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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Medien
Zur Insolvenz der Frankfurter Rundschau und der Financial Times Deutschland
Krokodilstränen literweise
Von Volker Bräutigam

Bundesweit wird die FR-Pleite als Verlust an Meinungsvielfalt beklagt. Von der Einfalt dieser Vielfalt ist kaum die Rede. Von Pressefreiheit gar nicht. „Der traditionsreichen linksliberalen Tageszeitung Frankfurter Rundschau droht das Ende. Der Verlag, der dem Kölner Medienhaus M. DuMont Schauberg MDS und der SPD-Medienholding DDVG gehört, stellte ... Insolvenzantrag“, meldete die Deutsche Presseagentur (dpa). Seither schwillt der Strom von Krokodilstränen, die über diesen Abgang vom Medienmarkt vergossen werden. Einhellig ist von einem Verlust für die Meinungsvielfalt in Deutschland die Rede. Sie enthält aber nur die Behauptung, es werde damit auch die Informationsfreiheit des Bürgers angekratzt. Unausgesprochen wiederum setzt das voraus, es gebe überhaupt eine Meinungsvielfalt, und bisher sei sie noch uneingeschränkt.
 

Emil Carlebach –
Kommunist und einer
der Gründer der
Frankfurter Rundschau
Kein Nekrolog kommt ohne Lüge aus. Sie dient normalerweise nur der Beschönigung zwecks Trostvermittlung. Im vorliegenden Fall allerdings auch dem Selbstbetrug und der Täuschung der Allgemeinheit. Von Meinungsvielfalt in der deutschen Presselandschaft kann schließlich nur noch sprechen, wer die Augen vor der Realität fest verschließt. Für die Informations-freiheit gilt das erst recht. Doch dazu später mehr.
 
Eine linksliberale Zeitung war die FR nur in ihren Anfangsjahren. Für das Adjektiv „links“ sei hier an den Kommunisten und Juden Emil Carlebach erinnert, der das KZ Buchenwald überlebte und als Mitgründer und Mitheraus- geber nach dem Zweiten Weltkrieg an der FR-Wiege stand, wenig später jedoch unter tätiger Mithilfe sozialdemokratischer Kollegen ausgeschlossen wurde. (1) Für das Merkmal „liberal“ sei der einstige Herausgeber Karl-Hermann Flach genannt, ein Mann, dem die FR letztlich zu verdanken hatte, dass sie schon vor dem Aufkommen der ApO, der Außerparlamentarischen Opposition, zum Stammblatt der bürgerlichen Linken avancierte und dann jahrelang deren "Zentralorgan“ war. In all jenen Jahren hatte die FR fraglos den Anspruch einer seriösen, überregionalen Tageszeitung. Sie war eine wichtige Quelle für Information, für bestimmte Informationen häufig nur die einzige Quelle, und stellte fall- und ansatzweise eine Bühne für Gegenöffentlichkeit dar.
 
Mitschuld der SPD
 
In den ungezählten Nekrologen, die seit dem Insolvenzantrag auf die FR verfasst wurden, ist nachlesbar, aus welchen formalen Gründen es zu diesem Absturz kam. Vom mählichen Verlust ihrer Alleinstellungsmerkmale ist die Rede, vom Weggang bzw. der Trennung von hervorragenden Journalisten, zunehmendem Qualitätsverlust, ständig wachsendem Konkurrenzdruck, dem Aufkommen elektronischer Massenmedien, dem Verlust an regionaler und lokaler Kompetenz und damit verbundenem Leserschwund und Anzeigen-Rückgang. Die Liste der Mängel, an denen die FR vor allem nach der Übernahme der Anteilsmehrheit durch den Kölner Verlag M.DuMont Schauberg litt, ist ebenso lang wie jene der gescheiterten Therapieversuche.
 
