NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

zurück  
Druckversion

Globales
Über die wirtschaftliche Lage in Serbien und zur Politik der serbischen Regierung
20 Jahre nach den NATO-Bomben
Interview mit Nebojsa Katic

Unter dem Druck ausländischer Kreditgeber und des IWF betreibt die serbische Regierung eine Politik, die das Land an den Abgrund führt: Ohne eigenes längerfristig angelegtes Wirtschaftskonzept verschleudert sie Betriebe, Banken und landwirtschaftlichen Flächen an ausländische Konzerne und lässt sich jede Steuerungsmöglichkeit für die Entwicklung der serbischen Wirtschaft aus der Hand nehmen. Mit billigsten Löhnen, niedrigsten Steuersätzen und großzügigen staatlichen Zuschüssen meint sie, allein mit Hilfe ausländischer Investitionen dem Land zu wirtschaftlichem Wachstum verhelfen zu können. Ein schwerer Irrtum, der sehr bald zu einem bösen Erwachen führen dürfte. Der serbische Unternehmensberater, Wirtschaftsanalytiker und Kolumnist Nebojsa Katic hat dem Chefredakteur des Nachrichtenmagazins NIN (1) Milan Culibrk ein höchst informatives Interview zur wirtschaftlichen Lage seines Landes und zur Wirtschaftspolitik der serbischen Regierung gegeben. Nebojsa Katic wurde 1955 in Valjevo geboren. Er hat sein Studium an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Belgrad absolviert. Seine berufliche Karriere war bis 1998 mit der führenden Beratungsgesellschaft Jugoslawiens Energoprojekt verbunden, die große Projekte im hydroelektrischen Bereich wie Staudämme, Wasserkraftwerke, Bewässerungsanlagen verwirklicht hat. Er war unter anderem Finanzdirektor der Holding. Seit 2002 lebt und arbeitet Nebojsa Katic als unabhängiger Unternehmensberater in London. Auf seinem Internetportal iz drugog ugla (2) veröffentlicht er regelmäßig Artikel zu wirtschaftspolitischen Themen. Hier findet sich auch das Interview mit NIN vom 22.11.2018, das Bernd Duschner (3) aus dem Serbischen übersetzt hat.


Kürzlich haben Sie auf dem Forum in Kolarac gesagt, dass ein Land, das Kredite in Euro aufnimmt, um seine Verpflichtungen in der einheimischen Währung zu begleichen, den Verstand verloren hat. Was würden Sie dann zu Serbien sagen? Nur ein Viertel der öffentlichen Verschuldung lautet auf Dinar, der Rest auf andere Währungen (konkret: 39,3 Prozent auf Euro, 28,5 Prozent auf Dollar, 6,3 Prozent sonstige)?

Die Struktur der öffentlichen Verschuldung hat sich in Wahrheit etwas verbessert. Der Anteil der Schulden, die auf Dinar lauten, hat sich, verglichen mit beispielsweise 2012, erhöht. Damals betrug er 20 Prozent. Das Phänomen, dass ein Entwicklungsland für seinen Haushalt Kredite in ausländischer Währung aufnimmt, wird in der Literatur als eine „Todsünde“ bezeichnet. Mir ist dieser Ausdruck zu milde. Ich verwende für diese Form der Verschuldung einen schärferen Ausdruck: ökonomischer Irrsinn. Diesen Wahnsinn haben ausländische Berater als kluge Idee angepriesen, und als solche wurde sie armen Ländern verkauft. Ihnen wurde damit auf Dauer eine Schulden-Schlinge um den Hals gelegt. Der Zweck der Irreführung besteht darin, Länder abzuhalten, den eigenen Emissionsmechanismus zu nutzen. Die Ausgabe einheimischer Währung soll auf der Basis von Auslandskrediten erfolgen, weil damit angeblich die Inflation nicht gefördert würde.

Warum befindet sich Japan mit einer Verschuldung, die doppelt so hoch ist wie sein Bruttoinlandsprodukt in einer viel besseren Position als Serbien? Dessen Regierung prahlt damit, die Verschuldung auf unter 56 Prozent des BIP gesenkt zu haben?

