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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Kommentar
Psychologische Anmerkungen zur Frage: Was tut not in heutiger Zeit?
Die Menschen mit ihren Sorgen nicht alleine lassen!
Von Rudolf Hänsel

Wir alle empfinden es: Die Stimmung in unserer Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren und Monaten rasant verändert – hin zum Negativen. Die täglichen Nachrichten aus aller Welt über laufende und eventuell bevorstehende Kriege, unkontrollierte Migrationsströme, Terroranschläge, Naturkatastrophen, Not und Elend, Mord und Totschlag lähmen die Menschen, machen ihnen Sorgen, ängstigen sie. Manch einer verfällt gar in die Depression. Doch diese nachvollziehbaren Gefühlszustände der Bürger werden von den gewählten Volks-Vertretern (oder besser „Volks-Verrätern“?) entweder gar nicht wahr- oder nicht ernst genommen und als Angstneurose, Ausländerfeindlichkeit, Jammern, Unzufriedenheit usw. abgetan. Die Ereignisse in Chemnitz und die Kommentare von Politikern und Medien bestätigen dies überdeutlich. Wenn Politik und Zivilgesellschaft schon nicht willens und fähig sind, die Menschheitsprobleme in Frieden zu lösen, die soziale Gerechtigkeit zu verbessern, die Finanzwirtschaft am Gemeinwohl zu orientieren und die Tyrannei aus der Welt zu schaffen, dann sollte wenigstens alles unternommen werden, unseren Mitmenschen helfend zur Seite zu stehen und sie mit ihren Sorgen nicht alleine zu lassen.

Eltern verdienen unser aller Aufmerksamkeit und Solidarität

Kinder aufzuziehen und in das Leben einzuführen – das ist seit jeher eine anspruchsvolle Aufgabe, ist die Frage der Erziehung doch eine wichtige Zukunftsfrage. Ihre enorme Tragweite ist uns erst seit Beginn des letzten Jahrhunderts bewusst. Die Forschungsergebnisse der Humanwissenschaften haben uns gezeigt, dass der Mensch von Natur aus sozial und kooperativ und weder biologisch noch geschichtlich-kulturell zu Krieg und Gewalt verurteilt ist. Das Kind kann durch Erziehung und Bildung zu Verantwortung, Mitgefühl, Solidarität, Kooperation und Friedensliebe geführt werden. Angesichts des nicht gelösten Gewaltproblems in unserer Welt ist die Frage zu beantworten: was müssen wir im Gemüt unserer Jugend verankern, damit sie eine innere Abwehr gegen Gewalt und Krieg entwickelt und friedensfähig wird?

Heute stehen Eltern vor einer Herkulesaufgabe: Sie müssen auf die tiefgreifende Verunsicherung in unserer Gesellschaft als Folge der veränderten politischen und ökonomischen Verhältnisse reagieren und überlegen, wie sie mit der Jugend darüber altersadäquat ins Gespräch kommen, wie sie ihnen das Weltgeschehen erklären und mögliche Ängste auffangen können. Weitere Herausforderungen sind die Frühsexualisierung der Kinder in der Schule, die „Pornographisierung des Alltags“, die zu häufige Nutzung digitaler Medien, die die geistige Leistungsfähigkeit der Heranwachsenden vermindert und zur Sucht führen kann, die Manipulation unserer Jugend durch die sozialen Netzwerke und der anhaltende Alkohol- und Drogenmissbrauch, der die kreativsten Köpfe vergiftet. Für diese anspruchsvolle Aufgabe brauchen alle an der Erziehung Beteiligten die uneingeschränkte Solidarität und Unterstützung der gesamten Gesellschaft und ihrer Institutionen. Speziell die Wissenschaft der Pädagogik und Psychologie hat Eltern und Erziehern ihre Erkenntnisse bereitzustellen und aufzuzeigen, wie diese in Familie und Schule pädagogisch umgesetzt werden können.

