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Kultur und Wissen
Da war doch noch was?
Schlaue Pflanzen
Von Harald Schauff

Alter Witz: Wie bringt man das Gehirn seines Gegenübers auf Erbsengröße? Aufblasen! Ha, ha, lustig. Na ja. Zum einen sagt die Größe des Denkorgans nichts über dessen inhaltliche Qualitäten aus. Da kann sehr viel tote Masse gelagert werden. Z.B. bei zungenfertigen Zeitgenossen, wo außer dem Sprachzentrum nichts weiter großartig aktiv ist. Zum anderen sind die kognitiven Fähigkeiten von Erbsen nicht zu unterschätzen. Sie haben durchaus etwas auf dem Kasten, oder besser gesagt, auf der Schote. Grünzeug wie sie kann wahrnehmen, dass auf ein Ereignis ein anderes folgt und sich darauf einstellen. Die Tierpsychologie kennt das berühmte Palowsche Hundeexperiment: Ein Hund erhält Futter. Gleichzeitig läutet eine Glocke. Später reagiert er bereits auf den bloßen Glockenton mit Speichelfluss.

Vor einigen Monaten wies die Evolutionsbiologin Monica Gagliano von der University of Western Australia nach, dass die Pawlowsche Konditionierung auch bei Pflanzen gelingt (Bericht: DER SPIEGEL 2/2017). Die Forscherin setzte Erbsenpflänzchen künstlichem Licht aus, welches erst erstrahlte, sobald ein Luftstrom über diese hinweg gegangen war.

Nach einiger Zeit blieb die Beleuchtung aus. Dennoch neigte sich die Mehrheit der Pflänzchen in Richtung des Luftstromes. Offensichtlich deuteten sie jenen als Hinweis, woher das Licht kommen würde. So wie Pawlows Hund das Glockengeläut unmittelbar mit Futter verband, schlossen sie vom Wind auf das Licht.

Dieser erlernte Reflex hätte bei den Pflanzen sogar die genetische Veranlagung überlagert, sich zum Licht zu recken, meinte Gagliano im Wissenschafts-Fachblatt ‘Scientific Research’. Somit beschränke sich das sog. ‘assoziative Lernen’ nicht nur auf Tiere. Auch das Verhalten von Pflanzen beruhe auf derartigen Lernprozessen.

Lernende Pflanzen. Das Grünzeug ist also nicht so grün wie es erscheint. Irgendwo haben sich ein paar graue Zellen unter das Blattgrün gemogelt. Wo immer sie stecken mögen: Im Stengel, in den Erbsen oder gar in den Wurzeln? Eher wohl in den Zellen. Ein Wunder, ein Rätsel und: Eine große Ernüchterung. Was tut die Forschung dem Menschen an bzw. er sich selbst mittels ihrer, der selbst ernannte und geglaubte Vernunftprotz? Zuletzt rückte ihm bereits die Tierwelt bedrohlich zu Kopfe. Auch sie beherrscht logisches Denken, Sprache und lernt ständig dazu. Nun machen sie auch noch die Pflanzen daran, die Krone der Schöpfung zu überwuchern, lautlos, unscheinbar, doch beharrlich.

Ähnlich wie Menschen und Tiere sind auch sie nicht ausschließlich Sklaven ihrer Gene. Sie können sich etwas merken, haben also scheinbar eine Art Gedächtnis. Vielleicht sogar Bewusstsein? Vermutlich nicht rational, sondern eher auf der Ebene von Empfindungen: Sie spüren Kälte, Wärme, Licht, Wind, Feuchtigkeit und manches mehr, Druck zum Beispiel.

Immerhin. Das allein wirkt schon faszinierend und wirft die Frage auf: Gehören Leben und Bewusstsein untrennbar zusammen? Gleich in welcher Form, auf welcher Stufe? Man braucht deshalb noch lange nicht einen ‘Geist’ oder eine ‘Seele’ anzunehmen, die allem Lebendigen und darüber hinaus vielleicht noch anderen Dingen innewohnt, wie es die Freunde des Übersinnlichen in zahlreichen Bezugssystemen tun. Das Wunder des Lebens braucht solche vereinfachenden Erklärungsmodelle nicht. Es bringt uns auch so zum Staunen.

Und zu neuen ethischen Fragen: Ist am Ende die Massenpflanzenzüchtung so verwerflich wie die Massentierhaltung, weil hier bewusst erlebenden Wesen Grausames angetan wird? Oje, was können wir noch guten Gewissens essen?


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Juli 2017, erschienen.


Online-Flyer Nr. 624  vom 02.08.2017



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