Die FR, so, wie man sie in den späten 60ern und 70ern des vorigen Jahrhunderts kannte, gibt es seit langem nicht mehr. Das Käseblatt, dem nun das Aus bevorsteht, hat mit der alten FR nichts mehr gemein, nicht einmal mehr das Format, in dem es gedruckt wurde. Hauptschuldiger am Niedergang ist der Miteigentümer SPD. Erstens, weil eine Zeitung im Mit-Eigentum einer Partei keinen Anspruch auf Überparteilichkeit geltend machen kann und die FR davon keine Ausnahme bildete. Zweitens, weil besagte Partei weder willens noch in der Lage war, Information von ihrem Warencharakter zu befreien. In der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist aber auch Information nur ein Kaufgut und wird nicht als das betrachtet, was sie sein sollte: Grundlage und Voraussetzung für eine unabhängige Meinungsbildung und damit konstitutiv für die Demokratie.
 
Das „gepflegte Kurz und Klein“
 
Drei überregional bekannte bürgerliche Autoren, die sich zum vorläufigen Ende der FR äußerten, sollen hier auszugsweise zitiert sein.
Wolfgang Lieb, Sozialdemokrat und Mitherausgeber des Internet-Portals NachDenkSeiten: „Mit personellen Kahlschlägen allein lässt sich ein Zeitungsverlag nicht retten und ohne eine eigenständige Redaktion lässt sich keine profilierte Tageszeitung halten. ... Eine Zeitung, die im Wesentlichen nur noch aus einem geborgten "Mantel" besteht, kann auf Dauer nicht mehr verhüllen, dass unter dem Mantel kaum noch eigenständige Inhalte stecken. ... Der Niedergang der FR ist exemplarisch für den Niedergang des Journalismus insgesamt. ... Die Überzahl der Lobbyisten, sog. "Think-Tanks" und der Public Relation-Agenturen bestimmt immer mehr die Themen und Inhalte der Medien. Die von den elektronischen Medien ausgehende Personalisierung von Politik und das dort gepflegte "Kurz und Klein" der Berichterstattung greift immer mehr um sich. Das Aktuelle gewinnt immer mehr Überhand vor dem Wichtigen. ... Die Presse verliert ihre Wächterrolle und damit ihre gesellschaftliche und demokratische Bedeutung. ...“
 
Michael Spreng, TV-präsenter Medienberater von Unionspolitikern, einst Chefredakteur des Kölner Express aus dem DuMont-Verlag und in gleicher Funktion im Springer-Verlag tätig gewesen: „Jeder Titel weniger ist ein Verlust für die Presselandschaft und die Meinungsvielfalt. Aber die FR von früher ... gab es schon lange nicht mehr. Die Zeitung wurde so lange zurechtkonfektioniert, bis sie sich selbst überflüssig machte. ... die personelle Auszehrung, der Verlust an namhaften, analyse- und meinungsstarken Journalisten – all das konnte nur zum Niedergang führen.“
 
Werner D'Inka, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ: "Die Basislektion lautet: Gratismahlzeiten gibt es nicht. Wer für guten Journalismus nicht gutes Geld ausgeben will, liefert sich dem Kommerz und den Suchmaschinen aus, die gierig sind auf unsere Daten. Und wenn die letzte anständige Zeitung verschwunden ist, bleibt nur noch das Geschwätz."
 
"Die Presse verliert ihre Wächterrolle"
 
Diesen Kommentatoren ist bei aller sonstigen Unterschiedlichkeit ein Betrachtungswinkel gemeinsam: Gute Information hänge von qualifizierten Journalisten ab und habe deshalb ihren Preis. Allein Wolfgang Liebs Hinweis, das FR-Ende sei exemplarisch für den Niedergang des bundesdeutschen Journalismus’, sowie sein Schluss, „die Presse verliert ihre Wächterrolle und damit ihre gesellschaftliche und demokratische Bedeutung“ indizieren eine vertiefte Betrachtung. Was er dazu auf seiner Internet-Seite schrieb, ist außerordentlich lesenswert.
 
Der Vollständigkeit halber wollen wir Liebs Betrachtung aber ergänzen. Das seit Jahrzehnten stattfindende "Zeitungssterben“, der Niedergang von Politikzeitschriften wie z.B. Der Spiegel und Stern sowie die Geburt von Monopolblättern haben eine zentrale Ursache: Medienunternehmen sind bestimmender Teil des kapitalistischen System, nicht unabhängig davon. Folgen/Erscheinungsformen dieses Systems: Ausbau der Parteien- und Lobbydiktatur, Große Koalitionen, politische Rechtsdrift, neuerliche deutsche Großmannsucht, NATO- und Atlantik-Option, Neubewertung des Kaiser- und des Hitlerreichs, Verinnerlichung des Kapitalismus in der Spaßgesellschaft, Betonung des individualistischen, nicht-solidarischen Selbstverständnisses, all dieses und vieles Vergleichbare sich abbildend in einer Verflachung der Medienkultur. Das Banale verdrängt das Wesentliche.
 
