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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Glossen
Freiherr von und zu Guttenberg oder der wahre GAU
Abschalten der Lügen-Reaktoren jetzt!
Von Markus Omar Braun

In Japan hat erst die Erde gebebt, dann die Welt der Atomindustrie. Der Durchschnittsdeutsche bekommt die Panik und wählt sogar im Ländle Grün. Durch ihre wissenschaftliche und menschliche Autorität ausgewiesene Experten in Sachen Rationalismus wie Helmut Kohl und Minister (laut Titanic: für Verplappern) Brüderle ermahnen uns alle, nicht so irrational zu sein. Recht so, der Deutsche ist wohl zu mindestens drei Vierteln recht irrational, nur nicht so wie diese Herren denken.


Cartoon: Kostas Koufogiorgos
 
Der GAU: Guttenbergs Attacke aufs Urteilsvermögen
 
Kurz vor dem Beben hatte das Wahlvolk noch in Umfragen ohne mit der Wimper zu zucken einem dreisten Betrugsmanöver seines Lieblingspolitikers per Umfragen das vollste Vertrauen ausgesprochen – gemeint ist nicht die Doktorarbeit, sondern die dreisten Abwehrbemühungen des (Noch-)Verteidigungsministers. Ganz als hätte die Mehrheit der Deutschen sagen wollen: Politiker sollen Blender sein, dass dabei die Wahrheit auf der Strecke bleibt, ist uns klar. Wenn einer stürzt über eine seiner Pirouetten, muss er halt vom Eis („Betrügen tun wir alle, aber erwischen lassen darf man sich nicht!“ - vor allem nicht so unelegant!), aber in der nächsten Runde darf er wieder 'nei, oder?
 
Kaum feuert dieser hochbegabte Selbstverkäufer dann, da ihm kaum anderes mehr übrig bleibt, ausnahmsweise mal sich selber statt einen Untergebenen, gründet sich ein Fanverein. „So schön hat uns keiner eingeseift, den möchten wir glatt wiederhaben!“ war die unschöne, weil abgrundtief dumme und böse Botschaft. Des gefallenen Politikers Partei klagte bei ihrer Schwester christliche Werte wie Verlässlichkeit (!) ein – und keiner hat gelacht, pardon: viel, viel zu wenige haben gelacht.
 
Deutschlands geistiger Offenbarungseid
 
Diese haben meist auch geweint; zum Weinen ist es tatsächlich, wenn eine formal überwiegend alphabetisierte Nation so ungehemmt und öffentlich ihren geistigen Offenbarungseid erklärt. Besagte Doktorarbeit inhaltlich appetitlich zu finden, zeugt von geringer Bildung im herkömmlichen Sinne. Volker Pispers hat dies dankenswerterweise mit der Verlesung eines (!) Satzes aus dem inkriminierten Stück beweisen können. Ja, liebe Universitäten, ganz ohne Plagiatsvorwurf wieder einmal der Nachweis, dass man in der Hälfte der Fachbereiche jeden möglichen Unsinn zu Papier bringen kann, wenn die Prüfer mitspielen. Ein bekannter deutscher Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts nannte dies abschätzig Professoral-Wissenschaft, schade, dass dieser Begriff nicht als beherzigte Mahnung in unseren Wortschatz eingegangen ist. Die Lektüre nur eines Teils der Vorrede erbrächte übrigens dasselbe Resultat. Jenes Machwerk zu goutieren zeugte also von geringer akademischer Intelligenz. Den Aufschneider, Angeber, Blender in einem Politiker zu bewundern, statt zu verachten, beweist Analphabetismus auf dem Gebiet der emotionalen Intelligenz. Zu verkennen, dass nun der falsche Doktor nur über seine eigenen Lügen stolperte, seinen wahren, oder besser: falschen Politikercharakter enthüllte und damit zeigte, dass er von Anfang an nur Selbst-Verteidigungsminister war (zu Anfang nur der Vorneverteidigung...), diese offensichtlichen Wahrheiten zu verkennen, gesellte den Nachweis der fehlenden sozialen Intelligenz dazu. Armes Deutschland: Politiker, Führungskräfte, Akademiker und Volk vereint im Defizit an IQ, EQ, SQ (neudeutsch gesprochen). Kein Volk von Dichtern und Denkern, sondern von Blinden und Blendern?
 