Da auch in unserem Land viele Familien um das tägliche Brot und das Überleben kämpfen und Ängste vor Verarmung haben, weil ihre Arbeit nicht gerecht entlohnt wird, bleiben vielen Erwachsenen weder Zeit noch Kraft, sich das notwendige Wissen anzueignen, um sich im Leben orientieren zu können. Und von den Massenmedien werden sie nur desinformiert, abgelenkt und mit lebensuntauglichem Informations-Müll („circenses“) voll gestopft. Wie können sie Hoffnung schöpfen und über die wesentlichen Dinge im Leben nachdenken? Erst wenn Menschen über genug Wissen und Bildung verfügen, können sie daraus Konsequenzen für ihr persönliches und auch gesellschaftliches Handeln ziehen, etwas Neues in Angriff nehmen. Der gebildete und eigenständig denkende Mensch, der auch ein human denkender und fühlender sein muss, wird gerne daran mitarbeiten, eine bessere Gesellschaftsordnung zu entwickeln.

Der Jugend Halt und Orientierung geben

Kinder und Jugendliche stehen im Laufe ihrer Entwicklung vor vielfältigen Anforderungen, die sie in der Regel gut bewältigen. Um aber die Lebensaufgaben mutig angehen zu können, ist der Heranwachsende auf die Einbettung in eine haltgebende Umwelt als Lebenswelt und in eine einbindende Kultur angewiesen. Halt und Orientierung erfährt er, wenn in der Familie Werthaltungen und Tugenden gelegt werden, die die gesellschaftlichen Institutionen wie Kindergarten und Schule verstärken und konsequent durchsetzen. Zu nennen sind unter anderem: Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Friedensfähigkeit, Toleranz, Gemeinschaftssinn, Besonnenheit, demokratische Konfliktfähigkeit und Kompromissbereitschaft. Damit sich diese sozialen Werthaltungen und Tugenden im Heranwachsenden festigen, ist praktisches Teilnehmen an sozialen Aktivitäten unerlässlich.

Was heißt es, der Jugend Halt und Orientierung zu geben in Bezug auf die gegenwärtige Masseneinwanderung und die Angst vor eigener Verarmung, die schon Kinder befällt? Da unsere Großen wie die Kleinen durch das Gespräch am Familientisch, durch Radio und Fernsehen oder ganz hautnah im Kindergarten bzw. in der Schule sehr genau mitbekommen, dass im Moment etwas Außergewöhnliches in unserem Land vorgeht, was vielen Sorgen macht und Ängste weckt, müssen wir Erwachsenen jede passende Gelegenheit nutzen, mit unseren Kindern über diese Ereignisse ins Gespräch zu kommen, um ihnen mögliche Ängste zu nehmen, Vorurteile abzubauen, sachlich aufzuklären, Geborgenheit zu vermitteln und einen Ausblick zu eröffnen.

Ich glaube an die Jugend, an ihre Lernfähigkeit, ihre Kreativität, ihre Einfühlsamkeit, ihr Verantwortungsgefühl, ihre Einsichtsfähigkeit und Bereitschaft zur Veränderung von Einstellungen und Verhalten. Meistens fehlt jungen Menschen nur etwas Besonnenheit und Ausdauer, damit sie in kleinen Schritten ihre Kompetenzen entwickeln können.

Die Nöte von Lehrpersonen und anderen helfenden Berufen ernst nehmen

Die Gewalt in unserem Land nimmt epidemische Ausmaße an. Es vergeht kein Tag, an dem die Medien nicht auch über Gewalttaten an Schulen berichten. Schwere körperliche Übergriffe, Messer und andere Waffen spielen dabei eine immer größere Rolle. Die Brutalität nimmt zu und zugleich nehmen Hemmschwellen für aggressives Verhalten ab. An vielen Schulen herrscht ein Klima der Angst und Aggressivität. Für Schüler bedeutet die Viktimisierung durch Mitschüler ein verdecktes, verborgenes Opferwerden durch Gewalt, einen „stillen Alptraum“. Ihr Selbstkonzept wird dadurch nachhaltig geschädigt und ihr Selbstwertgefühl geschwächt. Instabile und unbehütete Schüler laufen zudem Gefahr, die vermeintlich mutigen Schläger, die in Wirklichkeit Feiglinge sind, als Vorbilder zu glorifizieren und nachzuahmen.

