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Medien
Die soziale Frage, immer wieder – Gedenkartikel eines junge Welt-Redakteurs
Werner Pirker ist tot
Von Christof Meueler

Werner Pirker hatte eine Wut. Die wurde in den 70er Jahren noch groß geschrieben, als er in Frankfurt am Main Politikwissenschaften studierte. Und er hatte sehr viel Humor. Du bist aus Hessen? »Von Hanoi bis nach Offenbach kriegt der Ami eins aufs Dach«. War ich jetzt der Ami? Eher nicht, auch wenn ich viele Sachen anders gesehen habe als er. Das war uns aber egal, wir waren ja in derselben Zeitung und des Öfteren im selben Wirtshaus. Da saß er dann abends und las die Ausgabe von morgen akribisch durch. Das Wichtigste an einer Tageszeitung ist immer die Ausgabe von morgen. Deshalb blieb auch der Kommentarplatz in der Donnerstagausgabe nicht leer, nachdem die Redaktion am Mittwoch erfahren hatte, dass Werner in Berlin verstorben war.
 

Werner Pirker
Foto: Belinda Wolff
Verstanden haben Werner und mich die wenigsten – rein akustisch, weil wir sehr nuscheln. Das war wie ein Running Gag, vor allem, wenn wir uns unterhielten. Ein weiterer Running Gag war der, daß Werners Gegner innerhalb der Linken sich weigerten, zu verstehen, was er wollte – gerade weil sie in den 70er Jahren dasselbe verfochten wie er: die Weltrevolution. Und das hieß für den Nahen Osten ein vereintes, sozialistisches und säkulares Palästina. Ich habe ihm gesagt, okay, aber muss man deshalb immer wieder davon anfangen? Natürlich, meinte er, oder bist du etwa ein Realpolitiker?
 
Werner war immer für Parteilichkeit. Nicht Partei für die Intellektuellen ergreifen, sondern für die Schwachen, Armen, Fix-und-Fertigen. Und damit wurde er für Freund und Feind der wichtigste Autor der jungen Welt. – Keiner schrieb die Kommentare so wie er: filigran und dialektisch, präzise und direkt. Dabei bediente er die Tastatur wie ein Klavierspieler, der eine Ballade darbringt. Klingelte das Telefon, konnte er sich ungeheuer erschrecken.
 
Werner war ein großer Stilist, er hasste schlechte Texte, Schaufensterreden und Larifaritum, vor allem elitären Opportunismus. Ein typischer Witz von ihm: »Der Genosse Stalin wird gefragt, was ist gefährlicher: der Linksopportunimus oder der Rechtsopportunismus? Der Genosse Stalin antwortet: Der Linksopportunismus und der Rechtsopportunismus ist gefährlicher!«
 
Werner kannte die verschiedenen Pointen der Arbeiterbewegung aus eigenem Erleben. Als junger Mann war er in Wien im Vorstand einer trotzkistischen Gruppe, später ließ er seine KPÖ-Mitgliedschaft ruhen, weil die Partei ihm außerhalb des erfolgreichen Landesverbands in der Steiermark zu postmodern schien. Schon in der Grundschule war er bei den »Sturmvogerln«, der Kinderorganisation der KPÖ, für die sein Vater als Funktionär arbeitete. Der hatte unter den Nazis das KZ überlebt. Anders als in Deutschland hatte es in Österreich antifaschistische Partisanen gegeben – in Kärnten, wo Werner 1947 geboren wurde. Wenn er in Stimmung war, sang er gerne deren Lieder. Das war alte Schule, auch wenn es diese alte Schule nicht mehr gab. Und so kam es, dass der Leninist Werner Pirker die Auflösung der Sowjetunion aus allernächster Nähe verfolgte: als Moskau-Korrespondent der Volksstimme, der Parteizeitung der KPÖ. Dort hatte er in den 70er Jahren in der Sportredaktion angefangen. Er konnte sogar noch stenographieren.
 
In den 90er Jahren hat Werner in Artikeln für Konkret sehr anschaulich beschrieben, wie Teile des alten Parteiapparates die KPdSU und den Staat auffraßen, indem sie das Volksvermögen nach Mafiamanier privatisierten und zu Oligarchen wurden. Über diese Analysen gelangte Werner dann zur jungen Welt und wurde 1995 Redakteur für Außenpolitik. Er beteiligte sich an diversen Kämpfen um die Zeitung, die hier aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden können. Doch immer ging es ihm dabei zuerst um die soziale Frage und erst dann um die Bewusstseinsbildung. Aus dieser Motivation waren in den 70ern noch linke Stadtteilgruppen gegründet und soziale Zentren geschaffen worden, ganz so, wie Ton Steine Scherben gesungen hatten: »Komm rüber, Bruder, reih dich ein, / komm rüber Schwester, du bist nicht allein. /Komm rüber Mutter, wir sind auf deiner Seite, / komm rüber, Alter, wir woll’n das gleiche«. Später galt das den Exlinken als eine obszöne Vorstellung.
 
Werner fand dagegen den Imperialismus so widerwärtig wie schon 1968. Davon ist er nie abgerückt. Als er stellvertretender Chefredakteur der jW war, hießen die Überschriften der Inhaltsankündigungen auf Seite eins täglich »Krieg – Krieg – Krieg – Krieg«, solange die NATO 1999 Jugoslawien bombardierte. Zur Beschreibung des fortgesetzten Bruchs des Völkerrechts erfand er den Begriff des »Völkerrechtsnihilismus«, mittlerweile der Normalzustand im westlichen Militarismus. Zu den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 schrieb er: »Nach der terroristischen Großoffensive gegen die USA läuten sämtliche Kirchenglocken des christlichen Abendlandes. Doch die Botschaft ist keine barmherzige, sondern eine des militanten Christentums. Sie verheißt der arabisch-islamischen Welt Blut und Tränen. Solidarität mit den USA wird nach diesem terroristischen Schwerstverbrechen wieder zur ersten Bürgerpflicht erhoben.« Und genau so kam es. Daß diese Zeitung konstant gegen diese Politik kämpft, hat sie der Wut des Werner Pirker zu verdanken. (PK)


Christof Meueler ist junge Welt-Redakteur und hat diesen Nachruf dort zuerst veröffentlicht.


Online-Flyer Nr. 422  vom 22.01.2014



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