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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Der Markt regelt alles: Zu Gunsten seiner Beherrscher
Freie Monopolwirtschaft
Von Harald Schauff

Es war einmal und wird immer noch verkündet: Das Märchen vom freien Markt, der uns allen "Wohlstand" bringt, wenn man ihn nur machen lässt. Der Glaube an den freien und ‘fairen’ Wettbewerb zählt immer noch eine Menge Anhänger. Diese gehören zumeist zu den Profiteuren des darauf fußenden Wirtschaftssystems. Oder stehen zumindest nicht auf der Verliererseite. Anders als Milliarden von Menschen, die täglich mit weniger als 1 Dollar auskommen müssen und keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Oder Millionen hierzulande, die nicht mehr wissen, woher sie das Geld für ihre Mieten nehmen sollen und an Suppenküchen Schlange stehen. Dürftig besser stehen die Massen von lohnabhängig Beschäftigten und Selbstständigen da, welche die Abgabenlast schultern dürfen, die Konzerne und Großunternehmen auf sie abwälzen. Wo gibt es hier das Gleichgewicht der Kräfte, das die Marktideologie verspricht? Wäre daran etwas Wahres, wozu braucht es dann Wettbewerbshüter, die darauf achten, dass überhaupt so etwas wie Wettbewerb statt findet?

Suppenküche – angekommen nach dem schlange stehen
Quelle: ORF
 
Der Anspruch des Marktglaubens und die wirtschaftliche Realität wollen nicht so recht zusammen passen. Wenn sie es je taten, so hat sich dies Ende des 19. Jahrhunderts erledigt. Da wurde die freie Konkurrenz vom Monopolkapitalismus grosser Industrie-Trusts abgelöst. Von der freien Konkurrenz blieb ein Minimal-Wettbewerb unter den marktbeherrschenden Großfirmen und das Gerangel kleinerer Zulieferer um deren Gunst.
 
Seither machen die Marktbeherrscher rigoros politischen Einfluss geltend, um sich Vorteile zu verschaffen und weiter zu wachsen. Man zahlt Schmiergelder und wendet alle möglichen Tricks an, um Aufträge vor der Konkurrenz zu ergattern. Über ein aktuelles Beispiel berichtete "frontal 21" (1): Es ging um das Geschäft mit Kfz-Nummernschildern, das bundesweit von den Preiskartellen großer Schilderketten bestimmt wird. Diese lassen sich von Städten und Gemeinden kräftig helfen bei der Durchsetzung ihrer überhöhten Preise. Die Großen der Branche bauen den Zulassungsstellen geeignete Gebäude, welche sie dann zumeist günstig an die Behörden vermieten. Dafür sichern sich die Großfirmen im Gegenzug die besten Standorte für ihre Filialen, nämlich direkt bei den Zulassungsstellen. Die finanziell klammen Kommunen spielen das Spielchen willig mit. In die Röhre schauen PKW-Besitzer, die die überteuerten Schilder kaufen und kleinere Anbieter, die zwar günstiger sind, jedoch nicht so schnell ins Auge fallen, weil weiter abgelegen.
 
Das Gekungel zwischen Großfirmen und Behörden bzw. Politik ist keine ganz neue Erscheinung und auch keine Erfindung des Neoliberalismus. Es existiert, seitdem die Konzerne ihre Monopolstellungen verfestigten. Bereits während des Ersten Weltkrieges versuchte man seinen Einfluss geltend zu machen: Wirtschaftsvertreter legten dem damaligen Kriegskanzler Bethmann-Hollweg im Juni 1915 Kriegszielpläne vor, nach denen das Baltikum, Polen und die Ukraine den deutschen Herrschafts- und Wirtschaftsraum angegliedert werden sollten.(2)
 
Im Zweiten Weltkrieg legten Konzerne wie Daimler-Benz und die Firma von Friedrich Flick mit Hilfe des NS-Regimes den Grundstein für ihr späteres, blühendes Nachkriegsgeschäft. Man profitierte nicht nur von der Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen. Man hatte darüber hinaus seine Vertreter in den Ausschüssen der zuständigen Ministerien sitzen, wo sie dafür sorgten, dass man sich die Aufträge vor der Konkurrenz sicherte.
 
Auf der anderen Seite des Globus lief es ähnlich. Der koreanische Konzern Samsung (koreanisch: "Drei Sterne") ist weltführender Halbleiterproduzent und beliefert u.a. Apple. Außerdem ist man Marktführer bei Smartphones, Flachbildschirmen und Fernsehgeräten. Daneben einer der größten Maschinenbauer und Chemieproduzenten. Kaum zu fassen, dass auch dieser gigantische Mischkonzern einmal klein angefangen hat. Als Lebensmittelhandel. Damit begann der Firmengründer Lee Byung Chull 1938 seine Geschäfte. Was nur wenige wissen: Er tat dies mit Hilfe der japanischen Besatzer. Dieses Detail blendet die Firmen-Legende eben so gern aus wie den Umstand, dass dem Konzern später die massive Unterstützung des koreanischen Diktators Park Chung Hee zuteil wurde. Jener sorgte dafür, dass Samsung Grundstücke überlassen wurden. Darüber hinaus erhielt der Konzern nicht nur Subventionen, Steuervorteile und Kredite: Um ihn vor lästiger Konkurrenz zu schützen, wurde der koreanische Binnenmarkt abgeschottet. Der Konzern ist ein Produkt der Diktaturzeit und wird bis heute als solcher straff geführt.(3)
 
