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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Kultur und Wissen
Das wahre Leben und die Kunst
Art Goes Fastelovend
Von Carola Willbrand

Alles was ich so tu in meinem Leben, geht ein in die Kunst – so auch der Karneval. Sozialisiert in den Urgründen des alternativen Kölner Karnevals und darin tief verwurzelt, füge ich auch die Erlebnisse der 5. Jahreszeit in mein künstlerisches Schaffen. So entstanden Skulpturen oder skulpturale Arbeiten aus "Fastelovendstückcher" aus Kleidungsstücken, die durch das karnevalistische Feiern veredelt wurden. Als ernsthafte Arbeiten an ernsthaften Wänden hängend führe ich das KopfStück, die Maske wieder zurück in ihren karnevalistischen Gebrauch.

Maskierungen
Und später kann sie im Fasteleer wieder erscheinen!

Tempelkatzen
Vor zwei Jahren entwickelte ich mit Susanne Waltermann "Art Goes Fastelovend" – eine Präsentation in Susanne Waltermanns Atelier. Wir wollten die Verbindung zwischen "unserem" Karneval und "unserer" Kunst zeigen; Leben und Kunst hängen zusammen!

Art goes Fastelove
Links Susanne Waltermanns karnevalistisches Festtagskleid mit eingearbeitetem Totenköpfchen, rechts Carola Willbrands 70er Jahre Westchen mit VeredellungsPrinzessinenPorträt auf Tortenpapieruntersetzer.

Art goes Fastelove
Hier ein Gesamtbild auf "Art Goes Fastelovend". Susanne Waltermanns Bild entstand aus dem oben zu sehenden Karnevalskleid, das sie rigoros auf den Kopierer legte und das Abbild mit Farbe, Nadel und Faden bearbeitete. Rechts neben Susanne Waltermanns Bild sieht man ein Porträt einer Frau aus Surinam, das Carola Willbrand in Amsterdam malte. Eine wahre Karnevalsprinzessin aus dem echten Leben! Carola Willbrands Köpfe, die an der Wand baumeln und auf der Erde hocken, entstanden aus diversen Karnevalsbedeckungen.

Huete
Hier ein kleiner Einblick auf unsere FastelovendsKöpfe. Vorne links sieht man Carola Willbrands Insektenkopf, der oben auf ihrem Haupte zu bewundern ist. (mit Doris Nöthen im Stadtgarten 2010). Hinter dem InsektenKopf ist der ‚kleine Prinzessinnenkopf’ zu erkennen.

Prinzessinenkopf
Dieser kleine Prinzessinenkopf ist meine Mama im Karneval. Meine Mutter inzwischen 91 hat durch den Kölner Karneval Köln als ihr neues zuhause nach ‚45 finden können und lievenswert erfahren! Vor allem durch die Tradition des legendären alternativen Karnevals und seiner Bälle, die Hängematte (die meine Tante Käthe, die Malerin Käthe Schmitz-Imhoff mitorganisierte), die Scheune, die Lumpenbälle. Eine Gruppierung, die auch als Ahl Säu bekannt ist.

Für die einen ist Karneval mit endlosen Saufattacken verbunden; für die anderen mit fröhlichen Gesängen, Festen und das Schlüpfen in eine andere Identität.

Den Identitätswechsel, das Maskieren, Schlüpfen in eine andere Gestalt beschreibe ich auch in meiner Arbeit: "Porträt eines bedeutenden Künstlers als Kater".

Kater
Mit "Porträt eines bedeutenden Künstlers als Kater" gebe ich dem Engländer Liam Gillick ein Gesicht. Liam Gillick vertrat Deutschland auf der 53. Kunstbiennale in Venedig 2009 mit seiner "Persiflage" der Frankfurter Küche.

Liam Gillicks ausgestopfte AtelierKatze mit einer Zeitung im Maul saß auf einem Küchenteil einer riesigen raumgreifenden Aneinanderreihung von den immer gleichen Küchenmöbeln aus Tannenholz. Gillicks Abeit ist eine Anspielung auf die Erfindung einer modernen funktionalen Küche durch die Sozialreformerin Margarete Schütte-Lihotzky 1927.

Gillick stellte seine Einbauküche in den Tempel der Nazis, die sich im Pavillon der Biennale 1938 ihren kulturellen Brückenkopf in Venedig geschaffen hatten. Die menschenverachtenden 1000-Jahre-Utopie der Nazis anhand einer immergleichen Anordnung von Möbelelementen in besagtem Nazitempel in Venedig zu zeigen mit dem deutlichen Verweis auf Margarete Schütte-Lihotzky ist eine Diffamierung dieser genialen Leistung der Sozialreformerin: die Demokratisierung der Hausarbeit mithilfe der Rationalisierung der Küchengeräte. Wenn auch die Nazis die Frauen als Mütter wieder heim an den Herd holten, so hat sich doch die Vereinfachung der Arbeit in der Küche durchgesetzt und den Frauen andere Arbeiten als ausschließlich Hausarbeit ermöglicht.
Liam Gillicks Küchenkatze, die auf einem dieser Fragmente hockte, quasselte beständig , sie sei leicht depressiv, aggressiv und chronisch unterfordert – wahrscheinlich weil sie die Küchenarbeit vermisste!
Auf jeden Fall hat mich diese Arbeit eines bedeutenden Kollegen so geärgert, dass ich sie in mein KatzenPorträt bannen musste. Es entstand aus einem legendär im Karneval auratisch aufgeladenen Kleidungsstück. Statt Zeitung im Maul trägt der Kater ein Foto im Ohr, auch dienen ihm Fotoschnipsel als Krallen. Die Fotos sind handabgezogene s/w-Fotos von Stabschrecken im Käfig. (Diese Stabschrecken züchtete mein Sohn in seiner Jugend.) Stabschrecken können als Frauen allein ohne Männer in einem Frauenstaat leben, sich selbst befruchtend Nachwuchs zeugen. Sind Männer dabei, haben die Flügel und fliegen weg.

"Mich interessiert die angewandte Form der Moderne“, sagt Liam Gillick. Ich könnte sagen, mich interessiert die angewandte Form im Karneval, die ich in das Leben hole.

Indianer
"Ein fremdes Gesicht, das mein Gesicht ist" – die tragbare Indianer-Maske aus der roten EdelBluse meiner Mutter vernäht, Geschenkband.

Und übrigens:
Die Kölner Puppenspielerin Cordula Thonett - auch eine legendäre Ahl Sau - zog nach Eckernförde an der Ostsee um und entwickelte in einer karnevalsfreien Diaspora den Blaualgenzug, der sich grandios entwickelt. Auch zu bewundern in dieser NRhZ-Ausgabe und unter facebook. (PK)

Carola Willbrand – Performance bei ihrem Projekt "Kölsch köylü" im Praxiteles-Stipendium auf der türkischen Datca-Halbinsel.

Carola Willbrand, geboren 1952 in Köln, lebt und arbeitet in Köln. Fotos der von ihr hier beschriebenen BaumWesen BaumGeister im Schloßpark Stammheim stellten wir ab der NRhZ-Ausgabe 282 in einer Serie vor.

(1) Weitere Informationen über die Parkgeschichte und die KünstlerInnen unter www.rheinblicke-einblicke.de.

Mehr über die Künstlerin erfahren Sie auf ihrer Webseite http://www.carolawillbrand.de

Online-Flyer Nr. 291  vom 02.03.2011



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