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Literatur
Haas ‘Brennerova’ und Schillers ‘Wallenstein’ neu gelesen
Willenskraft im Kampf für Frieden
Von Irene Eckert

"Weil, der Wille natürlich ganz schlechte menschliche Erfindung" meint Brenners Freundin Hertha im Krimi Slang des Kult-Autors Wolf Haas. In seiner K-Satire "Brennerova" gerät die ausrangierte Ex-Pädagogin auf der Suche nach ihrem Schamanen in der Mongolei in Geiselhaft. Brenner, ihr unfreiwilliger Held, ein wegen Disziplinlosigkeit ebenfalls frühpensionierter Polizist, wird einmal mehr als Geheimdetektiv tätig und rettet sie.


Friedrich Schiller und Wolf Haas (Montage: NRhZ)

Der Österreicher Wolf Haas ist als studierter Psychologe, Germanist und Werbetexter ein angesagter Krimi-Autor, Brenner sein unorthodoxer Protagonist. Weibliches Begleitpersonal motiviert ihn, zieht ihn auf die Spur des Verbrechens. Er und seine Frauen bringen sich dabei gegenseitig in Schwierigkeiten.

Haas' Schreibe, mehrfach preisgekrönt, ist kultig, eigenwillig, humorvoll. Er favorisiert gesellschaftliche Problemthemen und unterkühlte Töne. Mit dem Leser per Du, fabelt er locker und spannend daher, seine Stories sind visuell und stark gewalthaltig. Streckenweise rücksichtslos brutal, aber immer augenzwinkernd unterhaltsam, so verpackt Wolf Haas gesellschaftskritische Hinweise. Mit der 'Brennerova' führt er die Verflechtung von Mafia und Polizei, von Mädchenhandel und Drogengeschäft vor. Der allgegenwärtige Überwachungswahn wird aufs Korn genommen.

Wozu menschliche Willenskraft fähig ist

Ganz anders schreibt sein über 250 Jahre älterer Kollege Schiller, ein Klassiker der Weltliteratur. Uns Heutigen mag er daher schwerer, tragender erscheinen. Dennoch sind seine Themen nicht weniger aktuell. Zu seiner Zeit galt er als gehobene Unterhaltungsliteratur. Friedrich Schillers Stücke waren Publikumslieblinge. Seine Balladen kannte jedes deutsche Kind. Der aus der Heimat vertriebene Militärarzt und Historiker schrieb Gedichte und Dramen. In Jena lehrte der Goethe-Freund Geschichte. Vorbildhaft trotzte der mit 46 Jahren schon Verstorbene dem schwerkranken Körper das Letztmögliche ab. Er fabulierte nicht nur, sondern lebte vor, wozu menschliche Willenskraft fähig ist. Der Mensch kann durchaus über sich selbst hinauszuwachsen. Schiller zeigt in seinen Stücken die Leuchtkraft der Charakterstärke, aber auch, was Charakterschwäche an Verhängnis nach sich zieht.

Seine Tragödie "Wallenstein", eine in Versen erzählte Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg, kann als Krimi gelesen werden, Spiegel einer gewalthaltigen Zeit. (*) Anders als der Alpenrepublikaner Haas zielt der Württemberger Schiller auf die ganz großen menschheitlichen Ränke, Hintergründig werden historische Interessenkonflikte thematisiert. Es geht um Macht- und Europapolitik, um Krieg und Frieden. Die Wirkungsmöglichkeit des Individuum im Gefüge der Menschenschicksale wird aufgezeigt. Lügengebäude, Größenwahn und Unvernunft sind es, die die Akteure schließlich zu Fall bringen.

Mit Schillers 'Wallenstein' sichten wir ein fast vergessenes Juwel deutscher klassischer Literatur. An Mord und Totschlag, Lug und Trug mangelte es damals so wenig wie heute. Der große Söldnerführer 'Wallenstein' hat aber - im Unterschied zum kleinen Spitzbuben Brenner und seinen 'Kops' - Visionen. Der Emporkömmling dient als Warlord zunächst der höchsten, der kaiserlichen Macht. Ruhm und Reichtum des Kriegsgewinnlers ruhen allerdings auf schweren Verbrechen. Das kann nicht gut gehen. Am Ende steht er ganz alleine. Unerreichbar für Warnungen fällt sein Leben heimtückischem Verräter-Mord zum Opfer.

