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Sport
US-Girls toppen Bundesliga: Elfmeterdrama München, Achterbahnspiel Potsdam
Amerikas Fußballerinnen mittendrin
Von Bernd J.R. Henke

„Mein Trainer fragte, wer den fünften Elfmeter schießen will. Und da habe ich gesagt: Ok, ich mach das“, erklärte die siebenundzwanzigjährige US-Amerikanerin Gina Lewandowski ziemlich stolz und glücklich in perfektem Deutsch. Sie schoss das entscheidende Tor für ihren neuen Verein FC Bayern München im Elfmeterschießen beim DFB-Pokal-Hauptrundensieg über den 1.FFC Frankfurt – ihrem so vertrauten und einst geliebten Vorgängerverein.

Gina Lewandowski – gemeinsam Hand in Hand mit ihrer Mannschaftskameradin Vanessa Bürki
Foto: Sascha Pfeiler, girlsplay.de, München
 
Ihre fußballerische Karriere startete sie in Deutschland, nicht in den Profiligen der USA. Direkt vom College aus wechselte sie nach Europa zum 1.FFC Frankfurt – dem Verein, den sie nun „just in time“ aus dem deutschen DFB Pokal warf. Sie spielte immerhin fünf Jahre beim deutschen Rekordmeister in der Stadt des Euros und der Banken. Ende der Saison am 17. Mai 2012 unterschrieb sie einen Vertrag beim FC Bayern München, nachdem klar war, dass sie wegen der enormen Kadererweiterung durch deutsche Nationalspielerinnen ihren Stammplatz in der Frankfurter Abwehr verlieren würde.
 
Also ging es nach Bayern, dorthin wo die Leute aus ihrer Heimat Pennsylvania das deutsche Wesen malerisch und phantasievoll verorten. In einem sehr spaßigen Interview aus dem Jahre 2008 mit dem legendären Sportreporter Matthias Kittmann sagte sie, wohl noch im Amerikanischen ihrer assimilierten Vorväter, über das Verhältnis der Amerikaner zu Deutschland: „Na, ja, in Amerika stellen sich manche Leute die Deutschen schon noch als Bratwurstesser in Lederhosen vor. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass sich in Pennsylvania, wo ich herkomme, früher viele deutsche Einwanderer niedergelassen haben. Wenn die dann regelmäßig ihr Oktoberfest feiern, sind diese Klischees ständig präsent.“ 

Die glückliche Gina – sie konnte es kaum fassen. Danach feierte sie den Pokalsieg in Oktoberfest-Stimmung
Foto: Sascha Pfeiler, girlsplay.de, München
 
Und wie es der Fußballgott so arrangierte: ihr Debüt für die Münchenerinnen gab sie just am Eröffnungstag des „Oktoberfest“ - am 23. September 2012 am 3. Spieltag beim 4:0-Sieg im Bundesliga-Heimspiel gegen den FF USV Jena. Am Sonntag des siebten Oktober, am Schlusstag des traditionellen Oktoberfestes, empfing der frischgebackene deutsche Pokalsieger FC Bayern München den letztmaligen Pokalfinalgegner 1. FFC Frankfurt. Die Rothosen von Bayern München hatten überraschend im Pokalfinale 2012 dem achtmaligen Frankfurter Pokalsieger die Trophäe abgejagt.
 
Da spielte Gina Lewandowski noch auf Seiten der Frankfurterinnen im schwarzen Trikot des Hauptsponsors Commerzbank und verlor. Nun waren ihre ehemaligen Mannschaftskameradinnen mit dem kompletten Superkader nach München angereist, um Revanche zu nehmen. Dass dies misslang, lag nicht an der Oktoberfeststimmung, sondern ausschließlich an den besseren Nerven von Gina Lewandowski und am nervösen Schussversagen der Neu-Frankfurterin und Nationalspielerin Simone Laudehr. Den finalen Showdown absolvierte Gina Lewandowski noch ganz ungewohnt im roten T-Online-Trikot der Münchnerinnen.
 
Mit voller Konzentration auf den entscheidenden Schuss stieß sie in diesem Augenblick den 1.FFC Frankfurt ins Verlierertal. Für Manager, Investor, Pressesprecher und DFB-Ligasprecher Siegfried Dietrich bedeutet das frühe Ausscheiden in der 2. Hauptrunde für sein Investment beim 1. FFC Frankfurt eine unerwartete wirtschaftliche Schwächung. Eins muss man den Frankfurterinnen zugute halten: sie spielten einen hervorragenden Fußball gegen einen Gegner, der nie aufgab. Die Münchnerinnen, die einfach unbeeindruckt durchspielten, auch wenn das Spiel zu kippen drohte, zeigten dem Rekordmeister auf höchstem Niveau kämpferisch die Grenzen.

