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Wirtschaft und Umwelt
Blick voraus ins Tal: Deutliche Vorzeichen melden das Ende des Wirtschaftsbooms
Das verflixte fünfte Jahr
Von Harald Schauff

Kurz vor Ende Februar tauchte eine unscheinbare Meldung auf in den Wirtschaftsnachrichten: Das weltweite Geschäft mit Smartphones verzeichnete im letzten Quartal 2017 Einbußen, rund 6 %. Das erste Mal seit 2007, als die Taschenflundern ihren Siegeszug begannen. Keine gute Nachricht für die Weltkonjunktur, denn die Smartphone-Branche ist seit rund 10 Jahren ihr Zugpferd. Wo man hinschaut, überall auf der Welt wird mit den Wunderflundern hantiert, ob in Amerika, Europa, Asien oder Afrika. Die smarten Taschenkommunikatoren sind bis in den letzten Winkel des Globus vorgedrungen. Damit ist allerdings auch eine Sättigungsgrenze erreicht. Jeder, der eins hat, wird sich im Normalfall kein zweites zulegen, sondern bei Bedarf lediglich das alte durch ein neues Gerät ersetzen. Ökonomische Folge: Die Zuwächse gehen irgendwann zurück, Umsätze und Gewinne tun es ihnen gleich.

Genau diesen Punkt hat der Taschenflunder-Handel im Schlussquartal 2017 erreicht. Es ergeht ihm dabei ähnlich wie dem PC-Handel, der in den 80er und 90er Jahre kräftige Zuwächse verzeichnete und als Konjunkturlokomotive unter Volldampf stand, ehe er nach der Jahrtausendwende spürbar anfing zu lahmen. Der Grund auch hier: PC-Besitzer tauschten nur noch alte gegen neue Geräte, zunächst PC-Türme gegen Laptops, später jene wiederum gegen Tablets und Smartphones. Weil die leuchtenden Smarties nicht überall neu hinzukamen, sondern auch als PC-Ersatz herhielten, war ihre wirtschaftliche Zugkraft schwächer als jene der PC- und Internet-Welle in den 80ern und 90ern. Deren Abschwächung wurde im Zusammenbruch der Internet-Ökonomie kurz nach der Jahrtausendwende und letztlich auch in der Finanzkrise 2008 deutlich. Die Folgen fielen für Industrieländer wie Deutschland und die USA relativ glimpflich aus, weil die Konjunktur der Schwellenländer wie China sich relativ schnell erholte und das Smartphone-Geschäft rechtzeitig angesprungen war. Ein Übriges taten Hunderte Milliarden Dollar schwere Rettungspakete und niedrige Zinsen.

Nun hat der Flunderschwarm also an (ohnehin nicht übermäßig starker) Zugkraft eingebüßt. Der Zeitpunkt kommt nicht überraschend, wenn man den Verlauf des Weltwirtschaftswachstums in den letzten Jahrzehnten berücksichtigt: Immer kurz vor einer Jahrzehntwende knickt die Weltkonjunktur ab, nachdem sie 1- 2 Jahre davor nochmals kräftig Fahrt aufnahm. Das tut sie auch 2007, bevor Ende des Jahres bzw. 2008 die Finanzkrise einsetzt. Ähnlich läuft es ein Jahrzehnt früher: 1997 zieht die Weltkonjunktur kräftig, um 1998 heftig abzusacken infolge der Asienkrise: In den Tigerstaaten platzen die Blasen. Ende der 80er setzt der Knick im neunten Jahr ein, zur Wendezeit. Ebenfalls im neunten Jahr beginnt zehn Jahre davor die Zweite Ölkrise.

Das regelmäßige Einsetzen der Abschwünge kurz vor einer Jahrzehntwende verrät die zyklische Bewegung der Konjunktur. Anders als gewöhnlich in den Medien dargestellt haben einzelne politische Entscheidungen wie der Brexit oder Trumps Strafzölle darauf keinen wesentlichen, sondern allenfalls einen graduell verstärkenden oder abschwächenden Einfluss, gleich wie schwerwiegend und bedrohlich sie im ersten Moment wirken. Im Prinzip bleibt es beim wiederkehrenden Wechsel zwischen Auf- und Abschwung. Dies lässt sich auch bei den deutschen Konjunkturzyklen der letzten Jahrzehnte beobachten. Auch hier zeigt sich eine erstaunliche Regelmäßigkeit: Aufschwungsphasen bzw. solche positiven Wachstums dauern vier bis fünf Jahre am Stück an. Im verflixten fünften Jahr dreht sich der Trend nach unten. Entweder folgt eine Rezession oder zumindest ein deutlicher Wachstumsknick. So letztes Jahrzehnt in der Phase zwischen Dotcom- und Finanzkrise: 2003-2008. Davor zwischen 1996 und 2001. Wiederum davor zwischen 1987 und 1992, nochmals früher zwischen 1982 und 1987. Last, but not least, das Zwischenhoch zwischen den beiden Ölkrisen: 1975 bis 80.

