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Kultur und Wissen
Eine Arbeit zwischen Erinnerung und Reflexion
"später ist schon" - Gehirnakrobatik
Von Carola Willbrand

Mit verschiedenen Ausdrucksmitteln von der Zeichnung bis zu der Skulptur erforsche ich den "Kopf", das Porträt, den "KopfAbDruck". Überwiegend porträtiere ich KünstlerInnen aus meinem Umfeld, die mir in meinem Leben begegneten oder begegnen. Eine Arbeit zwischen Erinnerung und Reflexion über die Position der bildenden Künstlerin und das, was ihr im Kopf so "rumgeht": in unserer WunderKammer, in unserem Erinnerungsspeicher, der die Welt bewahrt - das Wissen, die Vorstellungen und Ideen.

Die Zeichnungen, die KopfBeschreibungen entstehen mit der Nähmaschine – frei ohne Vorzeichnung, häufig in Kombination mit einem Text - "entstanden in der Entäußerung der Gehirnakrobatik“. Die gemalten Porträts sind kleine Ölmalereien auf KaffeeInlet (Lebensmittelaluminiumfolie). Die KopfAbdrücke, die KopfSkulpturen, sind genäht aus getragenen Kleidungsstücken meines sozialen Umfelds. Sie können auch Masken sein, denn alles ist ein Spiel mit der Identität, der Verwandlung dem, was wir sein wollen, sein können.

Immer benutzte ich Materialien des täglichen Gebrauchs. Ich nähe mit der Nähmaschine auf Tapete oder Raumtextilien, ich male auf KaffeeInlet, ich forme aus Kleidungsstücken oder Teppich. Den Faden benutze ich als Metapher für den Lebensfaden, weil ich das menschliche Leben zusammenhalten, festhalten will.

"Da Menschen nicht von Ungefähr in die Welt geworfen werden, sondern von Menschen in eine schon bestehende Menschenwelt geboren werden, sind wir wie Fäden, die in ein bereits bestehendes Muster geschlagen werden und das Gewebe so verändern, wie sie ihrerseits alle Lebensfäden, mit denen sie innerhalb des Gewebes in Berührung kommen, auf einmalige Weise affizieren. Sind die Fäden erst zu Ende gesponnen, so ergeben sie wieder klar erkennbare Muster, bzw. sind als Lebensgeschichten erzählbar.“ (Hannah Arendt)

Zu meiner Vorgehensweise schreibt Eva Linhart im Katalog "Der Souvenir – Erinnerung in Dingen" Museum für Angewandte Kunst Frankfurt 2006, ACC Galerie Weimar 2007:

"Der Schicksalsfaden wird zum Sinnbild für den Lebenslauf, der hier als eine prozessual-organische Entwicklung wirksam ist. Das Ineinandergreifen von kontrollierten und unkontrollierten Momenten bei dem Entstehungsprozess der Oberfläche und ihrer Bildlichkeit mobilisiert Analogien zum Leben und den Möglichkeiten, seine Biografie zu steuern oder von dieser gesteuert zu werden.

Die Verwendung der Nähmaschine bringt das Buchwerk in den Kontext der Tradition weiblicher Handarbeit, wobei der technoide Aspekt zugleich eine Distanz zu dieser schafft. Carola Willbrands Werk zielt auf die eigene weibliche Identität als Künstlerin. Sie akzeptiert die traditionellen Ausdruckstechniken von Frauen, durchbricht jedoch mit ihrer so wenig auf kunsthandwerkliche Perfektion abhebenden Produktion diejenigen Klischees von Weiblichkeit, die mit Sticken oder Nähen verbunden sind. Ihre Nähmaschinenzeichnungen lassen die Assoziationen sittsamer Häuslichkeit und "hübscher" Freizeitgestaltung nicht zu, ja sind als Gegenmodelle begreifbar...die Befragung des eigenen Lebens als Frau und Künstlerin...“ (PK)

Im Zusammenhang mit Carola Willbrands Ausstellung in der Galerie am Schatzhaus wird dort am 26. Februar, 16.30h, in der, Hauptstr. 18, 41472 Neuss, zur ersten Lesung im neuen Jahr, einer der profiliertesten deutschsprachigen Autoren vorgestellt - der Köln-Luxemburger Romancier und Lyriker Guy Helminger. Er liest aus seinem Buch „Neubrasilien“. Hier ein Text über Helminger von Enno Stahl:

Helminger, geboren und aufgewachsen in Esch-sur-Alzette, bediente sich seit seiner Übersiedlung nach Köln 1985 für seine Literatur der deutschen Sprache. Seinen Durchbruch erlebte er 2004 bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, dem Ingeborg-Bachmann-Preis, wo er den 3Sat-Preis erringen konnte und darüber hinaus mit seiner sympathischen Art und einzigartigen Vortragskunst ein großes Publikum für sich gewinnen konnte.

Der bei Suhrkamp veröffentlichte Erzählungsband "Etwas fehlt immer" (2005) erfuhr denn auch gewaltige Aufmerksamkeit. Die beunruhigende Spannung dieser Kurzgeschichten um Hundefolterer, Stalker und andere Alptraumgestalten der Großstadt zogen zahlreiche Leser in ihren gruseligen Bann. Mit seinem Debüt-Roman "Morgen war schon" (2007) brachte er die Qualitäten der kurzen Form auch auf die längere Strecke. Die Frankfurter Rundschau sah darin gar die "mögliche Zukunft des Familienromans", und die Süddeutsche Zeitung lobte die "Kombinationstaktik" des Buches.

