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Lokales
Eine Stadt, ihre Preise und die Hoffnung auf einen Oscar
Wuppertal im Abglanz von Wim Wenders
Von Peter Kleinert

Gebannt starren einige Wuppertaler nach Los Angeles, wenn am 26. Februar im Kodak Theatre die Oscars vergeben werden. Kaum war Wim Wenders für seinen Film über Pina Bausch in der Kategorie "Bester Dokumentarfilm" für den Academy Award nominiert, da wollte nämlich auch die Stadt Wuppertal ein Stück vom Kuchen abhaben. Immerhin hatte die Hommage an die Wuppertaler Tanzlegende viele Kritiker begeistert und bereits den Deutschen Filmpreis gewonnen.

Tanzlegende Pina Bausch
Quelle: http://stadtbibliothekdormagen
 
Mangels eigener Projekte kam Oberbürgermeister Peter Jung auf die grandiose Idee, seine „abgewirtschaftete Stadt“ („Wuppertaler Rundschau“ vom 15.2.2012) vom Ruhm des Filmemachers und seinem 3-D-Objekt "Pina" profitieren zu lassen. Anders als bei seinem ersten dubiosen Vorschlag, den Platz vor dem inzwischen dem Verfall überlassenen Schauspielhaus nach dem aus Wuppertal stammenden "Derrick“-Mimen Horst Tappert zu benennen, fand er diesmal im Rat breite Zustimmung, dem letzten deutschen Regisseur von Weltgeltung den "Wuppertaler Ehrenring“ zu verleihen.
 

Filmemacher Wim Wenders
So kann man sich im Glanz von Wenders & Bausch und vielleicht einem Oscar sonnen. Denn „wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge einen langen Schatten.“ Aber die Honoratioren der Stadt – das gemeine Volk ist nicht eingeladen – dürften dieses Zitat von Karl Kraus kaum im Sinn haben, wenn sie sich am 10. März in der Historischen Stadthalle an der "Feierstunde für Prof. Wim Wenders“ delektieren. Mehr noch: Sie dürften ihren unrühmlichen Umgang mit der 2009 verstorbenen und heute so gefeierten Tanzlegende verdrängen wie die Nazivergangenheit des einst mächtigen lokalen Chefredakteurs des "General-Anzeigers“, Dr. Heinz Wolff, oder die des Kunstmäzens und Stifters Eduard von der Heydt. In der vormals pietistischen Hochburg, wo zu industriellen Blütezeiten das Kontobuch neben der Bibel lag, gehört Bigotterie dazu wie in Köln der Klüngel.
 
Bürger beschämen die Stadt
 
Der international bekannteste Bürger an der Wupper heißt gegenwärtig Bazon Brock. Der emeritierte Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal ist renommierter Künstler und Kunsttheoretiker. Er gilt als Pionier der Fluxus-Bewegung. Der aus Pommern stammende Autor, Filmemacher und Fernsehmoderator dankte mit einer hinreißenden Liebeserklärung an Wuppertal und das Bergische Land, als er zum 75. Geburtstag im Skulpturenpark von Tony Cragg von der Goethe-Gesellschaft und der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft geehrt wurde. Organisiert von dem Dramatiker Gerold Theobalt unter Mitwirkung des Musikers Wolfgang Schmidtke, angeregt durch den Journalisten Hajo Jahn. Letzterer hatte sich öffentlich gewundert, dass die Stadt Wuppertal dem prominentesten Einwohner ihren Kulturpreis vorenthält. Da aber noch immer der Prophet nichts im eigenen Lande gilt, wunderte sich auch niemand unter den zahlreichen Gästen der "Feier für Bazon Brock“, dass sich der Oberbürgermeister, der sich im Opernhaus gern als Kunstfreund geriert, lediglich durch den Kulturdezernenten der Stadt vertreten ließ.
 
Geborgter Glanz und Vitamin B
 
Ganz anders aber streckt sich Stadtoberhaupt Jung aus dem Fenster, wenn sich vom Glanz eines Wim Wenders partizipieren lässt. So feiert die Stadt jetzt mit dem Ehrenring sich selbst noch mehr als den Filmemacher und „ihre“ Pina. Vergessen sind alle Peinlichkeiten von einst und jetzt.
 
Der "Tanzpionierin“ hatten die Stadtväter 1978 erstmals den städtischen Kulturpreis verliehen, benannt nach dem Nazi-Bankier Eduard von der Heydt. 1993 bekam auch ihre Tanztruppe den Preis. Eigentlich eine beschämende Wiedergutmachung: Denn 1978 hatte die später so gelobte Direktorin Pina nur den halben Preis bekommen. Die andere Hälfte erhielt ein unbedeutender Maler, der allerdings verwandt war mit einem einflussreichen Jurymitglied. Dieser wohlhabende Bürger, der später den Ehrenring erhielt wie jetzt Wim Wenders, dieser Wuppertaler wiederum dürfte Vorbild für eine Kollegin in diesem Gremium gewesen sein.
 
