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Inland
Auch eine "nationale Option" über die EU hinaus: Der "deutsche Weg"
Die Rückkehr der Machtfrage
Von Hans Georg
Berliner Regierungsberater stellen die grundsätzliche außenpolitische Orientierung Deutschlands zur Debatte. Gegenwärtig kehre "die Machtfrage zurück", urteilt Ulrich Speck der Zeitschrift Internationale Politik. Hintergrund seien die weltpolitischen Umbrüche, zu denen sich die Bundesrepublik aufgrund ihrer ökonomischen und politischen Stärke positionieren müsse - der Aufstieg Chinas und die durch ihn motivierte Hinwendung der Vereinigten Staaten zum Pazifik, aber auch die ernsten Krisen auf beiden Seiten des Atlantik, die Zweifel daran weckten, ob die USA ihre erdrückende militärische Stärke auch in Zukunft finanzieren könnten und ob die EU dauerhaft Bestand haben werde. Angesichts der Lage müsse Berlin entscheiden, was es künftig vom Bündnis mit Washington und von der sogenannten europäischen Integration erwarte und wer in der EU das Sagen haben solle. Zunehmend diskutiert wird, heißt es, auch eine "nationale Option": der "deutsche Weg". Berlin könne sich bei seiner globalen Machtpolitik auch für einen Mix aus transatlantischem Pakt, Europa und Alleingang entscheiden.
Online-Flyer Nr. 337 vom 18.01.2012
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Inland
Auch eine "nationale Option" über die EU hinaus: Der "deutsche Weg"
Die Rückkehr der Machtfrage
Von Hans Georg
Berliner Regierungsberater stellen die grundsätzliche außenpolitische Orientierung Deutschlands zur Debatte. Gegenwärtig kehre "die Machtfrage zurück", urteilt Ulrich Speck der Zeitschrift Internationale Politik. Hintergrund seien die weltpolitischen Umbrüche, zu denen sich die Bundesrepublik aufgrund ihrer ökonomischen und politischen Stärke positionieren müsse - der Aufstieg Chinas und die durch ihn motivierte Hinwendung der Vereinigten Staaten zum Pazifik, aber auch die ernsten Krisen auf beiden Seiten des Atlantik, die Zweifel daran weckten, ob die USA ihre erdrückende militärische Stärke auch in Zukunft finanzieren könnten und ob die EU dauerhaft Bestand haben werde. Angesichts der Lage müsse Berlin entscheiden, was es künftig vom Bündnis mit Washington und von der sogenannten europäischen Integration erwarte und wer in der EU das Sagen haben solle. Zunehmend diskutiert wird, heißt es, auch eine "nationale Option": der "deutsche Weg". Berlin könne sich bei seiner globalen Machtpolitik auch für einen Mix aus transatlantischem Pakt, Europa und Alleingang entscheiden.
Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao zu Besuch im Bundeskanzleramt
Quelle: www.bundeskanzlerin.de
Die neue Normalität
Wie es in dem Diskussionsbeitrag heißt, den das bedeutendste Organ des außenpolitischen Establishments in der Bundesrepublik, in seiner aktuellen Ausgabe zur Debatte stellt, könne Deutschland es "sich nicht mehr leisten, außenpolitisch auf Sicht zu fahren". Mit der Übernahme der DDR im Jahr 1990 sei hierzulande eine neue "Normalität" eingekehrt, die es der Regierung ermögliche, zwischen mehreren Optionen zu wählen; in Frage kämen "nationale Eigenständigkeit, transatlantische Koordination oder Einbettung in die EU". Da die Bundesrepublik auf der einen Seite angesichts knapper Kassen ihre Ressourcen bündeln müsse und andererseits das "Gewicht Deutschlands in den letzten Jahren erheblich gewachsen" sei, müsse Klarheit geschaffen werden - über den "eigenen Standort", die "eigenen Interessen", den "Entwurf einer Zielvision und des Weges dorthin". In einem "größeren historischen Rahmen" könne man von einer "Rückkehr der Machtfrage" sprechen - der Frage, wer einerseits innerhalb der EU und andererseits in der Welt den Ton angebe.[1]
Globale Perspektiven
Hintergrund der aktuellen Debatte sind die weltpolitischen Umbrüche seit 1990. Hatten zunächst die Vereinigten Staaten unbestritten die globale Hegemonie inne, verschieben sich zurzeit die Kräfte grundlegend. Ursache ist nicht nur das deutsche Bemühen, die EU zum Rivalen Amerikas aufzubauen, sondern vor allem der Aufstieg der Volksrepublik China. Das Land ist auf dem Weg, die größte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden, und steht vor einem entsprechenden politischen Einflussgewinn (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Washington hat mittlerweile offiziell erklärt, im Mittelpunkt seiner globalen Politik werde künftig China und dessen südostasiatisches und pazifisches Umfeld stehen. Die Schwerpunktverlagerung weg vom Atlantik wird weithin mit dem Etikett "pazifisches Jahrhundert" versehen.[3] Zugleich ist unklar, ob die USA ihr Militär in Zukunft auf dem aktuellen Niveau halten können. Als sicher gilt, dass die Finanzkrise, in die das Land 2007 geraten ist, ein weiteres Wachstum des Streitkräftehaushalts erschwert. Strittig ist, ob dies langfristig die Schlagkraft der US-Truppen verringert, die ihren Militäretat seit 2001 beinahe verdoppelt und die Streitkräfte umfassend modernisiert haben. Präsident Obama hat letzte Woche angekündigt, die U.S. Armed Forces würden in Zukunft nicht mehr in der Lage sein, zwei große Landkriege gleichzeitig zu führen.[4] Das trägt aber nur den Überlegungen von Militärstrategen Rechnung, die nach ihren Erfahrungen in Afghanistan und im Irak von der großangelegten Besatzung fremder Staaten eher abraten.[5]
Partnership in leadership
In der Internationalen Politik heißt es nun, "die viel diskutierte Abwendung der USA von Europa" sei "kein Schicksal": Berlin habe "die Option, das Angebot der 'partnership in leadership', das vor über zwei Jahrzehnten von George Bush senior gemacht wurde, anzunehmen" und auf diese Weise "zum Schlüsselpartner der USA in Europa" zu werden. Eine solche Teilhabe an der Hegemonie der Vereinigten Staaten setze freilich voraus, dass die Bundesrepublik "Ressourcen" bereitstelle. Dies müssten "nicht in erster Linie" militärische Mittel sein; Deutschland könne etwa auch Polizeikräfte für gemeinsame Gewaltoperationen in aller Welt liefern, müsse dies jedoch" mit Entschlossenheit" tun. Vor allem aber sei Berlin "nur dann wirklich interessant für Washington", wenn es alle Mittel Europas, insbesondere das Potenzial Großbritanniens sowie Frankreichs, in den transatlantischen Pakt einbringe.[6] Ob und wie das gelingen kann, ist derzeit aufgrund der tiefgreifenden Krise der EU völlig unklar.
