NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

Fenster schließen

Medien
Wenn zwei dasselbe tun, ist es laut Wefing von der ZEIT noch lange nicht dasselbe
Ein Totengräber des Völkerrechts
Von Jürgen Rose

Bekanntlich fungiert eines der führenden selbsternannten „Intelligenzblätter“ dieser Republik, die Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT, nicht nur als Frontblatt eines überkommenen Transatlantizismus‘, sondern darüber hinaus als Propagandapostille eines widerwärtigen Bellizismus‘, die jeden Angriffskrieg der USA und ihre jeweiligen ad-hoc-Koalitionäre mit frenetischem Beifall beklatscht. Ein Meisterstück dieses Genres lieferte der ZEIT-Autor und Volljurist Dr. Heinrich Wefing Wenn zwei dasselbe tun, ist es laut Wefing noch lange nicht dasselbe in seinem Leitartikel vom 25. September dieses Jahres, in dem er die Luftangriffe der U.S. Air Force und deren willfähriger Koalitionäre auf die Stellungen der Terrormiliz IS (Islamischer Staat) mit höheren legitimatorischen Weihen versieht.


ZEIT-Autor Dr. Heinrich Wefing
Quelle: TWITTER
Zu diesem Zweck greift er ganz tief in die rhetorische Trickkiste der Dialektik. Denn obwohl ihm zur Bekämpfung der, so wörtlich, „Höllenkrieger des IS … jedes Mittel recht“ scheint, beklagt er doch – der Leser mag kaum seinen Augen trauen – bis an die Grenze zur Rührseligkeit die angeblich nicht vorhandene völkerrechtliche Legitimation dieser Luftkriegsoperationen. Verletzt würden nämlich „die beiden wichtigsten Ideen des internationalen Rechts, das Gewaltverbot und das Prinzip der Souveränität.“ Und zudem hätte US-Präsident Barack Obama ohne Zustimmung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gehandelt, als er seine Kampfflieger gegen Angriffsziele im Irak und in Syrien in Marsch setzte.
 
Zwei Umstände bereiten Wefing freilich gewisses Unbehagen: Erstens, dass er sich mit Russlands Einwänden gemein macht und zweitens, dass das syrische Assad-Regime den Luftangriffen auf seinem Territorium „zähneknirschend“ zustimmt. Ersteres wischt er mit der Parole vom Tisch, dass, wer soeben angeblich die Krim annektierte, gefälligst nicht mit dem Völkerrecht zu wedeln hat – ein ebenso falscher wie dümmlicher Einwand. Der zweite Effekt ist schlicht politischem Opportunismus geschuldet, denn auf diese Weise gewinnt ironischerweise auch der Kampf des "Tyrannen“ Assad gegen seine terroristischen Widersacher an Legitimität.
 
Die Grenze zur Lächerlichkeit überschreitet Wefing jedoch, wenn er in seinem bellizistischen Kampfblatt, das seit dem glorreichen Sieg des Westens im Kalten Krieg jeden Angriffskrieg der USA und deren willfähriger Vasallen zum „gerechten Krieg“ umlügt, eine von Pathos triefende Moritat (1) auf das Völkerrecht ablässt. Das liest sich im Originalton dann so: „Die Luftangriffe gegen den IS gehören in jene lange Reihe westlicher Interventionen, die mit gewaltigem moralischen Pathos und dürftiger rechtlicher Legitimation geführt wurden. Immer wieder wurde dabei das Völkerrecht gedehnt, verdreht oder gleich gebrochen. Den Preis dafür zahlt der Westen längst, und er wird langfristig noch höher ausfallen. Die USA und die Nato haben drastisch an moralischer Autorität in der Welt verloren, das Völkerrecht hat seine steuernde Funktion eingebüßt, dem Westen läßt sich mit guten Gründen Doppelzüngigkeit und Verlogenheit vorwerfen, und jeder halbwegs talentierte Propagandist kann Amerika und Europa Scheinheiligkeit attestieren, wenn Washington oder Brüssel irgendeinem Diktator vorhält, das Recht zu brechen.“ So, so, das Völkerrecht ist also nach Auffassung des Schreibstubenbellizisten Wefing irrelevant geworden – da werden sich die Angriffskrieger weltweit aber lachend auf den Schenkel klopfen.
 
