NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

Fenster schließen

Lokales
Wie das Problem Kölner Autonomes Zentrum doch noch zu lösen wäre
AZ vor Heuchel-Mord?
Von Franco Clemens

"Die Problematik rund um das Kölner Autonome Zentrum (AZ) erfreut sich inzwischen einer allgemeinen Heuchelei von allen Seiten, die dem wichtigen Anliegen dieses Freiraums am Ende den Tod bringen kann. Gewalt ist neuerdings ein merkwürdig d-e-h-n-b-a-r-e-r Begriff geworden", teilt uns der Autor eines Briefes an die AktivistInnen und UnterstützerInnen des AZ mit, den wir im Folgenden veröffentlichen. Franco, der vor Jahren gelegentlich für die NRhZ schrieb, habe sich im Laufe der Jahre "vom Straßenmusiker zum Streetworker" entwickelt, der "für jeden ein offenes Ohr" hat. Mit diesem vor ein paar Monaten veröffentlichten Artikel hatte der Kölner EXPRESS ausnahmsweise mal recht.
 

Franco Clemens
NRhZ-Archiv
Bisher hat es weder Gewalt gegeben noch kann ein Aufruf zur "Verschönerung" der Privathäuser einzelner Politiker als solche gewertet werden. Dies ist maximal ein Aufruf zur Sachbeschä-digung, wenn es sich dabei z.B. nicht um Kreidemalerei sondern um Graffity mit schwer entfernbarer Farbe handeln würde. Davon war in dem Aufruf jedoch nicht die Rede.

Prinzipiell sind dieser Aufruf und die Veröffentlichung der Privatadressen einzelner Politiker zwar zu verurteilen, allerdings in einer Zeit, in der der Staat systematisch über das Internet seine Bürger illegal ausschnüffelt, wird die Politik damit leben müssen dass auch die Bürger in Zukunft ebenfalls alles über ihre Politiker wissen wollen. So auch, wo und wie sie wohnen, was sie verdienen, was sie gelernt haben, mit wem sie klüngeln, in welchen Vorständen sie sitzen, für wen sie arbeiten etc. Diese Informationen dienen dazu, besser einschätzen zu können, ob ihre Entscheidungen im allgemeinen Interesse des Volkes stattfinden oder von einzelnen Interessengruppen zu Lasten der Allgemeinheit gesteuert werden.
 
Einmal kurz gegoogelt
 
Letzteres war jahrzentelang schließlich auch in Köln an der Tagesordnung, wie die Fälle Müllverbrenngsanlage, Messeskandal, Köln-Arena etc. zeigen. Gerade weil aber der Staat selbst mit illegitimen Mitteln im Privatleben der Bürger rumschnüffelt und diese kriminalisiert, ist die Angst der AZ-Besetzer gut zu verstehen, selbst nicht als Verhandlungspartner namentlich in Erscheinung zu treten, sondern über die Gruppe abgesichert anonym zu agieren. Denn wer weiß, in welcher Kartei man sonst landet und wie sich das auf das zukünftige Berufsleben auswirkt. Z.B. als angehender Sozialarbeiter, Pädagoge oder Lehrer in den Duktus von Linksextremismus eingeordnet oder mit einem läppischen Joint in der Hand erwischt zu werden, kann bei der heutigen gesellschaftlichen
Stimmungslage sowie der multimedialen Vernetzung von Institutionen und der ewigen Onlinepräsenz von Medien unter Umständen bedeuten, niemals mehr einen Job zu finden. Einmal kurz gegoogelt und der Arbeitgeber weiß: "Ahh, Sie haben doch damals vor 20 Jahren mal ein Haus besetzt oder ein Haschischbäuerchen gemacht."
 
All dies zeigt nur, wie weit die Bürger/innen bereits paranoiisiert sind, sodass sie sich nicht mehr trauen offen zu ihrer Meinung zu stehen und bei ihren Beratungen und Sitzungen sogar die Batterrien aus den Handys nehmen.
 