Mit-Führung auf der Weltbühne
Ebenso unklar ist aus demselben Grund, wie es sich auf Dauer mit der "europäischen Option" der Berliner Außenpolitik verhält. "Wenn die EU-Staaten gemeinsam agieren, sind sie Global Player und haben Gestaltungsmacht", heißt es in der Internationalen Politik: "Statt künftig von den USA und China dominiert zu werden", könne "ein geeintes Europa" seinerseits "Mit-Führung auf der Weltbühne beanspruchen". Allerdings stehe eine "gemeinsame europäische Außenpolitik" unter dem "Zwang der Einigung auf gemeinsame Positionen und gemeinsames Handeln"; dies sei zurzeit nicht in Sicht.[7] Tatsächlich bemüht sich Berlin, die Krise zu nutzen, um - vermittelt durch finanzpolitische Zwänge - eine "politische Union" zu schaffen [8]; gleichzeitig zielt die deutsche Regierung darauf ab, das französische Beharren auf einer eigenständigen Außenpolitik, die nicht selten mit deutschen Vorstellungen kollidiert, zu brechen [9]. Die "europäische Option" verlange zumindest einen gut funktionierenden Europäischen Auswärtigen Dienst sowie eine europäische Armee, heißt es in der Internationalen Politik. Der Preis dafür sei der "Verzicht auf nationale Eigenständigkeit im Rahmen der EU".[10]
Die nationale Option
Schließlich stellt die Internationale Politik die "nationale Option" bundesdeutscher Außenpolitik zur Debatte. "Von allen europäischen Ländern hat Deutschland am ehesten die ökonomische Basis, um Weltpolitik gegebenenfalls auch alleine betreiben zu können", heißt es in der Zeitschrift: "Als machtbewusster Nationalstaat" könne die Bundesrepublik "eine eigenständige weltpolitische Rolle anstreben". "Ein solcher Unilateralismus" sei zuletzt "immer wieder" zutage getreten, etwa bei der Ablehnung der Kriege gegen den Irak und gegen Libyen. "In den meisten größeren Parteien gibt es minoritäre Strömungen, die für die Idee eines eigenständigen 'deutschen Weges' empfänglich sind", schreibt das Blatt: Die "nationale Option" sei in jüngster Zeit "einflussreicher geworden". So könne Berlin etwa mit Russland und China "neue Allianzen schmieden, je nach Bedarf", oder sich "stärker als bisher als Handelsstaat positionieren", gänzlich "ohne Rücksichtnahme auf kollektive Interessen und Verbündete".[11] Der Autor verhehlt nicht, dass er den möglichen Alleingang der Republik mit ganz beträchtlicher Skepsis sieht: "Geografie und Geschichte haben zu dem Ergebnis geführt, dass deutsche Macht um so größer ist, je mehr das Land mit europäischen Nachbarn im Konzert agiert." Das "europäische Konzert" setzt allerdings eine Lösung der Eurokrise voraus, die zurzeit - nicht zuletzt wegen des Berliner Va Banque-Spiels um die europäische Finanzpolitik - keinesfalls als gesichert gelten kann.[12] (PK)
[1] Ulrich Speck: Macht gestalten. Optionen deutscher Außenpolitik, Internationale Politik Januar/Februar 2012
[2] s. dazu Europas Abstieg (II), Das bekannte Unbekannte und Der wankende Hegemon
[3] s. dazu Das pazifische Jahrhundert
[4] Obama gibt Zwei-Kriege-Doktrin auf; www.faz.net 05.01.2012
[5] Johannes Thimm: Die Mär vom amerikanischen Rückzug aus der militärischen Führungsrolle; www.swp-berlin.org 07.01.2012
[6], [7] Ulrich Speck: Macht gestalten. Optionen deutscher Außenpolitik, Internationale Politik Januar/Februar 2012
[8] s. dazu Wie Preußen im Reich
[9] s. dazu Auf Kollisionskurs (II) und Kulturkämpfe
[10], [11] Ulrich Speck: Macht gestalten. Optionen deutscher Außenpolitik, Internationale Politik Januar/Februar 2012
[12] s. dazu Va Banque und Va Banque (II)
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