Der entscheidende Ausgleich in der Verlängerung. Jubel bei „Goalwinnerin“ Carinna Wenninger, links: Sarah Hagen, rechts mit der Nummer 11 Frankfurts Simone Laudehr, die später den entscheidenden Elfmeter verschoss
Foto: Zimmermann/ Kuppert
 
Der „Fußballgott“ entschied für den FC Bayern, den Frankfurterinnen fehlte an diesem sonnigen Herbsttag das notwendige Quentchen Glück. Nach der versäumten Qualifikation zur laufenden Champions League in der Vorsaison bedeutet diese bittere Niederlage für den europäischen Vorzeigeclub mit dem qualitativ besten Kader der Bundesliga wohl den Auftakt zu einer internen Konsolidierung. Dietrich betonte sein Festhalten an dem glücklosen Interimstrainer Philipp Dahm, wohl auch unter der Prämisse, dass der junge relativ unerfahrene Trainer noch nicht an der Spitze der Gehaltsskala der Bundesligatrainer angelangt ist.
 
Gegenüber den ehrgeizigen Zielen der Saisonauftaktpressekonferenz sehen langjährige Beobachter die Situation in Frankfurt als sehr angespannt an - für gewohnte Durchhalteparolen sei die Zeit wohl abgelaufen. Der Gesamtverein muss sich fragen, ob die offensichtliche Machtfülle des Strategen Dietrich, nicht durch ein Teamwork abgelöst werden sollte. Der 1. FFC Frankfurt - scherzhaft auch 1.FFC Deutschland genannt - verlor auf dem Rasen in München-Aschheim in entscheidenden Spielen seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit. Fazit: in der deutschen Bundesliga kann jede Mannschaft von jeder Mannschaft geschlagen werden.

Sarah Hagen gegen Nadine Angerer im Elfmeterschiessen
Foto: Sascha Pfeiler, girlsplay.de, München
 
Der Münchner Sieg war in den Augen des Münchner Trainers Thomas Wörle eine Wiederholung und Bestätigung des Pokalsieges der vergangenen Saison 2011/2012. Da hatte der Außenseiter den damalig amtierenden Pokalmeister 1. FFC Frankfurt in Köln vor fast 16.000 Zuschauern mit 2:0 besiegt und den Cup überraschend vom Main an die Isar geholt. Neu war eigentlich nur Eines: diesmal zählte die bescheiden auftretende, couragierte Gina Lewandowski auch zu den Gewinnerinnen. „Als ich realisiert habe, dass der Ball drin ist, war die Freude einfach grenzenlos", sagte die Amerikanerin kurz nach dem Sieg. „Ich bin glücklich, dass ich der Mannschaft in einem so wichtigen Spiel helfen konnte. Denn alle haben ihre Aufgabe hervorragend erledigt. Das war echtes Teamwork."
 
Anzumerken ist, dass die restlichen vier Elfmeter der Münchnerinnen ebenso sicher verwandelt wurden. Die zum Jahreswechsel angeheuerten US WNT Legionärinnen zeigten durchtrainierte Nervenstärke. Die unermüdliche zweiundzwanzigjährige Sarah Hagen aus Appleton in Wisconsin schoss den ersten Elfer zum 2:1 ins Frankfurter Gehäuse. Sarah Hagen wurde ziemlich kurzfristig in der Rückrunde der Saison 2011/2012 während der Winterpause verpflichtet, nachdem sichtbar wurde, dass die US Profiliga WPS aufgelöst werden sollte und der Kader des FC Bayern München Frauen wegen Verletzung zahlreicher Spielerinnen stark dezimiert war. Der Finanzvorstand der FC Bayern München AG genehmigte den Transfer der amerikanischen Profispielerin
 
Die zweite US Bundesliga-Legionärin, die durch Vermittlung von Spielerberatern zum FC Bayern stieß, Nicole „Nikki“ Cross aus Brockton, Massachusetts, bezwang mit dem vierten Elfmeter für Bayern zum 5:3 ebenso sicher Frankfurts Nationaltorhüterin Nadine Angerer. Angerer hatte letzten Mittwoch im Ligaspiel gegen den Nordaufsteiger FSV Gütersloh zu Hause im Stadion am Brentanobad pausiert. Sie scheint in einer Formkrise zu sein und steht trotzdem im Aufgebot der Deutschen Fußballnationalmannschaft, die Ende Oktober zwei Freundschaftsspiele gegen die amerikanischen Olympiasiegerinnen absolvieren wird.

