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Kultur und Wissen
Ausstellung zur Passionszeit in der Pfarrkirche St. Kilian in Lechenich
"metanoia – grösser denken – weiter denken“
Von Carola Willbrand

Dieser Titel weist auf die Fastenzeit hin: griechisch: von μετά meta, "um“ oder „nach“ und νοεῖν noein, "denken“, wobei wir das nicht ausschließlich im Sinne der Buße und der Umkehr verstanden wissen wollten und darum den Zusatz größer und weiter denken wählten – in dem Sinne über seine eigenen Grenzen hinaus zu denken.

In St. Kilian, katholische Pfarrkirche im Stadtteil Lechenich von Erftstadt im Rhein-Erft-Kreis, finden seit Jahren dank eines engagierten Pfarrgemeinderats um Pastor Wilhelm Hösen Ausstellungen statt. St. Kilian stammt in seinen Fundamenten aus dem 13. Jahrhundert. Die Kirche wurde mehrmals zerstört und umgebaut. Heute sieht man noch den auffallenden Zwiebelturm der Barockkirche; im 19. Jahrhundert erfolgte die gotisierende Umformung nach Plänen des Kölner Architekten Ernst Friedrich Zwirner.

Bereits 2009 stellten Doris Nöthen und Carola Willbrand zusammen im Kloster Mariensee in Neustadt am Rübenberge (bei Hannover) unter dem Titel "Lebensfäden" aus. Gemeinsam ist beiden Künstlerinnen das "Lebensmaterial" – Material, das lebt, das Leben aufnimmt, spiegelt. Doris Nöthen verwendet in ihrer Installation Astholz, Getreide, Schafswolle (die auch in besonderer Weise in der Performance zum Beginn und zum Ende der Ausstellung anwesend ist), "natürliches" Material, Grundlage für das Leben des Menschen. Carola Willbrand vernäht Textilien, maschinell gefertigtes Material, getragene Kleidungsstücke – die zweite Haut des Menschen voll gelebtem Leben. (Lebens)Fäden verbinden die Arbeiten untereinander und die Künstlerinnen.


"Von Anfang An Abschied" | Foto: Doris Nöthen

Die Installation "Von Anfang an Abschied“ von Doris Nöthen beschreibt unseren Lebenskreislauf. Wir werden gezeugt, geboren, wachsen auf, sind erwachsen, aktiv, werden alt und lassen los, um auf einer anderen Ebene einen neuen Zyklus zu beginnen. Doris Nöthen hat selbstgesponnene Fäden aus Schafswolle, die sie zum Teil mit Getreidehalmen, Gräsern, Kräutern und verschiedenen Papieren verarbeitet hat, zu "Spinnbildern – Sinnbildern“ gestaltet. Die unterschiedliche Farbigkeit und Materialität der „Spinnbilder – Sinnbilder“ symbolisiert die Stationen des Lebenskreislaufs. Die "Spinnbilder – Sinnbilder“ schweben in Augenhöhe an einem Achteck aus geschälten Ästen.

Fotos der 8. Stationen von Doris Nöthen Lebenskreislauf

Station Impuls Bewegung
Station Impuls Bewegung


Station Liebe


Station Vereinigung


Station klarer Gedanke


Station Fülle und Kraft


Station Handeln und Dynamik


Station Loslassen Friede


Station Schutz, Stille

Auch in der Performance spiegeln sich die Lebensabschnitts-Qualitäten wider:
(Impuls)-Bewegung – Liebe – Vereinigung – klarer Gedanke – Fülle und Kraft – Handeln und Dynamik – Loslassen, Frieden – Schutz, Stille.

Diese einzelnen Lebensabschnitte erläutert Doris Nöthen, nachdem sie aus einem riesigen erdbraunen Schaffsfell sich mit kraftvollen tänzerischen Bewegungen empor bewegt um danach wieder unter dem Schafsfell zu verschwinden.

In der Passionszeit wird in St. Kilian ein Hungertuch des katholischen Hilfswerks Misereor vor dem Hochaltar aufgebaut. Die Misereor-Hungertücher werden seit den 70er Jahren von KünstlerInnen aus Indien, Afrika, Südamerika gestaltet. Dieser Tradition folgend, wählte Carola Willbrand das Hungertuch zum Thema.

