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Literatur
Buchtipp: Alf Rolla: "Liebe 2.0"
Schöne neue befriedete Welt
Von Karl Feldkamp

Praktizierter Sex in der Öffentlichkeit wird, wenn Alf Rolla in seinem Roman die Zukunft richtig deutete, in wenigen Jahrzehnnten keinen Tabubruch mehr darstellen. Er - und seine Romanfiguren - nennen es klinken. Und alle tun es überall dort, wo sich Gelegenheiten dazu bieten - auf Polstergarnituren in Restaurants und in klimatisierten Bahnhöfen, in Parks und sogar auch noch in Privatwohnungen.
 
Aber nicht nur Sex sondern möglichst alle Lebensäußer- ungen werden überwacht durch installierte Kameras des allgegenwärtigen Friedensamtes für Nationale Sicherheit, das Deutschland als schöne neue befriedete Welt regiert.
Zwangsläufig lautet der vorgeschriebene Gruß zwischen deutschen Bürgern „Frieden“.
Inzwischen haben das herrschende Klima und dessen tropische Temperaturen den Meeresspiegel stark ansteigen lassen. Und Münster wurde nach einer mächtigen Flut zu einer Küstenstadt an der Nord- see.
Computer werden durch Gedanken bedient und Überschallgeschwindigkeitszüge, die durch unterirdische Tunnel rasen, verbinden Kontinente. Ab dem Airport Datteln City werden sogar regelmäßig Flüge zum Mars angeboten.
Verkehrsmittel werden von Robotern gefahren und die Polizei setzt ebensolche menschenähnlichen technischen Wunder als Freund und Helfer, vor allem aber als Kontrolleure ein.
Immerhin hat die Liebe überlebt. Zwischen Paaren unterschiedlichen und gleichen Geschlechts. Und Ben Kratzenstein, einer der Protagonisten, liebt sogar seinen Klon, der vom Friedensamt gezüchtet und zunächst in einem Kloster versteckt wurde.
Sina Schlüter, die „Regentin“ der Zeitung Emscher Kurier saß wegen Mordes viele Jahre im Gefängnis. Nach ihrer Entlassung findet sie eine Umwelt vor, die sich durch Technik und Elektronik vollkommen verändert hat. Selbstverständlich bedeutet es für sie eine erhebliche Mühe, sich in dieser „schönen neuen“ Welt zu orientieren oder gar mit deren durchaus komfortablen Errungenschaften umzugehen.
Auch ihre Zeitung – vor dem Gefängnisaufenthalt noch aus Papier – hat sich längst zu einem elektronischen und vom allgegenwärtigen Friedensamt für Nationale Sicherheit kontrollierten Medium entwickelt.
Die inzwischen 90-jährige „Regentin“ will sich damit nicht abfinden und das, was heute noch Pressefreiheit genannt wird, wieder herstellen.
Dazu flieht sie mit einer Mitarbeiterin nach Österreich, das sich noch manche Freiheiten und Traditionen bewahrt hat.
Von dort aus steuert sie eine Protestbewegung, die schließlich so stark wird, dass sie das rechtslastige diktatorische System in Deutschland stürzen kann.
Nach ihrer Rückkehr in die befreite deutsche Heimat muss sie feststellen, dass ein vom neuen Regime geschaffenes Bürgeramt für die neue Ordnung in Deutschland die Bürger und ihre Freiheiten wiederum einschränkt.
Der Roman endet: „Ja, so etwas wie das Trageverbot für Sonnenbrillen klang natürlich an den Haaren herbeigezogen, aber es war Realität. In Deutschland im Jahr 2040.“


Autor Karl Feldkamp
Foto: privat
Alf Rolla gelang ein gesellschaftskritischer Liebesroman mit zum Teil ironischen Anspielungen auf aktuelle und zukünftige politische, gesellschaftliche sowie technische Entwicklungen, deren Folgen in seinem Buch kritisch hinterfragt werden. Es verweist auf die keineswegs neue Erkenntnis, dass Macht stets nach mehr Machtfülle verlangt, selbst wenn die Machthaber ausgetauscht werden. Ein Zukunftsroman, der nicht nur unterhalten will, obwohl er äußerst unterhaltend daherkommt. (PK)
 
Alf Rolla: "Liebe 2.0 – Verliebt in den eigenen Klon", Traumstunden Verlag, Essen 2012, 261 Seiten, € 9,95


Online-Flyer Nr. 391  vom 30.01.2013



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