Das wirtschaftliche Geschick eines Landes wird nicht von der Höhe der Staatsverschuldung bestimmt, sondern von der Art, wie diese finanziert wird. Wenn die Staatsverschuldung von Geldgebern im Ausland finanziert wird, liegt das Schicksal des Landes in deren Händen. Wenn diese Geldgeber aus irgendeinem Grund aufhören, Euch Kredite zu geben, bricht eine Schuldenkrise aus. Dieses Phänomen wird in der Theorie als ein „plötzlicher Stillstand“ bezeichnet.


Prachtstraße Knez Mihajlova im Stadtzentrum von Belgrad

Japans Staatsverschuldung liegt bei etwa 238 Prozent des BIP. Das ist eine unglaubliche Zahl. Aber Japan finanziert seine Schulden aus inländischen Quellen, finanziert sie mit Yen, finanziert sie indirekt durch Emissionen auf dem Primärmarkt und mit einer solchen Verschuldung kann man leben. Japan ist nicht auf die Gnade des Auslands angewiesen. Lassen sich mich einen etwas vereinfachten Vergleich wählen: Es ist nicht dasselbe, ob sich Bürger bei einem Angehörigen ihrer Familie verschulden oder bei Kredithaien. Letztere brechen ihnen das Kreuz.

Sie haben zu Beginn des Jahres 2015 behauptet, Serbien steuere seit mehr als einem Jahrzehnt auf den Abgrund zu, obwohl das Wachstum des BIP bis 2008 in keinem Jahr weniger als 4,4 Prozent betrug. Diese Höhe werden wir selbst in diesem Jahr nicht erreichen. Bedeutet das, dass wir uns tatsächlich immer noch auf den Abgrund zu bewegen? Können wir uns nur noch auf die Worte von Pasic (4) verlassen: „Es gibt keine Rettung für uns, zugrundegehen werden wir trotzdem nicht“?

Erstens müssen Wachstumsraten über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren betrachtet werden, um verlässliche Schlussfolgerungen zur wirtschaftlichen Entwicklung ziehen zu können. Wegen der Wachstumsrate, die in einem Jahr erreicht wurde, sich zu brüsten, ist billige Propaganda. In den letzten zehn Jahren ist Serbien unter Berücksichtigung des „sensationellen“ 2018 mit einer durchschnittlichen Jahresrate von weniger als einem Prozent gewachsen und damit am vorletzten Platz in der Region. In den letzten fünf Jahren betrugt die durchschnittliche Jahresrate, einschließlich der erwarteten Wachstumsrate für dieses Jahr, rund 1,5 Prozent. Sie ist damit zweifelsohne die niedrigste in der Region.

Zweitens ist es nicht egal, wie man das Wachstum erzeugt. Wenn ihr das macht, indem ihr alles verkauft, was verkauft werden kann, an dem unsinnig überbewerteten Dinarkurs festhaltet, den Import forciert, die Kreditaufnahme der privaten Haushalte stimuliert und in nichtproduktive Immobilien investiert, dann hat man für einige Zeit hohe Wachstumsraten, endet aber am Rand des Bankrotts, wie Serbien 2008.

Drittens ist die Wachstumsrate von rund vier Prozent, mit sich der die Regierung brüstet, für ein Land mit so niedrigem BIP pro Kopf äußerst bescheiden. Mit einer solchen Rate wird Serbien selbst Länder wie beispielsweise Bulgarien niemals einholen.

Man bekommt den Eindruck, dass es der Regierung überhaupt keine Sorgen bereitet, dass unser Export in diesem Jahr um 7,7 Prozent gestiegen ist, unser Import jedoch um 12,8 Prozent. Hat es jemand schon für nötig gehalten, Alarm zu schlagen?

Der überbewertete Kurs des Dinar ist für ein Land, das sich in der Entwicklung befindet, eine selbstmörderische Politik. Ein überbewerteter Kurs erzeugt eine Illusion von Stabilität, hilft die Inflation niedrig zu halten, lässt Gehälter, die in Euro ausbezahlt werden, höher aussehen. Alle Parameter, die man im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt misst, sehen (in Euro gerechnet) besser aus. Gleichzeitig verschlechtert sich die Handelsbilanz, überschwemmt ausländische Ware den Markt und die einheimischen Produkte sind immer weniger konkurrenzfähig. Das alles haben wir bereits am Vorabend von 2008 deutlich illustriert bekommen.