Unterstützt wird der Gesamttrend von traditioneller deutscher Bereitschaft zur Selbstzensur. Kritischer Journalismus ist allenfalls noch im Lokalen und im Bereich des Persönlichen gefragt; man denke an die Berichte über den Berliner Flughafen und an Steinbrücks Honorare. Ansonsten wird Nachrichtenagenturdreck gern und billig übernommen, vorzugsweise solcher nach USA-Vorbild. Der passt zur Amerikanisierung der Lebensgewohnheiten, der Sprache und des gesamten "outlooks" der Menschen und unserer Gesellschaft.
 
Das Grundgesetz
 
Artikel 5, Absatz 1, unseres Grundgesetzes soll vermittels garantierter Presse- und Rundfunkfreiheit die Freiheit der Meinungsbildung schützen: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
 
Den glaubwürdigsten - und vermutlich auch bekanntesten - Kommentar zu diesem hehren grundgesetzlichen Anspruch verfasste 1965 der konservative Leitartikler Paul Sethe, übrigens ein Mitbegründer der FAZ: "Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. ... Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher."
 
Das Ideal der wahren, umfassenden Freiheit der Presse hat seinen Ursprung in der Aufklärung. In Deutschland, anfangs des 19. Jahrhunderts ein Flickenteppich von Monarchien und bis heute ein Staat der politisch zu spät Gekommenen, war das Ideal noch zu Zeiten umstritten, als Karl Marx für die Rheinische Zeitung (2) schrieb. Zum Versuch, die Pressefreiheit gesetzlich der Gewerbefreiheit zuzuordnen, argumentierte er 1842, dass dies zwei unterschiedliche Arten von Freiheit seien, die nicht einander untergeordnet werden könnten, sonst würde man „die Pressefreiheit (…) verteidigen, indem man sie vor der Verteidigung totschlägt.“ Aus diesem Artikel stammt auch Marx' berühmtes Zitat: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.“
 
Kommerz korrumpiert
 
In der Bundesrepublik Deutschland, die ihrem Grundgesetz nach ein freier, demokratischer und sozialer Rechtsstaat sein müsste, ist die Presse seit jeher nicht mehr als ein Gewerbe. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, ins Leben gerufen jenseits von Profiterwägungen, wurde schon bald nach seiner Gründung von parteipolitischen und Wirtschaftsinteressen unterhöhlt und wird seit der Zulassung des mit ihm konkurrierenden Kommerzfunks beständig korrumpiert. Einige wenige Zeitungen und Zeitschriften - genannt seien hier beispielhaft die Tageszeitung junge Welt und die Politikzeitschrift Ossietzky - ringen in einem Meer von journalistischem Einheitsbrei ums Überleben und finden Aufmerksamkeit nur bei einer Minderheit von Lesern. Das Internet bietet noch Zeitungen wie der NRhZ die Option der Pressefreiheit. Noch! Die FR als gedruckte Zeitung hatte diese Option schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ihre Pleite ist nur ein formaler Verlust, kein inhaltlicher. In Rede ist nicht das Ende der Pressefreiheit in Deutschland, sondern nur der Konkurs eines Wirtschaftsunternehmens, das der Vermarktung einer Ware diente, die angeblich Information enthielt.
 
Auch die Nachrichtenagentur dapd wurde insolvent
 
Was hier wirklich Sache ist, macht ein zur FR-Pleite paralleler Vorgang bei den Hauptlieferanten von journalistischem Einheitsbrei deutlich: Die US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und die Deutsche Presse-Agentur (dpa) haben eine langfristige Kooperation vereinbart. Der Dumme in dem Spiel ist die ohnehin schon insolvente Nachrichtenagentur dapd. Dabei war dieses Unternehmen erst vor gut zwei Jahren nach Fusion der Nachrichtenagentur Deutscher Depeschendienst (ddp) mit der deutschen Abteilung der Associated Press von den Finanzinvestoren (!) Martin Vorderwülbecke und Peter Löw gegründet worden.

