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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Lokales
Offener Brief eines Kölner Bürgers an die Verantwortlichen bei der Stadt
"Rettet Mülheim 2020 - Rettet unsere Veedel"
Von Heinz Weinhausen

Am 22. September hat der Kölner Bürger Heinz Weinhausen für die Initiative "Rettet Mülheim 2020 - Rettet unsere Veedel" an das Bürgeramt Mülheim, die Fraktionen der Bezirksvertretung, den Bezirksbürgermeister Fuchs und das Bezirksrathaus Mülheim einen Offenen Brief geschickt, den wir hier gern veröffentlichen. Es geht dabei um die von der Stadt Köln nicht abgerufenen Fördergelder beim Mülheim 2020-Programm und den dadurch entstandenen Schaden für den benachteiligten Stadtteil.
 
Sehr geehrte Damen und Herren,
heute konnte ich in der Bezirksvertretung Mülheim zu meinem Bürgerantrag vom Januar 2014, wo ich 10 Millionen Euro "Schadensersatz" für die nicht oder begrenzt ausgeführten Mülheim 2020-Projekte anrege (siehe Anhang) in einer Rede vor der Bezirksvertretung Stellung nehmen. Diese ist unten nachzulesen.
Tatsächlich wurden (bei einem späteren Tagesordnungspunkt) 1,8 Millionen zusätzliche Euro für die Stadtteilmütter, für die KITA-Frühsprachförderung, für das Bildungsbüro und für das Wirtschaftsbüro bewilligt, für die die Stadt nun selbst aufkommt. Ohne das jahrelange Bürgerengagement wäre dies wohl kaum möglich gewesen.
 
Null Euro gab es dagegen für die Arbeitslosen, keinen Cent für das von der Stadt Köln 2009 beschlossene Baurecycling-Projekt mit angeschlossenem Secondhand-Baumarkt, null Euro für Neue Arbeit für Mülheim an der Halle am Rhein. Und auch für das als Leuchturmprojekt gepriesene "Internationale Geschäftshaus", vorgesehen auf der Industriebrache Alter Güterbahnhof nahe der Keupstraße, wurde kein Handschlag getan.
 
Gerade aber wegen der hohen Arbeitslosigkeit wurden die gesamten 42 Millionen Euro an Mülheim 2020-Fördermitteln überhaupt bewilligt. Mit vier Millionen Euro ging die Abteilung Lokale Ökonomie im Mülheim-Programm dann aber fast leer aus, nun auch bei der Schadensbegrenzung.
 
Fragen Sie ihre Politikerinnen und Politiker, warum sie null Herz für Arbeitslose haben. Mülheim zum Schaden. Und Schweigen hilft nicht weiter, das Problem der hohen Arbeitslosigkeit in Mülheim lässt sich nicht einfach aussitzen.
 
Ach ja, über den Bürgerantrag und über meine Argumente in der Rede wurde gar nicht gesprochen in der BV, keine einzige Wortmeldung dazu von den Politikern. Auch nicht von dem neuen Vertreter der Linken in der BV, Nijat Bakis. Von Opposition keine Spur, und das peinlicherweise bei d e m Thema der Linken, nämlich Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Schaffung neuer Arbeitsplätze. Stattdessen Lobhudelei der SPD-geführten Verwaltung, indem er dem Antrag der Verwaltung zum Bürgerantrag zustimmte.

Der lautet: "Beschluss: Die Bezirksvertretung Mülheim dankt dem Petenten für seine Eingabe. Die Bezirksvertretung bittet die Verwaltung die erfolgreiche Arbeit im Rahmen des Programms Mülheim 2020 fortzuführen." (Erfolgreich läßt sich nun wirklich nicht sagen, wenn 10 Mio. Euro an
Fördermillionen retour gehen.)
 
Bei dem späteren Tagesordnungspunkt zu Mülheim 2020 machte sich dann wie gewohnt Herr Seldschopf (Fraktionsvorsitzender bei den Mülheimer Grünen) lieb Kind bei der Verwaltung, in dem er noch bemerken musste, dass er im Gegensatz zu Herrn Weinhausen die zusätzlichen 1,8 Millionen Euro nicht für einen kleinen Tropfen hielte, (ich sagte "kleiner Nachschlag"), sondern für einen tollen Erfolg.
 
