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Kultur und Wissen
Pop-Artist HP Alvermann und sein staatsgefährdendes Borstenvieh
Das Deutsche Notstandsschwein wird 50
Von Alexander Goeb

Ein Schwein hat Geburtstag. Das verwundert. Denn Schweine werden in der Regel nur neun Monate alt, ehe sie zum Schlachter müssen. Das Schwein, über das hier gesprochen werden soll, wird in diesem Jahr sage und schreibe 50 Jahre alt. Es handelt sich um ein besonderes Schwein. Zwar ist es, wie die meisten Hausschweine, grundsätzlich ebenfalls von rosa Farbe, lässt aber einen Ringelschwanz vermissen und ist außerdem alles andere als lebendig. Sein Geburtshelfer hat es mit den schwarz-rot-goldenen Bundesfarben bemalt und - skandalisierend - auf dem Rücken mit einem schwarzen Nazi-Symbol, dem Hakenkreuz, versehen. Um das Rätsel endgültig aufzulösen: Das Schwein ist ein Sparschwein, klein und aus Plastik. Geburtstag hat "Das Deutsche Notstandsschwein" des deutschen Pop-Künstlers HP "Pepe" Alvermann.

Notstandsschwein des Pop-Künstlers HP "Pepe" Alvermann.
Quelle: images.lottissimo.com
 
Alvermann kreierte das Schwein in der Zeit des Streits um die Notstandsgesetze, die 1958, 1960 und 1963 im Bundestag noch keine Mehrheit fanden. Der Künstler nannte das drohende Gesetzespaket verfassungsfeindliche "Nazi-Gesetze". Das Schwein war eine Warnung vor dem, was kommen könnte und dann tatsächlich auch 1968 Realität wurde. Auf einigen seiner Schweine platzierte Alvermann den Aufkleber "Wenn ich fett und voll bin, muß ich geschlachtet werden".
 
Obwohl das Schwein, wie beschrieben, nicht lebendig war, zudem klein und ohne Speck auf den Rippen, rief es bundesdeutsche Jäger mit schwerem Geschütz auf den Plan.
Staatsanwaltschaften sahen in den Ferkeln eine Staatsgefährdung, die Bundesrepublik Deutschland verunglimpft und den politischen Frieden gefährdet. Strafermittler rückten aus und beschlagnahmten alle Notstandsschweine, derer sie habhaft werden konnten. HP Alvermann zählte um die hundert arretierte "Viecher". Wie der "Spiegel" damals berichtete, fanden Hausdurchsuchungen teils ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl statt, weil die Ermittler "Gefahr im Verzuge" sahen. Sechzehn der beschlagnahmten Schweine landeten 1965 auf dem Richtertisch des Kölner Amtsgerichts.
 
Das Gericht sollte darüber befinden, ob der Künstler Alvermann gegen die Paragraphen 86 a und 90 a des Strafgesetzbuches verstoßen hatte, Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verunglimpfung der Farben der Bundesrepublik Deutschland. Ein Urteil erging nicht. Aber der Fall der Notstandsschweine beschäftigte die Gerichte über Jahre weiter.
 
Das NRW-Justizministerium und das Düsseldorfer Landgericht sahen 1968 die Kunst-Schweine "durch den Grundsatz der Freiheit der Kunst nicht gedeckt". Das Kölner Landgericht tat kund: "Ein serienmäßig hergestelltes Sparschwein, das in vielen Exemplaren und in einfachster Form mit Farbe bemalt wird, ist kein Kunstwerk." Sogar der Bundesgerichtshof beschäftigte sich mit dem Deutschen Notstandsschwein. Die Richter in den roten Roben meinten, der Künstler habe nicht "im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Zwecke gehandelt" und zudem hätten die bemalten Plastikschweinchen keinen künstlerischen Aussagewert.
 
Alvermann, der von 1954 bis 1958 an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Otto Pankok und Otto Coester studierte, unterbrach von 1966 bis Mitte der 1970er Jahre seine künstlerische Arbeit, meinte zum Urteil: "Wenn man bestimmte Bereiche für die bildende Kunst tabuisiert, hier Bereich des politischen Lebens, kann sie ein Künstler mit seiner politischen Symbolwelt nicht mehr darstellen." Die Kunst werde stumm oder sie werde Dynamit produzieren, "das jene aus ihrem Sessel hebt, die versuchten, ihr das Wort zu verbieten".
 