Köln ist aber nicht Berlin oder Frankfurt, und wir sollten alle versuchen, die "KÖLNER KULTUR" nach dem Motto "Et hätt noch emmer joot jejange" weiterzupflegen. In keiner Großstadt Deutschlands ist es einfacher direkte Gespräche mit der Politik zu führen, weil bisher die "GEWALTLOSIGKEIT" dafür gesorgt hat, dass fast alle unsere Politiker - egal von welcher Partei - für alle BürgerInnen nahbar geblieben sind. Gerade deshalb nun KREUZ GERADE oder Mut zur Meinung! Weil die Zeit so ist wie sie ist, fordere ich die Besetzer auf, sich öffentlich zu outen und im "Gesamtkontext der Gesellschaftskritik" als verbindliche Verhandlungspartner für die Politik aufzutreten, um zu versuchen die Interessen der "Gruppe" wahrzunehmen. Das heißt aber auch, sich gegebenenfalls wegen "Selbstschutz" im Sinne der Sache von destruktiven unberechenbaren Kräften innerhalb der eigenen Gruppe zu trennen, die der Sache und Gruppe schaden. Denn in dem Moment, in dem einzelne Vertreter der Gruppe namentlich als Sprecher in Verantwortung gehen, trägt die Gruppe Verantwortung für die Sprecher in Form von Verbindlichkeit. Ein Lernprozess, der auch bei den GRÜNEN noch aussteht, die - anstatt ihre eigenen Entscheidungen einfach plötzlich wieder zu revidieren um dann die SPD als alleinige "BÖSE ONKELS" ins offene Messer laufen zu lassen - aufgefordert sind, Verbindlichkeiten zu schaffen.  
 
Apropo, hammer widder Wahlkampf?
 
Die Grünen haben am Anfang die Entscheidung, das Gelände räumen zu lassen, im Rat mitgetragen und sind dann plötzlich umgeschwenkt, sodass nun die SPD-Ratsleute als alleinige "BÖSE ONKELS" öffentlich dastehen. Hätten die Grünen die Entscheidung erst gar nicht mitgetragen, wäre die Situation heute ein ganz andere. Es scheint aber wieder Wahlkampf zu sein, und da wird dann wieder um die Klientel geworben.
 
"Hartz 4" läßt grüßen - auch mit Blick auf die Grünen, die uns das damals mitbeschert haben, auch wenn am Ende nur die SPD dafür die Quittung bekommen hat und erst nach Jahren nun alle "heuchelnd" mit Kritik an der CDU ein "Nachsteuern" anmahnen. FAZIT: Die Kölner Grünen stehen nun besonders in der Verantwortung, das AZ wo und wie auch immer noch möglich zu machen. Die Begründungen für ein "Pro & Contra" zum Autonomen Zentrum plätschern an der Oberfläche!

Protest vor dem Rathaus
NRhZ-Archiv
 
Aus Sicht sehr vieler Menschen ist der ungezügelte Kapitalismus das eigentliche Übel dieser Welt, und alle Mahnungen, dass er am Ende die Menschen zu Hungerlöhnen ausbeutet und dabei Grundrechte verletzt werden, haben sich in Deutschland schmerzhaft bewahrheitet.

Inzwischen in Europa alternativlos werden die Menschen vom Staat über Politik, Instutitionen und Wirtschaft "entrechtet & vergewaltigt". Damit werden die Menschen gezwungen, sich ggf. selbst auszubeuten und anzupassen und über schon kleinste staatliche Hilfestellungen wie z.B. ergänzende Sozialleistungen trotz Arbeit (zu Hungerlöhnen) bereits völlig transparent zu machen -  bis dahin, dass sie abhängig vom Staat in einen absurden Armutskreislauf gedrückt
Werden, aus dem sie Zeit ihres Lebens nicht mehr rauskommen. Aus diesem Grund sind "Freiräume" wie ein Autonomes Zentrum ein wichtiger Beitrag auch zur Erhaltung des "Inneren Friedens", da sie auch den Austeigern als "Minderheit" eine Existenzberechtigung einräumen.
 
