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Kommentar
Über das System des Einsperrens
Zürich: 11-jährig und schon im Polizei-Gefängnis
Von Heinrich Frei

Eine Haft kann Kinder zutiefst verängstigen. Im provisorischen Polizeigefängnis auf der Kasernenwiese in Zürich wurden 2015 auch 745 Minderjährige inhaftiert, 117 von ihnen waren jünger als 15 Jahre, die Jüngsten waren 11-jährig. (1) Ist es sinnvoll, sogar Kinder und Jugendliche einzusperren, die eben die «Konsequenzen für ihr Handeln tragen müssen», wie es heißt? Gefängnisstrafen mit der damit verbundenen Isolation wurden von Verhaltenswissenschaftlern erforscht. Isolation ist «Gift», nicht nur für Kaninchen und Wellensittiche, auch für Kinder und Erwachsene.


Im provisorischen Polizeigefängnis auf der Kasernenwiese in Zürich wurden 2015 auch 745 Minderjährige inhaftiert, 117 von ihnen waren jünger als 15 Jahre, die Jüngsten waren 11-jährig, (Foto Heinrich Frei)

Selbstmordrate in Gefängnissen vier- bis zehnmal höher als in Freiheit


Ist das heutige System des Einsperrens überhaupt auch für Erwachsene sinnvoll? In Gefängnissen soll die Selbstmordrate vier- bis zehnmal höher liegen als in Freiheit. Nebenwirkungen von Haft sind oft depressive Verstimmungen und Haftpsychosen mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Bedrohungs- und Verfolgungsgefühle, schwere Ängste, Verwirrtheit und auch Suizidgedanken. – Nicht verwunderlich, wenn man in der Untersuchungshaft oft 23 Stunden pro Tag in eine Zelle eingesperrt wird, manchmal oft allein während Monaten.

«Gefängnisse» zur Bestrafung von Delinquenten: Quacksalberei

Da muss man sich schon fragen, sind «Gefängnisse» zur Bestrafung von Delinquenten nicht vergleichbar mit der Quacksalberei im Emmental, wie sie der Schweizer Schriftsteller Jeremias Gotthelf in seinen Romanen geschildert hatte? (Jeremias Gotthelf, 1797–1854)

Ein Gefängnisaufenthalt mit der damit verbundenen Isolation kann einen Menschen krankmachen, zerstören, ändert seinen Charakter nicht zum Besseren. Aber der Aberglaube an Sühne und Vergeltung scheint in der Frage des Einsperrens seit dem Mittelalter intakt geblieben zu sein, trotz Erkenntnissen der Verhaltenswissenschaften die das Gift der Isolation erforscht hat, nicht nur bei Tieren, bei Kaninchen und Wellensittichen. Jetzt werden noch längere Gefängnisstrafen verlangt, und Schluss mit unbedingten Strafen gefordert. Täter sollen sogar schon vor ihrer Tat erfasst werden…

Das Strafrecht, das Recht und den Sinn, Menschen zu bestrafen, müsste auf Grund der Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaft in Frage gestellt werden. Die Lösung ist nicht ein «Jugendtrakt» im neuen Polizei- und Justizzentrums Zürichs, wie es nun Politiker fordern. Dieses Zentrum wird auf dem alten Güterbahnhofareal in Zürich-Altstetten gebaut.




Auch im neuen Bezirksgefängnis neben dem Bahnhof Dietikon und im Ausschaffungsgefängnis neben der Piste des Flughafens Zürich-Kloten werden Jugendliche eingesperrt. (Fotos: Heinrich Frei)


Quelle:

(1) «Das Geschrei aus der Zelle nebenan“ Tages-Anzeiger, 2016-12-05, Mario Stäuble)

Online-Flyer Nr. 593  vom 21.12.2016



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