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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Lokales
Kölner SSM wendet sich wegen MÜLHEIM 2020 an das Betrugsdezernat der EU
Jetzt reichts! OLAF!
Von Rainer Kippe

Jahrelang hat sich die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) die Finger wund geschrieben, um die Behörden zum Einschreiten bei dem Projekt MÜLHEIM 2020 zu veranlassen.(1) Egal was die Organisation vortrug und an wen sie sich wendete, alles war angeblich okay. Die Stadt Köln brauchte die gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligung für das EU-Förderprogramm angeblich nicht zu machen, sie brauchte die Starterprojekte nicht umzusetzen, konnte die Regeln für die Bürgerprojekte nach Belieben bei laufendem Verfahren ändern, konnte die Hälfte der Einwohner im Veedelsbeirat ausgrenzen, brauchte das vorgeschriebene Controlling nicht einzurichten, konnte gar alles um drei bis vier Jahre aufschieben. Für die Aufsichtsbehörden, die sonst den Bürger bis aufs Blut schurigeln und kujonieren, war alles ins Belieben der Stadt Köln gestellt.

Als Kölns SPD-Oberbürgermeister Jürgen Roters (rechts) noch „MÜLHEIM 2020 auf der Zielgeraden!“ jubelte...
NRhZ-Archiv
 
„Neue“ Programmziele
 
Im Herbst 2013 zeichnete sich ein neues Manöver ab: Da die Wirtschaftsförderung erst ein Jahr vor Programmschluss eingerichtet worden ist, konnten die strengen Ziele des EU-Förderprogramms unmöglich erreicht werden. Nicht weniger als 4.764 neue Arbeitsplätze hätten geschaffen werden müssen, um die Zahl der Arbeitslosen und erwerbsfähigen HilfebezieherInnen nach SGB II an den städtischen Durchschnitt heranzuführen. Unmöglich, wenn man mit der Wirtschaftsförderung erst im Frühjahr 2013 beginnt und die Arbeitsprojekte von SSM und Jugendhilfe ersatzlos streicht.
 
Potemkinsche Dörfer
 
Um das Problem zu lösen, mussten nun die grobe Kelle her. Die Programmziele wurden einfach umgeschrieben. Statt geschaffener Arbeitsplätze zählen nun die vermittelten Arbeitnehmer, mit 365 immer noch viel zu wenig. Und statt Arbeit zu finden, soll es jetzt bereits genügen, an Qualifizierungsmaßnahmen teilgenommen zu haben. Das bei der Lokalen Ökonomie eingesparte Geld - immerhin 12 Millionen - wurde zum Teil gar nicht erst abgerufen, zum Teil aber auch zum Straßenbau hin umgeleitet, der von 8,3 auf 14,9 Millionen anwuchs.
 
MÜLHEIM 2020 auf der Zielgeraden? Diesen Etikettenschwindel feierte Kölns SPD-Oberbürgermeister Roters geradezu hymnisch als Erfüllung der Programmziele. „MÜLHEIM 2020 auf der Zielgeraden“, jubelte er, und die Kölner Hofpresse des Zeitungskonzerns M. DuMont Schauberg jubelte mit. Nicht eine Frage wurde von diesen Journalisten auf der Pressekonferenz gestellt.

Protest der SSM, als Kölns OB Jürgen Roters MÜLHEIM 2020 im Stich gelassen hat
NRhZ-Archiv
 
Gentrifizierung statt Arbeit
 
Nun zeichnet sich ab, was SSM und die „Kampagne rettet unsere Veedel“ von Anfang an befürchtet hatten: Der Mülheimer SPD geht es überhaupt nicht mehr um die Mülheimer Arbeitslosen, die seit den Massenentlassungen bei F&G und KHD auf Arbeit warten, denn diese Menschen haben Schröder, Riester und Fischer ja schon 2004 zur ARGE „entsorgt“.
Hier geht es nur noch darum, Mülheim für die neuen, aufstrebenden Mittelschichten attraktiv zu machen, die in die schicken, teuren Wohnungen auf die alten Hafengelände und die Industriebrachen am Rhein ziehen. Und dafür sind natürlich noch mehr Autos nötig. Für sie muss auch der Verkehr immer weiter ausgebaut werden, denn Mobilität ist für die neuen Gewinner alles. Die Umweltvorschriften werden nicht beachtet, die alten Wohnviertel werden durch Lärm und Feinstaub unbewohnbar.
 
Das Schweigen im Walde
 
Die Rechtsaufsicht in Land und Bund macht das alles mit, weil es ja die Landes- und Bundesregierung sind, welche die Kommunen verfassungswidrig durch die Aufbürdung von immer neuen Kosten in den Ruin treiben. Immer mehr Kommunen in NRW gehen pleite und unterliegen dem sogenannten „Haushaltssicherungsgesetz“ und müssen sich wie halbwüchsige Teenager jede Ausgabe vom Regierungspräsidenten genehmigen lassen. Straßen verfallen, Brücken drohen einzustürzen, Schulen verwahrlosen, seit Fischer und Schröder in der ersten rot-grünen Koalition die Steuern für Reiche und Großunternehmen strichen. Seither ist es üblich, klamme Kommunen auf die Fördertöpfe der EU zu verweisen, wo sie sich ja angeblich Geld holen können.
 