Denkmal des Spanienkämpfers und als Partisanenführer gefallenen Žikica Jovanovic (Španac), Valjevo

Auch früher haben Sie den „starken“ Dinar kritisiert, weil damit die Importeure, nicht aber die Exporteure gefördert werden. Was sagen Sie heute, wo der sich der Dinar verglichen mit Februar 2017 gegenüber dem Euro um 5 Prozent, gegenüber dem britischen Pfund um 6,5 Prozent und gegenüber Dollar und Schweizer Franken um 10 Prozent aufgewertet hat. Ist das nicht für die Mehrheit eine gute Geldpolitik? Schließlich gibt es in Serbien, wie Professor Miodrag Zec sagen würde, mehr Netto-Schuldner als Gläubiger.

Für Schuldner ist die einheimische Geldpolitik und die Politik hinsichtlich des Dinar wunderbar, solange man nicht weiter als bis zur Nasenspitze schaut. Das böse Erwachen wird von selbst kommen, sobald der Dinar anfängt, zu fallen, die Zinsen steigen und die Gerichtsvollzieher an der Tür klopfen. 

Inwiefern tragen Ausländer, die Devisen ins Land bringen, in Dinar umtauschen, sie dem Staat zu vergleichsweise hohen Zinsen als Kredit geben und zusätzlich noch an Wechselkursdifferenzen verdienen, zu dem hohen Dinarkurs bei? Was wird passieren, wenn sich der Trend umdreht?

Jeder Zufluss von Devisen, unabhängig, aus welchem Grund er erfolgt, bewirkt eine Stärkung des Dinar. Jedoch ist nur der Zufluss, der vom Export erzeugt wird, wirklich gesund und bringt keine Risiken. Am schädlichsten sind überflüssige Zuflüsse wie die ausländischen Kredite, mit denen Staatsausgaben, die in Dinar getätigt werden, finanziert werden. Wenn dieser Zufluss zum Erliegen kommt oder sich verlangsamt, und ich befürchte, dass dieser Zeitpunkt nicht mehr weit entfernt ist, werden wir erneut, wie 2008, eine Krise haben.

Über Jahre hinweg haben Sie bei Energoprojekt gearbeitet. Welche Meinung haben Sie vom „Projekt des Jahrhunderts“, Belgrad am Wasser (5)?

Belgrad am Wasser ist kein Projekt nach meinem Geschmack. Ich werde mich hier aber nicht mit Geschmacksfragen aufhalten, sondern mich auf zwei ökonomische Aspekte dieses Projektes konzentrieren, die mehr als ungewöhnlich sind: Zum einem ist nicht klar, was der Staat überhaupt als Aktionär in einem Unternehmen sucht, das Luxuswohnungen baut. Das ist kein Betätigungsfeld für den Staat und er hat in derartigen Projekten nichts zu suchen. Zum zweiten ist nicht klar, weshalb ein Projekt dieser Art und Größe an nur einen Investor (6) und das gleich für 30 Jahre übergeben wurde. Wenn es ein solches seltsames, wirklich seltsames Monopol nicht gäbe, könnte das Projekt mindestens doppelt so schnell verwirklicht werden, indem man weitere Investoren heranzieht und deren Konkurrenz untereinander nutzt. Wir erinnern nur daran, was auf der anderen Seite des Flusses, und zwar auf viel größerer Fläche, in 30 Jahren errichtet wurde.

Sie haben öfters gesagt, das Land solle aufhören, ausländischen Investoren nachzulaufen und ihnen Geld zu geben, damit sie investieren. Haben Sie nicht den Eindruck, dass jetzt Investoren nur wegen der Subventionen und billigen Arbeitskräfte kommen? Sie vertreten die Auffassung, dass Entwicklung geplant werden muss. Wie wirkt auf Sie die Aufforderung von Präsident Vucic an ausländische Investoren im Stil: „Wenn Euch jemand, wer immer es sei, etwas anbietet, dann kommt nach Serbien. Ihr werden mehr bekommen!“?

Diese Art Politik bezeichnen wir in der Ökonomie als ein Wettrennen nach unten, bei dem sich Länder, die sich in großer Not befinden, gegenseitig unterbieten und dabei immer noch mehr an Subventionen und Vergünstigungen anbieten. Das sind Botschaften von Verzweifelten, die kein anderes Konzept für eine Entwicklung kennen außer der Idee, ihre billigen Arbeitskräfte zu verkaufen. Dabei achtet niemand auf die Art der Investition. Niemand ärgert sich, dass große Verkaufsketten ins Land kommen, die den Import ausländischer Waren erhöhen, oder Industrien, die keine Zukunft haben, oder dass sehr viele weggehen werden, sobald die Subventionen ausgeschöpft sind bzw. neue Zugeständnisse verlangen werden, damit sie nicht weggehen. Auch wenn Subventionen und billige Arbeitskräfte für sie außerordentlich wichtig sind, kommen ausländische Investoren, um Märkte zu übernehmen und die wichtigsten Ressourcen unter ihre Kontrolle zu bringen. Solche Investoren hat man früher Kolonisatoren genannt, während man sie heute ausländische Investoren nennt.

