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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Die Rentenkürzungen der vergangenen Jahre müssen ausgeglichen werden!
Nehmen Sie die Rente erst ab 67 zurück!
Von Matthias Birkwald

Am Donnerstag vergangener Woche fand im Plenum des Deutschen Bundestages die erste Lesung des Antrags der Bundestagsfraktion DIE LINKE. „Rentenversicherung stärken und solidarisch ausbauen – Solidarische Mindestrente einführen“ statt. Die Rede dazu und zwei Kurzinterventionen im weiteren Verlauf der Debatte des rentenpolitischen Sprechers und Diplom-Sozialwissenschaftlers Matthias W. Birkwald, MdB aus Köln, können Sie im Folgenden lesen. - Die Redaktion
 

Matthias Birkwald
Quelle: www.bundestag.de,
Foto: Renate Blanke
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sage und schreibe 112 000 Menschen gehen jenseits ihres 75. Geburtstages einem Minijob nach. Älter als 65 sind mehr als 760 000 der Minijobber- innen und Minijobber. Zwei Drittel davon sind Frauen.
(Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick, bitte! Könnten wir uns vielleicht darauf verständigen, dass notwendige Gespräche an passenderer Stelle geführt werden? Beifall bei der LINKEN)
 
Das reicht hinten und vorne nicht
 
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Karin Schäfer, 68 Jahre alt, aus Blankenfelde bei Berlin ist eine von ihnen. Sie geht putzen. Dabei hat sie ihr Leben lang gearbeitet. Sie hat 35 Jahre als Verkäuferin und als Kassiererin Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt, und sie hat drei Kinder erzogen. Nun bleiben ihr nur magere 599 Euro gesetzliche Rente. Weitere Alterseinkünfte hat sie nicht, und auch nichts auf der hohen Kante. Das reicht hinten und vorne nicht. Sie sagt: "Ich muss arbeiten gehen, mein ganzes Leben lang. Keine Ahnung, wovon ich leben soll, wenn das mal nicht mehr geht."
Für Karin Schäfer und für hunderttausende weiterer Seniorinnen und Senioren gibt es keinen Ruhestand. Ihr Schicksal heißt: Malochen bis zum Tode. Dieses Schicksal ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist politisch gemacht. Darum kann man es auch politisch ändern. Dazu ist es allerhöchste Zeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, 14 Prozent der Menschen im Rentenalter gelten heute als arm. Immer mehr Rentnerinnen und Rentner sind auf die Grundsicherung im Alter angewiesen. Sie liegt bei 688 Euro im Monat - im Schnitt. Mehr als 400 000 Menschen über 65 Jahre müssen damit auskommen. Altersarmut ist also schon heute ein Problem. Genau das Problem will die Linke lösen. (Beifall bei der LINKEN)
Die einen spüren die Altersarmut Monat für Monat, wenn sie feststellen müssen, dass das Geld vorne und hinten nicht reicht. Die anderen spüren die Altersarmut als Furcht vor einer ungewissen Zukunft; denn sie wissen, dass aus einem langen Arbeitsleben mit schlecht bezahlten Jobs, mit Leiharbeit und immer wieder unterbrochenen befristeten Beschäftigungsverhältnissen oder unfreiwilliger Teilzeitarbeit kein Anspruch auf eine auskömmliche Rente entsteht. Diejenigen, die lange Jahre arbeitslos sind oder waren, wissen genau, dass ihnen die Altersarmut droht, weil für Langzeiterwerbslose nur niedrige oder dank CDU/CSU und FDP nun gar keine Beiträge mehr an die Rentenversicherung überwiesen werden.
Aber auch wer lange Jahre Beiträge eingezahlt hat, macht sich Sorgen, weil die Renten der Neurentnerinnen und Neurentner von Jahr zu Jahr sinken. Selbst für Menschen, die 35 Jahre und länger erwerbstätig waren und in die Rentenkasse eingezahlt haben, sinkt die Rente. Wer vor zwölf Jahren nach langjähriger Versicherung neu in Rente ging, erhielt im Durchschnitt noch 1 020 Euro Rente. 2010 erhielten solche Neurentnerinnen und Neurentner im Durchschnitt nur noch eine Rente in Höhe von 919 Euro. Bei den Frauen waren es nur 597 Euro.
 
