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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Inland
Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor fordert Grundrechtsschutz
Beim Thema Überwachung nicht aufgeben!
Von Peter Kleinert

Die Auftaktkundgebung der Demonstration "Freiheit statt Angst - Aufstehen statt Aussitzen" startete am Samstagnachmittag vor dem Brandenburger Tor in Berlin. "Wir freuen uns, dass gerade 6.500 Menschen vom Brandenburger Tor losgezogen sind. Damit konnten wir zeigen, dass wir auch jenseits eines Bundestagswahlkampfs massenhaft mobilisieren können", so padeluun von Digitalcourage e.V., Mitorganisator der Demonstration.


Kundgebung "Freiheit statt Angst - Aufstehen statt Aussitzen"
Quelle: https://freiheitstattangst.de/das-buendnis-2014/
 
"Die generelle, anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten ist weder mit dem Grundrecht auf Privatsphäre noch mit dem Grundrecht auf Datenschutz vereinbar", betonte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar und forderte ein komplettes Verbot der Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene. Peter Schaar sagte weiter: "Es stellt sich die Frage, ob die heute eingeschulte Generation in einer Welt aufwachen wird, die durch totale Überwachung gekennzeichnet ist."
 
Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk fragte: "Wo bleiben die deutschen Whistleblower?" und stellte klar: "Entsprechende Gesetzesänderungen sind überfällig! Dann wären Mitarbeiter geschützt, die zu illegalen Machenschaften ihrer Behörde nicht länger schweigen wollen", und weiter: "Aufrechte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei den Behörden, die Unrecht und gefährliche Entwicklungen öffentlich machen, sollen nicht um ihr Wohlergehen fürchten müssen."
 
Rolf Gössner, Sprecher für die Internationale Liga für Menschenrechte, beklagte, dass der Generalbundesanwalt auf Ermittlungen wegen Massenüberwachung durch Geheimdienste verzichtet - aus vorgeblichem Mangel an konkreten Hinweisen. "Das ist Realitätsverleugnung hart an der Grenze zur Strafvereitelung im Amt!" Jubel bekam Gössner für seinen Aufruf zu mehr Whistleblowing und Zivilcourage: "Was wir brauchen: Einen Snowden im BND und im Verfassungsschutz!" Gössner forderte schließlich die komplette Auflösung der Geheimdienste - eine Forderung, die auf lautstarke Zustimmung der Demonstrierenden stieß.
 
Jacob Appelbaum, amerikanischer Datenschutz-Aktivist und Journalist, verstärkte die Forderungen seiner VorrednerInnen, indem er verlangte: "Alle Staaten müssen die grundlegenden Menschenrechte respektieren!" und "Leak more documents!"
 
"Massenüberwachung – das ist Gift für eine parlamentarische Demokratie und Honig für das Totalitäre", stellte anschließend Christoph Bautz von Campact klar und richtete sich direkt an die Bundeskanzlerin: "Frau Merkel, bei diesem Skandal geht es nicht um Ihr Handy, bei diesem Skandal geht es auch nicht um einen Spion, bei diesem Skandal geht es darum, dass unser aller Handys überwacht, wir alle ausspioniert werden. Ihr Drumrumreden und Herunterspielen, Ihr Aussitzen und sich vor Konsequenzen drücken, das haben wir gewaltig satt!" Hierfür gab es große Zustimmung - die sich bestens in eine praktisch-parodistische "Rückensportübung für die Kanzlerin" umsetzen ließ: für mehr Rückgrat in der Politik turnten die Demonstrierenden zusammen mit einer Kanzlerinnen-Darstellerin.
 
Zur Demonstration "Freiheit statt Angst - Aufstehen statt Aussitzen" rief ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis von 81 Organisationen auf, unter anderem: der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung, Amnesty International, die Internationale Liga für Menschenrechte, Digitalcourage, der Verbraucherzentrale Bundesverband, die Neue Richtervereinigung, die Freie Ärzteschaft, Reporter ohne Grenzen, Campact und der Chaos Computer Club.
 
Auf der Abschlussveranstaltung vor dem Brandenburger Tor sprachen ab 17:30 Uhr Wieland Dietrich von der Freien Ärzteschaft, Astrid Goltz von der Humanistischen Union, Sebastian Schweda von Amnesty International, Theodora Becker vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen sowie Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen.
 
Mit Musik und Reden endete die Demonstration "Freiheit statt Angst". Das Veranstaltungsbündnis freut sich über die gelungene Mobilisierung - mehr als 6.500 Menschen waren in Berlin auf die Straße gegangen und hatten gemeinsam unter dem Motto "Aufstehen statt Aussitzen" ein Zeichen für Grundrechte und gegen Massenüberwachung gesetzt.
 
