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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Gregor Gysi zieht Strippen, Thomas Nord hampelt daran
Putsch-Versuch gegen Wagenknecht
Von Ulrich Gellermann

Ausgerechnet der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Thomas Nord stellte jüngst scheinbar die Schicksalsfrage: Sahra Wagenknecht müsse umgehend die Fraktion verlassen, oder er würde austreten. Ausgerechnet Nord? Denn gegen Thomas Nord ist zur Zeit ein Verfahren mit dem Ziel des Partei-Ausschluss anhängig. Nord, der dem erstaunlichen Glauben anhängt, er sei für die PdL wichtiger als der Medien-Star Sahra Wagenknecht, hatte via Facebook seinen Genossen Michael von Klitzing, Kreistagsabgeordneter aus Cloppenburg, als „eine kleine dreckige Mistmade“ bezeichnet. Von Klitzing hat ihm deshalb „Nazi-Jargon“ vorgeworfen – denn die Nazis bezeichneten ihre Feinde gern als Ungeziefer, als Gewürm. Nicht genug damit, bezog Thomas Nord auch den Liedermacher Diether Dehm und den Friedensaktivisten Alexander Neu, beide Abgeordnete der Linkspartei, in seine Beschimpfungen mit ein. Nun liegt der Antrag auf Ausschluss des Pöblers bei der Bundes-Schiedskommission.

Was durchaus eine interne Angelegenheit der Partei sein könnte, weitet sich zu einer ernstzunehmenden politischen Affäre aus. Denn natürlich haben diverse Medien die Attacke des Herrn Nord begierig aufgegriffen. Nazi-Sprache in der Linkspartei: Das passt all jenen in den Kram, die ohnehin die LINKEN gern mit den RECHTEN gleichsetzen. Zudem hat sich der Verbal-Angriff von Thomas Nord mit seiner neuen Anti-Wagenknecht-Initiative als ein Teil einer Spaltungskampagne herausgestellt: Die angepöbelten PdL-Mitglieder Dieter Dehm und Alexander Neu zählen zu den Freunden von Sahra-Wagenknecht. Anders als Gregor Gysi. Der Egomane Gysi ist mit Sarah Wagenknecht befeindet, seit die in der Debatte um das Linken-Europawahlprogramm die EU als "neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht" bezeichnet hatte. Auch wenn das den blanken Tatsachen entspricht, wollte Gysi unbedingt eine Abschwächung dieser Formulierung. Vor diversen Kameras erklärte der Alt-Star der Linkspartei: "Für uns linke Internationalisten gibt es kein Zurück zum früheren Nationalstaat. Wir müssen Befürworter der europäischen Integration sein." Zwar hatte keiner seiner Genossen für ein Zurück zum Nationalstaat plädiert, aber es war eine wirklich hässliche, bis heute nachwirkende Verleumdung.

Den Vorwurf des „Nationalismus“ handelt sich Sahra Wagenknecht in der innerparteilichen Diskussion nach wie vor ein, wenn sie eine Antwort auf die offene Flüchtlingsfrage fordert: Wie viel von den Millionen Menschen, die in Afrika als Ausweg aus ihrer sozialen Lage die Flucht nach Europa sehen, sollen denn nach Deutschland kommen? Als Wagenknecht die schwammige Forderung der Aktion #Unteilbar nach offenen Grenzen für alle als „weltfremd“ qualifizierte, war es ausgerechnet der Nazi-Sprech-Nord, der den Rücktritt von Wagenknecht forderte. Während Nords Drohung eher als heiße Luft bewertet wird, erscheint eine heimliche Aktion von Gregor Gysi als eher unheimlich für den Bestand der Partei. Gysi will in diesen Tagen mit einigen Vertrauten in Brandenburg beraten, wie man das Bündnis zwischen Wagenknecht und Dietmar Bartsch beenden könnte. Die beiden haben in den letzten Jahren als gleichberechtigte Fraktionsvorsitzende die auseinander strebenden Flügel der LINKEN zusammengehalten. Ein beachtliches Kunststück.

Gelingt Gysi die Trennung des Duos Wagenknecht-Bartsch, dann geht ein Plan auf, den der smarte Mann aus Berlin seit dem LINKEN-Parteitag in Göttingen (2012) hegt, in Erfüllung: Die Spaltung der Linkspartei. Schon Monate vor dem Göttinger Parteitag hatte Gysi in der Bundestagsfraktion jene schroffen Gegensätze zwischen Ost- und West-Mitgliedern ausgemacht, den der deutsche Medienapparat seit Monaten als Waffe gegen die Linkspartei nutzte: Es gäbe gute Reformer in der LINKEN, die kämen aus dem Osten und böse Revoluzzer, die wären aus dem Westen. Statt das gezielte Gewäsch der Medien zurückzuweisen, behauptete Gysi „Hass“ zwischen Ost und West in der LINKEN, um zu diesem Fazit zu kommen: „Dann wäre es sogar besser, sich fair zu trennen als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen." Erst mit einer fulminanten Rede von Oskar Lafontaine konnte damals die Spaltung vermieden werden: "Es gibt keinen Grund, das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen“.

So ähnlich sehen es auch die Wähler der LINKEN: In einer aktuellen Umfrage des INSA-Consulere Instituts fühlen sich 80 Prozent von ihnen in ihren Interessen von Sahra Wagenknecht vertreten. Nur zehn Prozent der Befragten sind der Meinung, sie vertritt deren Interessen nicht. 46 Prozent der Umfrageteilnehmer glauben, Dietmar Bartsch verträte deren Interessen, 22 Prozent geben an, er vertritt ihre Interessen nicht. Bezüglich Katja Kipping geben 40 Prozent der Umfrageteilnehmer an, diese nähme ihre Interessen wahr, 30 Prozent fühlen sich in ihren Interessen nicht von Katja Kipping vertreten. Katja Kipping sowie Dietmar Bartsch sind bei den Linke-Wählern deutlich unbekannter als Sahra Wagenknecht. Wohl auch deshalb hat der Landesausschuss der LINKEN Niedersachsen schnell beschlossen, jedem Abwahl-Antrag von Frau Wagenknecht – der SPIEGEL spekulierte anläßlich des kläglichen Versuchs von Thomas Nord darüber – eine Absage zu erteilen.

Die Schicksalsfrage von Thomas Nord – „Sie oder ich“ – wird die Geschichte kühl mit einer Gegenfrage beantworten: Wer war eigentlich Thomas Nord? Die Frage nach dem OB und dem WANN und WIE der Spaltung der LINKEN wird in den nächsten Monaten geklärt sein. In die jüngere Geschichte Deutschlands ist die PDS-LINKE bereits jetzt positiv einzuordnen: Sie war ein wichtiger Versuch, die Niederlage der Linken – vom Zerbröseln der DDR, dem Verfall der SPD und der Anpassung der GRÜNEN – in eine Wiedergeburt zu wandeln. Temporär war dieser Versuch durchaus erfolgreich. Und Gregor Gysi war lange Zeit wesentlich daran beteiligt. Heute wird der Mann nun zum schrecklichen Beispiel dafür, dass man mit dem Hintern prima das umwerfen kann, was man mit den Händen aufgebaut hat.


Erstveröffentlichung am 12. November 2018 bei rationalgalerie.de – Eine Plattform für Nachdenker und Vorläufer

Top-Foto:
Ulrich Gellermann (aus Video-Interview: deutsch.rt.com)


Online-Flyer Nr. 682  vom 14.11.2018



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