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Kultur und Wissen
Natur ist Kunst
Schönheit in der Physik
Von Harald Schauff

Der altgriechische Begriff ‘Kosmos’ meint übersetzt ‘Das Gute, Schöne, Wahre’. Alle Drei gehören untrennbar zusammen, bilden in diesem Sinne eine Dreieinigkeit. Hat man es mit einem der Drillinge zu tun, kommen automatisch auch die beiden anderen ins Spiel. Das Gute hat sein Schönes und Wahres, das Schöne ist auch gut und wahr, last, but not least das Wahre schön und gut. Auf dieser Basis wird klar: Die Wissenschaft, die das Wahre behandelt, und die Kunst, welche sich mit dem Schönen beschäftigt, sind nicht der Gegensatz, als welcher sie häufig betrachtet werden: Hier die nüchterne, rationale Gewinnung objektiver Erkenntnisse, dort die intuitive, sprudelnde Phantasie als Ideengeber. Hier die exakte Berechnung und Auswertung der Ergebnisse, dort der freie Lauf des Ungefähren. Hier die fest gelegte Methodik, dort die spielerische Beliebigkeit.


Foto: arbeiterfotografie.com

Einer, der findet, dass dies alles durchaus zusammen passt, ist der amerikanische Teilchenphysiker und Nobelpreisträger Frank Wilczek. Er ist überzeugt: Kunst und Wissenschaft sprechen dieselben Hirnareale an. August vergangenen Jahres gab er dem SPIEGEL (33/ 2015) ein Interview. Titel: ‘Die Welt ist ein Kunstwerk’. Das Gehirn, meint Wilczek, belohne uns regelrecht, wenn wir mit Schönem zu tun haben. Auf diese Weise wolle uns die Evolution ermutigen zu tun, was gut für uns sei. Dazu gehöre, den Dingen auf den Grund zu gehen. Gelänge uns das, erlebten wir es als Schönheit.

Schönheit, Gleichklang, Harmonie

Zu Schönheit gehört der Gleichklang, die Harmonie. Sie kennt man ursprünglich aus der Musik. Sie existiert jedoch auch in der Physik. Wilczek erkennt Parallelen zwischen Musik und Physik. Er findet es überwältigend, dass die Gleichungen zur Beschreibung von Atomen solchen ähneln, welche den Klang von Musikinstrumenten darstellen. Der Unterschied: Bei Geige und Klavier werden Saiten und Resonanzboden in Schwingung versetzt und erzeugen Schalwellen. Bei Atomen sind dagegen die Schwingungen mit den Farben des Lichtes verbunden. Sie erzeugen Farbtöne. Dies ähnelt Wilczek zufolge den Ideen des Pythagoras, welcher in den Bewegungen der Planeten eine Sphärenmusik zu erkennen glaubte. Tatsächlich würden die Elektronen um die Atomkerne kreisen wie die Planeten um die Sonne. In diesem Sinne seien Atome Instrumente, die fast perfekte Sphärenmusik erzeugten.

Sind die Ähnlichkeiten zwischen Musik, Atomen und Planeten-Bewegungen zufälliger Natur? Wenn ja, meint Wilczek, dann sei dieser Zufall ein wunderschönes Geschenk. Die Welt sei ein Kunstwerk, geschaffen in einem sehr speziellen, eigenwilligen Stil. Heraus rage darin die Bedeutung der Symmetrie. Das dahinter steckende Prinzip lasse sich durch die Formel beschreiben: ‘Ändern ohne zu verändern’. Ein Kreis sei symmetrisch, weil er sich um seinen Mittelpunkt drehen lasse ohne sich zu verändern. Ein gleichseitiges Dreieck würde sich dagegen bei einer Drehung verändern, es sei denn, diese betrage 120 Grad, so dass es mit sich selbst zur Deckung käme. Es besitzt ebenfalls Symmetrien, allerdings sehr viel weniger als der Kreis.