Ach ja, von notwendiger Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Schaffung neuer Arbeitsplätze in Mülheim sprach außer einem engagierten Bürger niemand. Aber das sagte ich ja schon.
Also nix mit Birlikte. Nur zu schade, dass die Mülheimer Bürgerliste (MBL) bei den jüngsten Wahlen kein Mandat bekommen konnte.
Freundlich grüßt
Heinz Weinhausen
 
Meine Rede: "Kein Cent für neue Arbeitsplätze beim M2020-Nachschlag"
 
Sehr geehrte Mitglieder der Bezirksvertretung, sehr geehrter Bezirksbürgermeister,
heute ist ein wichtiger Tag für die neue Bezirksvertretung und für den seit 100 Jahren benachteiligten Stadtteil Mülheim. Heute wird darüber entschieden, ob eines der wichtigsten Ziele von Mülheim 2020, nämlich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für die nächsten Jahre auf der Agenda bleibt.
 
Beschlossen vom Rat der Stadt Köln standen dafür speziell 16 von 42 Millionen Euro beim Mülheim 2020-Programm zur Verfügung. Weil etwas geschehen musste, weil die Arbeitslosenquote 17 Prozent betrug und damit 6,7 Prozentpunkte über dem städtischen Durchschnitt lag. Dies führte Oberbürgermeister Roters in einer Rede hier an diesem Ort aus. Deswegen überhaupt wurden in Brüssel diese EU-Gelder für Lokale Ökonomie, für Bildung und für die Straßenneugestaltung bewilligt. Eine Initialzündung für einen Aufschwung im benachteiligten Stadtteil sollte gestartet werden, um die Arbeitslosenquote auf städtisches Niveau zu bringen.
 
Das Ergebnis ist beschämend: Es wurden nur 4,2 Millionen Euro an Fördermillionen in der Lokalen Ökonomie abgerufen, während 75 % in diesem Bereich ungenutzt blieben. Die Folge: Es ist absehbar, dass es in Mülheim wie schon 2007 weiterhin 1.605 Erwerbslose, 620 Langzeitarbeitslose und 3.159 erwerbsfähige Hilfebezieher nach SGB II mehr in Differenz zum städtischen Durchschnitt geben wird. In fünf Jahren Programmlaufzeit konnten lediglich einige hundert Arbeitsplätze vermittelt werden, während sage und schreibe null neue Arbeitsplätze entstanden sind. Und als Hohn für die Langzeitarbeitslosen wurden noch Fördergelder aus der Lokalen Ökonomie in den Straßenbau gesteckt. Auf wundersame Weise wuchsen dort die Gelder von 8 auf 15 Millionen Euro, eine Steigerung um 81 %. Nun sind zwar neue Straßen da, aber der Leerstand der Geschäfte hat noch zugenommen. Logisch, wenn die Arbeitslosen arbeitslos geblieben sind und keinen Cent zusätzlich in der Tasche haben. Da wird auch keine Kampagne des Wirtschaftsbüros was ausrichten können.
 
Wo aber ist Ihr Aufschrei, sehr geehrte Bezirksvertreterinnen und Bezirksvertreter?
Wäre die Sache umgekehrt, wäre die Bilanz klar. Wären die Gelder vom Straßenbau in die Abteilung Lokale Ökonomie gewandert, würde in der Presse zu lesen sein. »Mülheim 2020 gescheitert.« Wenn nämlich nur die Buchheimer Straße erneuert worden wäre, nicht aber die Waldecker, die Berliner und die Frankfurter Straße, dann wäre die Empörung sehr groß. Dann würden alle unisono fordern, dass es nicht sein kann, dass Fördermillionen wieder nach Brüssel zurückgehen. Dann würden alle feststellen, dass die Stadt Köln versagt hat, Mülheim aber trotzdem neue Geschäftsstraßen brauche. Und von der Stadt würde gefordert, den Schaden wieder gut zu machen.
 
Aber genau so sieht es bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aus. Nach fünf Jahren Untätigkeit ist die große Chance zur Schaffung von Arbeitsplätzen vertan. Von den 42 Millionen Euro an Fördergeldern gehen 10 Millionen Euro wieder an die Fördergeber zurück: 5 Millionen nach Brüssel, 3 Millionen nach Düsseldorf und 2 Millionen in den Etat der Stadt Köln. Anstatt in Mülheim Arbeitsplätze zu schaffen wird das Geld dagegen in der Innenstadt mit vollen Händen ausgegeben. Die Prestigeprojekte wie Messe-City, Rheintreppe, Archäologische Zone, Anbau beim Wallraff-Richartz-Museum usw. haben Vorrang, während in den Veedeln bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gespart wird. Das ist der wirkliche Grund, warum die Stadt fast pleite ist und den Schulen und dem Sozialen überhaupt das Geld gekürzt wird.
 