Was nun indes die Luftangriffe auf die Terrorguerilla des IS im Irak und in Syrien angeht, drängt sich die Frage auf, ob der Dr. Wefing die Vorlesungen über die Charta der Vereinten Nationen schlichtweg verpennt hat. Ansonsten müssten diesem Rechtsverdreher nämlich der Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen sowie die Aggressionsdefinition der UN- Generalversammlung aus dem Jahre 1974 (A/RES/3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974) bekannt sein. Art. 51 Satzung der Vereinten Nationen lautet: „Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.“
 
Dass der Irak durch die von syrischem Territorium ausgehenden Angriffe der IS-Verbände angegriffen wurde, steht ausserhalb jedweden vernünftigen Zweifels, was nicht zuletzt ein Blick in die erwähnte Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung bestätigt, in deren einschlägigem Artikel 3 exemplarisch (und keinesfalls enumerativ!) eine Reihe von Angriffshandlungen aufgeführt ist.
 
Die irakische Regierung besitzt daher zweifellos sowohl das Recht zur militärischen Selbstverteidigung und ist zugleich befugt, jedes andere Mitglied der Vereinten Nationen um militärische und sonstige Nothilfe zu bitten. Exakt dieser Bitte um Unterstützung im legitimen Rahmen der satzungsgemäßen kollektiven Selbstverteidigung sind die USA, Großbritannien, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland und andere, darunter bemerkenswerterweise auch arabische Staaten nachgekommen. Dieser Akt der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung ist keinesfalls auf das Gebiet des Iraks beschränkt, sondern erstreckt sich legitimerweise auch auf das Territorium (jenes Staates), von dem die militärische Aggression ausgeht, das heisst im vorliegenden Falle: Syrien. Hierbei muss die syrische Regierung unter Führung von Baschar al-Assad nicht notwendigerweise um Zustimmung gebeten werden, denn sie ist völkerrechtlich ohnehin verpflichtet, Aggressionsakte von syrischem Gebiet gegen andere Länder zu unterbinden. Kann oder will sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, so greift ohne weiteres das völkerrechtlich verbriefte Recht zur Selbstverteidigung. Davon abgesehen hat das Assad-Regime zumindest stillschweigend seine Zustimmung zur Bekämpfung der IS-Soldateska signalisiert – alles andere wäre auch erstaunlich, handelt es sich doch um erklärte Feinde des syrischen Staates, der ja gerade zugunsten eines Kalifates beseitigt werden soll. In der Tat entspräche es den Buchstaben und dem Geist der Satzung der Vereinten Nationen natürlich weitaus mehr, wenn der UN-Sicherheitsrat direkt seiner Verantwortung aus der Charta nachkäme und selbst nach Kapitel VII die Maßnahmen treffen würde, die er für notwendig erachtet, „um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen.“
 
Immerhin hat der Präsident des UN-Sicherheitsrats am 28. Juli 2014 im Zusammenhang mit der Behandlung des Punktes „Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch terroristische Handlungen“ im Namen des Rates eine Erklärung (S/PRST/2014/14) abgegeben, in der er seine ernste Besorgnis über terroristische Gruppen, nämlich „Islamischer Staat in Irak und der Levante“ sowie „Dschabhat al-nusra“ bekundet und sein nachdrückliches Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit Syriens und Iraks bekräftigt.“
 
