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Lokales
Verurteilung im Prozess wegen Messerattacke auf Walter Herrmann
Der dritte Zeuge
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Am späten Nachmittag des 17. Mai, dem trüben bedeckten Christi Himmelfahrts-Tag im vergangenen Jahr 2012, erscheint an der Kölner Klagemauer vor dem Dom, dem Ort wo ständig ein herber Wind bläst, tief dekolletiert die etwa 40jährige Exil-Iranerin Zuleika A. (Name geändert). Als sie den Platz eine knappe Stunde später in Handschellen verlässt, ist Blut geflossen. Bei der Verhandlung der Strafsache vor dem Kölner Amtsgericht am vergangenen Montag, dem 28. Januar 2013, ist sie geständig und erhält ein mildes Urteil.


Walter Herrmanns genähte Wunde – kurz nach der Messerattacke am 17.5.2012
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com

Beweisaufnahme:

Gegen 17.30 Uhr am 17. Mai 2012 sei die Angeklagte bei der Klagemauer erschienen und wollte ein mitgebrachtes Poster anbringen, indem sie es auf eine bestehende Karte aufklebte. Dagegen schritt der Verantwortliche für die Klagemauer-Installation ein und entfernte das angebrachte Plakat „vorsichtig, um das Darunterliegende nicht zu beschädigen“. Zuleika A. umkreiste mehrmals (aufgeregt, nach Zeugenaussagen wie unter Drogen stehend) die Klagemauer und hinderte Besucher der Klagemauer daran, sich in das ausliegende Gäste- und Unterstützerbuch einzutragen. Dann machte sie sich an einem Palästinenserschal zu schaffen, der unterhalb einer Tafel mit dem Bild und Ausspruch des ehemaligen Botschafters und Resistance-Kämpfers Stéphane Hessel angebracht war, um das Tuch zu entfernen. Mit einem Messer? Nein, ein Messer habe sie nicht gehabt.

Walter Herrmann will dies verhindern. Es kommt zu einem Handgemenge, in dessen Folge eine etwa acht Zentimeter lange, stark blutende Wunde an Hermanns linkem Handgelenk klafft. In der Aufregung des nur wenige Minuten sich abspielenden Schaustücks gibt die Angeklagte lautstark wirre Äußerungen von sich: Mohammed sei ein Kinderschänder, er vergehe sich an 9jährigen Mädchen, Michel Friedman werde es schon richten, die Salafisten seien im Kommen, aber man werde „die Kanaken ausräuchern“ und den „Rest erledigt PRO NRW“. Beobachter und Zeugen rufen die Polizei, die kurz darauf eintrifft. Ebenso ein Notarztwagen. Die Angeklagte leide unter Epilepsie, habe aber ihr Medikament am Morgen ordnungsgemäß eingenommen. Sie ist zu 100 Prozent schwerbehindert. Von Beruf ist sie Buchhalterin.


Walter Herrmanns Hand mit der Narbe – am Tag der Verhandlung am 28.1.2013

Die Angelegenheit wäre möglicherweise keiner großen Rede wert und kaum vor Gericht gelandet, wenn nicht der Klagemauer-Betreiber Walter Herrmann eine Wunde davongetragen hätte, die lebensbedrohlich knapp an der Handschlagader vorbeigerissen war. Messer oder nicht war also die Frage. Und im Verlauf stellte sich die Frage ob die Körperverletzung beabsichtigt (gefährlich) oder nicht (fahrlässig) zugefügt worden sei.


Zu den prominenten Unterstützern der Kölner Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung zählt der Botschafter und Humanist Stéphane Hessel, 93 Jahre alt, Franzose mit jüdischen Wurzeln, Widerstandskämpfer in der Resistance gegen die Nationalsozialisten, Überlebender des KZ Buchenwald, der letzte noch lebende Mitverfasser der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen im Dezember 1948 in Paris

Zeuge Nr. 1:

Walter Josef Herrmann, am vergangenen Samstag 74 Jahre alt geworden (die Richterin gratuliert nachträglich), Sozialpädagoge. Er habe sich mit der Angreiferin nicht anlegen wollen, da er sie als behindert erkannt habe. Nachdem sie den Tatort in Richtung U-Bahneingang verlassen hatte und wieder zurückkam, habe er ihr einen Platz auf einem Kübel angeboten. Er selbst habe auch keine Anzeige erstattet, weil er dachte, es ginge ihr schlecht. Auf die Frage der Richterin, ob Herrmann Zeugenauslagen geltend machen wolle, lautet seine Antwort schlicht: NEIN.

Zeuge Nr. 2:

Klaus Hermann Josef Franke, 69 Jahre, von Beruf Bäcker jetzt Rentner, schildert die Angeklagte als „nervös“ und „aufgebracht – wie unter Tabletten“ mit „aggressivem Ton“. Aus seiner Erfahrung als Sozialarbeiter in einer Behindertenwerkstatt seien ihm ähnliche Verhaltensweisen vertraut. Er schildert seine Beobachtung, wie die Frau mit einem Schweizer Taschenmesser mit Schere und Schneide sich an der Kordelkonstruktion der Klagemauer zu schaffen macht und versucht, das Palästinertuch abzusägen. Walter Herrmann habe sie daran hindern wollen. In dem Handgemenge sei es möglicherweise unbeabsichtigt zu der Verletzung gekommen. Auf Nachfragen der Verteidigerin liefert Klaus Franke eine Beschreibung des Messers. Nach Frankes Aussagen haben Zeugen die Angeklagte, die sich „20 bis 30 Meter zur U-Bahn“ wegbewegt habe, festgehalten. Ob er Auslagen gehabt habe, fragt die Richterin: Zeuge Nr. 2 überlegt kurz und sagt „Ja“, schüttelt dann den Kopf: „Ach nee“.