Änderung ohne Veränderung. Dieses allgemeine Konzept soll laut Wilczek auch auf die Gesetze der Physik anwendbar sein. Es gilt, perfekte Gleichungen zu suchen, die, gleich, wie man sie dreht, wendet und umformt, in ihren Folgen unverändert bleiben, bildlich gesprochen also die ‘Kreise unter den Gleichungen’ sind. Denn genau diese regierten die Welt. Bis sich ein Konzept von Schönheit durchsetze, bedürfe es eines ‘langen Dialoges mit der Natur’.

Wilczek verweist auf das Beispiel der Quantenphysik, die anfangs ‘bizarr, hässlich und abscheulich’ wirkte. Viele ihrer Begründer, u.a. Einstein, Planck und Schrödinger, hätten bis zu ihrem Tode mit ihr gerungen.

Erde, Wasser, Feuer und Luft

Die Symmetrie ist in ihrer modernen Form eine Idee des 20. Jahrhunderts. Erste Vorahnungen dieser Idee hatte jedoch bereits Platon. Er glaubte, die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft wären aus Bausteinen zusammengesetzt, welche die Gestalt von vier vollkommen symmetrischen Körpern besitzen, so genannten platonischen Körpern. Im Detail lag Platon weit daneben. Trotzdem war die Vision genial.

Wilczek selbst kam die Schönheit der Naturgesetze zu Bewusstsein, als er vor 5 Jahren einen Vortrag über Quantenphysik hielt. Davor spielte sie bei seinen Untersuchungen keine explizite Rolle. Die bedeutendsten Erkenntnisse, welche ihm später den Nobelpreis einbrachten, hatte er bereits in den frühen 70ern. Zusammen mit Davis Gross stellte er die Gleichungen für die starke Kernkraft auf. Diese hält den Atomkern zusammen. Neben ihr gibt es noch die schwache zurück gehen. Physiker stießen auf diese beiden Kräfte, als sie anfingen, Atomkerne zu studieren. Davor waren nur die zwei klassischen Kräfte bekannt: Die Gravitations- und die elektromagnetische Kraft. Insgesamt gibt es also vier Kräfte in der Natur.

Die Grundbausteine der Theorie von Wilczek und Gross sind Quarks und Gluonen. Es kostete einige Mühe, sie experimentell nachzuweisen. Im Endeffekt führten einige Ausgangshypothesen über Schönheit und Symmetrie auf die richtige Spur. Wilczek ist der Ansicht, von diesen Annahmen ließen sich sämtliche Phänomene der Kernphysik ableiten. Die einst von ihm entwickelte Theorie ist heute fester Bestandteil des sog. ‘Standardmodells’ in der Physik, das eine präzise Beschreibung der Welt liefert. Dennoch ist Wilczek mit dem Standardmodell unzufrieden. Er attestiert ihm ‘schwerwiegende ästhetische Mängel’. Das letzte Wort der Natur müsse ‘schöner sein’. Das Standardmodell enthalte ‘lose Enden’, weil es vier verschiedene Kräfte umfasse. Wilczek wünscht, es wäre nur eine. Gern würde er auch Kernkraft, auf welche Zerfallsprozesse im Kern die verschiedenen Materialen, aus denen die Welt besteht, auf ein einziges zurück führen.