Sarah Hagen im Zweikampf mit den deutschen Nationalspielerinnen Babette Peter (22) und Kim Kulig
Foto: Sascha Pfeiler, girlsplay.de, München
 
In der 90. Minute wechselte Frankfurts Trainer Philipp Dahm Nationalspielerin Melanie Behringer aus und ließ die US-Amerikanerin und Vize-Weltmeisterin Alexandra „Ali“ Krieger auflaufen, die nach längerer Verletzung wieder dabei war. Krieger war zeitgleich mit Gina Lewandowski in der Saison 2007/2008 nach Europa zum 1. FFC Frankfurt gewechselt. Nach neunzig Minuten endete die Partie torlos. Die Verlängerung begann in der ersten Minute mit einem Paukenschlag. Ein Schuss von Simone Laudehr wurde abgeblockt, Kathrin Längert im Tor der Bayern konnte den Ball nicht festhalten und die Ex-Potsdamerin Bianca Schmidt war mit dem Nachschuss erfolgreich. Befreiender Jubel bei Frankfurt, keine Resignation bei Bayern. Die Mannschaft spielte unbeeindruckt durch. Sieben Minuten vor dem fühlbaren Ende der Verlängerung - Jubel bei Bayern. Die Österreicherin Carina Wenninger markierte den Ausgleich zum 1:1. Ein hervorragendes kämpferisches Pokalspiel ging ins Elfmeterschießen.
 
Was sich in den neunzig Minuten zuvor ereignet hatte, war nun sichtlich Makulatur - zum Leidwesen des glücklosen 1.FFC Frankfurt. Die Frankfurter Mannschaft hatte sich viel vorgenommen, wollte doch endlich die Revanche für Köln. Die Frankfurterinnen starteten sehr agil, eine Viertelstunde lang ging es ständig nur in Richtung Bayern-Tor. Schon in der 1. Minute scheiterte die französische Nationalspielerin Sandrine Brétigny, die von Olympique Lyonnais nach Frankfurt gewechselt war, mit einem Kopfball ganz knapp, nicht einmal sechzig Sekunden später verfehlte auch der Kopfball von Ex-Nationalspielerin Kerstin Garefrekes das Tor nur um Zentimeter. Die Münchnerinnen standen sichtlich unter Druck.
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In der achten Minute verfehlte ein 16-Meter-Schuss von Nationalspielerin Melanie Behringer knapp das Münchner Tor. Auf dem morastigen Boden entstand nun ein Fight der Sonderklasse. Die Offensive Frankfurts war sichtlich abgewehrt, die schweizerische Nationalspielerin Vanessa Bürki traf den Querbalken. München war ins Spiel gekommen und hatte sich formiert. Die Kämpfe fanden nun weitgehend im Mittelfeld statt, die Nationalspielerinnen Kim Kulig und Simone Laudehr regierten souverän den Mittelkreis, der aufgeweichte Rasen sorgte für erhöhten Krafteinsatz aller Spielerinnen. Der 1. FFC Frankfurt hatte mehr vom Spiel, Bayern stand tiefer und verlegte sich auf einzelne Konterangriffe.

Nicole „Nikki“ Cross im Zweikampf mit der deutschen Nationalspielerin Jessica Wich
Foto: Sascha Pfeiler, girlsplay.de, München
 
 
Die pfeilschnelle österreichische Nationalspielerin Laura Feiersinger entwischte Frankfurts Abwehr, doch Nationalspielerin Saskia Bartusiak konnte in letzter Sekunde klären (30.). Kurz vor der Pause passte Melanie Behringer von links auf Sandrine Bretigny, deren Drehschuss ging erneut knapp am Pfosten vorbei. Der Französin gehörte auch die erste Chance nach dem Seitenwechsel, doch ihr Distanzschuss verfehlte diesmal knapp das Bayern-Gehäuse. Nach rund einer Stunde kam Jessica Wich für die sichtlich glücklose Sandrine Bretigny. Die Mannschaft des FC Bayern München übernahm die höheren Spielanteile. Sie spielte ballsicherer und zur Freude wesentlich offensiver als in der ersten Halbzeit.
 
Wiederum Vanessa Bürki sorgte für Irritation im Frankfurter Strafraum, doch ihre schnelle Aktion wurde durch den Abseitspfiff zunichte gemacht. Im direkten Gegenzug attackierte Nationalspielerin Dzsenifer Marozsán die Münchner Abwehr. Ihr Schuss aus 10 Metern zog knapp am langen Pfosten vorbei. Die letzten Minuten drückte die Mannschaft des FC Bayern München in Richtung Frankfurter Tor. Torhüterin Nadine Angerer stand nun mehr in der Bredouille als ihr Gegenüber Torfrau Kathrin Längert. Die zweite Halbzeit endete ebenfalls torlos.
 
