NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

Fenster schließen

Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Der Kulturrassismus gegen Muslime und den Islam
Von Evelyn Hecht-Galinski

Ein verdrängtes Problem wurde endlich dank des Özil-Rücktritts zu einer wichtigen Debatte. Ja, wir haben ein Rassismus-Problem, und ja, es betrifft hauptsächlich Muslime. Es ist kein neues Problem, sondern eines, das schon seit Jahrzehnten latent in der Gesellschaft verankert ist. Tatsächlich störte es die Öffentlichkeit kaum, abgesehen von den NSU-Morden in den Jahren 2000 bis 2006, die für lange Zeit unaufgeklärt blieben, zumal von offizieller Seite der Anschein erweckt wurde, dass die „Döner-Türken“ aus einem kriminellen Milieu stammten und sich bestimmt selbst untereinander umgebracht hätten. Im Nachhinein offenbart sich diese beschämende Situation, die über die Jahre von „Döner-Morden“ sprach und schon damals türkische Mitmenschen als nicht integrierte Außenseiter betrachtete. Was sich daraus entwickelte, erleben wir bis zum heutigen Tag.

Es ist immer gefährlich, wenn sich ein Überlegenheitsdenken gegen vermeintlich „niedere“ Menschen ausbreitet. Der neue Rassismus hat nichts mit der Rassenideologie der Nazizeit zu tun, sondern speist sich aus Fremdenfeindlichkeit sowie einem Kulturrassismus, der sich vor allen Dingen gegen Muslime und den Islam wendet.

Hinzu kommt, dass dank der eifrigen Israel-Lobby und seiner bewährten Medien-Connection beständig Warnungen vor dem so gut wie nicht existenten Antisemitismusproblem in den Fokus gerückt werden, die man mit Fug und Recht als geschicktes Ablenkungsmanöver, um Kritik am „Jüdischen Staat“ und dessen latentes Rassismus-, Besatzungs- und Apartheidsystem abzuwehren, ansehen kann.

Während die Bundesrepublik Deutschland den Rechtsextremismus sträflich vernachlässigte, jedoch nach alter Tradition die Linken zum Feindbild und Gefahr stigmatisierte, konnte sich die neue Rechte immer offener etablieren.

Einen großen Anteil an dieser gefährlichen Entwicklung hat der deutsche Verfassungsschutz, der schon in den Nachkriegszeiten mit rechten Gruppierungen und später mit Neo-Nazis zusammenarbeitete.

Genau das alles passt in das Schema, wonach der Verfassungsschutz Mitglieder der Linken beobachtet, während AfD-Politiker wie Björn Höcke frei ihren Rassismus ausleben können.

Wenn es stimmt, dass der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg-Maaßen, sich mehrfach mit der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry getroffen hat, und davon ist auszugehen, dann wirft das ein bezeichnendes Licht auf diese Behörde und ihren Präsidenten. Schließlich soll er, laut Behauptungen der früheren Vertrauten und AfD-Funktionärin Franziska Schreiber aus ihrem neuen Buch „Inside der AfD“, Petry geraten haben, ein Parteiausschlussverfahren gegen den thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke anzustrengen, um so einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen, „die er selbst nicht wünsche“. Maaßen hat ein Treffen mit Petry nicht dementiert, wies aber die Vorwürfe einer Beratung der AfD Chefin zurück. Auch Petry bestritt die „Zusammenarbeit“, aber Tatsache ist, dass sich Petry und Maas mehrfach  trafen. Auch Petry wies die Vorwürfe der Beratung als frei erfunden zurück. Allerdings berichtete der Spiegel schon 2016 über eine Beratung der AfD-Chefin durch den Verfassungsschutz, damals soll Maaßen Petry vor rechtsextremen Umtrieben ihrer Partei im Saarland gewarnt haben.

Für mich passen diese Anschuldigungen zu dem Gesamtbild, das ich vom Verfassungsschutz habe, gerade nach meiner Erfahrung mit den Anschlägen auf  das Grab meines Vaters in Berlin, die bis heute unaufgeklärt blieben. Auch da ist für mich die Rolle, die der Verfassungsschutz dabei spielte, mehr als ungeklärt. Unbestreitbare Tatsache ist, dass der Verfassungsschutz eine Affinität zu rechten Kreisen hat, während man vor den Feindbildern der Linken und Muslimen warnt.