Die einseitige Bevorzugung der Innenstadt wird noch ganz Colonia in den Ruin treiben. Rechnen Sie einmal nach, sehr geehrte Bezirksvertreter, wie teuer der Stadt eine solch einseitige Politik wird. Die Sozialverwaltung geht im Durchschnitt von jährlichen Ausgaben in Höhe von 20.000 Euro je Hartz IV-Empfänger aus. Anstatt nun die Mülheim 2020-Gelder einzusetzen für die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen beim Internationalen Geschäftshaus, beim Baurecycling-Hof, bei der Neuen Arbeit für Mülheim, anstatt auf diese Weise um die 1.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen und so die öffentliche Hand allein um jährlich 20 Millionen Euro zu entlasten, hat Mülheim 2020-Chef Hans Oster diesen Projekten offensichtlich alle möglichen Steine in den Weg gelegt, an denen sie schließlich scheitern mussten. Zum Schaden von Mülheim.
 
Bei der Neuen Arbeit an der Halle am Rhein war es beispielsweise so, dass neben der zeitlichen Verschleppung immer wieder haushohe Hürden gesetzt wurden. Der Eindruck drängt sich geradezu auf, dass ein kleiner kritischer Verein keine Gelder zur Schaffung von Arbeitsplätzen bekommen sollte. Warum eigentlich nicht? Sollte da ein Verein diszipliniert werden, weil er das Recht auf freie Meinungsäußerung nutzt und die Verwaltung und die Politik stets angemahnt hat, die eigenen Mülheim 2020-Beschlüsse auch umzusetzen?
 
Schon mit den bis jetzt geschaffenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in der Düsseldorfer Straße 74 spart das SSM-Integrationsprojekt der Stadt bereits mehr als 300.000 Euro im Jahr, bei der Halle am Rhein wären es nochmals um die 200.000 Euro jährlich
gewesen, wenn die Mülheim 2020-Gelder dafür nicht in den Straßenbau geflossen wären. Im Vertrauen auf Fördergelder hat übrigens der SSM für seine Verhältnisse recht große Vorinvestitionen getätigt und ist nun in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Dank Herr Oster kann der Selbsthilfe-Verein, der 2013 den Preis der Sozialen Stadt bekommen hat, nun um Spenden bitten.
 
Mülheim darf bluten zugunsten der privilegierten Innenstadt. Die Verantwortung für eine solch neoliberale Politik hat Rot-Grün, die die Mehrheit der Stimmen hinter sich haben. Die Leidtragenden sind die sozial Benachteiligten in Mülheim. Die Leidtragenden sind aber letztlich alle im Veedel, weil nun statt dem Aufschwung Leerstände blühen. Überhaupt scheint es die Politik der Etablierten zu sein, Köln ein teures Pflaster werden zu lassen und so die Armen nach und nach vor die Tore der Stadt zu drängen, wo sie dem Stadtsäckel nicht mehr zur Last fallen.
 
Gebeutelt sind die Mülheimer auch durch die Verkehrssituation. Unser Stadtviertel wird schon seit vielen Jahren dem Durchgangsverkehr geopfert, obwohl es inzwischen eine achtspurige Autobahn-Umgehungsstraße gibt. Auch hier wurden die Beschlüsse des Mülheim 2020 - Programms einfach ignoriert. Und die Parteien schauten dem Nichtstun der Verwaltung wieder untätig zu. Anstatt dass der Clevische Ring auf eine Spur zurückgebaut wurde, anstatt dass Busverkehr, Radfahrer und Fußgänger begünstigt wurden, wird nun noch mehr Auto- und LKW-Verkehr durch die Nadelöhre von Alt-Mülheim geschickt. In rechtswidriger Weise wurden dafür sogar die Danziger Straße, die Deutz-Mülheimer Straße, die Mülheimer Freiheit, die Dünnwalder Straße und die Düsseldorfer Straße zu Durchgangsstraßen umgewidmet.
 
Der Grund liegt in der Ansiedlung von Gewerken, von der Messe, RTL usw., allesamt im Deutzer Innenstadtbereich, wofür die notwendige Verkehrsinfrastruktur fehlt. Arbeitsplätze zu planen, für die es keine Zugangsstraßen gibt, ist unzulässig. Während es andererseits in der Peripherie zum Beispiel in Porz genügend Flächen und Zugangsstraßen gäbe.
 
Immer mehr Mülheimer Bürgerinnen und Bürger sind jedenfalls nicht mehr bereit, für eine verfehlte Stadtplanung mit ihrer Gesundheit und der ihrer Kinder zu bezahlen, indem sie in den Wohnstraßen immer mehr Lärm, Hektik, Feinstaub, Stickoxide ausgesetzt werden.
 