Bei der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor wurden konkrete Aspekte von Überwachungsbedrohungen aufgegriffen. So erklärte Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft e.V., zur elektronischen Gesundheitskarte: "Es wird offenbar, dass bei der elektronischen Gesundheitskarte der Druck der Gesundheitsindustrie auf die Politik enorm ist! Es ist ein Skandal, dass nach deutschem Recht überhaupt Daten, die dem Sozialdatenschutz unterliegen wie Gesundheitsdaten, von Rechenzentren verkauft werden dürfen!" Auch Google mache mit diesen Daten Geschäfte. "Die elektronische Gesundheitskarte dient der Kontrolle der Bürger", kritisierte Dietrich.
 
Astrid Goltz von der Humanistischen Union nannte Fakten zu den Plänen der Bundesregierung für die Zukunft der Geheimdienste: "Im nächsten Jahr will die Bundesregierung den Etat des BND um 25 Prozent auf über 600 Mio Euro erhöhen." Goltz kritisierte diesen Kurs scharf und forderte stattdessen die Abschaffung der Geheimdienste: "Merkel und de Maiziere machen keinen Finger krumm, um uns vor der massiven Überwachung unserer Privatsphäre zu schützen. Nein, sie päppeln ihre Geheimdienste mit Millionen an Steuergeldern und wir Bürger/innen bezahlen für unsere eigene Überwachung. Das ist absurd!"
 
"Die Enthüllungen der letzten Monate haben der ganzen Welt eine dramatische Erosion des Rechts auf Privatsphäre gezeigt", warnte anschließend Sebastian Schweda von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Er rief die Menschen zur Solidarität auf und stellte klar: "Das Spiel, das hier gespielt wird, heißt nicht USA versus Deutschland oder die 'Five Eyes' gegen den Rest der Welt. Das Spiel, das hier gespielt wird, heißt Regierung versus Bürger! Lassen Sie uns beim Thema Überwachung nicht vorzeitig aufgeben! Die Zeit ist mit uns!"
 
Um die Bürgerrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern ging es in der Rede von Emy Fem vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. Die geplante Zwangsregistrierung von in entsprechenden Berufen tätigen Menschen sei hochproblematisch: "SexarbeiterInnen werden entmündigt. Die Große Koalition geht davon aus, dass SexarbeiterInnen nicht eigenverantwortlich handeln können, und zwar weil sie SexarbeiterInnen sind." Eine Zwangsregistrierung bringe Gefahren für die Betroffenen, etwa durch Stalker oder gewalttätige Kunden.
 
Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen richtete seine Worte besonders an Menschen, die Informationen haben, die die ganze Gesellschaft betreffen: "Wer bei den Geheimdiensten, in anderen Behörden oder in Unternehmen arbeitet und sieht, dass dort gegen Gesetze verstoßen wird: Lasst es uns alles wissen!"
 
Nach den Redebeiträgen spielten verschiedene Bands zum Demo-Ausklang. An zahlreichen Ständen am Rande der Demo informierten viele beteiligte Organisationen über ihre spezifischen Themen. In der Auftaktkundgebung hatten einige von ihnen bereits die Stärkung der Menschenrechte, Transparenz, Whistleblowerschutz und eine Abschaffung der Geheimdienste gefordert: "Massenüberwachung – das ist Gift für eine parlamentarische Demokratie und Honig für das Totalitäre" (Christoph Bautz, Campact); "Wo bleiben die deutschen Whistleblower?" (Annegret Falter, Whistleblower-Netzwerk); "Leak more documents!" (Jacob Appelbaum, Journalist, torproject.org). Anschließend war der Demonstrationszug durch das Berliner Regierungsviertel gezogen.
 
Insgesamt haben sich 81 Organisationen am Veranstaltungsbündnis beteiligt und zu der Großdemonstration aufgerufen. Vertreten waren unter anderem der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung, Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur, Attac Deutschland, Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, Campact – Demokratie in Aktion, Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, Katholische junge Gemeinde, Deutscher Fachjournalisten-Verband, Deutsche Journalistinnen- und Journalisten Union (dju) in ver.di, Giordano Bruno Stiftung, Amnesty International, Digitalcourage, der Verbraucherzentrale Bundesverband, die Neue Richtervereinigung, die Freie Ärzteschaft, Reporter ohne Grenzen, Campact und der Chaos Computer Club. Die Gesamtliste der beteiligten Organisationen ist hier abrufbar: https://freiheitstattangst.de/das-buendnis-2014/
(PK)
 


Online-Flyer Nr. 474  vom 03.09.2014



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