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Globales
Auszug aus dem Vortrag bei „Ärzte gegen die atomare Bedrohung“ (IPPNW) am 13. Juni 2018
Die USA-EU-Russland-Krise – Hintergründe und Strategien
Von Wolfgang Bittner

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, einem Think-Tank, der US-Interessen vertritt, warnten namhafte Politiker vor einem Krieg mit Russland. Wir stünden am Abgrund, hieß es. Vor Beginn erklärte der Vorsitzende, Wolfgang Ischinger: „Wir haben noch nie seit dem Ende der Sowjetunion eine so hohe Gefahr auch einer militärischen Konfrontation von Großmächten gehabt.“ Verteidigungsministerin von der Leyen war sich mit US-Verteidigungsminister James Mattis hinsichtlich der „Abwehrbereitschaft“ gegen Russland einig. Während Mattis die deutsche Führungsrolle in Europa hervorhob, betonte von der Leyen die Bedeutung der NATO als „Wertegemeinschaft“ und den Willen der deutschen Regierung, weiter aufzurüsten. Im Deutschlandfunk hieß es am 18. Februar 2018: „Gibt es also noch ein Zurück vom Abgrund? Am Ende musste Ischinger einräumen, dass das Fragezeichen dort wohl zurecht steht.“

Kriegsvorbereitungen


Aber die Europäer folgen weiterhin nahezu widerspruchslos den militärischen Vorgaben aus den USA, obwohl sich das Verhältnis aufgrund der von der Regierung Trump verhängten Schutzzölle und der Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran in letzter Zeit abgekühlt hat. Es sind – trotz allem – offensichtlich Kriegsvorbereitungen, die stattfinden. Und die dubiosen und unbewiesenen Giftgasanschläge sowie ein angeblicher Journalistenmord in der Ukraine kennzeichnen die Zielrichtung. Ebenso die Nato-Manöver „Saber Strike” (deutsch: Säbelhieb) im Baltikum und das Herbstmanöver „Trident Juncture” (Dreizackiger Verbindungspunkt) mit 40.000 Soldaten, 8.000 davon aus Deutschland. Für Ulm ist das neue Nato-Hauptquartier für schnelle Truppen- und Materialtransporte geplant. Die bestehende “Nato-Speerspitze”, also die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), die Nato Response Force (NRF) und die enhanced Forward Presence (eFP), sollen für den Konfliktfall durch weitere Truppen verstärkt werden, und zwar mit zusätzlich 30.000 Soldaten, also 30 Bataillonen, 30 Flugzeugstaffeln (das sind 360 Flugzeuge) und 30 Schiffen. Deutschland soll für diese Bereitschaftstruppe eine besondere Verantwortung übernehmen. Des Weiteren ist im Gespräch, Raketenabwehrsysteme des Typs THAAD nach Deutschland zu verlegen. Hinzu kommen Pläne für Neuaufnahmen in die NATO. Etwaige Kandidaten sind Georgien, Ukraine, Makedoniens, eventuell auch Schweden, Finnland, Irland, Serbien und Moldawien.

Ende 2017 wurde ein europäisches Militärbündnis für „permanente strukturierte Zusammenarbeit“, das sich PESCO nennt, gegründet. Unter anderem ist geplant, Westeuropa unabhängig von staatlichen Grenzen durchgängig zu machen, und zwar für die schnelle Verlegung von schwerem militärischem Gerät und Soldaten an die östlichen Grenzen. Die NATO braucht neue Straßen, Brücken und Infrastrukturen, um effektiver Krieg führen zu können. Und Verteidigungsministerin von der Leyen erklärte begeistert: „Europa muss handlungsfähiger und effizienter werden.“ Was daraus folgt, scheint den Berliner Politikern noch nicht klar zu sein: Nämlich eine Auflösung deutscher Souveränität, die im Übrigen durch die fortdauernde Stationierung ausländischer Truppen mit Sonderbefugnissen ohnehin nicht vollständig gegeben ist (wie sich aus dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1993 ergibt).

Weiter folgt daraus die Festigung der Bindung – man kann auch sagen, der Unterwerfung – an die USA und die NATO sowie der Ausschluss Russlands aus Europa. Damit wird nicht nur der wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Austausch zunehmend erschwert, wenn nicht verhindert. Damit wird auch die Gefahr eines Krieges mit Russland virulent, wobei Europa und insbesondere Deutschland der Brückenkopf der USA mit der von ihr dominierten NATO ist, die bis an die russischen Grenzen vorgerückt ist.

Dazu hatte sich der russische Präsident Wladimir Putin in den vergangenen Jahren eher abwartend verhalten, von den „Partnern“ im Westen gesprochen und mehrfach für Kooperation geworben. In seiner Rede an die Nation vom März sagte er jedoch – und das sind völlig neue Töne: "Obwohl wir die zweitgrößte Nuklearmacht geblieben sind, wollte niemand uns hören. Mit uns wollte niemand sprechen. Hören Sie uns jetzt zu!", und er fügte noch hinzu: "Das ist kein Bluff". Zuvor hatte er Videos einblenden lassen, mit denen er eine Reihe neuer, angeblich nicht abfangbarer Nuklearwaffen zeigte, die entwickelt und bereits getestet wurden, unter anderem die mehr als 200 Tonnen schwere Interkontinentalrakete "Sarmat" und die Hyperschallrakete "Kinschal" sowie einen nuklear bestückbaren Torpedo.

Wir haben akute Kriegsgefahr, und zwar schon seit dem von den USA initiierten Putsch 2014 in der Ukraine, das ist großen Teilen der Bevölkerung überhaupt nicht bewusst. Wir lesen, hören und sehen allerdings schon seit mehreren Jahren, dass wir bedroht werden. Deswegen – so wird uns gesagt – müssen wir aufrüsten. Die Militärausgaben der USA im Jahr 2017 betrugen nach einem Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri 610 Milliarden Dollar. Deutschlands Quote lag mit 44,3 Milliarden Dollar bei 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und soll auf Wunsch der US-Regierung auf 2 Prozent erhöht werden. Denn wir müssen uns angeblich schützen. Vor wem? Das wird seit etwa einem Jahr ausgesprochen: Vor den Russen, die uns überfallen wollen. Besonders gefährdet sind angeblich die Anrainerstaaten Russlands: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Bulgarien, Rumänien und nicht zuletzt die Ukraine. In diesen Staaten wird von den USA und der NATO eine gewaltige Militärmaschinerie aufgebaut, und Deutschland ist daran beteiligt.

Aber den Militärausgaben der USA und der europäischen NATO-Staaten in Höhe von insgesamt etwa 900 Milliarden Dollar steht der Militäretat Russlands von lediglich 66,3 Milliarden Dollar jährlich gegenüber. Damit stellt sich unabweisbar die Frage, warum der Westen gegen Russland aufrüstet, wenn doch die Militärausgaben der westlichen Allianz mehr als dreizehn Mal höher sind als die des potenziellen Gegners. Daraus ergibt sich eine zweite Frage: Wem dient dieses Bedrohungsszenario, das uns da vorgegaukelt und aufgeschwatzt wird? Wer profitiert davon? Doch jedenfalls nicht die Bevölkerung in den USA und Europa, deren Staatsetats gewaltige Summen entzogen werden, die anderweitig dringend benötigt würden, zum Beispiel für die Erhaltung der Infrastruktur, für Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung und so weiter…


Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. 2017 erschien von ihm im Westend Verlag in Frankfurt am Main das Buch „Die Eroberung Europas durch die USA – eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“.


Videomitschnitt des Vortrags von Wolfgang Bittner, gehalten bei der IPPNW am 13.06.2018 in Göttingen:



Online-Flyer Nr. 673  vom 12.09.2018

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