Dem menschlichen Streben nach Erkenntnis stehen Hindernisse im Weg

Es gibt viel versprechende Ansätze, die in diese Richtung zielen. So stellt Wilczek eine frappierende Ähnlichkeit zwischen den Prinzipien hinter der Theorie der elektromagnetischen, der schwachen und der starken Kraft fest. Sie würde geradezu danach schreien, in einer umfassenden Theorie vereinigt zu werden. Mathematisch sei dies leicht zu lösen. Allerdings hätte man das Problem, dass alle drei Kräfte gleich stark sein müssten. Das sind sie jedoch nicht. Es sei denn, man berücksichtigt bestimmte Quanteneffekte bei extrem kleinen Entfernungen. Dann würden die Kräfte einander immer ähnlicher. Damit sie sich vollkommen anglichen, bräuchte es noch eine zusätzliche Symmetrie-Annahme: Die ‘Supersymmetrie’ oder kurz ‘Susy’. Wie alle Symmetrien beruhe auch sie auf dem Prinzip ‘Ändern, ohne zu verändern’. Der Unterschied: In diesem Fall könne man Teilchen und Kräfte gegeneinander vertauschen, ohne dass sich die Gesetze veränderten. Dank dieses kühnen Schrittes würde es klappen: Alle drei Kräfte nähmen bei kürzesten Abständen exakt den gleichen Wert an. Im Kleinsten finden sie endlich zusammen. Um die Annahme zu bestätigen, müsste man einige zusätzliche Teilchen finden, welche die Supersymmetrie vorher sagt. Da sie laut Theorie nicht all zu schwer seien, könnte der Teilchenbeschleuniger am Cern bald welche entdecken. Wilczek hält die Entdeckung solcher ‘Susy’-Teilchen für bedeutsamer als die des für die Schwerkraft zuständigen Higgs-Bosons. Jenes sei am Ende nur das i-Tüpfelchen gewesen, welches das Standardmodell endgültig bestätigt habe.

In der Natur gelten Gesetze, die der Mensch begreifen kann. Wilczek hält das für eine ‘grandiose Tatsache’. Wir könnten die Natur in ihrem Innersten verstehen, wenn wir ihr auf den Grund gingen. Jedoch sieht auch der Physiker ein: Dem menschlichen Streben nach Erkenntnis stehen Hindernisse im Weg. In unseren Bemühungen, die Welt zu erklären, stießen wir auf den ‘Fels der Wirklichkeit’. Am Ende bliebe nur die spekulative Erklärung, irgendein Sternenmacher, Ingenieur, Designer habe die Welt nach einem Plan entworfen. Man könne diesen auch ‘Gott’ nennen. Das erinnert an die ‘Deisten’ oder ‘Fideisten’ des 19. und früherer Jahrhunderte, welche die Naturgesetze als Beleg für die Entstehung der Welt durch die ordnende und planvolle Hand eines Schöpfers nahmen. Wilczek ist vorsichtiger. Er verweist auf seine Vorbilder Galileo, Maxwell und Newton. Jene glaubten, erforschen zu können, was Gott ist. Sie wollten Gott verstehen und sein Werk studieren. Wilczek selbst möchte nur ergründen, was die Wirklichkeit ist. Wie man das dann nennt, ist ihm gleich.

Gutes, Schönes, Wahres

Das klingt atheistisch, ist es jedoch nicht unbedingt. Vielmehr deckt es sich mit der Position des ‘Pantheismus’ oder Glaubens an die ‘Allnatur’. Für diesen sind Gott und die Welt/Wirklichkeit/Kosmos ein- und dasselbe Wesen. Der Schöpfer ist seine Schöpfung und kein von dieser getrennter, transzendenter Geist, der von außerhalb auf die materielle Welt einwirkt und sie durch seine ‘Kräfte’ steuert. Hieran wird der metaphysische, übersinnliche Charakter des bis heute in der Physik verwendeten Begriffs ‘Kraft’ deutlich. Dieser Begriff sorgt für Verwirrung. Die Erkenntnisse der Quantenphysik zeigen: Hinter allen ‘Kräften’ steckt sich bewegende Materie, sprich Teilchen. Deren Existenz und Verhalten geht weit über die uns bekannten vier Dimensionen der Raumzeit hinaus. Es gibt hier noch viel zu entdecken. Viel Gutes, Schönes, Wahres.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Februar 2016, erschienen.

Online-Flyer Nr. 550  vom 24.02.2016



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