Zu spät oder zu früh gekommen, wollte er Frieden schaffen mit dem schwedischen Feind, wollte den Religions-Fanatismus beenden und der unbegrenzten Eroberungspolitik des Hauses Österreich Schranken setzen. Sein Preis war hoch, seine Mittel fraglich.

Schiller mit Offenheit und Wahrhaftigkeit gegen den Wahnsinn der kriegerischen Ränke-Schmiede

Der klassische Humanist Schiller denunziert im 'Wallenstein'-Drama den Wahnsinn der kriegerischen Ränke-Schmiede. Offenheit, Wahrhaftigkeit und eine dem Frieden dienliche Politik, ist die Vision, die mit Charakteren wie Max Piccolomini und der Thekla von Friedberg, Wallensteins Tochter, als Möglichkeit sichtbar werden. Mit solchen jungen Menschen, die frei vom schuldhaften Verhalten der Eltern, wird Zukunft denkbar.

Wallensteins Schwägerin, die Gräfin Tertzky, weibliches Pendant zum Friedberger, ist eine eiskalte, moderne Macht-Politikerin. Des Kriegsfürsten Ehefrau, die Herzogin, dagegen ein Sinnbild weiblicher Schwäche und Ängstlichkeit. Ihre Tochter Thekla, Lichtgestalt und Hoffnungsträgerin muss als bloßes Instrument väterlicher Karrierepläne zugrunde gehen. Ihrem Geliebten Max, dem Oberst Piccolomini, Opfer eines genauso verblendet-unehrlichen Vaters, ereilt das gleiche Schicksal.

Natürliche Verbündete, Freunde, Geliebte, Partner stolpern über die unnatürlichen Intrigen, die sie selber schmieden. Die Seelenlosigkeit menschlichen Handelns zieht auch Unbeteiligte mit in den Abgrund. Weil übersteigerter Ehrgeiz, Karriere- und Machtstreben das Tun der Protagonisten leiten, müssen sie am Ende das ihnen Liebste preisgeben.

Schillers Stück von 1799 verweist schon auf die heraufziehenden napoleonischen Kriege, die Europa verheeren werden. 1805 stirbt der Dichter. 1815 wird - am Ende der nationalen Befreiungskriege - mit dem Aufstieg des Fürsten Metternich der Geist des Fortschritts vorerst begraben, um aber gegen Ende des Jahrhunderts mit geschichtsbildender Wirkung in Form der sozialistischen Arbeiterbewegung wiederzukehren. 1989 geht das erste sozialistische Staaten-Gefüge der Welt vorerst verloren - neue globale kriegerische Folgen nach sich ziehend.

Mit Klassikern gegen eine neue Zeit des Niedergangs in den NATO-Länder


Heute befinden wir uns - trotz des trügerischen Glanz und Gloria der Konsumpaläste - im Westen in einer ähnlich bleiernen Zeit wie vor 200 Jahren. Europa und die NATO-Länder erleben eine neue Zeit des Niedergangs, den sie - alle Zeichen ignorierend - schuldhaft heraufbeschwören.

Verblieben ist uns auf der 'Kultur'-Schiene vorübergehend nur Kriminalliteratur. Texte zur seichten Unterhaltung, selten zur Erbauung, werden vorgelegt. Das Theater ist längst keine Anstalt mit moralischem Anspruch mehr. Zeichen einer neuen Zeit werden dort nicht sichtbar.

Dennoch bereitet diese sich vor. Sie scheint auf am östlichen Horizont und - trotz aller Rückschläge - in der südlichen geopolitischen Hemisphäre. Es ist der Blick dorthin, der uns die Wege aus der Gefahr weisen kann. Willenskraft und geistige Anstrengung sind dafür selbstredend von Nöten. Die Aufarbeitung der Klassiker kann dabei nicht schaden.

Apathie, Drogenkonsum, Schamanentum, Versinken in Willenlosigkeit, würde einem Unheil verheißenden Trend Vorschub leisten. Das dürfen wir als verantwortungsbewusste Menschen nicht zulassen.


(*) Übrigens: Schiller selbst hat sich sogar unmittelbar am Genre Kriminalprosa in seinem Roman-Fragment "Die Geisterseher" versucht, gab aber auf, weil es ihm nicht möglich schien, die für ihn ausschlaggebenden Hintergrundinformationen darin unterzubringen.


Erstveröffentlichung am 14.4.2016 in Eirenae's blog


Online-Flyer Nr. 558  vom 20.04.2016



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