Sie haben sich gegen den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen ausgesprochen. Was sagen Sie dazu, dass der Staat PKB (7) mit seinen 17.000 Hektar für 104 Millionen Euro an Al Dahra verkauft hat?

Das ist eine schlechte Entscheidung und nur ein Mosaiksteinchen in dieser unverantwortlichen Politik. Ich möchte aber daran erinnern, dass die vorherigen Regierungen diese Politik ermöglicht haben. Sie haben mit der Europäischen Union Vereinbarungen unterschrieben, die kein anderes Beitrittsland vorher unterschrieben hat. Serbien ist das einzige Land, das bereits vor seinem Beitritt in die EU akzeptiert hat, Flächen an ausländische Investoren zu verkaufen. Niemand hat sich damals über diese Entscheidung besonders aufgeregt. Nebenbei bemerkt: Die Flächen von PKB sind nicht die einzigen, die in ausländische Hände übergehen. Es ist auch nicht die einzige strategische Ressource in ausländischer Hand, noch ist diese Politik mittlerweile beendet worden.


Denkmal des serbischen Feldmarschalls Zivojin Misic, der die Österreicher 1914 in der Schlacht an der Kolubara schlug, Valjevo

Kann man es als absurd bezeichnen, dass Serbien in den letzten 10 Jahren mehr ausländische Direktinvestitionen an Land gezogen hat als alle westlichen Balkanstaaten einschließlich Kroatien und dass trotzdem der Anteil der Gesamtinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt in keinem Land mit Ausnahme von Bosnien-Herzegowina niedriger ist als in Serbien? (8) Was sagt das für Sie aus? Was können wir uns davon erwarten?

Erstens bedeutet es, dass ausländische Investitionen, wie hoch sie auch sein mögen, Euch nicht retten werden. Zweitens bedeutet es, dass sich die privaten inländischen Investitionen auf einem niedrigen Niveau bewegen und der Staat an ihnen nicht interessiert ist. Drittens bedeute es, dass die staatlichen Investitionen bereits seit einem Jahrzehnt richtig niedrig sind. Serbien hat keine Entwicklungsstrategie, es fehlt ihm an ausgereiften Instrumenten zur Förderung von Investitionen. Ohne ein starkes Wachstum der Investitionen gibt es jedoch kein gesundes Wirtschaftswachstum.

Warum gibt es nach Ihrer Auffassung nicht mehr inländische Investitionen?


Das Grundübel der einheimischen Wirtschaft ist die katastrophale Kreditpolitik, die man seit Beginn des neuen Jahrtausends verfolgt. Serbien hat ein Konzept übernommen, das wir in der Theorie als „Neuen makroökonomischen Konsensus“ bezeichnen (das ist nicht dasselbe wie der Washington Consensus (9)). Gemäß dieses Konzepts sollen die Staaten keinen Einfluss auf die Kreditpolitik der Banken nehmen oder, was Gott verhüten möge, sie gar steuern. Den Banken ist es freigestellt, zu machen, was sie wollen, und an wen sie Kredite vergeben. Es gibt keine Vorgaben. Die Banken möchten keine Kredite für Investitionen vergeben, lieber gewähren sie Kredite an Privatpersonen und den Staat. Die statistischen Daten zeigen das klar (10). Da ich bei meinen vorherigen Antworten Begriffe aus der Psychiatrie benutzt habe, werde ich das auch hier machen, mit einem ein wenig provokativen Zusatz: Diese Kreditpolitik ist Wahnsinn, in dem allzu viel System steckt.


Frauen mit ihren Trachten aus Kikinda, Valjevo

Es ist deutlich, dass der Staat genau das Gegenteil von dem macht, was Sie vorschlagen. Nach Ihnen dürfte die Kommercialbank (11) nicht verkauft, sondern müsste mit den noch verbliebenen einheimischen Banken zusammengeschlossen werden. Es bleibt nur die Preisfrage, wann die übrigen öffentlichen Banken verkauft werden. Warum ist das schlecht? Haben nicht die Kosten für die schlechte Unternehmensführung bei den öffentlichen Banken bereits eine Milliarde Euro überschritten?

