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Inland
Betrachtung zur "Querfrontdiskussion"
Rechts einblenden, rechts ausblenden
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Was ist "rechts"? Ist Fremdenfeindlichkeit "rechts"? Ja, mit Sicherheit! Zeugt das Anzünden von Flüchtlingsunterkünften von "rechter" Gesinnung? Ja, ohne Frage! Ist eine Bewegung wie PEGIDA, die das Feindbild Islam schürt, "rechts"? Ja, mit Sicherheit! Aber was ist mit millionenfachem Mord? Ist der auch "rechts" oder eher "links"? Ist der Nationalsozialismus, der Millionen Menschen das Leben gekostet hat, "rechts"? Jedem, der einigermaßen bei Sinnen ist, ist die Antwort klar: das ist extrem "rechts".

Ist jemand, der millionenfachen Mord hinnimmt oder gar daran beteiligt ist, ein akzeptabler Bündnispartner? Ist, wenn ein "Linker" ein solches Bündnis eingeht, dies als Querfront zu bezeichnen? Selbstverständlich! Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung hat 2006 eine Zahl von zwölf und sechzehn Millionen Menschen genannt, die vom US-Imperium nach 1945 getötet worden sind. Allein der so genannte "Krieg gegen den Terror" hat in der Zeit von 2001 bis heute weit mehr als eine Million Menschenleben gekostet. Fast alle deutschen Parteien haben für die Beteiligung am "Krieg gegen den Terror" gestimmt – und tun dies in schöner Regelmäßigkeit immer wieder. Sind ihre Funktionäre und Anhänger keine Rechtsextremisten, mit denen sich in eine Querfront einzureihen sich verbietet?

Wer definiert, welche Art von "rechter" Gesinnung als "rechts" zu gelten hat und angeprangert werden muss und welche nicht? Die VVN-BdA-Vorsitzende Cornelia Kerth kennt sich diesbezüglich aus. Sie hat Anfang März 2016 einen Artikel zur "Querfrontdiskussion" veröffentlicht.

Ein Imperium aus dem Blickfeld räumen

Die Hauptaussagen dieses Artikels sind klar. Es gibt etwas, was auszublenden ist. Das ist der US-Imperialismus. Er soll in den Hintergrund treten, der "deutsche Weltmachtanspruch" in den Vordergrund. Das sollen wir erkennen, wenn wir den folgenden Satz lesen: „Vertritt man – gemeinsam mit der extremen Rechten – die Meinung, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souverän agierender Staat und unser zentrales Problem sei die Unterwürfigkeit deutscher Politiker unter die Interessen der USA, verstellt das den Blick auf den wieder erstarkten deutschen Militarismus, der den neuen deutsche Weltmachtanspruch begleitet.“ Wir sollen offenbar übersehen, dass Deutschland überwiegend als Teil des US-Imperiums agiert. Die unentwegten Beschwörungen transatlantischer Gemeinsamkeiten sollen wir überhören. Insbesondere den Umstand, dass es die USA sind, die die Welt mit Militärbasen übersät haben – und nicht Deutschland – sollen wir verdrängen. (siehe dazu auch "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" in KROKODIL 15 bzw. NRhZ 545)

Cornelia Kerth thematisiert den US-Imperialismus und seine Kapital-Verbrechen nicht. Vielmehr operiert sie mit dem Begriff "Anti-Amerikanismus". Und den rückt sie in ein "rechtes" Umfeld. Das macht sie mit einem Satz wie diesem: „Wer... glaubt, auf Grundlage des verbindenden Anti-Amerikanismus neue Bündnispartner gewinnen zu können und dafür auf eine klare Abgrenzung nach rechts verzichtet, sägt an dem Ast, auf dem alle potentiellen Opfer der neuen Faschisten sitzen.“

Zur Gegenkraft auf Distanz gehen

Und zu Russland sollen wir auf Distanz gehen. Und warum sollen wir das? Weil Russland Sympathien für "rechtes", rassistisches Gedankengut hat. So einfach ist das. Sie schreibt: „Die jüngste rassistische Mobilisierung im deutsch-russischen Milieu durch russische Medien und den Außenminister, ferner die rassistische Positionierung des russischen Ministerpräsidenten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa sind ein neuer Höhepunkt dieser Entwicklung. Wir finden es deshalb problematisch Russland als Bündnispartner zu begreifen.“ Worin dieser Rassismus bestehen soll, bleibt im Unklaren. Und Belege für die aufgestellten Behauptungen bleiben aus.