Gaunerehre
 
Früher wusste der Volksmund, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, heute wird diese Regel von großen Teilen der christdemokratischen und christsozialen Politikerriege offensiv eingefordert, und zwar als ihre Form von Moral. Diese Form von Moral kennt man sehr wohl, gibt es doch eine komplette "ehrenwerte“ Gesellschaft, die in Werten wie bedingungslosem Zusammenhalten ihre "Ehre“ pflegt. Wer dieses christlich nennt, schließt nicht nur sich bewusst aus dem Kreis der Christen und Muslime aus, für die der Prophet Jesus, Gott schenke ihm Frieden, forderndes Vorbild ist; Vorbild ihres Umgangs mit sich, ihren Nächsten, den Mitmenschen, den Tieren und der Natur. Vielmehr werden der Prophet Jesus und alle, die sich bemühen, ihm zu folgen, beschimpft. Man könnte den Vorgang auch mit vollem Recht als ethische Blasphemie bezeichnen. So sind denn die "Werte“, die die jeweiligen Damen und Herren im Munde führen, zu bloßen Fassaden verkommen, mit denen man "Stallgeruch“ ausweist – und dementsprechend stinkt es, wenn ein Vollblutpolitiker redet. Der Kaiser, pardon der Kaiser und die Kurfürsten sind nackt, sie sind sogar weder Kaiser noch Kurfürsten; alle wissen das, und alle benoten das Führungsvolk nur danach, wie glaubwürdig sie jeweils spielen, sie wären Kaiser im prächtigen Ornat. Kein Wunder, dass die Bilanz dieses kollektiven Irrsinns monatlich in "Neues aus der Anstalt“ veröffentlicht wird...
 
Eine Nation spin(n)t
 
Was hat das denn nun mit dem Super-GAU zu tun? Ganz einfach: Deutschland hatte seinen geistigen Super-GAU mit Kernschmelze und Verstrahlung der ganzen Landschaft, inklusive Nachweis der Mutation großer Teile der Bevölkerung – und wer hat es gemerkt außer drei, vier Hofnarren vom politischen Kabarett? Ein demokratisch gebildetes Volk gibt zu Protokoll, dass es die Vertrauenswürdigkeit von Amtsträgern für eine Darstellungsfrage hält – also für eine Ware, also für billig, also Käuflichkeit für eine ganz normale geistige und charakterliche Eigenschaft eines Politikers – und macht damit diese Käuflichkeit zur unerlässlichen Bedingung politischen Erfolgs. Man erinnere sich: erst war "Fundi“ ein Schimpfwort für die Mehrheit der Deutschen, dann für die Mehrheit der Grünen... Eine ganze Nation gibt bekannt, dass sie sich nie mehr von einem Goebbels einseifen lassen würde – weil in ihr längst jeder Politiker zugleich sein eigener spin-doctor ist. Wie praktisch, dass wir so auch auf das Wort Propaganda verzichten können! Eine ganze Nation gibt zu, dass sie bereit ist, ihre Geschicke inklusive der Frage von Krieg und Frieden, einer Armee mit moderner Waffentechnik und so Schönheiten wie Atomkraft notorischen Lügnern anzuvertrauen. Wenn es kein Trauerspiel wäre - „Denk ich an Deutschland...“ - wäre es ein Schelmenstück, aber nur der derberen Art. Der gemeine Deutsche gleicht darin zu 70 bis 80 Prozent dem, der sehenden Auges einem notorischen Falschspieler sein Vermögen zur Pflege anvertraut. Was anderes als Katastrophen könnten solchem Verhalten folgen? (PK)
 
 
Der Autor ist Diplom-Mathematiker von Ausbildung, Muslim (praktizierend) von Religion, Deutscher von Herkunft und lebt zurzeit in Frankfurt am Main.

Online-Flyer Nr. 298  vom 20.04.2011



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