Der glücklose Frankfurter Interimstrainer Philipp Dahm analysierte konsterniert nach dem Elfmeterschiessen: „Die kämpferische Leistung hat gestimmt. Trotz des morastigen Bodens haben wir einen guten Fight geliefert, auch spielerische Akzente gesetzt und das Spiel weitgehend dominiert. Leider haben wir es wieder einmal nicht geschafft, unsere Feldüberlegenheit in Tore umzumünzen.“ Über seine taktischen Fehler sagte er nichts. Die Gründe für das Frankfurter Tief sind wohl sehr komplex. Mit Maximalforderungen erfolgsverwöhnter Sponsoren scheinen die Spielerinnen und das unerfahrene Trainerteam überfordert zu sein. Jetzt gilt es in Frankfurt den Bogen nicht zu überspannen, das Anspruchsdenken zu reduzieren und in der Winterpause den großen Spielerinnenkader eventuell durch eine geschickte Transferpolitik zu reduzieren und damit das Budget zu entlasten. 
 
Die totale Konzentration auf die 1. Bundesliga liegt nahe, aber dies ginge auch sportlich gesehen mit einem preiswerteren Kader. Sich vorzeitig von Angerer, Thunebro und den beiden Ex-Nationalspielerinnen Smisek und Garefrekes einvernehmlich zu trennen, gäbe auch Sinn, denn dann bestände die Chance, dass die im aktuellen Kader der deutschen Nationalmannschaft nominierten und jetzt mit der deutschen Bundestrainerin Silvia Neid zum Freundschaftsspiel in die USA reisenden Spielerinnen auch ihrem Verein 1.FFC Frankfurt mehr Spielpraxis generieren können. Smisek aber auch Garefrekes haben ihre berufliche Perspektive durch Fulltime-Jobs bei Polizei und Stadtverwaltung schon längst erreicht.
 
FC Bayern München:
Kathrin Längert – Rebecca Huyleur, Carina Wenninger, Nicole Cross, Gina Lewandowski – Laura Feiersinger (118. Min. Sandra De Pol), Sarah Romert, Viktoria Schnaderbeck, Vanessa Bürki (98. Min. Lena Lotzen) – Isabell Bachor (105. Min. Ivana Rudelic), Sarah Hagen
 
1. FFC Frankfurt:
Nadine Angerer – Bianca Schmidt, Saskia Bartusiak, Saki Kumagai, Babett Peter – Kerstin Garefrekes, Kim Kulig, Simone Laudehr, Melanie Behringer (90. Min. Alexandra Krieger) - Dzsenifer Marozsán, Sandrine Bretigny (61. Min. Jessica Wich / 98. Min. Sandra Smisek).
 
Schiedsrichterin: Christine Baitinger (Friesenheim). – Zuschauer: 530. – Tore: 0:1 Schmidt (91. Min.), 1:1 Wenninger (113. Min.), - Elfmeterschießen: 2:1 Hagen, Laudehr verschießt, 3:1 Lotzen, 3:2 Marozsán, 4:2 de Pol, 4:3 Kulig, 5:3 Cross, 5:4 Smisek, 6:4 Lewandowski
 
Ganz andere Personalprobleme lagen beim 1.FFC Turbine Potsdam zugrunde. Erfolgstrainer Bernd Schröder behindert seit dem Sommer eine tragische Verletzungsserie in seinem Potsdamer Kader. Knapp zehn Verletzte fehlten bei einem Kader von 26 Fußballerinnen. Es überraschte deshalb nicht, dass Schröder eine neue Mittelfeldspielerin, die afrikanische Nationalspielerin Jeannette Grace Ngock Yango aus Kamerun verpflichtete. Im DFB-Pokalspiel der 2. Hauptrunde gegen die SGS Essen saß sie schon auf der Bank. Das Schröder sie nicht auflaufen ließ, lag wohl an der besonderen Dramatik der „Achterbahn-Partie“ im Potsdamer „Karl-Liebknecht-Stadion“.