Die Verteidigerin berät sich daraufhin mit der Angeklagten. Die Richterin unterbricht die Beweisaufnahme für einige Minuten. Nachdem beide den Verhandlungssaal wieder betreten haben, erfolgt unerwartet ein Geständnis: Ja, sie habe ein Messer gebraucht.

Ende einer Beweisaufnahme - Zeuge Nr. 3:

Der etwa 46jährige freiberuflich tätige Mann ägyptischer Herkunft, wird ungehört entlassen, obwohl er als Unbeteiligter das Geschehen sehr eindeutig und plastisch schildern kann. Er war es auch, der die Polizei und den Notarzt herbeigerufen hat. Während die beiden angehörten Zeugen Milde walten lassen wollten, hätte die Aussage des Zeugen Nr. 3 noch ein Gewicht über die Schwere der Tat zum Ausdruck bringen können – mit dem Ergebnis, dass es sich um eine vorsätzliche Körperverletzung gehandelt haben könnte.

Die Täterin wird wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Das vom Staatsanwalt beantragte Strafmaß von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro wird von der Richterin ausgesprochen. Es hätte nach § 229a StGB bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe ergeben können. Das letzte Wort im Saal hat die Angeklagte. Sie haucht: Alles was passiert sei, tue ihr leid.

Der überwiegende Teil der Zuhörerschaft der öffentlichen Verhandlung ist mit dem Urteilsspruch weitgehend einverstanden. Und auch die betroffenen, als Zeugen gehörten Klagemauerbetreiber hegen keine weiteren Ansprüche geschweige denn Rache. Sie sei nicht die alleinige Täterin, sie sei lediglich Werkzeug. Die Hintermänner seien woanders zu suchen.

Auffallend ist die Anwesenheit einer Person, die über Jahre gegen Walter Herrmann, die Klagemauer und Kritiker der israelischen Politik üble Hetze betreibt. Und auffallend ist, dass diese Person in Kontakt zu der Verurteilten steht – auch vor und nach der Verhandlung mit ihr im Gespräch ist und daraus resultierend veröffentlicht, dass die Verurteilte ihm gegenüber das Geständnis zurückgenommen habe.

Opfer werden zu Tätern

Die DuMont-Presse kann nicht umhin, über die Tatsache der Verurteilung zu berichten, bezeichnet den Angegriffenen dabei – in der online-Veröffentlichung – als „Dauerprotestler“ und „Dauerdemonstrant“. Da wird der gutbürgerliche Leser (wie in allerbesten 68er Springer-Presse-Zeiten) zu dem Ergebnis kommen dürfen, das geschehe ihm nur recht. In der Druckausgabe für den folgenden Tag wird der „Dauerprotestler“ zum „Aktivist“ begnadigt. Außerdem habe ihm: „besonders seine einseitige Stellungnahme im Nahost-Konflikt“ schon Anzeigen „wegen Volksverhetzung eingebracht.“, „berichtet“ das sich als „unabhängig und überparteilich“ bezeichnende Medium, ohne klarzustellen, dass etwaige Anzeigen als unbegründet abgewiesen wurden. Er schlägt noch tiefer in die Kerbe: Doch am Montag habe er „nicht als mutmaßlicher Straftäter“ vor Gericht gestanden, sondern als Opfer.

In der Bildzeitung erscheint am Tag nach dem Prozess ein Kurzartikel mit zwei Bildern. Darauf zu sehen sind eine hilflose, diesmal seriös verhüllte Angeklagte mit Krücken, bei der man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie sie mit dem Messer losgeht, und Walter Herrmann, der frontal nach Angabe der Fotografen in die Kamera posiert. Die Hand wolle man sehen. Ja, so ist es gut. Von der Narbe ist nichts zu erkennen, dafür eine Handhaltung in Positur. Die Bildsprache münzt das Opfer in den Täter um. Folgerichtig steht unter seinem Foto das Strafmaß eingeblendet. Ein Schelm, der Böses, gar noch Böseres dabei denkt.


Friedensfahne über der Klagemauer mit Schriftzug in hebräisch und arabisch – Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehem. Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, an der Klagemauer, 17.11.2010: „Im Namen meines Vaters: ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen. Menschenrechte sind unteilbar, auch für die Palästinenser.“

Der Publizist Erhard Arendt, der das Ergebnis der Strafverhandlung auf palaestina-portal.eu unmittelbar veröffentlicht hat, wird – wie er seit geraumer Zeit selbst dokumentiert – am darauf folgenden Vormittag wieder einmal mit einer telefonischen Gewaltandrohung belästigt: „Was wir beim Herrmann nicht geschafft haben, werden wir bei dir noch schaffen, Du Dreckschwein". (PK)


Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann sind Mitglieder des Aachener Friedenspreis e.V. und des Bundesverbands Arbeiterfotografie.



Online-Flyer Nr. 391  vom 30.01.2013



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