Mülheim wird seit der Eingemeindung nun schon 100 Jahre über den Tisch gezogen. Genommen wurden die damaligen Goldmarken mit heutigem Wert von ca. 60 Millionen Euro, genommen wurden die vielen Steuern von Felten & Guillaume, von KHD und den anderen Mülheimer Industrien, bis diese Ende der Achtziger Jahre aufgeben mussten. Die früheren Arbeiter und deren Kinder hat man seitdem im Stich gelassen. Statt günstigen Wohnungen beispielsweise wurde teures Wohnen am Strom gefördert. Jetzt sind 10
Millionen Euro an Fördermitteln futsch. Die Verantwortung dafür hat die Stadt Köln, weswegen sie dafür auch gerade zu stehen hat. Dass sie das kann, zeigt sich daran, dass nach dem Einsturz des Stadtarchivs die U-Bahn auf Teufel komm raus zu Ende gebaut wird, koste es, was es wolle. Auch das Stadtarchiv wird wieder neugebaut, die beschädigten Dokumente teuer restauriert. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, wenn auf der anderen Seite dafür nicht das soziale Köln gemolken wird.
 
Aber genau das ist passiert. Und genau da hat die Initiative »Rettet Mülheim 2020 - Rettet unsere Veedel« etwas einzuwenden. Die Stadt Köln soll den Schaden wieder gut machen. 10 Millionen Euro für das soziale Mülheim, für Arbeitsplätze und für die Zurückdrängung des Durchgangsverkehrs.
 
Etwas tut sich ja immerhin. Heute soll in einem Antrag den Stadtteilmüttern, der Frühsprachförderung, dem Bildungsbüro und dem Wirtschaftsbüro ein kleiner Nachschlag bewilligt werden.
 
Aber von den Projekten für neue Arbeitsplätze ist nicht die Sprache. Hier braucht es sogar einen kräftigen Nachschlag: Wie im Mülheim 2020 - Programm vorgesehen 2,2 Millionen Euro für den Baurecyclinghof mit Secondhand-Baumarkt, weiterhin 550.000 Euro für das Projekt "Neue Arbeit für Mülheim". Und schließlich auf der Industriebrache Alter Güterbahnhof einen Ort für das Internationale Geschäftshaus, nicht zuletzt, um der Keupstraße einen Weg aus der Isolation zu ebnen.
 
Sie, sehr geehrte Bezirksvertreterinnen und Bezirksvertreter, haben heute - 100 Jahre nach der Eingemeindung - die Chance, gegen das unsoziale und unökonomische Köln ein Zeichen zu setzen. Nur zu. Birlikte. Das heißt türkisch "Zusammenstehen!"

Mein Bürgerantrag vom 17.01.2104
zu den nicht abgerufenen Fördergeldern beim Mülheim 2020-Programm

"Die Bezirksvertretung Mülheim möge beschließen:
Die Bezirksvertretung Mülheim fordert die Stadt Köln auf:
Die Stadt Köln übernimmt Verantwortung dafür, dass ca. 10 Millionen Euro an Fördergeldern beim Mülheim 2020-Programm zum Schaden des benachteiligten Stadtteiles nicht abgerufen wurden und somit etliche Projekte und Maßnahmen gar nicht oder nur unzulänglich durchgeführt wurden.
Um das selbstgesteckte und beschlossene Ziel, Mülheim auf den städtischen Durchschnitt – insbesondere hinsichtlich der Arbeitslosenquote - zu bringen, führt die Stadt Köln nun folgende Projekte und Maßnahmen in Eigenregie oder durch Beauftragung durch:

- Verlängerung der Laufzeit des Bildungsbüros um drei Jahre
- Verlängerung der Laufzeit des Wirtschaftsbüros um vier Jahre
- Verlängerung der Sprachförderung in den KITAs um zwei Jahre
- Arbeitsplätze für die ausgebildeten Stadtteilmütter
- Baurecyclinghof für Langzeitarbeitslose
- Neue Arbeit für Mülheim - Arbeitsplatzprojekt für Langzeitarbeitslose
- Wohnen und Arbeiten auf der Industriebrache »Alter Güterbahnhof«
- Ein Gelände für das Leuchtturmprojekt »Internationales Geschäftshaus«
- Herausnahme des Durchgangsverkehrs aus Mülheim" (PK)
 


Online-Flyer Nr. 477  vom 24.09.2014



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