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Aktueller Online-Flyer vom 17. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Unfallzahlen in 25 Jahren mehr als halbiert
Weniger Arbeit(sunfälle)
Von Harald Schauff

Die Arbeitswelt birgt Gefahren: Bei Montagen drohen Stürze von Stuhl oder Gerüst. Die Liste der Arbeitsverletzungen ist lang: Dehnungen, Quetschungen, Knochenbrüche, Verbrennungen und einiges mehr. Arbeitsunfälle passieren häufig zu Wochenbeginn. Im Laufe der Woche sinkt ihre Zahl. Und tut es damit der Gesamtziffer in Deutschland gleich. Auch jene geht seit Jahrzehnten zurück. Demnach verzeichnet die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 1 874 713 gemeldete Unfälle am Arbeitsplatz für das Jahr 1992, 1443 davon tödlich, macht im Schnitt 4 Tote pro Tag. 25 Jahre später, 2016, haben sich die Unfallzahlen mehr als halbiert: 876 579. Noch erfreulicher: Die Anzahl der tödlich verunglückten Beschäftigten hat mit 424 einen Rekordniedrigstand erreicht.

Als einen Grund nennt der Bericht das Verschwinden vieler gefährlicher Tätigkeiten wie industrielle Hebe- und Schweißarbeiten. Sie seien in steigender Anzahl von Maschinen oder Robotern übernommen worden. Einen weiteren ‘Lebensretter’ sieht er im bürokratisch aufwendigen Arbeitschutzgesetz. Das ‘Arbschg’ macht seit 1996 Beurteilungen von Gefährdungen und Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz für Arbeitgeber zur Pflicht.

Dank Gesetzgeber und Automation sind Arbeitsplätze wenigstens in dieser Hinsicht für die Beschäftigten sicherer geworden. Die Lobeshymnen sollten jedoch nicht zu laut erklingen. Immerhin hat es seit Gründung der Bundesrepublik fast ein halbes Jahrhundert gedauert, den Arbeitsschutz gesetzlich zu verankern. Das ist eher ein Armutszeugnis und nicht gerade arbeitnehmerfreundlich.

Auch wenn sie aufgrund von Einbußen beim Einkommen zunächst einmal nicht so erscheint, ist eine weitere durch Automation bedingte Entwicklung am Arbeitsmarkt im Prinzip positiv zu werten: Die Ausdehnung von Teilzeitbeschäftigung. Ihre Quote liegt inzwischen bei 39 %. Sie hat wesentlich Anteil an der Rekordzahl von inzwischen über 44 Millionen Erwerbspersonen in Deutschland.

Ein wachsender Großteil des Arbeitsmarktes unterliegt einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung. In absehbarer Zeit wird er den größten Teil ausmachen. Wegen oben bereits genannter, zum Teil erheblicher, Einkommenseinbußen, vor allem im Bereich der Mini-Jobs, wird Teilzeitbeschäftigung generell, auch von großen Teilen der Linken und Gewerkschaften, mehr als Fluch denn als Segen betrachtet.

Dabei liegen ihre Vorteile auf der Hand: Mehr Zeit zum Ausruhen, für die Familie, Freunde, Ehrenämter, weniger Stress. Und vor allem: Weniger Übermüdung und Überlastung, die zur Unaufmerksamkeit führen und die Gefahr von Arbeitsunfällen erhöhen.

Bei der Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen sollten kürzere Arbeitszeiten ganz oben stehen. Immerhin präsentierte die Linkspartei kurz vor der Bundestagswahl ein neues Vollzeit-Modell, das eine Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 28 bis 35 Stunden vorsieht. Teilzeit-Beschäftigte sollen einen Rechtsanspruch auf mind. 22 Wochenstunden erhalten. Gleichzeitig soll eine Obergrenze von 40 Wochenstunden nicht überschritten werden.

Grundsätzlich wird befunden, das Leben solle nicht um die Arbeit kreisen. Das klingt viel versprechend. Allmählich orientiert man sich in die richtige Richtung. Oder besser gesagt: Wieder. Die 35-Stunden-Woche gab es in einigen Branchen bereits vor drei Jahrzehnten. Ab Mitte der 90er wurde sie dann zurück genommen.

Immer noch wird das alte, absterbende Vollzeit-Erwerbsmodell zum Non Plus Ultra verklärt. Positive Ansätze wie Alters- oder Eltern-Teilzeit werden wie vorüber gehende Notlösungen behandelt.

Aus dem Gewerkschaftslager erklingt lautes Wehklagen, sobald abstumpfende und gesundheitsgefährdende Jobs der Automation zum Opfer fallen. Man verurteilt solche ‘Rationalisierungen’ als arbeitnehmerfeindliche Auswüchse reinen Profitstrebens.

Mit der Idee, dass der technische Fortschritt im Endeffekt auch den Beschäftigten nützt, weil er Arbeitsbedingungen verbessert, vor allem durch kürzere Arbeitszeiten, möchte man sich nicht so recht anfreunden. Da kann der Langzeittrend noch so mit dem Zaunpfahl winken. Z.B. beim Arbeitsvolumen, der Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden. Diese sank zwischen 1960 und 2010 um 30 %. Weil menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt wurde.

Auch wenn die gut(geglaubt)e Lage am Arbeitsmarkt momentan den Eindruck erweckt: Es gibt kein Zurück in das Zeitalter der Vollzeit-Vollbeschäftigung. Die nächsten Rationalisierungsschübe sind lediglich eine Frage der Zeit. Ein Problem sind dabei ohne Zweifel Einkommensverluste. Hier bietet sich als Ausgleich ein bedingungsloses Grundeinkommen an. Bezeichnenderweise ist es bei Verehrern des alten Vollzeit-Erwerbsarbeits-Modells ähnlich verpönt wie Teilzeitarbeit und Automation. Nahe liegender Umkehrschluss: Allen dreien zusammen gehört die Zukunft.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Oktober 2017, erschienen.

Online-Flyer Nr. 631  vom 04.10.2017



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