Goldene Formel für dauerhaftes, ununterbrochenes Wachstum entdeckt?

Der jetzige Aufschwung begann Mitte 2013. Solange liegt der letzte Wachstumsknick zurück, der ebenfalls Parallelen zeigt zu den Vorjahrzehnten: Immer zu Beginn einer Dekade in den 2er und/oder 3er Jahren landet das deutsche Wachstum auf einem Tiefpunkt: Siehe 1982, 1993 und 2003. In der Zwischenkriegsphase war es ganz ähnlich. Da lagen die Tiefpunkte in den Jahren 22/23 bzw. 32/33. Nach positiven Quartalen am Stück gemessen übertrumpft der gegenwärtige Aufschwung sämtliche Vorgänger und soll die längste durchgängige Wachstumsphase seit den 50ern bilden. Jedoch befindet auch er sich nun im verflixten fünften Jahr, in welchem zuvor stets der Zenit überschritten wurde und der Um- und Abschwung einsetzte. Warum soll er dieses Mal anders sein? Wurde etwa die goldene Formel für dauerhaftes, ununterbrochenes Wachstum entdeckt?

Die Geschichte liefert einen weiteren Hinweis: Vor fast genau 100 Jahren, ungefähr zur Jahresmitte 1918, steigt der damalige Vorläufer des DAX, der Aktienindex des Statistischen Reichsamtes in Goldmark, auf ein Allzeithoch. Vor Ende des dritten Quartals stürzt er recht steil nach unten. Um die Jahrzehntwende erholt er sich etwas, dann setzt er die Talfahrt fort. Im vierten Quartal 1922, also zur Zeit der Hyperinflation, ereicht er den Tiefpunkt. Der wirtschaftsgeschichtliche Hintergrund: Mit Beginn des I. Weltkrieges 1914 stellt das Deutsche Reich auf Kriegswirtschaft um. Dies betrifft auch die Währungspolitik: Die umlaufenden Banknoten sind zu einem Drittel durch Gold und zu zwei Dritteln durch Handelswechsel gedeckt.

Ab Kriegsbeginn im August 1914 werden zusätzlich Darlehenskassenscheine, Reichskassenscheine und Wechsel der Reichsbank heraus gegeben. Die gesetzliche Noteinlösungspflicht der Reichsbank in Gold wird aufgehoben. Fortan gibt es drei Währungen: Die sog. ‘Papiermark’, die normale Mark und die fiktive ‘Goldmark’, eine Recheneinheit, die sich aus dem Verhältnis der Papiermark zum aktuellen US-Dollarkurs ergibt. Jener bleibt an den Goldstandard gekoppelt.

Im Endeffekt stellt man sich eine Lizenz zum unbegrenzten Drucken von Banknoten aus. Damit beginnt die berüchtigte Inflation, welche in den Jahren 1922/23 ihren Höhepunkt erklimmt, bereits 1914. Bis 1918 beschert sie dem deutschen Aktienmarkt zusammen mit der Rüstungsproduktion einen künstlichen Boom, der ihn auf das besagte Allzeithoch treibt. Goldene Zeiten für Geldanleger. Diese erinnern verdächtig an die Jetztzeit. Der Unterschied: Dieses Mal gibt es zumindest in Mitteleuropa keinen Krieg. Dafür in Syrien, in Jemen, in der Ukraine und einigen anderen Schauplätzen. Der syrische Konflikt hat sich zu einer Art Stellvertreter-Weltkrieg entwickelt. Ein weiterer Unterschied: In Deutschland gibt es keinen Kaiser mehr (abgesehen vom Fußball). Der Kunde hat es in der Kaufwelt nur zum König geschafft.