Aber kann man einen russischen Rassismus sehen, für dessen Existenz ein Beweis noch zu erbringen wäre, aber den ohne jeden Zweifel vorhandenen Rassismus Israels im Umgang mit den Palästinensern oder den Rassismus in den USA gegenüber den Schwarzen oder der Indianischen Bevölkerung ausblenden wollen und trotzdem noch glaubwürdig sein?

Und Cornelia Kerth schreibt: „Leider müssen wir feststellen, dass ein Teil der rechtspopulistischen und neofaschistischen Organisationen ausgerechnet aus Russland unterstützt wird. Es ist bekannt, dass die 'Front National' in Frankreich ihre Wahlkämpfe mit russischen Krediten finanziert...“ Ja, die "Front National" scheint tatsächlich einen Millionenkredit bei einer russischen Bank aufgenommen zu haben. Wie ist das zu erklären?

„Marine LePen [Vorsitzende der Front National] versprach eine Initiative zum Austritt aus der EU, zum Austritt aus der NATO, zur Beendigung der Auslandseinsätze der französischen Streitkräfte. Sie steht für eine 'Friedens- und Wirtschaftsachse von Lissabon bis Wladiwostok und Peking'. So sagt sie es auf ihren Kundgebungen wenigstens. Sie spricht für die Beseitigung der Fluchtursachen und so für einen Stopp der Flüchtlingsströme...“ So charakterisiert der Schriftsteller Hartmut Barth-Engelbart die aktuelle Politik der "Front National". Ist das "links" oder "rechts" oder "rechts-populistisch"? Wenn das "rechts" ist – weil es möglicherweise die nationalen Interessen Frankreichs bedient – wie ist es dann um das Anzetteln oder Befeuern von Kriegen bestellt oder um das Aushebeln von verfassungsrechtlich garantierten Grund- und Bürgerrechten durch die Erklärung des Ausnahmezustands unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung? Muss das nicht mit dem Attribut "extrem rechts" gebrandmarkt werden? Sind dann nicht vielmehr die französischen Präsidenten Sarkozy und Hollande "Rechts-Extremisten", die rechts von der "Front National" stehen?

Die radikalste faschistische Verleugnung verleugnen

Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen. Das ist ein von der VVN immer wieder verwendeter Slogan. Ja sicher: Faschismus ist ein Verbrechen, ein extremes Verbrechen. Aber wer definiert, wo Faschismus anfängt und wo er aufhört? Sind Millionen vom Nationalsozialismus Ermordete ein Ausdruck von Faschismus, Millionen vom US-Imperialismus ums Leben Gebrachte aber nicht? Können wir im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit ein Bündnis eingehen mit Kräften, die auf der Seite eines mörderischen Imperiums stehen, das das Feindbild Islam mittels der Operation 9/11 in ganz großem Stil hat entstehen lassen – einer Operation, in deren Zusammenhang die US-Schriftstellerin Susan Sontag von der „radikalsten faschistischen Verleugnung des amerikanischen Rechtssystems“ spricht? Ist das – wenn wir das tun – keine Querfront?

Können wir eine Querfront bekämpfen, aber in einer anderen Querfront paktieren? Und das sogar dann, wenn wir damit in einer Front stehen mit wesentlich extremeren Kräften als denen, die es zu bekämpfen gilt? Können wir eine Krankheit mittels einer wesentlich übleren Krankheit bekämpfen? Rechts einblenden, rechts ausblenden. Faschismus einblenden, Faschismus ausblenden. Querfront einblenden, Querfront ausblenden. Das ist eine Kunst. Das ist das Spiel der Herrschenden.


Artikel von Cornelia Kerth in verschiedenen Varianten:

Wo wir stehen (antifa, März/April 2016)
http://antifa.vvn-bda.de/2016/03/05/wo-wir-stehen/

VVN-BdA-Vorsitzende Cornelia Kerth zur Querfrontdiskussion: Antifaschismus und Friedensbewegung gehören zusammen, 03.03.2016
http://nrw.vvn-bda.de/texte/1563_frieden_antifa.htm
http://aixpaix.de/deutschland/kerth-20160303.html


Siehe auch:

Gesinnungsterror Deutschland 2016
Von Klaus-Peter Kurch
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22642

»Transatlantifa« droht Antifaschisten
Von Susan Bonath
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22611


Vorab-Veröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 16 (März 2016) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.

 

Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/


Online-Flyer Nr. 554  vom 23.03.2016



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