Ohne große einheimische Banken gibt es keine Entwicklung im Land. Aber auch große einheimische Banken sind keine Garantie für eine Entwicklung, wenn der Staat keine Entwicklungspolitik betreibt oder die leitenden Mitarbeiter in den Banken Dilettanten und/oder korrupt sind. Über die Kosten der schlechten Unternehmensführung bei den öffentlichen Banken kann sich jeder sein eigenes Urteil machen. Die Kosten, die Serbien für dieses Finanzsystem zahlt, sind weit, weit höher als diese eine Milliarde. Nein, hoffen wir, dass das, was der Staat macht – und das ist das genaue Gegenteil von dem, was er meiner Meinung nach tun müsste –, seinen Bürgern und der Wirtschaft nützt und wir tatsächlich ins verkündete goldene Zeitalter eintreten.

In welchem Ausmaß könnte sich der Handelskrieg zwischen den USA und China auf kleine Länder auswirken, da Washington auf seine Bündnispartner keine Rücksicht nimmt? Könnte er die ohnehin langsame Erholung der serbischen Wirtschaft weiter verlangsamen?

Ich habe den Konflikt zwischen USA und China als „Mutter aller Kriege“ bezeichnet. Ich denke, wir haben noch nicht vollständig das Wesen dieses Zusammenstoßes verstanden und welche Auswirkungen er möglicherweise hat. China löst heute die USA an der Spitze der Pyramide der führenden Wirtschaftsmächte ab. Die Geschichte lehrt uns, dass jeder solcher Wechsel von großen Kriegen begleitet war. Wir können nur hoffen, dass dieser wirtschaftliche Konflikt sich nicht zu einem richtigen, blutigen Krieg auswächst und zu einer globalen Katastrophe führt. Was den reinen Handelskrieg betrifft, so kann er schwerwiegende ökonomische Folgen haben und dazu beitragen, dass wir erneut in eine globale Wirtschaftskrise gewaltigen Ausmaßes eintreten, ähnlich der 2008.

Unstreitig haben die Sparmaßnahmen dazu beigetragen, dass sich in vergleichsweise kurzer Zeit das Haushaltsdefizit von zwei Milliarden Euro zu einem Überschuss von ein paar hundert Millionen Euro geworden ist. Hat sich also die Kürzung der Gehälter im öffentlichen Bereich und bei den Renten ausbezahlt?


Die Sparpolitik beim Haushalt hat die Lage der öffentlichen Kassen verbessert, aber die Haushalte von Bürger und Wirtschaft schwer belastet. Serbien hat sich bis zu diesem Jahr effektiv in einer Rezession befunden. Das war der Preis für die Haushaltskonsolidierung. Vergessen wir nicht, dass die öffentlichen Schulden Serbiens heute in absoluten Zahlen höher sind als 2014, also zum Zeitpunkt, als mit den Einsparungen beim Haushalt begonnen wurde. Der lautstark verkündete Rückgang der öffentlichen Schulden bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt gehört in den Bereich der finanzpolitischen Alchemie. Man könnte ihn als einen Triumph der Darstellungsweise über den gesunden Verstand bezeichnen.

Vor einem Jahr habe ich in „Politika“ über diesen Vorgang aus der Alchemie geschrieben (12).

Die Regierung behauptet, dass die öffentliche Verschuldung auf 56,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zurückgegangen ist. Damit diese Angabe über einen großen Rückgang der Staatsverschuldung logisch stimmig ist, hätte die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts bei 9,3 Prozent liegen müssen, also mindestens doppelt so hoch wie das tatsächliche Wachstum, das Serbien in diesem Jahr erreichen wird. Hier werde ich keine Ausdrücke aus der Psychiatrie verwenden, sondern nur darauf hinweisen, dass man Schulden mit Geld zurückzahlt und nicht mit Prozenten eines Trugbildes, das sich Bruttoinlandsprodukt nennt und das noch dazu durch die Wechselkurspolitik beim Dinar verzerrt wird.