Die weltweiten Rekordausgaben für Rüstungsgüter lassen den Vergleich mit damals schon eher wieder gelten. Die schleifende Weltkonjunktur bietet eine weitere Parallele. Vor dem jüngsten Boom wuchs sie so langsam wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Ein Grund liegt, wie vorhin angeführt, in der mangelnden Zugkraft des Smartphones trotz dessen flächendeckender globaler Ausbreitung. Ein weiterer betrifft die Überkapazitäten, welche die Weltwirtschaft seit der Finanzkrise mit sich herumschleppt. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Banken und Firmen, die nur durch Staatshilfen überlebten und mittels zinsgünstiger Kredite künstlich am Leben gehalten werden.

Ein dritter sind veraltete Strukturen in Wirtschaft und Verkehr, an denen trotz anlaufender Digitalisierung krampfhaft festgehalten wird. Vorneweg betroffen ist hier die öffentliche Infrastruktur. Siehe den in vielen deutschen Großstädten auf Altschrott fahrenden öffentlichen Nahverkehr. Oder den seit einem Jahrzehnt wiederholt angekündigten und ständig verschobenen Ausbau der schnellen Datennetze. Ein vierter ist die verstärkte Investition in ‘unproduktives Kapital’, sprich Immobilien. Geld wird weniger in Maschinen und Produktionsanlagen als vielmehr in Grundstücke und Gebäude gesteckt in der Hoffnung, dass sich deren Wert von selbst vermehrt. Es wird im Starren, Unbeweglichen angelegt. Darin spiegelt sich die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stagnation wider. Alles wirkt fest gefahren, bewegt sich nur im Schneckentempo voran. Tiefgreifendere Reformen werden tunlichst vermieden.

Den alten Ballast abschütteln

Es ist lediglich eine Frage der Zeit, wann die weltwirtschaftliche Entwicklung die alten Strukturen aufbricht und den alten Ballast abschüttelt. Es drohen eine hohe Zahl an Firmenpleiten und massiver Stellenabbau. Dies könnte ruckartig geschehen wie ein Dammbruch und zu erheblichen Krisen und Verwerfungen führen, wie die Epoche der beiden Weltkriege zeigt. Die Ungleichheit dürfte nochmals zunehmen und nationalistischen Tendenzen weiteren Auftrieb geben. Eine bedenkliche Parallele zu damals zeigt sich im unbegrenzten Fluten der Finanzmärkte mit billigem Geld. Die Gefahr einer neuen Hyperinflation ist durchaus gegeben: Gerade einmal 5 % der global zirkulierenden Geld(un)menge sind realwirtschaftlich durch Produktionsgüter und Dienstleistungen gedeckt. Das Platzen dieser gigantischen Blase scheint gleichfalls nur eine Frage der Zeit.

Die Situation könnte sich verschärfen, wenn die Zentralbanken den nächsten Abschwung genau wie dessen Vorgänger durch milliardenschwere Rettungspakete und weitere Massen billigen Geldes einzudämmen versuchen. Pünktlich zum 100 jährigen Jubiläum steht womöglich wieder eine große Inflation an, der einige Jahre später eine große Depression folgt. Krisenhaft wird es so oder so.

Nun verweist die Hoffnung darauf: Geschichte wiederholt sich nicht. Allerdings kennt sie frappierende Ähnlichkeiten und Parallelen. Dazu gehören periodisch wiederkehrende Krisen, Engpässe und historische Flaschenhälse. Der nächste kündigt sich an, es gibt kein Umhin. Karl Marx würde es ähnlich sehen. Er erlebt 1857 eine Finanzkrise mit, die in den USA ausgelöst wird durch Fehlspekulationen einer New Yorker Bank mit Eisenbahnaktien. Die Krise dehnt sich weltweit aus und ist auch in Hamburg spürbar. Schon damals verhindern nur Millionen an Steuergeldern den endgültigen Kollaps.

Genau 100 Jahre später beendet die Autokrise in Detroit 1957/58 den amerikanischen Nachkriegsaufschwung. Wiederum genau 50 Jahre zuvor gibt es 1907 in den USA einen heftigen Finanz-Crash, dem nur mit kofferweise Bargeld getrotzt werden kann. Also recht genau 100 Jahre vor der jüngsten Finanzkrise. Die zyklische Bewegung lässt schön grüßen. Und hoffen: Auf zumindest kulturell ähnlich goldene Zwanziger wie im letzten Jahrhundert. Auf größere Parallelen zu den nachfolgenden 30ern sollte der Lauf der Geschichte allerdings besser verzichten.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe April 2018, erschienen.


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