Entsprechend niedrig ist die Bereitschaft bei Bund und Land, die Einhaltung der EU-Vorschriften zu überwachen. Die EU wiederum muss ihrem größten Nettozahler jedes Jahr Milliarden zurück überweisen, um die Deutschen bei Laune zu halten. Deshalb überlässt sie die haushaltsrechtliche Prüfung den eigentlich Begünstigten, den nationalen Behörden.
 
Jetzt hilft nur noch OLAF
 
Die Umlenkung der Mittel und die Abänderung der Programmziele verstoßen aber gegen bindende Vorschriften der EU und des Landes selbst. Und gegen die Zweckentfremdung von EU-Mitteln gibt es seit einigen Jahren eine eigene Behörde. Die heißt OLAF, was französisch ist und bedeutet: „Office Européen de Lutte Anti-Fraude“, zu deutsch: „Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung“. Diesem Amt hat die SSM nun die Verstöße gegen EU-Recht gemeldet und die EU-Beamten in Luxemburg aufgefordert, einzugreifen.(2) Außerdem geht dieses Schreiben auch an den Europäischen Rechnungshof, den Bundesrechnungshof, den Landesrechnungshof und die Vorsitzende des EU-Haushaltsausschusses, Frau Dr. Gräßle.
Sie alle müssen die Vorwürfe prüfen und einschreiten, wenn festgestellt wird, dass EU-Recht verletzt worden ist.

KandidatInnen der MÜLHEIMER BÜRGERLISTE bei den Wahlen am 25. Mai
Quelle: Sozialistische Selbsthilfe Mülheim
"Wer soll das bezahlen?" fragen viele bei der Stadt Köln und in Mülheim. Wird die Stadt, wenn sie zahlen muss, nicht die Kosten den anderen armen Viertel aufbürden, sich das Geld sagen wir in Chorweiler holen? Dieser Milchmädchenrechnung, die aus dem ewigen deutschen Duckmäusertum, der alten angeborenen Harmoniesucht, dem deutschen Untertanengeist und vorauseilendem Gehorsam gewachsen ist, sagen SSM, Rettet unsere Veedel und die Mülheimer Bürgerliste jetzt den Kampf an. Sie fordern
 
Das Ende der Bescheidenheit
 
Wir Mülheimer fordern endlich, was uns zusteht, und die anderen Veedel sollen es uns gleich tun. Köln besteht nicht nur aus Lindenthal, Marienburg und der Innenstadt. Es kann nicht sein, dass rund um den Dom ein Prestigeprojekt ans andere stößt, dass jedes Jahr ein neues Museum eröffnet wird, während in den Randbezirken die Infrastruktur verfällt und der soziale Wohnungsbau verkümmert.
 
"Die Stadt gehört allen"
rufen wir den BürgerInnen zu und fordern sie auf, mutig ihre Rechte einzufordern.
Die Wahl der MÜLHEIMER BÜRGERLISTE am 25. Mai wäre ein guter Schritt dahin. (PK)
 
(1) SSM hat am 24.1.2013 in Berlin den Preis »Soziale Stadt 2012« erhalten. Die Jury hob hervor, dass auch „lange bevor der Begriff „Soziale Stadt“ zu einem Synonym für Stadtteile „mit besonderem Entwicklungsbedarf“ wurde, sich hier engagierte Menschen aufgemacht haben, um aus eigener Kraft ihre eigenen Lebensverhältnisse wie auch die von anderen dauerhaft zu verbessern. Die Jury zeigte sich beeindruckt von „dem hohen Engagement, der Selbstmotivation, und der beharrlichen Ausdauer, mit der die »Sozialistische Selbsthilfe Mülheim« basisdemokratisch lokale Ökonomie vor Ort gestärkt und weiterentwickelt, Projekte zur Hilfe und Selbsthilfe aufgebaut und ihr Quartier damit stabilisiert hat. Die Jury hob hervor, dass in kooperativer Zusammenarbeit mit anderen Vereinen und Institutionen aus Hilfebedürftigen selbstbewusste Beitragende für das Gemeinwesen vor Ort werden, kreativ über die scheinbaren Grenzen ihrer Möglichkeiten hinaus.
(2) Seit seiner Gründung im Jahr 1999 konnte das OLAF 3.500 Ermittlungen abschließen – mit folgendem Ergebnis: über 1,1 Milliarden Euro flossen in den EU-Haushalt zurück und es wurden Haftstrafen von insgesamt 900 Jahren verhängt.
 
Rainer Kippe war 1979 einer der Mitgründer der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim und ist nun auch einer der 13 KandidatInnen der MÜLHEIMER BÜRGERLISTE bei den Wahlen am 25. Mai für die Bezirksvertretung Köln-Mülheim.


Online-Flyer Nr. 455  vom 23.04.2014



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