Nationalspielerin Jeannette Grace Ngock Yango aus Kamerun - sie löste am 25. August 2012 ihren Vertrag beim polnischen Verein 1. FC AKS AWF (der Verein heißt seit kurzem wie der Hauptsponsor, vorher 1.FC Kattowitz) auf und begann eine Probetraining beim 1. FFC Turbine Potsdam, wo sie am 05. Oktober einen Drei-Jahres-Vertrag erhielt. Im Juli und August 2012 spielte sie bei den Olympischen Sommerspielen in London 2012 für die Nationalelf von Kamerun in sämtlichen den Vorrundenspielen gegen Brasilien und Großbritannien in Cardiff und gegen Neuseeland in Coventry
Foto: Jan Kuppert
 
Somit erweiterte sich der Potsdamer Kader auf 27 Fußballerinnen. Turbine Potsdam reüssiert noch in allen drei möglichen Wettbewerben: Meisterschaft, Pokal und auf europäischer Ebene in der Champions League. Beim Rekordmeister 1.FFC Frankfurt stehen 24 Fußballerinnen im Kader zu Buche. Es fehlen in dieser Saison bis zum Sommer 2013 komplett alle Begegnungen auf europäischer Ebene, nach dem Münchner „Elfmeterdrama“ auch vier mögliche kassenwirksame Pokalspiele.
 
Insgesamt acht Treffer sahen die 1310 Zuschauer im Potsdamer „Karl-Liebknecht-Stadion“ beim Pokal-Duell zwischen dem 1. FFC Turbine Potsdam und der SGS Essen. Die angereiste Mannschaft gilt in der Bundesliga mit ihrem frechen Konterfußball als Favoritenschreck schlechthin. Die Potsdamer Abwehr musste nach den Verletzungen der US-Amerikanerin Alex Singer und Stefanie Mirlach eine Woche zuvor neu formiert werden. Die belgische Nationalspielerin Heleen Jaques sowie der Neuzugang Sara Doorsoun-Khajeh vom SC 07 Bad Neuenahr erhielten ihre Chance für die Anfangsformation.

die Amerikanerin Keelin Winters (6) gibt den Ball weiter, bevor sie attackiert werden kann
Foto: Anke Viehl
 
In der achten Minute verwandelten die „Youngster“ der SGS Essen das unerwartet frühe 1:0 Führungstor für den Außenseiter aus dem Ruhrgebiet. Die achtzehnjährige U 19 Nationalspielerin Linda Dallmann überwand nach einem Querpass der erst siebzehnjährigen Isabelle Wolf die gesamte Abwehr. Wolf spielte noch als Sechzehnjährige in der Regionalliga beim Dortmunder Vorstadtverein SG Lütgendortmund. Im August 2011 debütierte sie gegen den 1.FFC Frankfurt in der Bundesliga. Sie gilt als die große Entdeckung von SGS-Scout Klaus Donner, der keine freie Minute auslässt, durch das Ruhrgebiet und ganz Nordrhein-Westfalen zu reisen, um Essen mit regionalen Nachwuchstalenten in Kontakt zu bringen.
 
Die SGS-Elf attackierte die Potsdamerinnen bei Ballbesitz sehr früh. Und wieder war es die unbekümmerte Isabelle Wolf, die die Potsdamer Abwehr in Bedrängnis brachte. Sie vergab ihre Riesenmöglichkeit zum 2:0, als sie freistehend aus acht Metern knapp am Pfosten vorbeischoss (19.). Zuvor hatte Potsdams US-amerikanische Mittelfeldspielerin Keelin Winters auf der Gegenseite ebenso knapp verfehlt (18.). Die „Turbienen“ erhöhten nun die Schlagzahl und diktierten immer mehr das Spielgeschehen. Nach einer Ecke köpfte Stefanie Draws noch knapp vorbei (22.).
 
Die bis dahin recht unauffällige Afrikanerin Geneveva Anonma versenkte zwei Minuten später aus siebzehn Metern und halblinker Position einen sehenswerten Schuss zum 1:1 Ausgleich (24.) Die überraschten Essenerinnen hatten kaum ihren Anstoß ausgeführt, als die zentrale Mittelfeldspielerin und Spielgestalterin Keelin Winters den Ball erkämpfte und einen maßgenauen Traumpass in die Gasse zur Torjägerin Anonma schob, die wiederum aus zehn Metern das runde Leder an SGS Torfrau Lisa Weiß zur 2:1-Führung versenkte (26.).