In einem Vortrag vor der Evangelischen Akademie Berlin im Oktober 1967 ging Alvermann auf das Thema Kunst und Rechtsprechung ein und damit auch auf den Umgang der Justiz mit dem Deutschen Notstandsschwein:
 
"Sie (die Rechtsprechung/d.A.) spricht kurz und bündig jenen Produkten den Rang eines Kunstwerks ab, die es nicht in irgendeiner Weise verstehen, die zumeist höchst unerfreulichen Tatbestände der aktuellen Gegenwart zu vergeistigen, zu sublimieren oder aus dem Morast der Trivialität in die Sphäre höherer Bedeutsamkeit hinaufzuloben. Hier wird also ganz offenkundig das Recht benutzt..., um jene, die das Kind beim Namen nennen, mundtot machen zu können, und um jene als Musterknaben öffentlich zu belobigen, die es am geschicktesten verstehen, den Leuten Sahnetorte in die Augen zu schmieren."
 
Der Geburtstag des Deutschen Notstandsschweins bietet Gelegenheit, an den 2006 im Alter von 76 Jahren verstorbenen Geburtshelfer HP Alvermann zu erinnern. Einige seiner Objekte waren auch in der wunderbaren Frankfurter Ausstellung German Pop zu sehen, die im Februar zu Ende ging. Das Deutsche Notstandsschwein war nicht darunter. Zu sehen waren "Denkmal für die deutsche Sozialdemokratie" (1965) und "Sugar in the morning" (1963)
 

Hans Peter Alvermann
Irgendwann, Anfang der 1960er Jahre, kam für Alvermann, wie er sagt, "die Stunde der Wahrheit": "Irgendwie drang das Gerücht, daß der Alvermann so komisches Zeug macht, bis zum Kunsthandel und der Kunstkritik vor, das Zeug wurde ausgestellt - und ich wußte endlich Bescheid". HP wurde nun bei Sammlern und Kunstkritikern herumgereicht. "Das waren nicht meine Freunde", stellte er kurz und knapp fest, "auch wenn sie sich als solche ausgaben. Ich war ihr Hampelmann, Hofnarr, Kapitalanlage, Raritätenproduzent, zoologischer Exote. Mein Wert war in D-Mark zu taxieren und wurde als eine Art Aktie auf den Kunstmarkt geworfen. Meine Objekte blieben ihnen ein Buch mit sieben Siegeln. Wie alle Dummen bewunderten sie das am meisten, was sie am wenigsten verstanden. Sie waren gebildet, ungeheuer zivilisiert, charmant zueinander und ständig mit Intrigen gegeneinander befaßt. Der Unterschied zwischen Kritikern, Kulturbeamten, den meisten Künstlern und Sammlern bestand letztlich in der Frage der Macht, der Macht, dies oder jenes zur großen Kunst und dies oder jenes zur miesen Kunst erklären zu können."
 
Die damalige Konsequenz war für Alvermann, für fast zehn Jahre aus der Rolle als produzierender Künstler auszusteigen. Er engagierte sich in der politischen Szene, im Berufsverband Bildender Künstler (BBK), demonstrierte gegen die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg und war Mitbegründer des Republikanischen Centrums (RC) Düsseldorf. Genau dort lernte ich damals HP Alvermann kennen, den wir alle "Pepe" nannten. Er schenkte mir auf Anfrage ein Deutsches Notstandsschwein, das ich in Ehren hielt, bis es eines Tages im Zuge der Zeitenwenden verloren ging.
 
Der Kunsthistoriker Richard Hiepe äußerte 1970 zu den Werken von HP Alvermann die Einschätzung: "Alvermann hat zuerst getan, was inzwischen als exemplarisch empfunden wird: Er hat einer aktuellen Kunstströmung gezeigt, was ein politischer Kopf mit ihr anfangen kann."
 
Zurück zum Notstandsschwein vor deutschen Gerichten: Der Bundesgerichtshof hatte das jahrelang virulente Verfahren gegen Alvermanns Schwein nach Köln zurück verwiesen. Dort beschäftigte sich die 1. Große Strafkammer des Landgerichts abschließend damit. Über fünf Stunden dauerte die Verhandlung. Dann wurde die Beschlagnahmung der Schweine für rechtens erklärt, weil die Verquickung der Bundesfarben mit dem Hakenkreuz unzulässig sei. Durch die schwarzrotgoldenen Farben des Schweins allein jedoch seien die Hoheitsfarben der Bundesrepublik Deutschland nicht in den Schmutz gezogen worden. Der kunstbeflissene Gerichtsvorsitzende Dr. Henry Viktor de Somoskeoy führte an, das biologische Bild des Schweins sei im Wandel begriffen. Das hieß: Mildernde Umstände für den Produzenten des Deutschen Notstandschweins. (PK)
 
Alexander Goeb, geb. 1940, Journalist, erhielt mehrere Preise, u.a. 1978 den Egon-Erwin-Kisch-Preis für eine Reportage über die Kölner Edelweiß-Piraten und 1993 den Geisendörfer-Preis für sein WDR-Hörfunkfeature "Die Burg des Widerstandes".  
 


Online-Flyer Nr. 506  vom 15.04.2015



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