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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Dank an einen echten jüdischen Faschisten
Danke, Smotrich
Von Uri Avnery

ICH SCHULDE Besalel Smotrich großen Dank. Ja, ja, Smotrich von der extremen Rechten, dem Faschisten Smotrich. Vor kurzem hielt Smotrich vor seinen Anhängern eine Rede, die zu einem nationalen Ereignis werden und eine neue Seite in der jüdischen Geschichte aufschlagen sollte. Er war so freundlich, mich in dieser monumentalen Botschaft zu erwähnen. Er sagte, nach dem Krieg von 1948, in dem der Staat Israel gegründet wurde, schufen Uri Avnery und eine kleine Gruppe seiner Anhänger die Ideologie „zwei Staaten für zwei Völker“. Es sei ihnen in jahrelanger geduldiger Arbeit gelungen, diese Idee in einen nationalen Konsens zu verwandeln, ja sogar in ein Axiom. Smotrich sagte seinen Verehrern, auch sie müssten ihre Ideologie formulieren und auch sie müssten jahrelang geduldig daran arbeiten, dass sie anstelle von Avnerys Ideologie zum nationalen Konsens würde.

Ein Kompliment von einem Feind schmeckt immer süßer als eines von einem Freund. Umso eher, als ich niemals allzu viele Komplimente von Freunden bekommen habe. Tatsächlich versuchen viele Politiker, die sich jetzt dazu bekennen, für „zwei Staaten für zwei Völker“ zu kämpfen, die Tatsache zu leugnen, dass ich der Erste war, der diese Idee proklamiert hat, lange bevor sie selbst dazu bekehrt wurden. Dank dir also, Smotrich. Darf ich, verbunden mit meinem Dank, den Wunsch aussprechen, du mögest einen hebräischen Namen annehmen, wie es sich für einen Mann gebührt, der danach strebt, der hebräische Duce zu werden?

NACH DEM Kompliment für mich legte Smotrich seinen Plan für die Zukunft Israels in allen Einzelheiten dar. Der Plan gründet sich auf die Forderung, dass sich die Araber, die zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben, zwischen drei Möglichkeiten entscheiden sollten. Erstens: Sie können eine Geldzahlung annehmen und das Land verlassen. Zweitens: Sie können Untertanen des jüdischen Staates werden, ohne dass sie seine Bürger würden und ohne das Wahlrecht zu bekommen. Drittens: Sie können Krieg machen und besiegt werden.

DAS IST einfach der pure Faschismus. Nur dass Benito Mussolini, der das Wort erfand (von fascis, dem Rutenbündel, dem alten römischen Symbol der Autorität), keine Massenemigration predigte, von niemandem. Nicht einmal die der italienischen Juden, zumal viele von ihnen glühende Faschisten waren. Sehen wir uns einmal den Plan genauer an. Kann ein ganzes Volk friedlich dazu gebracht werden, sein Vaterland für Geld zu verkaufen? Ich denke, das hat es noch nie gegeben. Tatsächlich zeigt die bloße Idee schon eine abgrundtiefe Verachtung für die Palästinenser. Einzelne können in schweren Zeiten ihre Häuser verlassen und auf grünere Weiden ziehen. Während der großen Hungersnot emigrierten Massen von irischen Männern, Frauen und Kindern von ihrer smaragdgrünen Insel nach Amerika. Aus dem heutigen Israel emigrieren viele Israelis nach Berlin oder Los Angeles. Aber können das auch Millionen? Freiwillig? Für Geld? Ganz abgesehen von der Tatsache, dass der Preis unweigerlich von einem Emigranten zum anderen steigen würde. Auf der ganzen Welt gäbe es dafür nicht genug Geld.

Ich empfehle Smotrich, ein Lied noch einmal zu lesen, das der nationale Dichter Nathan Alterman lange vor Smotrichs Geburt geschrieben hat. In seinem Gedicht, das er während der „Arabische Rebellion“ schieb, pries Alterman 1937 die Einheiten der illegalen hebräischen Untergrundstreitkräfte: „Kein Volk zieht sich aus den Schützengräben seines Lebens zurück“. Das ist unmöglich. Die zweite Möglichkeit wäre leichter zu verwirklichen. Die Araber, die schon jetzt eine geringe Mehrheit zwischen dem Fluss und dem Meer ausmachen, würden zu einem Paria-Volk und würden ihren israelischen Herren dienen. Die Mehrheit der Araber wird wegen der hohen Geburtenrate der Palästinenser schnell größer. Wir würden freiwillig eine südafrikanische Apartheid-Situation schaffen. Die alte und die neue Geschichte zeigen, dass eine solche Situation unweigerlich zu Rebellion und schließlich zur Befreiung führt. Da bleibt denn also die dritte Lösung. Sie entspricht dem israelischen Temperament viel besser: Krieg. Nicht die unaufhörlichen Kriege, in die wir uns seit dem Beginn des Zionismus verstricken, sondern ein großer entscheidender Krieg, der dem ganzen Schlamassel ein Ende macht. Unweigerlich werden die Araber besiegt und ausgelöscht. Ende der Geschichte.  