Damit baut der Staat automatisch auch Spannungen in den Kreisen von gebildeten Menschen ab, die tatsächlich das Potenzial hätten, sich aus ihrer Not heraus irgendwann politisch motiviert und organisiert aufzumachen, und sich der Herrschenden zu entledigen und dazu das Prekeriat im Schlepptau mitzunehmen. Dies weil insbesondere immer mehr gebildetere junge Menschen oder ältere Verlierer im Wettkampf um Ausbildung und gerecht bezahlte Arbeit nicht mehr bereit oder in der Lage sind, sich den Gegebenheiten anzupassen. Die Freiräume geben ihnen aber dennoch die Möglichkeit ein bescheidenes alternatives Leben jenseits einer perfiden Leistungsgesellschaft zu leben, deren Mytos vom einem "sich selbst regulierenden Markt und einer sozialen Marktwirtschaft" inzwischen entzaubert ist, da uns seit Jahren bereits die menschenverachtende Frazze eines Endzeitkapitalismus angrinst, der sich unter dem Strich europaweit schlichtweg nicht mehr rechnet. Die bildungsfernen Schichten kann man dabei mit Repressionen und systematischer Gewalt sowie einem Almosen, das zu wenig zum Leben aber zuviel zum Sterben ist, ruhig halten, die Gebildeten aber eben nicht.
 
Deshalb unterstütze ich die Forderung der Autonomen nach einem FREIRAUM in Köln, der den Namen auch verdient, wobei ich den bestehenden "Standort" durchaus in Frage stelle, wenn dafür ernste Gespräche und Alternativen von der Politik angeboten werden.
 
Ein abschließendes Wort zur "JUGENDARBEIT"
 
Sorry - aber wer eine offene Jugendarbeit im AZ anstrebt, der muß zur Kenntnis nehmen, dass dabei entsprechende Qualitätsstandarts gelten müssen und das pädagogische Handlungsfeld klar umrissen sein muß, u.a. abgedeckt durch ein entsprechendes Berichtswesen, das der Kontrolle der Kommune unterliegt. Dazu zählen auch Dinge wie die Klarnamen der Protagonisten, eine entsprechende Ausbildung der Hauptamtler und ein amtliches Führungszeugnis.

Von Räumung bedroht – das AZ in Köln-Kalk
NRhZ-Archiv
 
Ereignisse wie sie z.B. damals bei der Besetzung des Barmer Blocks, die den ehrenwerten Initiatoren zuweilen aus dem Ruder gelaufen waren, passiert sind, dürfen nicht wieder passieren. Der "Schutz des Kindeswohls" hat oberste Priorität und insbesondere minderjährige AusreisserInnen müssen nicht nur gemeldet werden, sondern im AZ dann einen besonderen "Schutzraum" haben, begleitet von integeren Personen mit einem pädagogischem Handlungsauftrag. Insofern sind solche "speziellen Fälle" weiterhin z.B. gut beim SSK Mühlheim aufgehoben, wo man auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen kann
und auch die ganzen Fallstricke kennt.  
 
Es ist noch nicht zu spät !
 
Aus einigen informellen Gesprächen mit Politikern und einflussreichen Bürgern dieser Stadt habe ich den Eindruck gewonnen, dass es durchaus noch Lösungen geben kann und Gespräche möglich sind. Der Kölner Bürgerfunk bzw. der "undressierte Autor" dieses Beitrags kann dabei eine "Brücke" zu ersten Kontaktgesprächen sein, wenn sich verbindliche Ansprechpartner finden lassen, die bereit sind, mit ihrem Klarnamen die Interessen des AZ zu vertreten. Eine Sendung im Bürgerfunk wäre als erster Aufschlag dafür vielleicht eine gute Gelegenheit, ungeschnittene unzensierte "O-Töne" zu produzieren. (PK)
 
Meine Kontaktadresse ist der Redaktion bekannt und kann dort angefragt werden.
Mit solidarischen Grüßen,
Franco Clemens


Online-Flyer Nr. 414  vom 10.07.2013



Startseite           nach oben