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Kommentar
Gedanken zur Bundestagswahl 2017
Wie lange dauert es, bis etwas „deutsch“ ist?
Von Yavuz Özoguz

Zwei Tage vor der Bundestagswahl schreibe ich auch für einige Verirrte im Land, die meine Heimat Deutschland im Auftrag des räuberischen Kapitalismus und Imperialismus in die Nazi-Ecke drängen wollen, wie es bereits mindestens einmal zuvor mit verheerenden Folgen geschehen ist. Ich schreibe aber auch als Auftakt zu Gedenktagen mit epochalem Charakter, die eines Tages Deutschland verändern können.

Das „völkische“ Denken wird derzeit wieder einmal Hervorgerufen, um die „deutsche Identität“ zu retten. Zwar werden Begriffe wie „reinrassig“ und „Arier“ nicht mehr verwendet, aber indirekt wird es dadurch umschrieben, dass Leute wie meine Wenigkeit nicht als echte Deutsche angesehen werden. Ich habe fast mein ganzes Leben in Deutschland verbracht, Deutsch ist meine Muttersprache, Deutschland meine Heimat, ich bin deutscher Staatsbürger und engagiere mich auf sehr vielen Ebenen für Deutschland. Dennoch bleibe ich stets „nur“ ein Deutschtürke! Ich bin eben nicht reinrassig, eben kein Biodeutscher. Meine Kinder sind Eurasier, weil ich in Kleinasien geboren bin. Wie wird eines Tages meine Enkelin genannt werden, wenn die Nazis, die sich als „Alternative“ tarnen, an die Macht kommen? Wird man sie dann deutsch-algerisch-spanische Türkin nennen? Oder lässt man dann das Deutsche ganz weg, weil sie als Mischling oder eurasische Afrikanerin gar keine Deutsche sein kann?

Kartoffeln, Kaffee usw.

Bevor ich zu sehr auf die persönliche Ebene abgleite, soll die Frage aufgeworfen werden, wie lange es dauert, bis etwas reinrassig deutsch genannt werden kann und darf. Wie ist des z.B. mit der Kartoffel? Ist die Kartoffel deutsch? Oder anders gefragt, ist die Kartoffel nicht die urdeutsche Speise überhaupt; zumal der Deutsche als Kartoffelfresser diffamiert wird? So urdeutsch ist die Kartoffel nicht. In Deutschland sollen die ersten Kartoffeln während der Regierung Ferdinand III. um 1647 angebaut worden sein [1]. Wir können also feststellen, dass einige Hundert Jahre genügen, um deutsch zu werden, zumindest wenn man eine Kartoffel ist. Beim Kaffee ging es schneller. Noch Mitte des 20. Jh. Hieß es: „C-A-F-F-E-E, trink nicht so viel Kaffee! Nicht für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht dich blass und krank, sei doch kein Muselmann, der das nicht lassen kann.“ [2] Ich habe das Lied noch als Kanon in der Grundschule singen müssen. Bis in die 1970er Jahre war ein Kaffeetrinker nach Karl Gottlieb Hering also eine Art Türke und Muselmann, bis er in ganz Deutschland eingebürgert worden ist, außer in Ostfriesland. Im ersten Weltkrieg, als das osmanische Reich zusammengebrochen ist und keine Devisen mehr hatte, konnten sie keinen Kaffee mehr importieren und ein ganzes Volk wurde umerzogen zu Teetrinkern, die sie heute noch sind. Die Ostfriesen sind sozusagen demnach die Türken unter den neuen Deutschen. Oder anders ausgedrückt: Außer den Ostfriesen haben alle anderen Deutschen die altdeutsche Kultur verraten und trinken jetzt Kaffee. Pizza und Spaghetti gelten auch nicht als Urdeutsch, erregen aber nicht so viel Ärger bei Nazis wie der schöner machende Döner. Die Wahrzeichen von Dresden [4], Potsdam [5] und Schwetzingen [6] sind architektonisch als Moschee gestaltet und im Letztgenannten weist ein „Moscheeweg“ in die Richtung; alles Errungenschaften, die viele Jahrzehnte alt sind, aber welcher AFD-Wähler kann weiter als seine Nasenspitze schauen?

Die genannten Beispiele betrafen aber keine Menschen. Wie ist es bei Menschen? Da hat Deutschland eine Geschichte, welche die dem Imperialismus dienenden AFDler kaum kennen dürfte. Schon dem Kaiser des römisch-deutschen Reiches, Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250), wurde und wird nachgesagt, dass er eigentlich ein Muslim gewesen sei [3]. Unabhängig davon, ob das stimmt, sind enge Beziehungen der Deutschen zum Islam schon viele hundert Jahre alt. Die Geschichtsbücher wimmeln nur so von Deutschen und Europäern, die den Islam angenommen haben, und zwar lange bevor ein heutiger AFDler geboren wurde, wie z.B. der berühmte Ägyptologe Henrich Brugsch (gest. 1894) [7], die Generäle Joseph Bem (1859) [8] und Georg Kmety (1865), der Orientalist Johann Ludwig Burckhardt (1817) [9] oder der Mitbegründer des roten Habmondes Karl Eduard Hammerschmidt [10]. Zudem gibt es in Deutschland so viele historische muslimische Gräber, dass man schon geschichtsignorant sein muss, um sie alle zu übersehen. Eine ausführliche Abhandlung zum Thema würde Bücher füllen.