Keelin Winters im Trikot der US Nationalmannschaft während der Vorbereitungen zu Olympia 2012 in London
Foto: WNT
 
 
Keelin Winters stammt aus Cleveland in Ohio. Die Tochter des ehemaligen NBA-Basketballprofis Brian Winters wuchs in Kalifornien und Colorado auf - überall dort, wo ihr Vater als Profi arbeitete. Winters führte bei der U-20-Weltmeisterschaft 2008 in Chile als Kapitänin das USA-Team zum Titelgewinn. Seit 2007 spielte sie bei den Portland Pilots, dem Team der University of Portland. 2010 wurde sie zur besten Spielerin der West Coast Conference gewählt. Neben den Portland Pilots war Winters zwischen 2007 und 2009 für Colorado Rush in der W-League aktiv. 2011 wurde Keelin Winters von den Boston Breakers aus der amerikanischen Profiliga Women’s Professional Soccer (WPS) gedraftet. Sie wurde für den Preis Rookie of the Year nominiert.      
                                                                                                                                           
Zur Saison 2012 wechselte Winters zu den Seattle Sounders FC. Mit dem plötzlichen Ende der Profiliga WPS orientierte sich Keelin Winters nach Europa. Das internationale Ansehen Potsdams als einer europäischen Spitzenmannschaft sowie deren Qualifizierung für die Champions League gab den Ausschlag für die Amerikanerin, rasch zu 1. FFC Turbine Potsdam zu wechseln. Durch den Weggang der erfahrenen Nationalspielerin Viola Odebrecht zum Wettbewerber VfL Wolfsburg sah sich Trainer Bernd Schröder gezwungen, für das zentrale Mittelfeld seinen Kader zu ergänzen. Mittlerweile hat Winters den Weggang von Nationalspielern Odebrecht mehr als kompensiert. Keelin Winters entwickelte sich in kurzer Zeit zur spielgestaltenden Nummer Eins in Potsdam.

Torsegen in Potsdam: die Afrikanerin Genoveva Anonma wird zum Tor von Linda Evans (25) und der Amerikanerin Keelin Winters bejubelt (6)
 Foto: Jan Kuppert
 
Winters passe jetzt perfekt in das nicht alltägliche Spielsystem seiner Mannschaft und habe es verinnerlicht, lobte Trainer Schröder. Sie erkämpfte direkt im Mittelfeldkreis gegen die SGS Essen viele Bälle, verteilte sie klug und stürmte immer wieder selbst nach vorne - abgeklärt und Ruhe ausstrahlend in brenzligen Situationen. Die Essenerinnen verzogen sich in die eigene Hälfte und waren durchgängig beschäftigt, weitere Tore zu verhindern. Trotzdem gelang es den „Ruhrpott-Ladys“ immer wieder mit Kontern auszubrechen. 
 
Nach einem Freistoß kurz hinter der Mittelinie erreichte ein steiler langer Pass die aufmerksame Linda Dallmann, die aus zwölf Metern abschoss. Der abgefälschte Ball landete knapp neben dem rechten Pfosten (40.). Den anschließenden Eckball bekam Caroline Hamann in der zweiten Reihe zu fassen, deren scharfer Schuss knapp über die Querlatte fegte. Mit einer knappen 2:1-Führung gingen die Potsdamerinnen in die Kabine. Nach der Pause überraschte Keelin Winters als sie vor dem Essener Tor auftauchte, sich das Leder erkämpfte und aus wenigen Metern halblinks vor dem Tor stehend knapp am Pfosten vorbei schob. (48.).
Noch abgeklärter reagierte die Essener Mannschaft. Die einundzwanzigjährige Irini Ioannidou erwischte das Leder nach einer unsicheren Faustabwehr von Alyssa Naeher und netzte ihren Ball aus zentraler Position an der auf der Torlinie postierten Schwedin Antonia Göransson vorbei zum 2:2 Ausgleich ein (50.). Der Jubel der SGS-Frauen währte nicht lang. Im direkten Gegenzug erreichte die laufstarke Keelin Winters einen genialen Pass von Natasa Andonova, den sie aus kurzer Distanz zur 3:2-Führung einschob (52.). 

Die Schottin Lisa Evans im Zweikampf mit Essens Ana Cristina Oliveira-Leite
Foto: Anke Viehl
 
Die Zuschauer kamen aus dem Staunen nicht heraus. Essen spielte unbeeindruckt weiter und fand immer mehr ins Spiel zurück. Die Nervosität auf der Potsdamer Trainerbank wurde hörbar. Man ahnte, dass die Essener Kontermannschaft jede kleinste Schwäche der Turbine- Abwehr ausnützen würde. Als ein Eckball von links auf den Kopf der kurz zuvor eingewechselten Carole da Silva Costa landete, flog der Ball aus sechzehn Meter Entfernung ins rechte obere Dreieck, vorbei an einer unsicher wirkenden Torfrau Alyssa Naeher (65.) zum 3:3 Ausgleich. Das Unfassbare folgte auf dem Fuß, denn Sekunden später erwischte die Weltklassespielerin Genoveva Anonma das runde Leder und schoss die Potsdamerinnen in die glückliche 4:3 Führung (66.)
 