Und auch die FTD macht dicht

Übrigens wird auch die Financial Times Deutschland ihr Erscheinen einstellen, teilte der Verlag Gruner & Jahr vorigen Freitag mit - schon am 7. Dezember. Das Ende der FTD ist mit der FR-Pleite allerdings nur sehr bedingt vergleichbar. Zum einen wird sie einfach eingestellt, ein Insolvenzverfahren ist nicht vorgesehen. Zum anderen, weil die FTD kein Traditionsblatt ist, für niemanden. Sie ist erst seit zwölf Jahren „auf dem Markt“, aber eben, da haben wir schon wieder unser Stichwort: Das pinkfarbene Blatt bot eine Ware feil, für die es nicht genug Kunden fand, es war seit seiner Einführung nie profitabel, enthielt zwar viele informative und kritische Beiträge, vor allem verließen einige seiner Kommentatoren öfter mal den wirtschaftspolitischen Mainstream. Lucas Zeise beispielsweise las man gern und regelmäßig. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb konnte es sich gegen die konkurrierende Billigware nicht behaupten. ALDI schlägt Fachgeschäft, Semmelfabrik verdrängt Meisterbäcker.

Ihre Herausgeber sehen eben in der FTD ein Produkt, das sich nicht rentierlich verkaufen ließ, und in solchen Fällen kennt der Kapitalist zwei Lösungen: Das fragliche Institut an einen Dummen verkaufen, der es versuchsweise weiterführt (und meist etwas später krachend vor die Wand fährt), oder die Produktion einstellen und den fraglichen Unternehmensteil dichtmachen, (wenn sich kein Dummer findet). Vor solche Alternativen stellt der Kapitalist unsere Gesellschaft so lange, bis die sich das nicht mehr gefallen lässt und die Welt verändert, statt nur ihr Leiden zu beklagen.
 
Wir ersehen daraus erstens: Beim deutschen Informationswesen handelt es sich - anders als bei der Gründung der FR - nicht um ein Instrumentarium zur Entwicklung freier und begründeter Meinung. Sondern um einen Markt, auf dem Profit gesucht wird. Und zweitens: Ein schwere Kelle an Pseudo-Information, mit der uns die Leitmedien übergießen, wird demnächst direkt aus US-amerikanischen Giftkesseln geschöpft.
 
Von wegen: „Die erste Freiheit der Presse ist, kein Gewerbe zu sein.“ (PK)
 
(1) Einen Clip aus einem Dokumentarfilm über Emil Carlebach, einem der Gründer der FR, von PeterKleinert finden Sie in dieser NRhZ-Ausgabe.
 
(2) Die Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe wurde am 1. Januar 1842 in Köln, Preußen, gegründet und am 31. März 1843 durch die staatlichen Behörden verboten. Nachfolgerin war in den Jahren 1848 und 1849 die Neue Rheinische Zeitung, die ebenfalls verboten wurde.

Volker Bräutigam schreibt für die Zeitschrift Ossietzky, Nachfolgerin der "Weltbühne", die dem deutschen Journalismus zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur Ehre gereichte. Ossietzky orientiert sich strikt an diesem Vorbild. (s.a. http://ossietzky.net). Seine literarische Figur eines sarkastisch stänkernden Laubenpiepers lässt er in seinem Buch „Die Falschmünzer-Republik - Von Politblendern und Medienstrichern“ ausgiebig zu Wort kommen. Illustriert ist es mit Karikaturen von Klaus Stuttmann. (Scheunen-Verlag, Kückenshagen, 2009, 308 S., ISBN: 978-3-938398-90-6. Bestellungen: info@scheunen-verlag.de )
Diesen Beitrag verfasste der Autor auf Wunsch der DKP-Wochenzeitung Unsere Zeit und hat uns dessen Veröffentlichung genehmigt.


Online-Flyer Nr. 382  vom 28.11.2012



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