Ungeachtet der völkerrechtlich im wesentlichen unbestreitbaren Tatsachen erreicht Schreiberling Wefings Lamento seinen unübertrefflichen Kulminationspunkt, als er schlussendlich tremoliert: „Obamas Luftangriffe sind keine Fortentwicklung des Völkerrechts. Im Gegenteil. Man muß sich zu dieser Erkenntnis durchbohren, gegen alle inneren Widerstände, gegen Trotz und Wut. Man darf sich auch nicht in Scheinrechtfertigungen flüchten.“ Na, besonders tief hat er da nicht gebohrt, der feine Herr W., denn exakt an dieser Stelle vollführt er nun in einem grandiosen Finale den perfekten dialektischen Doppelsalto rückwärts, gilt es doch nun, dem Publikum zu suggerieren, warum und inwiefern die laut Wefing völkerrechtswidrigen Luftangriffsaktionen vorgeblich moralisch gleichwohl gerechtfertigt sind – geht es diesem perfiden Winkeladvokaten in Wahrheit doch gerade um die Legitimation des Völkerrechtsbruchs.
 
Wefings intellektuell halsbrecherischer Akt ist wahrlich atemberaubend – entweder spiegelt sich hierin bodenlose Blödheit oder schon fast kriminelle Perfidie. Zunächst nämlich präsentiert er seine völlig willkürliche Differenzierung zwischen „Autokraten“ und „demokratisch gewähltem Staatsmann.“ Letztere hält Wefing selbstredend für befugt das Völkerrecht zu brechen, erstere natürlich keinesfalls. Seine ideologische Borniertheit erweist sich, indem er dem "Demokraten“ Obama zubilligt, was er dem „Autokraten“ Putin verweigert – als wäre letzterer nicht mindestens ebenso demokratisch gewählt wie der andere. Merke: Wenn zwei dasselbe tun, ist es laut Wefing noch lange nicht dasselbe. Wie trefflich, dass er an dieser Stelle in personam selbst den Beweis für die Doppelmoral des Westens liefert. (2)
 
Zweitens – und dies ist überschreitet nun in der Tat die Grenze zum real existierenden Wahnsinn – deliriert Sudeljournalist Wefing wörtlich: Ja, das Recht wurde ignoriert, aber für einen guten, mindestens für einen richtigen Zweck …“. Fragt sich nur, wer über den „guten und richtigen Zweck“ entscheidet. Augenscheinlich Dr. Heinrich Wefing. Oder Barack Hussein Obama. Oder Adolf Hitler, schließlich wollte der auch nur das Beste für das deutsche Volk. Spätestens hier wird die geradezu mephistophelische Perfidie der Argumentation Wefings evident: Erst beklagt er wortreich den Bruch des Völkerrechts, dann konstatiert und kritisiert er dessen zunehmende Irrelevanz und schlussendlich propagiert er getreu dem Motto legal-illegal-scheißegal die von "demokratisch gewählten Staatsführern“ – des Westens, versteht sich! – vermeintlich gepachtete Moral des guten Zwecks als angeblich tragfähige Alternative.
 
Immanuel Kant hätte für die Leitartikelsudelei des Schreibstubenbellizisten W. nur ein Wort übrig gehabt: Afterlogik. Denn wie hatte der wohl genialste Philosoph, den die Welt je gesehen hat, in seinen im Wintersemester 1784/85 zu Königsberg abgehaltenen Vorlesungen über Ethik doziert: „Wenn nie eine Handlung der Gütigkeit ausgeübt, aber stets das Recht anderer Menschen unverletzt geblieben wäre, so würde gewiß kein großes Elend in der Welt sein.“
 
(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Moritat
(2) http://www.zeit.de/2014/40/luftangriffe-syrien-islamischer-staat-usa

Jürgen Rose (*1958) ist ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehr. Öffentlich bekannt wurde er Anfang 2007 durch sein erfolgreiches Ersuchen, aus Gewissensgründen von seinen Aufgaben hinsichtlich des Afghanistankonfliktes entbunden zu werden. Er veröffentlicht vor allem politisch motivierte, oft zugespitzte und kontroverse Beiträge und ist Vorstandsmitglied des pazifistischen Arbeitskreises "Darmstädter Signal".



Online-Flyer Nr. 480  vom 15.10.2014



Startseite           nach oben