Verstärkt hat sich auch die Gewaltbereitschaft von Schülern gegenüber den Lehrpersonen. Diese sprechen von „genereller Gefühlskälte und Respektlosigkeit“ und haben schon an Grundschulen Angst vor ihnen. Darüber hinaus sorgen Schüler mit Migrationshintergrund für zusätzliche Probleme. Die Not der Lehrerinnen und Lehrer ist inzwischen so groß, dass sie für ihre Schulen Sicherheitsdienste einstellen und sich in Brand-Briefen Hilfe suchend an die Öffentlichkeit wenden. Doch sie werden in der Regel im Stich gelassen. Hinzu kommt, dass zu Schuljahresbeginn 2018/19 bundesweit 40.000 Lehrer fehlten (Stichwort: „Bildungskatastrophe“) und Tausende Schulgebäude aus angeblichem Geldmangel verrotten und vergammeln. Gleichzeitig aber werden mehrere Milliarden Euro Öffentlicher Gelder für den „DigitalPakt Schule“ zur Verfügung gestellt, eine Bund-Länder-Vereinbarung zur Verdummung und Verstrahlung unserer Jugend, die auf dem Altar der Technologie geopfert wird.

Auch andere helfende Berufe werden bei ihrer Arbeit nicht unterstützt: Bereits zehn- bis zwölfjährige Kinder greifen Polizisten mit Flaschen, Steinen und Böllern an. Feuerwehrleute, Ärzte, Sozialarbeiter und Krankenpfleger werden bei ihren Einsätzen bespuckt, angepöbelt, tätlich angegriffen und bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert – und niemand springt ihnen bei. Die Gewalt käme aus dem Nichts, sagen die bedrohten Helfer. Sie sprechen von einer Aggressivität, die sie in den vergangenen Jahren noch nie erlebt hätten.

Verantwortung übernehmen für das allgemeine Wohl der Menschen

Wir alle sind gefordert, unseren Beitrag zur Lösung der angesprochenen Probleme zu leisten. Intellektuelle stehen dabei in besonderer Verantwortung. Sie sollten jene Menschen sein, die für sich und alle anderen Menschen (denkend) Verantwortung übernehmen, „wenn es not tut, auch allein innerhalb aller zu stehen, allein für alle zu denken“ (Romain Rolland). Das erfordert einen kämpferischen Geist, der auch im Widerspruch zur herrschenden Meinung stehend nicht untergeht. Intellektuelle sollten auch redlich sein, da aus Mangel an Redlichkeit bereits viele Irrtümer entstanden sind, wovon die Theorien voll sind. Solche unabhängigen, mutigen und ehrenhaften Denker wären Vorbilder für unsere Jugend, so wie es unzählige Denker und Humanisten in den vergangenen Jahrhunderten waren.

Auch die Wissenschaft hat die Aufgabe, die Not der Menschen zu lindern und dem Schutz des Lebens zu dienen. Aber immer mehr Wissenschaftler verhökern ihr Wissen und Können und oft auch ihre Seele dem staatsterroristisch-militärisch-industriellen-medialen Komplex. Sie entfernen sich sogar so weit von ihrem Menschsein, dass sie die Mittel für die allgemeine Vernichtung der Menschheit vervollkommnen helfen.

Einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und Ermutigung der Menschen könnten die Massenmedien leisten, da sie gemäß nationaler und internationaler Vereinbarungen der wahrheitsgemäßen Information von uns Bürgern und dem Frieden verpflichtet sind. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sie versagen auf der ganzen Line. Schon vor über 125 Jahren warf Bertha von Suttner in ihrem Buch „Die Waffen nieder!“ der Presse vor, „Werkzeug der Kriegsministerien“ zu sein „im Dienst der Kriegshetze und Hasspropaganda“ und „im Dienst der Verdummung der Massen“ (1977). Leider hat sich seither nichts geändert – und wir Bürger fordern ihren gesetzlichen Auftrag nicht ein. Nur einige alternative Medien fühlen sich in unseren Tagen einer humanen und gemeinwohlorientierten Ausrichtung verpflichtet.




Dr. Rudolf Hänsel ist Erziehungswissenschaftler und Diplompsychologe.

Online-Flyer Nr. 672  vom 05.09.2018



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