Im Zusammenspiel mit Yuki Ogimi und Patricia Hanebeck positioniert sich Keelin Winters von Spiel zu Spiel zu einem zentralen Dreieck, welches sich abwechselnd aus dem tiefen Mittelfeld mit torgefährlichen Aktionen durch Kurzpassspiel nach vorne bewegt. Die Afrikanerin Genovea Anonma wirbelt phasenweise überraschend als Torverwerterin dazwischen und die Schottin Linda erhöht als schnelle Außenstürmerin die Drucksituation für die Gegner.

SGS Torfrau Lisa Weiß hält einen Kopfball von Patricia Hanebeck (auf dem Boden) – davor ihre Mitspielerinnen Caroline Hamann und Carole Da Silva Costa
Foto: Anke Viehl
 
Trotzdem war immer noch nicht klar, dass Turbine den Sieg nach Hause fahren würde - zu stark lauerten die SGS-Frauen immer noch auf Lücken in der Potsdamer Abwehr. In diesem Moment erkämpfte sich die achtzehnjährige mazedonische Nationalspielerin Natasa Andonova mit einem abgefälschten Schuss einen Eckball. Aus der darauf folgenden Verwicklung im Strafraum von Essen schob Keelin Winters nach Zuspiel der Japanerin Yuki Ogimi zur 5:3-Führung ein (71.).
 
Keelin Winters Tor war die endgültige Entscheidung, zu der Essens Trainerin Kirsten Schlosser bemerkte: „Das Tor hat uns das Genick gebrochen, danach sind wir nicht mehr zurückgekommen.“ Zwar steckten die „Ruhrpott-Ladys“ auch in Folge nicht auf, doch wirklich zwingende Tormöglichkeiten ergaben sich - für beide Seiten - in den restlichen Spielminuten nicht mehr. Mit fünf erzielten Treffern und einem 5:3-Endstand zogen die „Torbienen“ schließlich in die Achtelfinal-Runde des deutschen Cups ein.

Von links: Sabrina Döringhaus (SGS), Natasa Andonova (Turbine), Katharina Tarr (SGS), Yuki Ogomi (Turbine), Irini Ioannidou (SGS Essen)
Foto: Anke Viehl
 
Keelin Winters entwickelt sich immer mehr zum Publikumsliebling. Für die dreiundzwanzigjährige Amerikanerin bedeutete der Schritt nach Europa sicherlich eine kolossale Umstellung. Nach eigenem Bekunden hat Winters die Überschaubarkeit der Stadt Potsdam in ihr Herz geschlossen, die kosmopolitische Weltstadt Berlin in dreißig Minuten erreichen zu können findet sie sehr attraktiv. Die Nähe und die Atmosphäre des Olympiastützpunkts Potsdam, wo immerhin einige deutsche olympische Goldmedaillengewinner trainieren, beindruckt sie.
 
In der siebenwöchigen Saisonvorbereitungszeit erhöhte sie ihre Fitness. Das 3-4-3 Spielsystem mit intensivem schnellem Kurzpassspiel kannte sie bisher nicht. „Ich beschloss im Ausland zu spielen, weil ich meine fußballerischen Erfahrungen erweitern wollte und Neues lernen wollte”, bemerkte sie kürzlich in einem Interview mit “US-Soccer.” Sie wolle den “Killer-Pass” einüben, der die Angriffswelle durch die hintere Linie des Gegners vorantreiben kann. An Trainingslagern mit der US-Nationalmannschaft konnte sie auf Einladung der kürzlich zurückgetretenen Nationaltrainern Pia Sundhage mehrere Monate teilnehmen. Sie gehört seit dieser Zeit zum erweiterten Kader der US-Nationalmannschaft.
 
1. FFC Turbine Potsdam:
Alyssa Naeher – Heleen Jacques (69. Min.Yuki Ogimi), Stefanie Draws, Tabea Kemme, Sara Doorsoun – Keelin Winters, Patricia Hanebeck, Antonia Göransson (54.Min. Jennifer Cramer) – Lisa Evans, Genoveva Anonma, Natasa Andonova
 
SGS Essen:
Lisa Weiß – Sabrina Dörpinghaus, Vanessa Martini, Carole da Silva Costa, Katarina Tarr – Linda Dallmann. Ina Mester, Caroline Hamann ( 78. Min. Geldona Morina), Irini Ioannidou, Melanie Hoffmann, Isabelle Wolf, (60.Min. Ana Cristina Oliveira Leite) .
 