Wie klingen bei Ihnen in London die Sprüche serbischer Regierungsvertreter, dass unsere Renten noch nie so hoch waren, die Gehälter bald 500 Euro erreichen, wir bei der Entlohnung bereits Bosnien-Herzegowina und Bulgarien überholt haben und bald auch die anderen Nachbarländer überholen werden und das „goldene Zeitalter“ gekommen ist. Wollen Sie nicht sofort zurückkehren?


Zunächst können die Renten in normalen Systemen hoch oder niedrig sein. Sie wachsen jedoch immer, wenn sie mit der Inflation angepasst werden. Die logische Folge ist, dass die Renten von Jahr zu Jahr nominal immer höher werden, unabhängig davon, ob sie die Inflation voll ausgleichen und ob sie zum Leben reichen. Mit diesem Anstieg der Renten brüstet sich die Regierung nicht, weil sie andernfalls von den Medien heftig verspottet würde. Zum zweiten ist die Höhe der Löhne und Renten in Euro für einen Vergleich mit den Rentnern in den Nachbarländern nicht aussagekräftig, solange man dabei die Wechselkurspolitik und das Preisniveau in den Ländern nicht berücksichtigt, mit denen sich Serbien vergleicht,

Sollte Donald Trump deshalb gewonnen haben, weil die Einkünfte des durchschnittlichen Amerikaners über Jahre hinweg stagnierten, ja sogar gefallen sind? Wie war dann es möglich, dass sich die Umfragewerte des Präsidenten Serbiens verbessert haben, obwohl die Löhne und Renten real gesunken sind? Werden die wirtschaftlichen Daten in Serbien jemals einen Einfluss auf die politischen Kräfteverhältnisse haben?

Es wäre äußerst unfair, wenn man für den Rückgang von Löhnen und Renten nur die Regierung verantwortlich machen würde, die Ende 2012 gekommen ist. Obwohl ich keine Sympathie für die von ihr betriebene Wirtschaftspolitik habe, sondern sie kritisiere, ist sie nicht schlechter, als die bis 2012 verfolgte Politik. Sie ist sogar etwas besser. Das Problem besteht darin, dass die Wirtschaftspolitik dieser Regierung eine Fortführung der Politik der vorherigen Regierungen ist und auf denselben für Serbien tödlichen ökonomischen Lehrsätzen beruht. Die unnötige Propaganda und grobschlächtige Rhetorik, mit der diese Politik begleitetet wird und die jedes Maß verloren hat, ist natürlich ärgerlich. Ich denke, dass man so etwas in Serbien bis jetzt nicht gesehen hat. Aber man sieht alles Mögliche.


Die Fußnoten sind Anmerkungen des Übersetzers:

1 NIN ist ein wöchentlich erscheinendes serbisches Nachrichtenmagazin, das in Belgrad herausgegeben wird. Nedeljne informativne novine (Wöchentliche informative Zeitung) ist laut Wikipedia ein aktuelles Nachrichtenmagazin, das Einfluss auf die serbischen (und vormals jugoslawischen) Eliten und auf die öffentliche Meinungsbildung in Serbien ausübt. Siehe: „NIN (Zeitschrift)“. In Wikipedia, 1. September 2013. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=NIN_(Zeitschrift).

2 https://nkatic.wordpress.com/

3 Bernd Duschner, Pfaffenhofen, Vorsitzender des Vereins Freundschaft mit Valjevo e. V. für Frieden, Freundschaft und Völkerverständigung http://www.freundschaft-mit-valjevo.de/wordpress/

4 Nikola Pasic, 1845–1926, serbischer Politiker, von 1904–1918 serbischer Premierminister und von 1921–1926 Regierungschef des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen.

5 „Belgrad am Wasser“ ist ein Entwicklungsprojekt mit teueren Wohnungen, exklusiven Hotels, Geschäften und Lokalen am rechten Save-Ufer. Investor ist Eagle Hills aus Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das Projekt soll 3,5 Mrd. Euro kosten.