Das Fastentuch, Hungertuch, Palmtuch, Passionstuch oder Schmachtlappen, verhüllt während der Fastenzeit in katholischen Kirchengebäuden die bildlichen Darstellungen Jesu, in der Regel das Kruzifix. Es entstand aus dem jüdischen Tempelvorhang, der im Neuen Testament im Zusammenhang mit dem Kreuzestod Jesu mehrfach erwähnt wird (Mt 27,51 EU); (Mk 15,38 EU); (Lk 23,45 EU). Ausschließlich in katholischen Gegenden blieb das Fastentuch als religiöses Brauchtum bis ins 18. Jahrhundert beibehalten, da sich Luther gegen diese Tradition der Sakralkunst als "Gaukelwerk" aussprach.


Foto "metanoia Hungertuch" von Carola Willbrand

Das "Hungertuch" von Carola Willbrand ist ein wogendes Gesichterfeld – viele Köpfe, die eine Gemeinde sind. Einige Köpfe konnten aus Kleidungsstücken der Gemeindemitglieder "genäht" werden. Einige Köpfe wachsen aneinanderhängend aus einem weißen "Linnen", entstanden aus weißen Tischtüchern, die in meinem Elternhaus täglich für den Hausaltar benutzt wurden. In der farblichen Gestaltung der Köpfe ließ ich mich von den liturgischen Farben eines Kirchenjahres leiten. Weiß als die Farbe des Lichtes, die auf Ostern hinweist; Rot, die Farbe des Blutes, Feuers und Sinnbild des Heiligen Geistes ist als Lebensfarbe in vielen der Gesichter enthalten; Blau, die Farbe der Reinheit, die Marienfarbe, die mit Rot gemischt Violett ergibt: Die Farbe die alles hält und in allem vorkommt ist Violett als Sinnbild für den Übergang und die Verwandlung, als Farbe der Fastenzeit, auch Schwarz, die Farbe Karfreitags tritt auf. In dem Hungertuch hängen 33 Texte der Gemeindemitglieder von St. Kilian und von mir.


Ausschnitt Hungertuch von Carola Willbrand

Zum Beispiel: loslassen – neue Wege gehen; Den Glauben an Jesus Christus weitertragen; Gott hat Achtung vor mir, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe! (Tagore); Gemeinde in und um St. Kilian: Wärme für viel mehr als kühle Sommernächte. Die Natur ist die Meisterin; Jede Phase des Lebens und Sterbens ist wertvoll und hat ihre Schönheit; Erlebnis Trier-Wallfahrt; Wir kennen den Tod nicht, wissen aber wie er aussieht; die tiefste Quelle der Liebe; die Existenz Gottes ist genauso wahrscheinlich wie seine Nicht-Existenz; „décréation“, Simone Weil 1909 – 1943, die totale Selbstentäußerung des Menschen vor Gott; Gott hinter der Ordnung lesen; Madeleine Delbrêl, „Mystikerin der Straße 1904-1964 mit einem Text von ihr „Lasst euch finden“.


Eine Kilianerin des Hungertuchs von Carola Willbrand

Die Ausstellung zur Passionszeit von Doris Nöthen und Carola Willbrand in der katholischen Pfarrkirche im Stadtteil Lechenich von Erftstadt im Rhein-Erft-Kreis hat am 12. März begonnen und dauert bis zum 22. April 2011. (PK)

Carola Willbrand – Performance bei ihrem Projekt "Kölsch köylü" im Praxiteles-Stipendium auf der türkischen Datca-Halbinsel.

Carola Willbrand, geboren 1952 in Köln, lebt und arbeitet in Köln. Fotos der von ihr hier beschriebenen BaumWesen BaumGeister im Schloßpark Stammheim stellten wir ab der NRhZ-Ausgabe 282 in einer Serie vor.

Mehr über die Künstlerin erfahren Sie auf ihrer Webseite http://www.carolawillbrand.de


Online-Flyer Nr. 293  vom 16.03.2011



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