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Inland
Gauck und Merkel empfangen den Emir von Qatar in Berlin
Das Ende einer Epoche III
Von Hans Georg

Berlin drängt das Emirat Qatar zur Anpassung seiner Außenpolitik an die neuen Prämissen der westlichen Nah- und Mittelostpolitik. Wie es vergangenen Mittwoch anlässlich eines Besuchs des Emirs bei Bundespräsident Gauck und Bundeskanzlerin Merkel hieß, müsse Qatar jegliche Finanzierung der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) unterbinden. Die Forderung kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die militärische Expansion des IS Interessen des Westens verletzt; zuvor war seine Finanzierung, die vor allem aus Saudi-Arabien erfolgte, im gemeinsamen Kampf gegen die Regierung Syriens nie in Frage gestellt worden.

Qatars Emir, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani.jpg
Quelle: Wikipedia/Chuck Hagel
 
Zudem heißt es nun, Qatar solle seine Unterstützung für islamistische Milizen in Libyen einstellen. Seine Hilfe für die libyschen Milizen hatte Doha 2011 in Abstimmung mit dem Westen gestartet, als die NATO Bodentruppen für den Krieg gegen Gaddafi suchte. Weil sie jetzt - ähnlich wie der IS - westlichen Interessen zuwider handeln, sollen sie gestoppt werden. Kommt Qatar den westlichen Forderungen nach, stellt Berlin ihm eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit in Aussicht. Das Emirat gehört seit Jahren zu den engsten Verbündeten Deutschlands im Mittleren Osten, ist der größte arabische Investor in Deutschland und erhält im Gegenzug deutsche Rüstungslieferungen in Milliardenhöhe.
 
Gemeinsam gefördert
 
Die enge Kooperation, die Deutschland in den vergangenen Jahren mit Qatar unterhalten hat, hatte stets mehrere Ebenen. Politisch waren ab Anfang 2011 besonders die Aktivitäten des Emirats im Rahmen der arabischen Aufstände von Bedeutung. In Qatar hat etwa der Sender Al Jazeera seinen Sitz, der die Aufstände - jedenfalls diejenigen außerhalb der Arabischen Halbinsel - ganz maßgeblich unterstützte und dabei vor allem islamistische Fraktionen befeuerte, hauptsächlich die Muslimbruderschaft und ihr nahestehende Organisationen. Der Westen und Qatar förderten diese Milieus gemeinsam etwa in Syrien: Während Doha der Muslimbruderschaft nahestehende Milizen finanzierte und ausrüstete, suchte Berlin aus der Exilopposition eine Exilregierung zu formen und griff dabei auf islamistische Kräfte derselben Orientierung zurück.[1] Doha hat die ägyptischen Muslimbrüder und den im Juni 2012 an die Regierung gekommenen Präsidenten Muhammad Mursi gefördert, dessen Aufstieg auch von der Bundesregierung zustimmend begleitet wurde (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Nicht zuletzt hat Qatar libysche Aufständische gegen Gaddafi finanziert und ausgerüstet, die ebenfalls islamistisch orientiert waren.[3] Damals spendeten Berlin und der Westen dem Emirat Beifall; so lobte etwa Bundespräsident Christian Wulff, als er am 11. Dezember 2011 in Doha ein Forum unter dem Motto "Allianz der Zivilisationen" eröffnete, ausdrücklich Qatars "Initiative" in Libyen und in Syrien.[4]
 
Fließende Übergänge
 
Das gemeinsame Vorgehen mit Qatar im Syrien-Krieg hat die Bundesrepublik noch vor etwas über einem Jahr auszubauen versucht. Am 22. Mai 2013 hielt die "Münchner Sicherheitskonferenz" ihr viertes "Core Group"-Treffen in Doha ab. Die drei vorherigen Treffen hatten in Washington, Moskau und Beijing stattgefunden. Die Zusammenkunft war hochrangig besetzt; neben dem Leiter der "Sicherheitskonferenz", Wolfgang Ischinger, nahmen der Emir von Qatar und gut 50 Personen aus dem außenpolitischen Establishment der beteiligten Staaten teil, darunter diverse arabische Länder und die USA. Es habe Einigkeit geherrscht, dass man die Aufständischen in Syrien stärker als bisher unterstützen müsse, hieß es anschließend; von der Beendigung der Förderung islamistischer Milizen war nicht im Entferntesten die Rede.[5] Dass die Übergänge zwischen den Milizen ohnehin fließend sind, zeigen die jüngsten Entwicklungen an der syrisch-israelischen Grenze, wo die Al Nusra-Front, ein Ableger von Al Qaida, kürzlich einen Grenzübergang unter ihre Kontrolle gebracht und Dutzende UN-Soldaten als Geiseln genommen hat. Die Aktion geschah in enger Zusammenarbeit mit der ganz offen vom Westen geförderten Free Syrian Army (FSA).
 
Investitionen und Rüstungsexporte
 
Die politische Kooperation ist dabei von einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit begleitet worden, die sich in den letzten Jahren immer mehr verdichtet hat. So haben deutsche Unternehmen lukrative Aufträge im Rahmen von Milliardenprojekten in Qatar erhalten, etwa Hochtief [6] oder die Deutsche Bahn [7]. Umgekehrt ist Doha als Finanzier deutscher Großkonzerne eingesprungen und hält inzwischen Anteile an VW (15,6 Prozent), Hochtief (11,1 Prozent) und Siemens (drei Prozent). Zuletzt ist es bei der Deutschen Bank mit rund sechs Prozent der Anteile eingestiegen.[8] Der Gesamtwert der qatarischen Anteile an deutschen Unternehmen wird gegenwärtig auf gut 13,9 Milliarden Euro beziffert; das ist mehr, als jedes andere arabische Land in Deutschland hält.
 