Den Menschen die Angst vor der Zukunft nehmen
 
Nach den geltenden Gesetzen wird das Rentenniveau weiter sinken. Das ist der falsche Weg. Wir brauchen endlich wieder ein Rentensystem, das den Menschen die Angst vor der Zukunft nimmt. (Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, eine gute Rentenpolitik muss an zwei Punkten gemessen werden: Die gesetzliche Rentenversicherung muss zum einen den einmal durch gute Arbeit erreichten Lebensstandard sichern und zum anderen die Menschen zuverlässig vor Altersarmut schützen. Beides schafft die gesetzliche Rente schon heute nicht - von morgen oder übermorgen ganz zu schweigen. Wir brauchen also eine grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung. (Beifall bei der LINKEN)
Deshalb schlägt die Linksfraktion vor, die gesetzliche Rentenversicherung zu einer solidarischen Rentenversicherung auszubauen, die den Lebensstandard sichert und die eine solidarische Mindestrente enthält. Denn die Linke will, dass niemand im Alter von weniger als 900 Euro leben muss. (Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die gesetzliche Rente soll den einmal erreichten Lebensstandard wieder sichern. Das bedeutet aber, dass jede Frau und jeder Mann ganz realistisch auch die Möglichkeit haben muss, sich einen guten Lebensstandard erarbeiten zu können. (Dr. Gesine Lötzsch, DIE LINKE: Richtig!)
Nur so ist eine im Kern lohnbezogene Rente auch sozial gerecht.
 
Viele Menschen sind bereits vor dem Rentenalter arm
 
Viele Menschen haben diese Chance aber nicht. Sie sind bereits vor dem Rentenalter arm, und wenn wir nichts ändern, werden sie es wahrscheinlich auch im Rentenalter bleiben. Das gilt insbesondere für diejenigen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, wie zum Beispiel Alleinerziehende ohne Kinderbetreuung, Beschäftigte, die zu miesen Konditionen und niedrigen Löhnen arbeiten müssen, Hartz-IV-Betroffene, die lange Zeit keinen Job finden, oder Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nur eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten können, die also erwerbsgemindert sind. Für sie alle müssen wir dringend etwas tun. Denn auch sie haben ein Recht darauf, in Würde alt zu werden. (Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, allen sozial denkenden Menschen muss es doch darum gehen, Armut gar nicht erst entstehen zu lassen. (Dr. Gesine Lötzsch, DIE LINKE: Richtig!)
Armut in der Erwerbsphase zu bekämpfen, hilft, Armut im Alter zu vermeiden.
Jede moderne Alterssicherungspolitik muss darum am Arbeitsmarkt ansetzen, deswegen sagt die Linke: Wer von Altersarmut spricht, darf von prekärer Beschäftigung, also von schlechter und unsicherer Arbeit, nicht schweigen. Hier müssen wir ran. (Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, das, was die Menschen brauchen, ist gute Arbeit. Gute Arbeit ist eine Beschäftigung, die sicher, geregelt und sozial geschützt ist und die vor allem so gut bezahlt wird, dass man in Vollzeit auch davon leben kann. Darum brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 10 Euro brutto in der Stunde.
(Beifall bei der LINKEN) Darum muss der soziale Schutz auch für die Minijobs gelten, deshalb soll künftig jede Stunde Erwerbsarbeit sozialversicherungspflichtig sein und für die Rente zählen. Das nützt vor allem den Frauen. (Beifall bei der LINKEN) Gute Arbeit bedeutet auch, dass Frauen endlich nicht nur genauso viel verdienen wie die Männer, sondern dass sie das auch bekommen, und dass Männer und Frauen Familie und Beruf wirklich miteinander vereinbaren können. (Beifall bei der LINKEN)
 
Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel streichen
 
Meine Damen und Herren, eine gute, den Lebensstandard sichernde Rente ist ohne ein vernünftiges Sicherungsniveau nicht möglich. Die Rentenkürzungen der vergangenen Jahre müssen einmalig ausgeglichen und die Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel gestrichen werden. Nach mehr als 20 Jahren deutsche Einheit ist es höchste Zeit, die Prinzipien „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und „Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung“ umzusetzen und das Rentenniveau Ost endlich auf das West-Niveau anzuheben. (Beifall bei der LINKEN)
Nach allem, was wir wissen, sind die Ostdeutschen in Zukunft besonders von Altersarmut bedroht, und darum ist die Angleichung an das West-Niveau besonders wichtig.
Nehmen Sie die Rente erst ab 67 zurück. Das wäre ein echter Beitrag zur Lebensstandardsicherung und zur Armutsvermeidung. (Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer bereits heute auf ein Leben voller Unsicherheit und Erwerbslosigkeit zurückblicken muss, sieht in einer den Lebensstandard sichernden Rente kein Versprechen, sondern eine Drohung. 4,6 Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor, und für viele von ihnen ist die Sicherung des Lebensstandards gleichbedeutend mit Altersarmut. Deswegen wollen wir den Solidarausgleich in der gesetzlichen Rente stärken und zum Beispiel die Rente nach Mindestentgeltpunkten für Beschäftigte mit niedrigerem Einkommen entfristen. Für Hartz-IV-Betroffene sollen wieder Rentenbeiträge in anständiger Höhe gezahlt werden. (Beifall bei der LINKEN)
Für all diejenigen, die trotz dieser und vieler anderer von uns vorgeschlagenen Maßnahmen kein Alterseinkommen von mindestens 900 Euro erreichen, greift unser Vorschlag der solidarischen Mindestrente. Noch einmal: Die Linke will, dass niemand im Alter von weniger als 900 Euro im Monat leben muss. (Beifall bei der LINKEN)
 