Zu dem, was man heute ist, wurde man nicht aus eigener Stärke bzw. weil man so "wettbewerbsfähig" war, sondern weil politisch kräftig nachgeholfen wurde. Solche Beispiele und Werdegänge offenbaren: Die Zeiten, wo Unternehmen sich unter vergleichbaren Voraussetzungen im freien Kräftemessen gegenüber standen, waren spätestens Ende des 19.Jahrhunderts vorüber. So fern es sie jemals richtig gab, da die Nationalstaaten ihre Industrien von Beginn an durch Zölle schützen. Seitdem wird die "Freiheit des Marktes" am lautesten von dessen monopolistischen Beherrschern gepredigt. Also ausgerechnet von denen, die ihr nicht so wirklich ausgesetzt sind, wenn sie es jemals waren. Im Endeffekt fordern sie nichts weiter als freie Bahn für ihre Geschäfte und ihr Streben nach Maximalprofit.
 
Der Freiheitsbegriff der Marktideologie entstammt der Denkschule des Liberalismus. Diese machte sich im Laufe ihrer Entwicklung durch mehrere Revolutionen hindurch vom 16. bis zum 19. Jahrhundert vehement für die Freiheit des Individuums stark und zog gegen Intoleranz und politischen Absolutismus zu Felde. Allerdings meinte sie immer nur bestimmte Individuen: Weiß, bürgerlich und gut situiert. Sklaven und Ureinwohner der Neuen Welt zählten dagegen nicht einmal als Menschen. An der Spitze der amerikanischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts standen liberale Siedler und Sklavenhalter. Deren proklamierte Freiheitsrechte, die sie der britischen Krone entgegen schmetterten, schlossen nicht alle Menschen ein, sondern richteten sich auf eine kleine Zahl von eher Begüterten, die sowohl staatsbürgerlich als auch religiös zu den "Erwählten" gehörten. Für den Rest der Menschheit galt, was Hugo Grotius (1583-1645), ein viel zitierter Vordenker des Liberalismus einmal bemerkte: „Es gibt Menschen, die Sklaven von Natur sind, dazu geboren, Knechte zu sein.“ So weit und nicht weiter ist es mit dem Liberalismus her. Dazu passt, dass ein weiterer liberaler Vordenker, der englische Philosoph John Locke, Aktionär der Royal African Company war, der damaligen Nummer Eins im Sklavenhandel(4).
 
Eine kritische Aufarbeitung der Geschichte des Liberalismus ergibt, dass diese Denkrichtung sich nicht unbedingt mit demokratischen Prinzipien deckte, so sehr sie auch die individuelle Freiheit hervor heben mochte. Sie stand nie ausgrenzenden, menschenverachtenden Denkmustern entgegen, sondern förderte wertmäßige Abstufungen. Sie hat so auch dem Faschismus und Rassismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein gutes Stück des Weges geebnet.
 
Ihre neoliberale bzw. marktideologische Nachfolgerin hält es kaum besser. Sie trennt sauber die Spreu der sozial Schwachen, die sie als faul, nichtsnutzig, ungebildet und unfähig einstuft, vom Weizen der im mehrfachen Sinne besser verdienenden "Leistungsträger", die sie als vorbildlich hofiert. Sie fördert die soziale Spaltung durch ständige Umverteilung von unten nach oben und wirft den Verlierern dieser Entwicklung vor, selbst schuld zu sein an ihrer misslichen Lage. Den von Monopolen beherrschten "freien Markt" verkauft sie immer noch als Garant von Gerechtigkeit und allgemeinem Wohlstand. "Freiheit" ist bei ihr restlos zu einer verlogenen Worthülse verkommen. Konkret gemeint ist bei näherer Betrachtung immer nur eine Freiheit: Die des Geldbeutels. Je besser dieser gefüllt, desto freier die Person. (PK)
 
(1) ZDF; 13.8.2013
(2) Quelle: Chronik des 20. Jahrhunderts; westermann
(3) Informationen: Le Monde Diplomatique/ Juli 2013).
(4) Infos: Le Monde diplomatique/ Juli 2013
 
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner "Straßenzeitung Querkopf". "Querkopf" ist "eine Mitmachzeitung von kritischen Menschen, denen die gezielte Meinungsmache der allgemeinen Presse gegen den Strich geht. Das Organ für alle, die sich gegen die Willkür der Mächtigen zur Wehr setzen, denen Macht- und Geldinteressen ein Dorn im Auge sind. Mach auch Du Deinem Ärger über die herrschenden Verhältnisse Luft im Querkopf!" Wer "Querkopf" verkaufen möchte: Im Kiosk am Kölner Salierring 15 gibt es die Zeitung von 7-2 Uhr für Verkäufer, die vom Verkaufspreis 1.50 Euro 0,75 Euro erhalten.


Online-Flyer Nr. 428  vom 16.10.2013



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