Genau das zeigt sich für mich jetzt, wenn aktuell der Verfassungsschutz „islamistisch erzogene Kinder“ als Gefahr ausmacht die „ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial“ darstellen. Diese mehr als zweifelhafte Analyse geht noch weiter und steigert sich in Behauptungen, diese Kinder würden „von Geburt an mit einem extremistischen Weltbild erzogen, welche Gewalt an anderen legitimiert und alle nicht zur eigenen Gruppe Gehörigen herabsetzt“. Umgekehrt wird ein Schuh draus, denn ist es nicht prinzipiell gefährlich, Minderjährige als Sicherheitsproblem zu sehen? Wenn der einseitige Präventionsgedanke derart in den Vordergrund rückt, dann ist der Weg nicht mehr weit, Kinder und Jugendliche „vorsorglich“ ins Gefängnis zu stecken, oder abzuschieben, wenn es sich um Ausländer handelt oder gar in neu zu schaffende Transitzentren zu internieren!

Gerne würde ich die Frage an den Verfassungsschutz stellen, was er zu den zahlreichen deutschen „Freiwilligen“ sagt, die sich für den Dienst in der so genannten „moralischsten“ aller „Jüdischen Verteidigungsarmeen“ im „Jüdischen Staat“ zur Verfügung stellen, um so die ewige Judaisierung Palästinas zu garantieren, oder zu den Kindern von gewaltbereiten Rechtsextremen und so genannten „Reichsbürgern“ in Deutschland? Oder wollen wir die neue Verordnung vom ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban, dem ungarischen Freund Netanjahus, übernehmen, um demnächst die Kinder schon im Kindergarten mit „christlichen Werten und Heimatliebe“ „patriotisch“ zu erziehen? Schon denken Politiker im Sommerloch wie der CDU-Sicherheitspolitiker Patrick Sensburg darüber nach, auch schon Kinder unter 14 Jahren staatlich überwachen zu lassen.

Versucht Verfassungsschutz Präsident Maaßen nicht, mit dieser wie er meint  „Herausforderung in den nächsten Jahren“, bewusst von ganz anderen Problemen abzulenken, um so den Blick auf die Gefährdung durch Muslime und den Islam zu lenken?

In diesen Zeiten, wo mehr als 90 Moscheen in Deutschland überwacht werden und der Blickwinkel immer wieder auf die Gefährlichkeit der Moscheen und ihrer Betreiber gelenkt wird, sollten wir alle gegen diese Art von Kulturrassismus und Ausgrenzung opponieren. Schließlich hatten wir schon einmal diese Art von Ausgrenzung gegen eine Religionsgruppe. Sind also die Muslime die Juden von heute?

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als 2015 der von mir sehr geschätzte Jürgen Todenhöfer ein damals brandneues Lied des Sängers Xavier Naidoo mit dem Titel „Nie mehr Krieg“ auf seine Facebookseite setzte. Todenhöfer imponierte mir damals sehr, war er doch einer der wenigen, die sich anlässlich der Abstimmung des Bundestags über einen militärischen Einsatz gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) klar dagegen positionierte und dieses damals noch unveröffentlichte Lied, das sich gegen „militärische Lösungen von Konflikten einsetzte und Vorurteile gegen Muslime kritisierte, in die Öffentlichkeit brachte. Nachdem Todenhöfer seine Facebook-Nutzer dazu aufrief, diese pazifistische Botschaft weit zu verbreiten, wurde dieses Video direkt von mehr als 3 Millionen Usern angehört, etwa 120.000 mal geteilt und von mehr als 60.000 Fans mit dem „gefällt mir“-Button geliked. Alles in diesem Lied traf den Nagel auf den Kopf und war zur richtigen Zeit erschienen. Ganz typisch an dieser Geschichte: sofort fielen viele Medien über Todenhöfer und Naidoo her, um sie als „umstrittene“ Figuren zu delegitimieren. Hätte Todenhöfer ein Lied eines jüdischen Rappers veröffentlicht, dann hätten ihn die Medien sicherlich mit Lob überhäuft. Ganz nebenbei, Todenhöfer war auch einer der wenigen Prominenten in Deutschland, die Gaza nicht ignorierten und Stellung gegen die „Bombardierungsorgie“ der Israelis bezog.

Heute, im Jahr 2018, beobachten wir eine Steigerung des Kulturrassismus gegen Muslime, der bedenkliche Ausmaße erreicht und  immer gefährlichere Formen annimmt. Diese neue Art des gefährlichen sprachlichen Populismus, in dem es nicht mehr um Politikinhalte geht, sondern einzig und allein gegen Personen und deren Wurzeln und Herkunft, die man zeitlebens nie verliert.

