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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Medien
Selbst Gauck sieht „bedrohliche und zum Teil erschreckende Tendenzen“
WAZ-Eigentümer wollen noch mehr Profit
Von Frank Biermann

Aufgrund der „dramatischen Umsatzentwicklung” bei den Werbe- und Vertriebserlösen sollen bei der Essener WAZ-Mediengruppe bis 2014 die Kosten um zwanzig Prozent in allen Bereichen gesenkt werden. Dies hat jetzt der neue Finanzchef der WAZ-Mediengruppe, Thomas Ziegler, in einer öffentlich gewordenen und inzwischen bestätigten E-Mail den Führungskräften der Gruppe mitgeteilt.
 

WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz - unterstützt den
radikalen Sparkurs
Es sei gegenüber Banken und Gesell-schaftern erklärtes Ziel, für 2014 ein Gruppen-EBITA (also einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 150 Millionen Euro zu erreichen. Die Führungskräfte, darunter auch die Chefredakteure der Zeitungstitel der Gruppe, forderte Ziegler auf, Modelle und Maßnahmen für die Umsetzung dieses Ziels vorzubereiten. Das Sparziel könne nur erreicht werden, formulierte Ziegler weiter, wenn „heutige Prozesse und Struk- turen nicht fortgeführt werden”. Von den erwarteten Kostenreduzierungen sollen durchweg  alle deutschen Bereiche der WAZ-Mediengruppe unabhängig ihrer aktuellen Ergebnis- und Renditesituation betroffen sein.
 
In einer gemeinsamen Erklärung hat sich die Arbeitgemeinschaft der Betriebsräte der Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung, Westfälische Rundschau, Westfalenpost und WAZ New Media „sehr irritiert” über das Vorgehen der Gruppengeschäftsführung (GGF) gezeigt. Die Redaktionen aller vier Titel der WAZ-Gruppe in NRW hätten vor drei Jahren mit dem Abbau von 300 Stellen 30 Millionen Euro eingespart. Danach hätten sich alle Beteiligten auf ein Konzept für eine „lokale Offensive” geeinigt, um die Zeitungen zukunftsfähiger zu machen. Dieses Konzept könne nur funktionieren, wenn die Redaktionen so ausgestattet sind, dass sie Qualität liefern könnten.
 
„Warum wird so kurz nach dem Start schon wieder alles in Frage gestellt?”, fragen die Betriebsräte. Hilfreicher wäre es aus ihrer Sicht gewesen, wenn die GGF ihre Absprachen genauso konsequent einhielte, wie sie es von der Belegschaft erwarte. „Wir brauchen jetzt Unterstützung, keine Panikmache und keine demotivierenden Drohungen”, schreiben die Betriebsräte. Nach dem Bekanntwerden des Schreibens Zieglers hatte Geschäftsführer Christian Nienhaus versucht, zu beschwichtigen: „Es ist nicht beschlossen, mit dem Rasenmäher zu verfahren“, sagte er der F.A.Z. In welchen Bereichen wie viel gespart werden solle, sei noch offen. WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz erklärte in einer Betriebsversammlung seiner Zeitung Mitte September, dass bis November der erste Teil für die Planung der Einsparung einer „beträchtlichen Summe“ stehen müsse. Aus den Redaktionen der WAZ-Gruppe ist zu hören: „Die Stimmung ist übel. Die Redaktionen arbeiten am Anschlag. Resignation allerorten und Ratlosigkeit“.
 
Durch die lokale Offensive werden zwar wieder mehr Kolleginnen und Kollegen in den Lokalredaktionen beschäftigt, die von den Desks wieder abgezogen wurden, und es werden lokalen Themen mehr Platz und Seiten eingeräumt. Aber es fehlt nach dem rigiden Stellenabbau Personal, das die zusätzlichen Seiten lesernah und mit lokaler Kompetenz füllt. Unterm Strich haben die Maßnahmen bislang jedenfalls keine Kehrtwende bei der Auflagenenwicklung einleiten können.     
 
Die Einsparungen sollen quer durch alle Unternehmensbereiche in Deutschland gehen, tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden davon betroffen sein. In der Buchhaltung, im Controlling und anderen Verwaltungen. Allein in NRW gibt die WAZ-Gruppe vier Tageszeitungen heraus, dazu gehören ihr noch die Braunschweiger Zeitung und drei Regionalzeitungen in Thüringen. Außerdem gibt der Essener Medienkonzern Zeitschriften wie die aktuelle, Das goldene Blatt, Echo der Frau und Ein Herz für Tiere in einer Gesamtauflage von 5 Millionen heraus. Dazu kommen noch die Druckhäuser in Essen und Hagen-Bathey. Von zwei Töchtern, die den Versand und die Weiterverarbeitung für die Druckhäuser in Hagen und Essen übernommen hatten, trennte sich die Gruppe bereits. Sie wurden samt Personal an zwei Personaldienstleister verkauft. Hunderte von Zustellern wurden entlassen in Gebieten, wo die WAZ-Titel nun von der Konkurrenz verteilt werden. Abteilungen werden nach Erfurt ausgesourct, weil dort kostengünstiger produziert werden kann. Und und und.
 
Es gibt derzeit nur wenige gute Nachrichten aus der WAZ. Aber wenigstens diese: Die mehr als 400 Beschäftigten der Westdeutschen Verlags- und Werbegesellschaft mbH & Co. KG (WVW) - ein Unternehmen der WAZ-Mediengruppe - wählen zum ersten Mal in der Firmengeschichte mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di einen Betriebsrat. Die WVW ist der größte Anzeigenblattverlag in NRW und vertreibt 58 Anzeigenblätter mit einer Gesamtauflage von 3,8 Millionen. Aber auch mit einer gut funktionierenden betrieblichen Mitbestimmung wird es schwer werden, den nicht enden wollenden Sparkurs zu stoppen.
 
Die rigide Sparpolitik in den Medienhäusern ist auch dem mit einer Journalistin liierten Bundespräsidenten Joachim Gauck nicht verborgen geblieben. Der Bundespräsident hatte bei der Verleihung des Theodor-Wolff-Preises von „bedrohlichen und zum Teil erschreckenden Tendenzen“ durch Einsparungen in den Verlagshäusern gesprochen. Massenweise Entlassungen von Journalisten gehörten inzwischen ebenso zur Wirklichkeit wie die Tatsache, dass „immer mehr so genannte freie Journalisten ihre gute Arbeit für einen äußerst bescheidenen Lohn" leisteten. Der radikale Sparkurs vieler Verlage und Redaktionen „sei meist kein Ausweis für Ideenreichtum“, attestierte Gauck den Verlagsmanagern. Ob man das in Essen gerne gehört hat? (PK)          
 
Weitere Informationen im Gewerkschaftsblog www.medienmoral-nrw.de


Online-Flyer Nr. 376  vom 17.10.2012



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