Behandlung der Palästinenser durch den israelischen Staat auch zu einer ablehnenden Haltung bei.
 
„Erinnern ist nicht genug“
 
In der Galerie trug sie sich in das Gästebuch ein. An ihre Autobiografie angelehnt („Erinnern ist nicht genug“, Verlag Unrast) schreibt sie: „Erinnern ist nicht genug. Erinnern muss auch eine Perspektive der Gegenwart und der Zukunft haben.“ Am Abend traf sich eine kleine Schar zum Abschied in gesellig-musikalischer Runde im Garten von Hedy Epsteins Weggefährtin auf dem Weg nach Gaza. In der „Osmanischen Herberge“ (3), wo die Felaffel für den kleinen Imbiss bereitet wurden, kam sie noch in den Genuss eines orientalischen Tanzes, die einige Schülerinnen des dort stattfindenden orientalischen Tanzkurses einstudiert hatten. Die orientalische Herberge ist auch Gründungsort für „Abrahams Töchter“, einer kleinen multikulturell besetzten Gruppe, die sich für Kinder im Gazastreifen einsetzt (1).
 
Musikalisch ging es in dieser Gartenrunde eher deutsch zu. Hedy kennt noch etliche deutsche Volkslieder, andere lernt sie sehr schnell. Ein Lied ist Hedy besonders stark in ihrer Erinnerung haften geblieben, „Singsang und Klingklang“. Als Kind sang sie das Lied regelmäßig mit ihrem Vater bei den sonntäglichen Ausflügen. „Fliegende Blätter im Winde“, aus einer Volksliedstrophe gesungen, kündigen auch das nahende Gewitter an. Sieben Tage Sonnenschein mit Hedy Epstein gehen zu Ende. (PK)
 
(1) Nähere Infos zu Freegaza: www.freegaza.org, für Anfragen: Dr. Edith Lutz, abrahams-toechter@freenet.de
(2) Naqba, arabisch für „Katastrophe“; die Folgen der Staatsgründung Israels aus palästinensischer Sicht
(3) www.osmanische-herberge.de
 
Mehr über Hedy Epstein in NRhZ 136 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12153 

Online-Flyer Nr. 212  vom 26.08.2009



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