Das war im Fall Mesut Özil so, der plötzlich vom deutschen Weltklasse-Fußballer zum „Türken“ gemacht wurde, als die deutsche Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft ausschied. Der AfD-Gauland nutzt perfide diesen sprachlichen Rassismus, wenn er den schwarzen Fußballer Boateng nicht als Nachbar wollte oder die  ehemalige Staatsministerin mit türkischen Wurzeln Aydan Özoguz in Anatolien „entsorgen“ wollte, und machte damit den Weg frei für einen politischen Rassismus, den andere Politiker gierig aufnahmen und kopierten. Vergessen wir nicht, wie der CSU-„Heimatminister“ Seehofer zu dieser Entwicklung fleißig beisteuerte und sich auch nicht von einigen seiner Wortschöpfungen distanzieren will. Ich hoffe nur, dass die CSU genau für dieses Verhalten in der kommenden Wahl in Bayern im Oktober die Quittung bekommt und wir dann hoffentlich diesen Heimatminister in seine Heimat Bayern in den Ruhestand abschieben können, wo er dann in seinem „Transit/Ankerzentrum“ auf die Rente warten kann.

Während der anti-muslimische Rassismus wächst und die Muslime, besonders die muslimischen Männer mit Vorurteilen wie „muslimisch, männlich gleich aggressiv“ belegt werden und per se als terrorverdächtig gelten und deswegen immer die „üblichen Verdächtigen“ sind, schafft man das hitzige Klima, das  schnell zu einer Brandbombe werden kann. Meine Angst ist es, wenn erst die Moscheen und der Koran brennen, dann wird das Wehklagen groß sein. In diesem Zusammenhang ist es auch ganz typisch, dass sich Außenminister Maas wegen der Özil-Debatte um das Ansehen Deutschlands sorgt, in der er selbst mehr als unglücklich agierte und sich dazu noch in der „Spingernden Bild“ äußerte, einem der unappetitlichsten Gazetten, die die Treibjagd auf Özil erst inszenierte.

Was aus dieser Hass- und Ausgrenzungspolitik wird, kann man in Österreich sehen, wo seit der Regierungsübernahme der rechtsextremen FPÖ, zusammen mit der ÖVP, ein beängstigender Anstieg von  Hasskommentaren gegen Muslime  zu verzeichnen ist. Daran sieht man, was diese Art von Ausgrenzungspolitik an Verachtung und Abscheu hervorspült.

Immer wieder wird auf den muslimischen Antisemitismus hingewiesen, wobei vergessen wird, dass damit der Antisemitismus und die Israel-Kritik in unzulässiger Weise und unsäglich vermischt werden. So meint die Israel-Lobby, fein heraus zu sein. Wenn jetzt auch noch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, zusammen mit der „Union Progressiver Juden“ und bekennenden Israel-Unterstützern wie dem Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, Bodo Ramelow, eine „Aufklärungsreise“ von muslimischen Flüchtlingen und Mitgliedern von muslimischen Gemeinschaften nach Auschwitz plant, um so zu zeigen und zu beweisen, was sie für „integrierte und gute Deutsche “ sind, dann halte ich das für den falschen Weg, weil er das eigentliche Problem verkennt.

Es sind eben nicht die Muslime, die den Holocaust verinnerlichen müssen, auch wenn Mazyek das so zu sehen angehalten ist. Hat er sich jemals für einen Besuch der Nakba-Ausstellung eingesetzt oder sich für die Freiheit Palästinas und gegen die israelische Besatzung eingesetzt? Nein, er versucht immer wieder, dem Kollegen des Zentralrats der Juden zu gefallen und nicht anzuecken. Dabei  wäre es  ein wichtiges Zeichen für alle Muslime gewesen, wenn er etwas gesagt hätte zum Rassismus im „Jüdischen Staat“, der ein Hauptfaktor für die Kritik der Muslime ist, wenn sie hilflos mit ansehen müssen, wie ihre Glaubensbrüder seit Jahrzehnten leiden müssen unter der illegalen Besatzung Palästinas, des steten Landraubs und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen.

Was wir hier in Deutschland nötig brauchen, ist ein Rassismusbeauftragter, und keinen einseitigen Antisemitismusbeauftragten als eines lediglich weiteren Lobbyisten für Israel.

Andernfalls wird der Kulturrassismus gegen Muslime und den Islam weiter fortschreiten, und das muss verhindert werden.


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.

Online-Flyer Nr. 670  vom 22.08.2018



Startseite           nach oben