In seinem neuen Roman "Neubrasilien" hat sich Helminger einer brisanten Thematik angenommen: Basis dafür ist eine authentische Geschichte aus dem 19. Jahrhundert: Im Frühjahr 1828 machte sich eine Gruppe von Landbewohnern, all ihr Hab und Gut zurücklassend, auf den Weg nach Brasilien, angelockt von Anwerbern des brasilianischen Königs, die fruchtbaren Boden und ein gutes Leben versprachen. Angekommen in Bremen, müssen sie erfahren, dass das Angebot nicht länger aktuell war und keine weiteren Aussiedlerschiffe mehr nach Brasilien abgingen. Ihnen blieb keine andere Wahl, als in ihre alte Heimat zurückzukehren, als Besitz- und Rechtlose.

Diese historische Begebenheit hat Helminger kunstvoll mit einer aktuellen Emigrationsgeschichte parallel geschaltet: Kurz vor der Wende zum 21. Jahrhundert kommt eine Gruppe montenegrinischer Flüchtlinge nach Luxemburg. Auch sie haben ihr Zuhause verlassen und sind auf der Suche nach einem besseren Leben fernab von der kriegszerstörten Heimat. Zwar können sie sich einrichten in dem neuen Land, ihnen geschieht kein Unglück, sie werden rechtschaffen behandelt, doch eine Perspektive für die Zukunft bietet sich nicht.

Die beiden Erzählstränge fügen sich zu einer großen, universellen Erzählung über das, was Menschen antreibt bei ihrer Suche nach Gemeinschaft und einem guten Leben.

Richard David Precht urteilte im Schweizer Literaturclub: "Diese Geschichte ist tief und spannend erzählt (...) es geht um Verlorenheit, um Fremdheit, um Migration (...) in der sensiblen Form, in der es geschildert wird und mit der enormen Sprachwucht von Guy Helminger bekommt man so ein feines Gespür dafür, für Migrantendasein und für das Elend, das dazugehört."

Biografie:
Guy Helminger wurde geboren am 20. 01. 1963 in Esch-sur-Alzette (Luxemburg), seit 1985 wohnhaft in Köln. Studium der Germanistik und Philosophie in Luxemburg, Heidelberg und Köln. Arbeitete als Barkeeper, Schauspieler, Regieassistent und 3D-Grafiker. Juni-Juli 2006
Stadtschreiber in Hyderabad (Indien). Februar-März 2007 Aufenthalt in Teheran (DW-Blog) im Rahmen des Projektes "westöstlicherdiwan". Dezember 2008 - Januar 2009 Autorenresidenz Deutsches Haus Sana'a (Jemen)(Internet-Tagebuch Jemen). Seit Januar 2010 Moderation der Sendung KULTUR bei RTL (Luxemburg).

Auszeichnungen:
2001 5 Sekunden Leben. (Hörspiel des Monats März)
2002 Förderpreis für Jugend-Theater des Landes Baden-Württemberg
2002 Prix Servais
2004 3sat-Preis (28. Tage der deutschsprachigen Literatur in  Klagenfurt) 2006 Prix du mérite culturel de la ville d'Esch

Prosa:
Die Ruhe der Schlammkröte. (Roman) Köln 1994 (Neuhrsg.u. mit Anm. vers. von Manuel Andrack, Kiepenheuer& Witsch 2007)
Rost. (Kurzgeschichten) Editions Phi, Echternach 2001
Etwas fehlt immer. (Erzählungen) Suhrkamp, 2005
Morgen war schon. (Roman) Suhrkamp 2007
Neubrasilien. (Roman) Eichborn 2010.

Lyrik:
Die Gegenwartsspringer. (Gedichte) Verlag am Schluechthaus, Esch/Alzette
1986
Entfernungen (in Zellophan). (Gedichte) Editions Phi, Echternach, 1998
Leib eigener Leib. (Gedichte) Editions Phi, Echternach 2000
Verwanderung. (Gedichte) Editions Phi, Esch/Alzette 2002

Hörspiele:
Habicht. Saarländischer Rundfunk 1999,
5 Sekunden Leben. WDR 2001
Morgen ist Regen. WDR 2001
Wasser. WDR 2002
Nachbarn. HR 2002
Fluggeräte. WDR 2003
Rekonstruktion Kresch. WDR 2005
Frau Gantner. WDR 2010

Theater:
Wer noch glaubt. Uraufführung in Köln 1992
Venezuela. Uraufführung in London 2003

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Enno Stahl, Neuss
www.ennostahl.de
www.krash.de
www.amschatzhaus.de

Informationen über die aktuell laufende Ausstellung "Gehirnakrobatik" von Carola Willbrand finden Sie unter www.amschatzhaus.de

Baerchen
Bärchen

Blinzeln
Blinzeln

DasReliquiarGesicht-2007
Das Reliquiargesicht 2007

feineOelmalereieinesbehaart
feine Ölmalerei

GedankenSchleifen
Gedankenschleifen 2007

Prinzessinnenkopf
Kleiner Prinzessinenkopf

kopf

RosemarieTrockelgerahmt
Rosemarie Trockel

ScheissOstSeeWind2004
ScheissOstSeeWind 2004

schoene medusa
Schöne Medusa

Carola Willbrand – Performance bei ihrem Projekt "Kölsch köylü" im Praxiteles-Stipendium auf der türkischen Datca-Halbinsel.

Carola Willbrand, geboren 1952 in Köln, lebt und arbeitet in Köln. Fotos der von ihr hier beschriebenen BaumWesen BaumGeister im Schloßpark Stammheim stellten wir ab der NRhZ-Ausgabe 282 in einer Serie vor.

(1) Weitere Informationen über die Parkgeschichte und die KünstlerInnen unter www.rheinblicke-einblicke.de.

Mehr über die Künstlerin erfahren Sie auf ihrer Webseite http://www.carolawillbrand.de

Online-Flyer Nr. 289  vom 16.02.2011



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