NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

Fenster schließen

Wirtschaft und Umwelt
BUND-Rückblick auf 2010: Umwelt- und Naturschutz in Zeiten der Habgier
Alle Jahre wieder
Von Axel Mayer

Die Umweltsituation am Oberrhein kann nicht losgelöst von weltweiten Entwicklungen betrachtet werden. Global und regional gab es in Sachen Biodiversität und Klimaschutz im Jahr 2010 wenig konkrete Fortschritte. Wer sich auf den Internetseiten der deutschen Klimawandelleugner umschaut wird dort viele Argumente der reaktionären amerikanischen Tea Party- Bewegung finden.


Quelle: BUND
 
Die Krise scheint in Deutschland überwunden, aber das erwirtschaftete Geld fließt als Kredit an Länder, die diese Kredite vermutlich nicht zurückzahlen werden. Dauerhafte 3,5% Wachstum brächten über 20 Jahre gerechnet eine Verdoppelung des deutschen Bruttosozialprodukts. Die Verursacher der Weltwirtschaftskrise wurden belohnt, die Kosten tragen weltweit die ArbeitnehmerInnen. Das ist mit ein Grund, warum die sozialen Konflikte an Härte zunehmen. Der Unterschied zwischen Regierungsparteien und Regierungskonzernen verschwimmt nicht nur im Berlusconi-Italien. Die CDU - FDP Regierung schafft die Wehrpflicht ab und trifft in Sachen Bundeswehr Entscheidungen, die bei den gleichen Parteien einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hätten, wenn sie in der Opposition wären. Im Golf von Mexiko, im Nigerdelta und an den Anzeigetafeln der Tankstellen zeigen sich die Gier der Ölkonzerne und die absehbare Endlichkeit der Ressourcen. In Korea droht ein Atomkrieg, eine Situation, wie sie auch in wenigen Jahren im Mittelmeerraum bedrohliche Realität werden könnte, wenn Herr Sarkozy Atomkraftwerke nach Libyen und in andere Spannungsgebiete liefert. Die Proteste gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in China nehmen zu und gleichzeitig ist Wikileaks und die Freiheit des Internet einem heftigen politischen Druck ausgesetzt. Die globalen Probleme und Konflikte nehmen an Heftigkeit zu und ökologische Konflikte stehen immer auch in einem engen Zusammenhang mit ökonomischen Entwicklungen.

Seit September 2010

warnen Experten der französischen Bergbaubehörde, dass Giftmüll aus der "modernsten und sichersten", mittlerweile allerdings durch einen Brand zerstörten Giftmülldeponie Stocamine bei Mulhouse schon in 100 bis 150 Jahren das Grundwasser am Oberrhein vergiften könnte. Diese Nachricht war ein Schock für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), denn gemeinsam mit Alsace Nature hatten wir lange und leider vergeblich gegen dieses Projekt gekämpft. Wir warnten vor den massiven Gefahren und vor Billiglösungen und organisierten Einsprachen und Proteste. Auf der anderen Seite gaben Behörden, Betreiber und „Experten“, wie immer bei solchen Projekten, Entwarnung. Es ist dieser eine Satz, den UmweltschützerInnen immer wieder hören und der in den Medien in solchen Zusammenhängen häufig zu lesen ist: „Nach übereinstimmender Ansicht der Experten gibt es keinerlei ernstzunehmende Gefahren“. Jetzt gefährdet der Brand von 45.000 Tonnen angeblich „nicht brennbaren“ hochgiftigen Giftmülls das Grundwasser vor unserer Tür und die Verantwortlichen werden (wieder einmal) nicht angemessen bestraft. Die Giftmülldeponie Stocamine und das Atommülllager Asse sind zwei Beispiele, die zeigen, wie unverantwortlich mit den giftigsten Giften des Industriezeitalters umgegangen und wie Zukunft gefährdet wird. Mit Sorge schauen wir auf die von Gewinninteressen geleitete Gefahrzeitverlängerung für AKW, auf das altersschwache Atomkraftwerk Fessenheim und auf die höchst umstrittenen geplanten Atommülllager in Gorleben und Benken / Schweiz; dort heißt es wieder einmal, dass „nach übereinstimmender Ansicht der Experten langfristig alles absolut sicher sein wird“. Was stets fehlt, ist der Zusatz: „Alle Angaben ohne Gewähr“.

Baden Württemberg

kann „auf keinen Fall“ den deutschen Atommüll endlagern, denn die Opalinustonschichten im Land sind viel zu dünn. Vergleichbar dünne Tonschichten in der Schweiz sind erstaunlicherweise ideal als Endlagerstätten für die eine Million Jahre strahlenden atomaren Abfälle.

Das Jahr 2010 war das Internationale Jahr der Biodiversität

Die Artenvielfalt ist nicht nur in weit entfernten, exotischen Ländern bedroht, sondern auch hier vor unserer Haustür, in Südbaden und im Elsass. Raubbau an Natur und Umwelt war und ist auch ein Thema in der so genannten „Ökoregion“ am Südlichen Oberrhein.
Wie immer haben wir uns im Jahr 2010 auch in Sachen Naturschutz engagiert:
  • Für die durch Kalkabbau bedrohte Natur am Urberg bei Bollschweil.
  • Für die letzten Wiesen in der Rheinebene, die immer stärker von der ausufernden Maissteppe bedroht werden.
  • Für die ökologischen Aspekte des Integrierten Rheinprogramms, die Naturschutz, Hochwasser- und Menschenschutz verbinden. Wir waren die Ersten, die auf den massiven Druck der Kiesindustrie hingewiesen hatten und wurden durch die „Affäre Fleischer“ in unseren Befürchtungen bestätigt.
Wir haben das Internationale Jahr der Biodiversität genutzt, um die Naturschutzprobleme der Oberrheinregion in einem Infoblatt zusammenzutragen.

Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke

war überall in Deutschland und auch am Oberrhein ein beherrschendes Thema und wir haben uns mit Demonstrationen, Aktionen, Reden, Infoblättern, Veranstaltungen, Aufklebern, Kleinanzeigen und mit Bannern, die an vielen Balkonen hängen, intensiv eingebracht. Die Bundesregierung verlängerte die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre. Bleibt es bei dieser skandalösen Entscheidung, dann geht das letzte deutsche AKW frühestens 2040 vom Netz. Die Entscheidung bedeutet mehr Atommüllproduktion, mehr Kinderkrebs in der Umgebung von Atomkraftwerken und insbesondere ein höheres atomares Risiko durch überalterte Atomanlagen. Es bedeutet aber auch satte Profite für die Atomkonzerne auf Kosten der Allgemeinheit. Der riskante Betrieb von Atomkraftwerken funktioniert nur in Ländern, in denen die politisch Verantwortlichen nicht damit rechnen müssen, im Falle eines schweren Unfalls zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Wenn in Stuttgart
 
Menschen und Naturschutzverbände wie BUND, NABU und Naturfreunde, Gewerkschaften (u.a. die lokale Gewerkschaft der Lokomotivführer) und Verkehrsverbände wie VCD, Pro-Bahn und ADFC für eine kluge, sparsame und ressourcenbewusst bescheidene Bahnhofslösung kämpfen, dann ist das auch ein Thema für den Oberrhein. Denn Gelder, die in Zeiten einer Staatsverschuldung von 1.712.986.500.980 Euro für teure Protzprojekte ausgegeben werden, fehlen der Bahn an anderen Stellen. Die erstaunliche Freundlichkeit, die Bahnchef Grube plötzlich in Sachen Bahnausbau am Oberrhein zeigt, hat viel mit dem Widerstand in Stuttgart zu tun. Auch zur geplanten Neubaustrecke am Oberrhein haben wir differenzierte Stellungnahmen abgegeben. Wir engagieren uns für Problemlösungen, die Menschen, Natur und BahnfahrerInnen nützen.

Das französische Atomkraftwerk Fessenheim

hat seit dem 1. September 2010 eine eigene, aus 38 Personen bestehende Polizeitruppe, „zum Schutz vor Katastrophen und Zwischenfällen“. Die Idee Atomanlagen mit Polizeitruppen zu schützen zu können, entspringt einem rückwärtsgewandten Sicherheitsdenken aus der Vor-AKW-Zeit. Die Polizisten sollen die Illusion von Sicherheit erzeugen. Vor den realen Gefahren des alternden AKW Fessenheim schützen sie die Bevölkerung aber nicht. Bei der so genannten „großen Fessenheiminspektion im Jahr 2010“ drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass es nicht um Kontrolle des alternden AKW, sondern um den Versuch der Akzeptanzbeschaffung für die von der EDF geplante Gefahrzeitverlängerung für das französische Atomkraftwerk geht.

In Offenburg wurde im Dezember

die Trinationale Metropolregion Oberrhein gegründet. „Eine Metropolregion ist eine stark verdichtete Großstadtregion von hoher internationaler Bedeutung.“ Quelle: Wikipedia. Eines der Ziele der Metropolregion Oberrhein ist eine rasche Verwirklichung der europäischen Verkehrsprojekte am Oberrhein (Verkehrsdrehkreuz Oberrhein). Die "Natur am Oberrhein" kommt als Feigenblatt zum Schluss und von Nachhaltigkeit kein Wort. "Fortschritt am Oberrhein" war bisher häufig die Metapher für Verkehrslärm, Flächenverbrauch, Zersiedelung, Zerstörung von Kultur, Natur und Lebensräumen.

Nicht nur Freiburgs Tunnel und Brücken bröckeln

Mehr als die Hälfte der Freiburger Brücken, Mauern und Tunnel sind so marode, dass sie dringend saniert werden müssen. Vermutlich ist sogar noch mehr kaputt, denn bislang hat die Stadtverwaltung erst rund ein Drittel aller Bauwerke untersucht. Um den weiteren Verfall zu verhindern, müssten jährlich sechs Millionen Euro investiert werden. Bislang sind pro Jahr jedoch nur 1,3 Millionen vorgesehen. Dabei gibt es schon jetzt einen Sanierungsstau von 20 Millionen Euro. Wir erleben nicht nur am Oberrhein und in Freiburg, wie das Land mit einer teuren Infrastruktur, mit Beton und Asphalt überzogen wird, wie der Flächenverbrauch anhält und Natur verschwindet, während gleichzeitig Städte, Land und Bund nicht in der Lage sind, die bestehende Infrastruktur zu unterhalten.

„Ökoregion“ Oberrhein und „Green City“ Freiburg

bedeuten noch lange nicht: "Vorwärts zu Ökologie und Nachhaltigkeit". Unter Mühen ist es regional gelungen, die weltweiten Zerstörungsprozesse etwas zu verlangsamen. Der Rohstoff- und Energieverbrauch, die Atommüll- und CO2- Produktion am Oberrhein ist auch nicht ansatzweise nachhaltig und zukunftsfähig und lässt sich keinesfalls auf den "Rest der Welt" übertragen.

Axel Mayer ist Geschäftsführer des BUND-Regionalverbandes Oberrhein in Freiburg
 
Mehr unter http://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein


Online-Flyer Nr. 281  vom 22.12.2010



Startseite           nach oben