Besonderes Aufsehen haben zuletzt die umfangreichen Rüstungsexporte deutscher Firmen in das Emirat erregt, das längst dafür bekannt war, an der Seite des Westens islamistische Milizen zu unterstützen. Allein im ersten Halbjahr 2013 erhielten deutsche Firmen von der Bundesregierung die Erlaubnis für Waffenausfuhren nach Qatar im Wert von rund 635 Millionen Euro; neben 24 modernen Panzerhaubitzen wird Doha 62 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 erhalten. Die Dichte der deutsch-qatarischen Wirtschaftsbeziehungen ist zuletzt durch Skandale im Umfeld der Vorbereitungen für die Fußball-WM 2022 deutlich geworden, die in Qatar abgehalten werden soll (german-foreign-policy.com berichtete [9]).
 
Milizen finanziert
 
Seit die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) mit ihrer militärischen Expansion im Irak zu einer Bedrohung für westliche Interessen im Mittleren Osten geworden ist, dringen Washington und Berlin bei der Unterstützung aufständischer Milizen allerdings auf Kurskorrekturen. So ist am Montag vergangener Woche in Paris beschlossen worden, die Finanzströme des IS zu unterbrechen. Deutsche Politiker haben in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit auf Qatar gelenkt. Dessen Aktivitäten zeigten "ein Muster", erklärte Ende August der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin: "Sei es bei der Finanzierung des Wahlkampfes der Ennahda-Partei in Tunesien, der Muslimbrüder in Ägypten oder im Kampf gegen Gaddafi in Libyen: Überall erhielten Islamisten - auch radikale Islamisten - Zuwendungen aus Katar".[10] Das trifft zu - und ist zumindest im Falle Ägyptens, Libyens und Syriens, das Trittin nicht erwähnt, in Übereinstimmung mit der deutschen Politik geschehen. Trittin verwies anschließend auf "Quellen", die davon ausgingen, dass auch der IS Geld aus Qatar bekommen habe. Das wird allgemein nicht ausgeschlossen; doch stufen Experten Saudi-Arabien und vermutlich auch Kuwait als diejenigen Staaten ein, aus denen der IS am stärksten gefördert wurde. Qatar und Saudi-Arabien unterstützen nicht selten rivalisierende islamistische Fraktionen. Ihre Kooperation mit Saudi-Arabien setzen Berlin und Washington ungebrochen fort.[11]
 
Auch in Zukunft
 
Auch die Zusammenarbeit mit Qatar will die Bundesregierung prinzipiell beibehalten. Die Modalitäten sind Gegenstand der Gespräche gewesen, die Bundeskanzlerin Merkel mit dem Emir, Scheich Tamim bin Hamad al Thani, in Berlin führte. Dabei ist es auch um die Finanzierung verschiedener Milizen in den Kriegsgebieten der arabischen Welt gegangen - nicht nur um den IS, sondern auch um libysche Islamisten, die - im Jahr 2011 mit westlicher Unterstützung gegen Gaddafi in Stellung gebracht - weiterhin von Qatar gefördert werden und einen blutigen Krieg gegen das neu gewählte Parlament und nicht-islamistisch orientierte Kräfte führen (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Doha soll nun auch hier seinen Kurs, den es einst loyal an der Seite des Westens eingeschlagen hatte, in dessen Sinne korrigieren. Dafür stellt die Kanzlerin dem Emir ein auch in Zukunft gedeihliches Zusammenwirken in Aussicht. Wie es hieß, wird die Wirtschaftskooperation zwischen beiden Ländern ausgebaut; Qatar nimmt weitere Investitionen in Deutschland in Aussicht. Insbesondere aber wird Doha in den Krieg gegen den IS und damit in die geplante Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens gemäß westlichen Interessen einbezogen - gemeinsam mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die arabischen Golfdiktaturen bleiben damit auch in Zukunft eine zentrale Säule der westlichen - auch der deutschen - Nah- und Mittelostpolitik.
 
Weitere Informationen zum Krieg gegen den IS und zu Planungen für eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens finden Sie hier: Das Ende einer Epoche und Das Ende einer Epoche (II). (PK)
 
[1] S. dazu The Day After (III) und Auf der Seite der Islamisten.
[2] S. dazu Vom Feind zum Partner und Vom Feind zum Partner (II).
[3] S. dazu Kriegsdrohungen gegen Iran (II) und Zu Gast bei Freunden.
[4] S. dazu Allianz der Zivilisationen.
[5] S. dazu Auf der Seite der Islamisten.
[6] S. dazu Feudalinvestoren (III).
[7] S. dazu Expansion und Kollaps.
[8] S. dazu Panzerkäufer und Großaktionär.
[9] S. dazu Fußball in der Wüste (I) und Fußball in der Wüste (II).
[10] Trittin wirft Katar Terror-Finanzierung vor. www.handelsblatt.com 27.08.2014.
[11] S. dazu Das Ende einer Epoche (II).
[12] S. dazu Vom Westen befreit (II).
 
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58952


Online-Flyer Nr. 477  vom 24.09.2014



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