6 Eagle Hills aus Abu Dhabi

7 Das PKB Landwirtschaftskombinat Belgrad wurde privatisiert und Ende 2018 an das Unternehmen Al Dahra Agricultural Company in Abu Dhabi verkauft. In ihrer Ausgabe vom 24.7.2018 hatte Politika berichtet, dass die serbische Regierung mit dem IWF für die kommenden 30 Monate eine Vereinbarung (Policy Coordination Instrument) unterzeichnet hat, die unter anderem die Privatisierung einer Reihe von Großunternehmen vorsieht. Dazu gehören neben PKB, das petrochemische Unternehmen HIP Petrohemija in Pancevo, der Methanol- und Essigsäurehersteller MSK in Kikinda und die Kommercijalna Banka. Das zweitgrößte Unternehmen des Landes, der Energieversorger EPS soll bis 2020 in eine Aktiengesellschaftgesellschaft umgewandelt werden. Es dürfte der nächste Schritt zu seiner Privatisierung sein. „Drzava MMF-u obecala tendere“, in Politika, 24.7.2018

8 Im Zeitraum 2013–2017 betrug der Anteil der Gesamtinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) Serbiens durchschnittlich nur 16,8 Prozent verglichen mit 21,5 Prozent bei den Mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL). Dabei lag der Anteil der Auslandsinvestitionen am BIP Serbiens bei 5,1 Prozent (MOEL 1,5 Prozent). Dagegen erreichten die öffentlichen Investitionen Serbiens nur 2,8 Prozent (MOEL 4,1 Prozent) und die privaten Investitionen nur 8,9 Prozent des BIP (MOEL 15,9 Prozent). „Stranci ulazu vise nego domaci“, in Politika, 6.1.2019;

9 Der Washington Consensus stellte während der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980er Jahren das politische Programm der zu dieser Zeit hegemonialen wirtschaftspolitischen Kräfte in den USA dar, die im IWF, der Weltbank, dem US-Finanzministerium und den zahlreichen Washingtoner Denkfabriken organisiert waren. Es handelte sich um die Durchsetzung von mit Krediten verbundenen „Strukturanpassungsprogrammen“, die unter anderem in Nachfragedrosselung und Kürzung der Staatsausgaben, Abwertung, Liberalisierung der Handelspolitik, Deregulierung von Märkten und Preisen, Abschaffung von Preissubventionen für Grundbedarfsartikel und Privatisierung öffentlicher Einrichtungen bestanden. Nach: „Washington Consensus“. In Wikipedia, 9. Januar 2019. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Washington_Consensus.

10 Von Ende 2014 bis September 2018 ist die Verschuldung der Bürger in Barkrediten um 101 Prozent gestiegen. Sie hat sich auf 3,4 Mrd. Euro verdoppelt. Im gleichen Zeitraum sind die Kredite an die Wirtschaft nur um 3 Prozent und die Kredite für Investitionen nur um magere 8 Prozent gewachsen. „Kako (ne) upropastiti gradane i ekonomiju“, Nebojsa Katic in Politika vom 7.11.2018

11 Von den 29 Banken, die in Serbien tätig sind, befinden sich 21 in ausländischer Hand. Sie kommen vor allem aus Italien, Österreich, Frankreich und Griechenland und haben einen Anteil von 77,1 Prozent an der Bilanzsumme des Bankensektors. Der Anteil der öffentlichen und privaten serbischen Banken beträgt bereits jetzt nur noch 22,9 Prozent. Kommercijlna Banka ist mit einem Anteil von ca. 12 Prozent die größte noch in staatlicher Hand verbliebene Bank. Ihre Privatisierung ist beschlossen und soll in Kürze erfolgen. „Drzava konacno krece u Privatzaciju Kommercijalne banke“, in Tanjug, 15.10.2018 und „Srbija: Osam stranih banaka drzi vise od 50 odsto trzista“, in Blic, 23.9.2018

12 Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) spielt es keine Rolle, ob die Einkommen aus den in einem Land erstellten Waren und Dienstleistungen „Inländern“ oder „Ausländern“ zufließen. Dagegen werden beim Bruttonationaleinkommen (BNP) nur die Einkommen der „Inländer“ erfasst. Aufgrund des großen Gewichtes der Auslandsinvestitionen in Serbien war das BNP Serbiens 2016 bereits um rund 2 Milliarden Euro oder 6 Prozent niedriger als sein BIP. Für Nebojsa Katic zeichnet das BIP ein verzerrtes Bild von der tatsächlichen Entwicklung der serbischen Wirtschaft. Er sieht im BNP für Entwicklungsländer die deutlich aussagekräftigere Kennziffer, um das Wirtschaftswachstum zu messen oder beispielsweise das Gewicht der Staatsverschuldung oder der Auslandsschulden zu bewerten. „Javni dug i statisticko sludjivanje“, Nebojas Katic in Politika, 13.9.2017

Online-Flyer Nr. 690  vom 30.01.2019

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE