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Medien
G20-Gipfel in Hamburg
3.7.2017 – Montagmorgen – ein Rückblick
Von Ellen Diederich

Ich wache, wie immer, früh auf. Schalte das Morgenmagazin ein, heute ist das ZDF zuständig. Gestern habe ich mich schon über die Berichterstattung zum G20-Gipfel in Hamburg, vor allem über den Bericht der Demonstration und die Behinderung des durch das Verwaltungsgericht gestattete Aktivistencamp der G20-Gegner total geärgert. Heute Morgen wird es noch schlimmer. Ich bin sehr wütend über den immer offensichtlicheren Verfall der Demokratie. Schreiben jetzt das Innenministerium oder die Polizei die Nachrichten des ZDF?


Anti-G20-Protest in Hamburg (Foto: arbeiterfotografie.com)

Dunja Hayali ist eine Journalistin des ZDF Morgenmagazins. In dieser Woche ist sie nicht dabei. Schade. Am letzten Freitag forderte sie beim Kölner Treff, Moderation Bettina Böttinger, dass die Berichterstattung wieder kritischer werden müsse. Davon ist im Moment nichts zu spüren. Die Informationspflicht des öffentlich rechtlichen Fernsehens wird grob außer Kraft gesetzt.

Die Demonstration von vielen Tausend Menschen gestern verlief kreativ und mit vielen selbst gestalteten Losungen sehr eindringlich. Eine große Koalition aus Aktionsgruppen, Parteien, Gewerkschaften, Friedensbewegung hatten sich hier zusammen gefunden. Es gab in der Berichterstattung aber keine Information über die Ziele des G20-Gipfels und welche Argumente die DemonstrantInnen gegen dieses Treffen haben.

Ich erinnere an eine Zeit, in der wir es geschafft haben, ohne Internet, so genannte soziale Medien usw., hunderttausende von DemonstrantInnen gegen die Stationierung von Atomwaffen in der BRD zu organisieren. Da sprachen dann abends in den Nachrichten Heinrich Böll, Petra Kelly und andere über die Ziele der AktionsteilnehmerInnen. Musikgruppen konnten Friedenslieder singen.

Hamburg: auf Konfrontation ausgerichtet

In Hamburg ist das Bild sehr anders. Alles ist auf Konfrontation ausgerichtet. 15.000 bis 20.000 PolizistInnen sind in Hamburg zusammen gezogen. Die Angaben sind unterschiedlich.

Ich war in den 80er Jahren bei allen Gipfeltreffen zwischen Reagan, später Bush und Gorbatschow, bei denen es um Abrüstung, um Verständigung ging, in Genf, Reykjavik, Malta und Washington. Wir gründeten eine weltweite Gruppe: Women for a meaningful summit (Frauen für ein sinnvolles Gipfeltreffen). Wir kamen aus der Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung, waren Aktivistinnen, Parlamentarierinnen. Zwei der Sprecherinnen waren die Kongressabgeordnete der Demokraten, eine der prominentesten Feministinnen der USA, Bella Abzug „New Yorks Bella“, wie Andy Warhol, der sie gemalt hat, sie nannte, und Margharita Papandreou, Vorsitzende der größten griechischen Frauenorganisation und Ehefrau des zu der Zeit regierenden Präsidenten von Griechenland: Andreas Papandreou. Es schien uns notwendig, diese Fraueninitiative zu gründen, vor allem, da bei den Gipfelgesprächen keine Frau und kein Mensch mit dunkler Hautfarbe präsent waren. Wir forderten deren Beteiligung. Wir trafen uns vor und zwischen den Gipfeltreffen, erarbeiteten unsere Vorstellungen zu Abrüstung, Frieden, dem Kampf gegen den Hunger, der Verelendung weiter Teile der Menschheit und gesellschaftliche Lösungen für diese großen Probleme. Unsere Vorstellungen gingen weit über das hinaus, worüber in den Gipfelgesprächen diskutiert wurde. Im Unterschied zu heute aber konnten wir unsere Vorschläge den Verhandlungspartnern überreichen. Gorbatschow und Shewardnadse empfingen Vertreterinnen der Frauen, Reagan und Bush schickten Unterstaatssekretäre.
 
Die äußeren Bedingungen bei den Gipfelgesprächen waren sehr unterschiedlich zu heute. Z.B. auf Island in Reykjavik: Auf der ganzen Insel gab es 15 Polizisten. Das Haus, in dem die Gespräche stattfanden, lag am Ufer einer Meeresbucht. Diese kleine Gruppe von Polizisten, Pfadfindern und einigen Feuerwehrleuten bildeten einen Kreis vor diesem Ort. Die Fahrzeuge, in denen die Akteure zum Haus fuhren, wurden von den Demonstranten begrüßt. Unsere Forderungen Atomwaffen abzuschaffen, abzurüsten und friedliche Gesellschaften zu schaffen, konnten wir ungehindert auf Plakaten, Spruchbändern und in Demonstrationen darstellen. Es ging bei den Gesprächen um Abrüstung und Frieden, also um Ziele, die auch die DemonstrantInnen forderten. Die „Natur“ gab uns positive Signale. Am ersten Tag der Gespräche in Reykjavik erschien fünfmal ein Regenbogen über dieser Bucht.

Das nächste Gipfeltreffen fand auf Malta statt. Malta ist atomfreie Zone. Trotzdem kamen beide Delegationen mit atomar betriebenen und mit Atomwaffen bestückbaren Schiffen. Das war eine Verletzung des maltekischen Rechts und eine Beleidigung der maltekischen Gastfreundschaft: "Warum bringen die Verhandlungspartner ihr Bett mit?" fragten maltekische Zeitungen. Auf diesen Schiffen also  sollten die Gespräche stattfinden. Als sie beginnen wollten, erhob sich der schwerste Sturm seit Jahrzehnten. Haushohe Wellen wühlten das Meer auf, es war unmöglich, sich auf dem Meer und den Schiffen zu treffen. Ich erinnere mich an die Nachrichten Bilder, wie Bush sen. vergeblich versuchte, die Reeling zu erreichen. Die Gespräche fanden dann auf dem Kreuzfahrtschiff Maxim Gorki, das zu der Zeit fest vertäut im Hafen von Malta lag, statt. In dem Augenblick, als die Gespräche beendet waren, hörte der Sturm auf.

Ich bin kein religiöser Mensch. Aber der Regenbogen auf Island, der Meeressturm in Malta und Gozo waren berührende Erfahrungen. Malta und die Nachbarinsel Gozo waren vor tausenden von Jahren matriarchale Gesellschaften. Dort wurde die „große Muttergöttin“ verehrt, deren Bild auf zahlreichen Fundstücken aus der Zeit präsent ist. Es war der Sage nach auch die Insel, auf der Kalypso den umherirrenden Odysseus beherbergte. Wir hatten das Gefühl, dass die „große Muttergöttin“ uns augenzwinkernd ein Zeichen gab: „Wenn wir es nicht wollen, dass die Welt durch diese kranke Erfindungen Atomwaffen bedroht ist, wird das Meer auf unserer Seite sein, um es zu verhindern.“

Die Atomwaffenarsenale wurden reduziert, der Ost-West-Konflikt kam ins Wanken. Bei der Atombewaffnung und den Phantasien, Atomwaffen auch einzusetzen, hat sich der damals erzielte Fortschritt rückentwickelt. Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI (Swedish Institut Peace Research International) veröffentlichte in diesen Tagen seinen Bericht über die weltweite Atombewaffnung. Es sieht keine Bereitschaft unter den Atommächten weltweit, in Zukunft auf Nuklearwaffen zu verzichten. In dem aktuellen Bericht heißt es, „alle Atommächte seien dabei, ihre Arsenale zu modernisieren. Allein die USA wollten bis 2026 400 Milliarden Dollar in die Instandhaltung und Erneuerung ihrer Nuklearwaffen investieren. Auch Russland habe Modernisierungsprogramme aufgelegt. Zusammen verfügen die beiden Staaten über 93 Prozent der Atomwaffen weltweit.“ (Deutschlandradio)

Entscheiden jetzt Innenminister und Polizei gegen die Gerichte?

In Hamburg ist das Bild zwischen DemonstrantInnen und Polizei anders als seinerzeit auf Island und Malta. Das Verwaltungsgericht hat vor zwei Tagen in letzter Minute entschieden, das seit langem geplante Protestcamp kann, auch mit Übernachtungen, in Rothenburgsort stattfinden. Trotzdem wurden gestern die Eingänge zur Parkanlage von PolizistInnen gesperrt, Zelte kaputt gemacht, die Menschen verjagt, Pfefferspray eingesetzt. Entscheiden jetzt der Innenminister und die Polizei unabhängig von Gerichtsentscheidungen, wie Demonstrationen durchgeführt werden können? Herr Trump lässt grüßen? Wie hechelnde Hunde warten sie darauf, dass es endlich mit den Krawallen losgehen soll. Darüber soll berichtet werden, nicht über die berechtigte Kritik an den Inhalten dieses Treffens. Die martialische Aufrüstung der Polizei ist einfach widerlich.

Über die Kosten dieses Treffens gibt es keine klaren Angaben. Die Zahlen schwanken zwischen 130 und 500 Millionen Euro. Das Treffen der G20 in Toronto kostete knapp 400 Millionen. Das Geld muss von den SteuerzahlerInnen aufgebracht werden.

„Die Kosten für die Unterbringung der hochrangigen Gäste und der bis zu 20.000 Delegierten tragen diese übrigens größtenteils selbst. Wie ein Sprecher der Bundesregierung sagte, sei der Bund nur beim Vermitteln der Unterkünfte behilflich, zum Beispiel indem er nahezu alle Luxushotels im Innenstadtbereich langfristig vorab reserviert hatte.“ (Hamburger Abendblatt, 3.7.2017)

Ich bin zu krank, um nach Hamburg zu fahren. Meine Gedanken und meine Solidarität sind bei den GipfelgegnerInnen.

Online-Flyer Nr. 621  vom 12.07.2017



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