Gesetzlicher Mindestlohn und Mindestrente
 
Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Mindestrente soll die Lebensstandardsicherung ergänzen, sie soll sie nicht ersetzen. Wir Linken fordern seit langem einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Aber wir wollen keine Gesellschaft von Mindestlohnbeziehenden, sondern wir wollen, dass möglichst viele Beschäftigte gute Tariflöhne deutlich darüber bekommen. (Beifall bei der LINKEN)
Das Ziel der Linken sind gute, lohnbezogene und den Lebensstandard sichernde Renten und Alterseinkommen, die weit über der Mindestrente liegen - und das für möglichst viele Rentnerinnen und Rentner, am besten für alle. Wir fordern aber sehr nachdrücklich eine solidarische Mindestrente, damit niemand im Alter in Armut leben muss. (Beifall bei der LINKEN)
Die heutige lohnbezogene Rente ist an Vorleistungen geknüpft, die im Kern auf Beiträgen durch Lohnarbeit beruhen. Das soll auch so bleiben. Es ist so weit in Ordnung, wie die Menschen auch die Möglichkeit haben, einer guten Arbeit nachzugehen. Wenn wir aber Armut bekämpfen wollen, sind Vorbehalte fehl am Platz. Darum soll jede und jeder über 65 die Mindestrente erhalten, wenn ihr oder sein Einkommen 900 Euro netto unterschreitet - ohne Vorleistungen. Vermögen unterhalb bestimmter Freibeträge wird nicht angerechnet. Bei der aktuellen Grundsicherung im Alter beträgt der Vermögensfreibetrag nur 2 600 Euro. Das ist eine bedürftigkeitsgeprüfte Leistung. Nur wer schon sein letztes Hemd verkauft hat, hat ein Recht auf die Grundsicherung. Das wollen wir ausdrücklich nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
In der linken solidarischen Mindestrente werden darum Vermögen unterhalb von 20 000 Euro und Ersparnisse fürs Alter von 750 Euro pro Lebensjahr ebenso wenig angerechnet wie die selbst genutzte Wohnung oder das Eigenheim bis 130 Quadratmeter Wohnfläche. Die Mindestrente wird als steuerfinanzierter Zuschlag im Rahmen der Rentenversicherung verwaltet und als Rente ausgezahlt. Mindestrentner und Mindestrentnerinnen werden dann nicht mehr diskriminiert. Sie erhalten wie ihre Nachbarn und Freunde auch eine Rente. (Dr. Heinrich L. Kolb, FDP: Eine Bedürftigkeitsprüfung wollen Sie aber schon!)
Das ist wichtig; denn viele Ältere schämen sich, die Grundsicherung im Alter oder Sozialhilfe zu beantragen.
Karin Schäfer, die 68-jährige Minijobberin, sieht das auch so. Sie scheut davor zurück, Grundsicherung zu beantragen. Sie wolle keine Almosen, sagt sie. Das kann als falscher Stolz abgetan werden. Das ist aber verschämte Altersarmut. Weder das eine noch das andere träfe zu, wenn auch in der Rentenpolitik endlich wieder gälte: Sozial ist, was Würde schafft.
Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN)
 