ALS ICH 1949 zu dem Schluss kam, dass die einzige Möglichkeit, den Konflikt zu beenden, sei, die Palästinenser dabei zu unterstützen, Seite an Seite mit dem neuen Staat Israel ihren eigenen Staat zu errichten, nahm mein Gedankengang seinen Ausgang bei der sehr originellen Annahme: Ein palästinensisches Volk gibt es. Um ehrlich zu sein: Ich war nicht der Erste, dem das klar war. Vor mir hatte der kluge linke zionistische Historiker Aharon Cohen diese Idee geäußert. Alle anderen Zionisten verneinten diese Tatsache wütend. Golda Meier erklärte einmal, wie allgemein bekannt ist: „So etwas wie ein palästinensisches Volk gibt es nicht!“ Wer sind dann also alle diese Araber, die wir mit eigenen Augen sehen? Ganz einfach: Sie sind Gesindel, das, nachdem wir gekommen und dieses Land zum Erblühen gebracht hatten, aus benachbarten Gebieten in dieses Land hereingeholt wurde. Leicht rein – leicht raus. Solange das Westjordanland unter jordanischer Herrschaft stand und der Gazastreifen ägyptisches Protektorat war, war es leicht, so zu denken. „Palästina“ war von der Landkarte verschwunden. Solange, bis einer, der Jasser Arafat hieß, es wieder auf die Landkarte setzte. Im Krieg von 1948 wurde das halbe palästinensische Volk aus dem Gebiet vertrieben, das Israel wurde. Die Araber nennen das die „Nakba“, die Katastrophe. (Übrigens: Sie wurden nicht, wie viele glauben, aus ganz Palästina vertrieben: Viele von ihnen fanden im Westjordanland und im Gazastreifen Zuflucht.)

SEIT 1949 hat die einfache Tatsache Bestand, dass in diesem kleinen Land zwei Völker leben. Keines von beiden wird weggehen. Beide glauben leidenschaftlich daran, dass dieses Land ihr Heimatland sei. Diese einfache Tatsache brachte mich dazu, den logischen Schluss zu ziehen, dass die einzig mögliche Lösung Frieden ist, der sich auf die Koexistenz der beiden Nationalstaaten Israel und Palästina gründet. Beide Staaten würden eng zusammenarbeiten und vielleicht so etwas wie eine Föderation bilden. Eine andere Lösung wäre ein Einheitsstaat, in dem die beiden Völker friedlich zusammenleben würden. Ich habe schon einige Male darauf hingewiesen, dass ich nicht glaube, dass das möglich sei. Beide Völker sind entschieden nationalistisch. Außerdem ist der Unterschied in ihrem Lebensstandard riesig. Sie sind ihrem Wesen und ihren Ansichten nach so verschieden, wie zwei Völker nur sein können.

Nun kommt Smotrich und schlägt die dritte Lösung vor. Es ist eine Lösung, an die viele heimlich glauben: Sie einfach töten oder sie mit Stumpf und Stiel vertreiben. Das ist viel schlimmer als Mussolinis Programm. Es gemahnt einen an andere Gestalten aus der Geschichte. Man möge sich daran erinnern, dass Mussolini von seinem eigenen Volk erschossen und sein Leichnam umgekehrt an einem Fleischerhaken aufgehängt wurde.

Wir sollten Smotrich ernst nehmen, nicht weil er ein politisches Genie wäre, sondern weil er offen und ehrlich das ausdrückt, was viele Israelis heimlich denken. Er ist 37 Jahre alt, sieht gut aus und trägt einen gepflegten Bart. Er wurde auf den besetzten Golanhöhen geboren, wuchs in einer Siedlung im Westjordanland auf und lebt jetzt in einem Haus in einer Siedlung, die illegal auf arabischem Land gebaut wurde. Sein Vater war Rabbiner, er selbst wurde in religiösen Elite-Jeschiwas erzogen und ist Rechtsanwalt. Jetzt ist er auch Abgeordneter in der Knesset. Einmal wurde er bei einer Demonstration gegen Homosexuelle verhaftet und drei Wochen lang eingesperrt. Nachdem er erklärt hatte, er sei „stolz darauf, Schwulenhasser zu sein“, entschuldigte er sich allerdings. Als seine Frau eines seiner sechs Kinder gebar, erhob er Einwände dagegen, dass sie gemeinsam mit einer arabischen Frau in ein und derselben Wochenstube untergebracht worden war. Er erhob auch Einwände dagegen, dass Arabern in jüdischen Vierteln Häuser verkauft würden und schlug vor, arabische Kinder, die Steine würfen, zu erschießen.

Ein anderer zionistischer Dichter schrieb einmal: Wir werden keine normale Nation werden, bis wir jüdische Kriminelle und jüdische Huren haben. Gott sei Dank, haben wir nun viele von beiden Sorten. Und nun haben wir auch wenigstens einen echten jüdischen Faschisten.


Uri Avnery, geboren 1923 in Deutschland, israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist, war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Parlamentsabgeordneter in der Knesset. Sein Buch „Israel im arabischen Frühling – Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“ ist in der NRhZ Nr. 446 rezensiert.

Für die Übersetzung dieses Artikels aus dem Englischen danken wir der Schriftstellerin Ingrid von Heiseler. Sie betreibt die website ingridvonheiseler.formatlabor.net. Ihre Buch-Publikationen finden sich hier.


Online-Flyer Nr. 630  vom 27.09.2017

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