Schiedsrichterin: Katrin Rafalski (Bad Zwesten). – Zuschauer: 1310 – Tore: 0:1 Dallmann (8. Min.), 1:1 Anonma (24. Min.), 2:1 Anonma (26. Min.), 2:2 Ionannidou (50. Min.) 3:2 Winters (52. Min.), 3:3 Costa (65. Min.), 4:3 Anonma (66. Min.), 5:3 Winters (71. Min.)
 
Nach dem unglücklichen Ausscheiden des achtmaligen Pokalrekordmeisters 1. FFC Frankfurt werden am 17. und 18. November im Achtelfinale des DFB-Pokals folgende Begegnungen stattfinden:
SV Meppen - FC Bayern München -:- (-:-) TSV Crailsheim - Herforder SV -:- (-:-) 1899 Hoffenheim - 1. FC Lok Leipzig -:- (-:-) FCR 2001 Duisburg - VfL Wolfsburg -:- (-:-) 1. FC Köln - SC Freiburg -:- (-:-) Werder Bremen - FF USV Jena -:- (-:-) SC 07 Bad Neuenahr - Turbine Potsdam -:- (-:-) BV Cloppenburg - SC Sand
 
Zum aktuellen Aufgebot der amerikanischen Nationalmannschaft gegen die deutsche Auswahl am 21.10.2012 MEZ (1.06 Uhr TV-Live im ZDF) und 24.10.2912 MEZ (1.30 Uhr) wird keine der erfolgreichen amerikanischen Spielerinnen aus der deutschen Bundesliga gehören – auch nicht Keelin Winters. Nach dem Rücktritt von Pia Sundhage wird die bisherige Co-Trainerin Jill Ellis in den nächsten beiden Spielen gegen Deutschland interimistisch die US-Nationalelf coachen.

Fotocollage des NRhZ-Fotografen Dietmar Tietzmann aus Frankfurt
 
 
Nach deren Bekunden steht Ellis als Nachfolgerin von Sundhage nicht zur Verfügung, da sie sich weiterhin ihrer Hauptaufgabe als U-20 Trainerin widmen möchte. Sie wird aber Co-Trainerin der Nationalelf und „Youth Development Director“ bleiben. Mit der amerikanischen U-20 Nationalmannschaft wurde Ellis vor einigen Wochen in Japan gegen Deutschland Weltmeister.(wir berichteten). Laut Angaben des Präsidenten der USSF Sunil Gulati liegen etwa fünfundzwanzig bis dreißig Anfragen und Bewerbungen für die Nachfolge von Pia Sundhage vor. Eine Findungskommission sei beauftragt worden und führte schon erste Gespräche.
 
Auf die Journalistenfrage, ob ein nationaler US-Trainer favorisiert würde, antwortete Präsident Sunil Gulati am 5. Oktober: „Offensichtlich bringt ein amerikanischer Coach eine Reihevon Kenntnissen mit wie zum Beispiel über das amerikanische Spielsystem sowie das Wissen über das amerikanische Hochschulsystem und über den Jugendfußball. Zur gleichen Zeit kann aber eine internationale Trainerin oder ein Trainer eine andere Perspektive einbringen und in der Lage Dinge entwickeln, die ein amerikanischer Coach nicht einbringen kann, vor allem auf der Seite der Frauen, wo wir eine lange Erfolgsgeschichte an der Weltspitze aufweisen können.“ Und weiter: „Der Findungsprozess ist im Gange. Es gibt einige internationale Trainer und einige US-College-basierte Trainer.“
 
Vor der doppelten Kraftprobe mit dem Olympiasieger USA im Rahmen der amerikanischen National Fan Tribute Tour wird es für Bundestrainerin Silvia Neid erheblichen Redebedarf geben. Silvia Neid, angesprochen auf die neun Spielerinnen des 1. FFC Frankfurt, die fast die Hälfte der Nationalmannschaft stellen: „Nach dem Aus im DFB-Pokal werden sie nicht so gut drauf sein. Da werden Gespräche nötig sein.“ Und Neid weiter: „Wenn viele Spielerinnen aus einem Verein kommen und es dort nicht läuft, bringen sie die Probleme natürlich mit in die Nationalmannschaft. Es hat eben immer alles Vor- und Nachteile.“ Es bleibt jetzt abzuwarten, inwieweit das Chaos beim 1.FFC Frankfurt nicht auch Konsequenzen auf der Ebene der DFB-Nationalmannschaft haben wird. Die kommenden Freundschaftsspiele in den Vereinigten Staaten werden ein Prüfstein sein. (PK)
 
Fotobearbeitung: Dietmar Tietzmann, Frankfurt


Online-Flyer Nr. 376  vom 17.10.2012



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