Die Dame, eine Journalistin, die sich selber gern zur Filmemacherin hochstilisiert, verfügt über einflussreiche Beziehungen. So sorgte sie 2008 dafür, dass ihr Lebensgefährte, ein weitgehend unbekannter Schriftsteller, ebenfalls den Eduard von der Heydt-Preis erhielt – von der Monopolzeitung WZ zum Großschriftsteller hochgejazzt. Allerdings erhielt dieser Schreiber die Auszeichnung ungeteilt und natürlich mit dem vollen Preisgeld von 12.500 €. Die FAZ gab der Meldung über diese Form des Nepotismus süffisant die Überschrift „Preisverdächtig“.
 
Das jedoch werden die Festgäste bei dieser obskuren Ehrung für den neuen Ehrenringträger ebenso aus ihrem Gedächtnis getilgt haben wie den unrühmlichen Umgang mit der Wuppertaler Tanztheaterdirektorin, von deren Nachruhm man heute so unverhohlen zehrt. Das Objekt dieser Anschmeiße wurde am 27. Juli 1940 im benachbarten Solingen als Philippina Bausch geboren. Sie choreographierte ihre ersten Arbeiten für Wuppertal mit Mitgliedern des Folkwang-Tanzstudios: Aktionen für Tänzer (1971) und das Tannhäuser-Bacchanal (1972). Zur Spielzeit 1973/74 engagiert sie der beliebte Wuppertaler Intendant Arno Wüstenhöfer als Leiterin des Balletts, das sie alsbald in Tanztheater umbenennt. Die Bezeichnung, schon in den 1920er Jahren von Rudolf von Laban entworfen, ist für Pina und ihre junge Truppe Programm.
 
Was gab es für krachende Proteste, weil das klassische Ballett über die Wupper geschickt worden war und die Musik vom Band kam statt vom Sinfonieorchester, auf das man so stolz war. Da geilten sich die mit Freikarten wohlversehenen männlichen Premierenbesucher aus Rat und Verwaltung an den hüpfenden Brüstchen der Tänzerinnen zunächst auf, um dann, eingedenk der verhuschten Gattin neben sich, türeschlagend die Spielstätte zu verlassen. Kein Wunder, dass der weltberühmten, aber ungeliebten Compagnie über lange Jahre eine angemessene Probebühne schnöde vorenthalten wurde. Sogar das Abschieben der Tanztruppe in eine andere Stadt war kaltherzig in Erwägung gezogen worden, als das Haushaltsdefizit immer größer wurde.
   
Wupperlative als Werbeeffekt
 
Heute wird Pina Bausch gefeiert als die „größte Künstlerin Wuppertals“ und als Avantgardistin des Tanztheaters. Der Wupperlativ ist notwendig, um die Tristesse in den schmutzigen Kernbereichen von Barmen und Elberfeld mit seinem heruntergekommenen "Hauptbahnhof“ zu überdecken. Dass es eine moderne Tanztheaterbewegung vor Pina gab mit Rudolf Laban , Ruth St. Denis, Isadora Duncan, Mary Wigman und ihren Schülern Harald Kreutzberg und Max Pfister, der sich später Max Terpis nannte, wen kümmerts. Hauptsache, Wim Wenders bekommt seinen Oscar. Den zumindest hat er mehr verdient als den Ehrenring der Stadt Wuppertal. Denn sein Film, den er nach dem Tod von Pina Bausch gar nicht mehr realisieren wollte, hat er nicht der Ehre Wuppertals zuliebe gedreht. Bezahlt hat ihn auch nicht etwa die marode Stadt, sondern die Filmförderung NRW. Trauerarbeit hatte Wim Wenders nach eigenem Bekunden mit seinem Film über Pina leisten wollen. Ach, wenn doch die Wuppertaler High Society über ihr krankes Schielen nach Respektabilität auch nur ein bisschen trauern würde… 
 
In Hollywood muss sich Wim Wenders Tanzfilm, der Leben und Werk von Pina Bausch zeigt, gegen vier weitere Dokumentationen durchsetzen, darunter Joe Berlingers "Paradise Lost 3: Purgatory". Eine große Überraschung war die Nominierung nicht: In der Branche rechnete man der 3D-Produktion Pina schon seit Wochen gute Chancen für eine Nominierung aus. Von Wuppertal war dabei jedoch nie die Rede. Dass diese Stadt seit der Schwebebahn keine andere Innovation hervorgebracht hat, wird in der Ehrenringfeier kein Thema sein. So sonnt man sich im Abglanz von Wenders und betreibt geistige Onanie in kultureller Tristesse mangels eigener Leistungen. (PK)


Online-Flyer Nr. 342  vom 22.02.2012



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