Eine Kurzintervention zu MdB Elke Ferner, SPD
 
Frau Kollegin Ferner, Sie haben die Finanzierung angesprochen. Dazu muss man deutlich sagen: Wir müssen entscheiden: Wollen wir Menschenwürde an der Kassenlage oder an einem menschenwürdigen Bedarf ausrichten?
(Dr. Heinrich L. Kolb, FDP: Das muss man doch nicht ablesen, die Kurzintervention!)
Die Linke hat sich klar entschieden: Ein menschenwürdiges Leben im Alter darf nicht von der Kassenlage bestimmt werden. Das ist der erste Punkt.
(Beifall bei der LINKEN)
Dann haben Sie in Ihren Kritikpunkten vergessen zu erwähnen, dass wir in unserem Antrag vorgeschlagen haben, eine Erwerbstätigenversicherung einzuführen, das heißt alle, die in irgendeiner Weise erwerbstätig sind, einzubeziehen. Dazu gehören nicht nur Pflegende und Erziehende; dazu sollen auch Politikerinnen und Politiker, wir Abgeordnete, Ministerinnen und Minister, gehören, außerdem Selbstständige und Beamtinnen und Beamte. Wir möchten langfristig alle in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen, selbstverständlich auch die Erwerbslosen. Deswegen nennen wir sie „solidarische Rentenversicherung“. Das war der zweite Punkt.
(Peter Weiß, CDU/CSU: Wo haben Sie da das Geld her?)
Drittens. Die Beitragsbemessungsgrenze haben Sie angesprochen. Selbstverständlich ist Artikel 20 des Grundgesetzes - wir sind ein Sozialstaat - die Grundlage dafür, dass wir dann unten und oben solidarisch sind und die Rentenansprüche bei mehr als dem Doppelten des Durchschnitts abflachen können. Ich bin gern bereit, mit einem solchen Vorschlag bis vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen, und ich bin ziemlich sicher, dass wir da Recht bekommen werden. (Beifall bei der LINKEN)
Viertens. Am 9. November 1989 ist nachmittags etwas geschehen, das so bedeutend war, dass wir alle wissen, wo wir an dem Tag gewesen sind. Aber am Vormittag wurde im Deutschen Bundestag, damals noch in Bonn, eine Debatte über eine Rentenreform geführt. Meine Vorvorgängerpartei saß da noch nicht im Bundestag. Aber alle anderen Parteien im Bundestag waren sich damals einig, dass der Beitragssatz für die Rente bis zum Jahr 2030 bis zu 28 Prozent betragen könnte. Damals sah man darin kein Problem. Der Unsinn mit dem Dogma der Beitragssatzstabilität, der von der Weltbank kam, kam erst später.
Moderate Beitragssatzsteigerung bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum und bei steigender Arbeitsproduktivität - das ist sehr wohl möglich. Deswegen kann man sehr wohl davon ausgehen, dass die Beiträge moderat steigen, und kann auch Steuerzuschüsse einbeziehen, wie das die Bundesministerin bei der Zuschussrente vorsieht. In dem Steuerkonzept, das wir vorgelegt haben, ist einiges an Ideen enthalten, was man mit Vermögen und Erbschaftsteuer und Ähnlichem machen kann.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem machen, was Sie und auch der Kollege Schiewerling zu den drei Säulen gesagt haben. Riester ist ein Flop. Das wissen Sie alle; das steht in jeder Zeitung. Da ist sogar der Sparstrumpf besser. Sie müssen schon über 90 werden, in manchen Rechnungen sogar 128, damit Sie eine anständige Rendite von 5 Prozent bekommen. Ich erinnere daran: Als Riester eingeführt wurde - ich habe es hier vorliegen -, wurden 3,25 Prozent Rendite versprochen. Seit 1. Januar 2012 sind gesetzlich 1,75 Prozent festgelegt. Riester ist also Unsinn. (Beifall bei der LINKEN)
Zu der betrieblichen Altersvorsorge. Die haben im Osten gerade einmal 35 Prozent und im Westen 55 Prozent der Beschäftigten.
(Vizepräsident Eduard Oswald: Ihr Schlusssatz, bitte!)
Ich komme zum Schluss. Man sieht: Es sind insgesamt weniger als die Hälfte. Also: Die Drei-Säulen-Theorie funktioniert nicht.
Mein letzter Satz. Was die Legitimation der Rentenversicherung angeht, so glaube ich: Wenn jeder Beschäftigte, egal, was er oder sie verdient, davon ausgehen kann, im Alter eine anständige Rente zu bekommen, die in der Nähe oder oberhalb der Armutsgrenze liegt, dann stärkt das die Legitimation der gesetzlichen Rentenversicherung und schwächt sie nicht. In 28 von 30 OECD-Staaten geht das auch. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN)
 
