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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Die Überlebenden: Es war eindeutig ein Akt der Selbstbefreiung
KZ-Buchenwald - 66. Jahrestag
Von Uwe Pohlitz

Als der Geschützdonner der heranrückenden amerikanischen Arrnee zu hören war, spitzte sich die Situation im KZ-Buchenwald dramatisch zu. Über die Lagerlautsprecher forderte die SS die Häftlinge auf, am Appellplatz anzutreten. Die faschistischen Verbrecher waren bereit, auch noch in den letzten Stunden ihre mörderischen Absichten umzusetzen. Das damalige illegale Lagerkomitee hatte inzwischen so viel Kraft, ihren Befehlen Widerstand zu leisten. Am 11. April 1945 wurden heimlich aus den "Gustloff-Werken“ eingeschmuggelte Waffen aus den Verstecken geholt.


Bertrant Herz – Vorsitzender des Lagerkomitees Buchenwald
Fotos: Uwe Pohlitz

Die noch nicht geflohenen SS-Wachmannschaften wurden festgenommen und den später anrückenden US-Truppen übergeben. Die Häftlinge im Lager Buchenwald hatten unter der Führung eines internationalen illegalen Lagerkomitees verhindern können, dass ein weiterer Massenmord und ein Todesmarsch stattfinden konnte.
 

Das Lagertor

Es war eindeutig ein Akt der Selbstbefreiung. Das bezeugen auch im 66. Jahr der Befreiung die noch lebenden ehemaligen Häftlinge. Aus welchen Gründen auch immer - es gibt immer wieder Bestrebungen, diese geschichtlichen Fakten umzudeuten oder klein zu reden. Auch Präsident Obama sprach bekanntlich davon, dass Buchenwald von den US-Truppen befreit worden sei. Die große Solidarität der unter dem faschistischen Terror leidenden Menschen ist auch unter den noch lebenden Zeitzeugen lebendig. Ihre Kinder und Enkel haben inzwischen die Aufgabe übernommen das Vermächtnis und den Schwur von Buchenwald weiter zu tragen.


Emil Carlebach (am Rednerpult) anlässlich des 50. Jahrestages der Selbstbefreiung 1995 | Foto: Timo Schadt

In seiner Ansprache auf dem ehemaligen Appellplatz erinnerte Romani Rose, Vorsitzender der Sinti und Roma in Deutschland, daran, dass die faschistische Gefahr in Europa nicht vorüber ist. Dreizehn Familienmitglieder der aus Ostpreußen stammenden Familie Rose wurden in NS-Vernichtungslagern ermordet. Die aktuelle Entwicklung in Ungarn zum Beispiel ist heute bereits mehr als bedenklich. Offene Pogrome durch faschistische Schlägerbanden gegen Sinti und Roma sind dort fast tägliche Begebenheiten. Der Rechtspopulismus ist überall auf dem Vormarsch. Es ist besonders wichtig, vor allen der Jugend eindringlich die faschistischen Verbrechen in der Vergangenheit, aber auch die der Gegenwart zu verdeutlichen.

 
Romani Rose hielt diesmal die Gedenkrede
Alle folgenden Fotos: Uwe Pohlitz

In Erfurt erlebten ca.100 Schülerinnen und Schüler den heute 85 jährigen Albert Pawlowitsch aus Weissrussland in einer großartigen Geschichtsstunde. Mit 16 wurde er zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Wegen eines Fluchtversuches kam er in das KZ- Groß Rosen bei Görlitz. Als sich die Front näherte, musste er mit 1000 Häftlingen den Todesmarsch nach Buchenwald antreten.


Albert Pawlowitsch aus Weissrussland (vorn) mit Schülern

Unterwegs wütete die SS bestialisch. Nur 390 erreichten lebend das Lager Buchenwald. Albert wog bei seiner Ankunft im Lager noch 35 Kilo. Er erlebte die Befreiung in der Krankenbaracke. Sein Bericht ging allen Anwesenden unter die Haut und öffnete die Augen über den realen Faschismus. (PK)


Die letzten Zeitzeugen


Hier standen die Lagerbaracken

Der Schwur von Buchenwald

Am 19. April 1945 kamen im befreiten Konzentrationslager Buchenwald 21.000 Männer und Knaben zu einer Trauerkundgebung zusammen und legten den Schwur von Buchenwald ab, der in französischer, russischer, polnischer, englischer und deutscher Sprache vorgetragen wurde:

Kameraden!

Wir Buchenwalder Antifaschisten sind heute angetreten zu Ehren der in Buchenwald und seinen Aussenkommandos von der Nazibestie und ihrer Helfershelfer ermordeten 51.000 Gefangenen!

51.000     erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet, abgespritzt -

51.000     Väter, Brüder - Söhne starben einen qualvollen Tod, weil sie Kämpfer gegen das faschistische Mordregime waren.

51.000     Mütter und Frauen und hunderttausende Kinder klagen an!

Wir lebend gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialitäten sahen in ohnmächtiger Wut unsere Kameraden fallen.

Wenn uns eins am Leben hielt, dann war es der Gedanke:

Es kommt der Tag der Rache!

Heute sind wir frei!

Wir danken den verbündeten Armeen, der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt Frieden und das Leben erkämpfen.

Wir gedenken an dieser Stelle des großen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt,

F. D. Roosevelt.

Ehre seinem Andenken!

Wir Buchenwalder,

Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slovaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslaven und Ungarn kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung.

Uns beseelte eine Idee:  
Unsere Sache ist gerecht!   Der Sieg muß unser sein!

Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf, und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende.
Noch wehen Hitlerfahnen!
Noch leben die Mörder unserer Kameraden!
Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!

Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Apellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:

Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.

Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.

Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:

W I R   S C H W Ö R E N !


Wolfgang Kerst, jetzt Diakon i.R., nimmt seit über 30 Jahren an den Veranstaltungen in Buchenwald teil, um auch der ermordeten Christen zu gedenken.

Uwe Pohlitz ist Autor und Fotograf ist aus Erfurt und arbeitet als Bildberichterstatter und Mitglied der Gesellschaft für Fotografie für die UNZ - Die linke Zeitung für Politik, Arbeit, Soziales und Kulturelles in Thüringen. Sie erscheint alle 14 Tage und ist teilweise im Internet unter UNZ.de abrufbar (PK)


Online-Flyer Nr. 300  vom 04.05.2011



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