Was den geistigen Horizont von deutschen Rassisten übersteigt

Daher hier die abkürzende Frage: Sind denn Jesus und Maria Deutsche? Wenn nein, warum konnte man sie integrieren? Der Grund liegt darin begründet, dass Jesus ein universeller Mensch war, der für Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur gewirkt hat, wie auch seine heilige Mutter. Solche Dimensionen übersteigen aber den geistigen Horizont von deutschen Rassisten!

Heute beginnt das islamische Neujahr 1439 und damit die Trauertage für Imam Husain. Der Enkel des Propheten Muhammad stand im Jahr 680 n.Chr. mit einer kleinen Gruppe von einigen dutzend Getreuen des wahren Islam einem Heer von 30.000 bestausgerüsteten Soldaten des missbrauchten Namen des Islam gegenüber. Der Prophetenenkel Husain und seine Getreuen standen in der Ebene von Kerbela am zehnten Tag des ersten islamischen Mondmonats, dem Tag Aschura (Zehnter), allein und ohne Wasser zur Verteidigung der Wahrheit aufrecht. Sie wurden nahezu alle massakriert. Das Imperium hatte zugeschlagen, denn es duldet keinen Aufstand gegen seine Herrschaft. Aber der Revolutionär im Namen der Wahrheit und Gerechtigkeit lebt heute noch in den Herzen so vieler Menschen. Seine Anhängerschaft war eine „gemischte“ Anhängerschaft aller Haut-, Augen- und Haarfarben. Die Gegner waren „reinrassige“ Soldaten teuflischer Unmenschlichkeit.

Die Welt hat seit Kain und Abel nichts anderes gesehen: Immer gab es einen Moses und immer einen Pharao. Wer den Moses seiner Zeit direkt erkennt, ist gesegnet. Wer ihn nicht direkt erkennt, braucht nur zu schauen, welche gottesehrfürchtige Person vom Pharao der Zeit bekämpft wird. Pharao Trump war da sehr eindeutig. Bei allen Scharmützeln, die er mit vielen Ländern ausfechtet, Erzfeind des USraelischen Pyramidenbauer ist und bleibt Imam Chamenei! Und damit sind wir zurück bei den Wahlen.

Wer AFD wählt, wählt das Imperium. Wer CDU, SPD, FDP oder Grüne wählt, wählt auch das Imperium

Wer die AFD wählt, wählt das Imperium. Und wer die CDU, SPD, FDP oder Grüne wählt, wählt auch das Imperium. Bei den Linken bin ich mir nicht sicher. Bei einigen Kleineren kann es anders sein. Doch das Imperium hat Deutschland stets nur geschadet, auch indem es eine fiese Fratze des deutschen Rassismus in der Welt verbreiten ließ.

Ich kenne meine Heimat Deutschland anders. Es gibt auch ein Deutschland der Nächstenliebe und der Menschlichkeit. Es gibt ein Deutschland der Bereitschaft zur Gerechtigkeit. Es gibt ein Deutschland, bei dem nicht darauf geschaut wird, was auf dem Kopf getragen wird, sondern was im Kopf gedacht wird. Es gibt ein Deutschland, das die Geschichte von Aschura in Kerbela verstehen könnte, denn Imam Husain hat sich auch für Deutsche aufgeopfert. Es ist die Aufgabe der deutschen Muslime, insbesondere der Anhänger Imam Husains, die Geschichte, die auch eine deutsche Geschichte sein kann, den Mitbürgern zu vermitteln. Ich wünsche diesem Land einen gesegneten Wahlsonntag und gesegnete 10 Tage des Gedenkens an Imam Husain.


Fussnoten:

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Kartoffel
[2] http://www.eslam.de/begriffe/k/kaffee_kanon.htm
[3] http://www.multiperspektivisch.de/nachricht/detail/8.html
[4] http://www.eslam.de/begriffe/y/yenidze.htm
[5] http://www.eslam.de/begriffe/p/pumphaus_potsdam.htm
[6] http://www.eslam.de/begriffe/s/schwetzinger_schlossgarten.htm
[7] http://www.eslam.de/begriffe/b/brugsch_heinrich.htm
[8] http://www.eslam.de/begriffe/b/bem_joseph.htm
[9] http://www.eslam.de/begriffe/b/burckhardt_johann_ludwig.htm
[10] http://www.eslam.de/begriffe/h/hammerschmidt.htm


Erstveröffentlichung am 22.09.2017 bei Muslim-Markt


Siehe auch:


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