Zweite Kurzintervention
 
Wer den Antrag gelesen und bei meiner Rede gut zugehört hat, der wird festgestellt haben, dass wir Linken, erstens, deutlich fordern, dass auf dem Arbeitsmarkt etwas verändert wird, weil wir selbstverständlich mit Ihnen einer Meinung darin sind, dass die Rente nicht das reparieren kann, was auf dem Arbeitsmarkt schiefgegangen ist. Das muss man erst einmal festhalten. (Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Wenn Sie die Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel herausnehmen, wenn Sie die Rentenwerte in einem Schritt um 4 Prozent anheben und all das machen, was wir vorgeschlagen haben, dann werden diejenigen, die lange Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben, auch eine deutlich höhere Rente als 900 Euro bekommen. Die werden eine Rente von 1 100 Euro und mehr bekommen.
Das heißt, dass wir das Grundprinzip der Äquivalenz im Bereich der Lebensstandardsicherung nicht antasten. Aber wir sagen: Wir müssen im unteren Bereich solidarisch sein und dafür sorgen, dass niemand im Alter in Armut leben muss. Eine Grundsicherung im Alter, wie es sie heute gibt, würde es dann nicht mehr geben. Es ist sehr wohl richtig, dass viele Menschen die Grundsicherung heute nicht beantragen, weil sie sich schämen. Sie müssten dann, Kollege Schaaf, keine Bittsteller oder Bittstellerinnen mehr sein; denn die Rentenversicherung fragt, ob die Rentnerin oder der Rentner über eine gesetzliche Rente von z.B. 600 Euro oder mehr verfügt und ob eine Riester-Rente oder eine betriebliche Altersvorsorge vorhanden ist. Im Osten müssten 99 Prozent der Menschen antworten: Ich habe nur die gesetzliche Rente. Dann würde gesagt: Wenn kein Vermögen in einer bestimmten Größenordnung oder sonstiges Einkommen vorhanden ist, dann gibt es den Zuschlag.
Je besser die Rente - das hat Kollege Weiß angesprochen -, was die Äquivalenzseite anbetrifft, reformiert wird, umso weniger brauchen wir den Zuschlag der solidarischen Mindestrente. Das heißt, wenn wir alle das Rentensystem armutsfest machen, dann brauchen wir null Zuschlag und null Mindestrente. Dagegen habe ich nichts.
 
Die Rentenversicherung armutsfest machen
 
Ich sage noch einmal: Wir Linken fordern einen Mindestlohn, und wir fordern eine Mindestrente. Wir wollen aber keine Gesellschaft der Mindestrentebeziehenden und der Mindestlohnbeziehenden, sondern eine Gesellschaft von Menschen, die mehr verdienen, gute Tariflöhne erhalten und eine höhere Rente als die Mindestrente bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gerechtigkeitsdebatte von den Menschen, die als Durchschnittsverdienerinnen und Durchschnittsverdiener in Zukunft 36 Jahre werden arbeiten müssen, um überhaupt einen Rentenanspruch oberhalb der heutigen Grundsicherung im Alter zu haben, so geführt werden wird. Deswegen ist es wichtig, dass die Rentenversicherung armutsfest gemacht und gleichzeitig ein Zuschlag eingeführt wird, wenn dies nicht gelingt.
Ich komme zum Schluss zu den Renten im Osten. Es besteht heute immer noch ein Lohnunterschied zwischen Ost und West in Höhe von 11 Prozent. In dem Maße, wie der Abstand schmilzt, soll auch die Angleichung beim Hochwertungsfaktor erfolgen. Darin sind wir uns völlig einig. Wir wollen natürlich nicht, dass in einem Landesteil die Renten unter dem Strich höher sind als in dem anderen.
(Peter Weiß CDU/CSU): Doch, das wollt ihr, und zwar auf Dauer!)
Die Realität ist aber eine andere. Heute werden den Ostrentnern bei der Durchschnittsrente im Schnitt 140 Euro im Monat genommen.
(Vizepräsident Eduard Oswald: Sie kommen jetzt bitte zum Schluss.)
Diese 140 Euro im Monat brauchen die Rentnerinnen und Rentner im Osten. Deswegen ist es wichtig, dass wir in einem ersten Schritt die Löhne angleichen. Dann brauchen wir auch nicht mehr den Hochwertungsfaktor. Solange die Löhne aber nicht angeglichen sind, ist es nur gerecht, dass ein Florist oder eine Betonbauerin nach einem langen Leben für die gleiche Lebensleistung auch die gleiche Rente erhält. Das werden auch die Menschen im Westen einsehen. Ich komme aus Köln. Da gibt es den Satz: Man muss auch jönne könne. - Da bin ich mir sicher. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt auch den Satz: Et hätt noch immer joot jejange! (PK)


Online-Flyer Nr. 344  vom 07.03.2012



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