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Globales
Frankreichs Umweltminister Francois de Rugy
Wie Gott in Frankreich
Von Georges Hallermayer

Rücktritt Nr. 11 während 26 Monaten Regierung. Sah Umweltminister Francois de Rugy noch am Freitag, 12. Juli 2019, absolut keinen Grund zurückzutreten, übers Wochenende half man nach, und am Dienstag, dem 16. Juli, war’s dann soweit: Rücktritt Nr. 11 nach 11 Monaten Amtszeit. Seit Mai 2017 mussten schon zehn Minister die Regierung Edouard Philippe verlassen: fünf wegen Korruptionsverdacht und vier aus Karrieregründen (Kandidaturen zu Kommunal- und EU-Wahl): Allein der Rücktritt von Nicolas Hulot, Minister der „ökologischen und solidarischen Transition“ brachte Präsident Macron und seine Klima-Ambitionen in Legitimationsschwierigkeiten: Der Vorsitzende der grünen Partei ELLV wollte nicht länger Alibi sein, dass seine Präsenz in der Regierung bedeute, diese sei „ökologischen Themen gewachsen“.

Sein adliger Nachfolger im Amt hatte diese Skrupel nicht. Ganz nach dem Beispiel seines Präsidenten frönte er dem Luxus. Präsident Emmanuel Macron lud einhundertfünfzig Großkapitalisten zum Todestag des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. am 21. Januar 2019 150 zum Gedenken ins prunkvolle Versailles. Francois de Rugy lud zu einem guten Dutzend Luxusdiners ein, schröpfte zum Privatvergnügen den noblen Weinkeller der Nationalversammlung - Hausherr, der er war.

Andererseits deckte „Mediapart“ den außergewöhnlichen Geiz des Ministers auf: 2013 und 2014 rechnete er seinen Parteimitgliedsbeitrag bei ELLV über sein Abgeordneten-Mandat ab, nicht kriminell, aber verwerflich nach der Onthologie der Nationalversammlung. Außerdem hatte er seit 2016 eine Sozialwohnung in seinem Wahlkreis gemietet für 531 Euro pro Monat, das allerdings ist kriminell. Aber wird er wie Präsident Jacques Chirac seinerzeit zur Rechenschaft gezogen? Seine Dienstwohnung in Paris ließ er für über 63.000 Euro renovieren, darunter einen begehbaren Kleiderschrank für fast 17.000 Euro.

„Le Parisien“ fand heraus, dass Dienstwagen nebst Chauffeur auch seiner Familie und Freunden zur Verfügung standen. Den übermäßigen Gebrauch des Dienstwagens inclusive Fahrer brachte die Zeitung „Ouest-France“ zur Sprache. Auch wenn Herr Minister ganz ökolo mit dem Zug fuhr, ließ der den Dienstwagen mitkommen, um ihn vor Ort zur Verfügung zu haben.

Seine Kabinetts-Chefin (vergleichbar Staatssekretärin) musste auf „seinen ausdrücklichen Wunsch gehen“, weil aufkam, dass sie seit 2001 eine Sozialwohnung in Paris bewohnte – angesichts der 200.000 Sozialwohnungsberechtigten ein Zynismus, ein noch größeres Unrecht, wo die Spitzenbeamtin zwischen 2006 und 2018 gar nicht in Paris arbeitete.

Bauernopfer angesichts der Gilets jaunes

Ein Schrecken geht um: zornige Leute, tyrannische Medien, die Selbstjustiz betreiben. Parlamentarier sind aufgeschreckt. Der Premierminister beklagt einen bedauernswerten zu teuer bezahlten Irrtum und beschwört eine Krise der Republi.k Dabei weint ihm das Flaggschiff der französischen Großbourgeoisie „Le Figaro“ keine Träne nach. Er sei kein Vorbild gewesen kommentiert Vincent Tremolet de Villers, habe ein Mindestmaß an Zurückhaltung vermissen lassen.

Millionen Franzosen leben am Rande des Existenzminimums, ein Großteil ohne Arbeit, ohne staatliche Unterstützung, in entsiedelten Gebieten oder auf der Straße wie die Zehntausend Obdachlose in Paris oder in „prekären Verhältnissen“ wie zum Beispiel die 22,4 Prozent der Industrie-Arbeiter, 15,6 Prozent der Land-Arbeiter und 16,4 Prozent der IT-Profis, die sich von Quartal zu Quartal neu vertraglich verdingen müssen, so in „Le Monde“ am 6. Februar diesen Jahres.

Ablenkungsmanöver im System. Macron will mit „sauberen Händen“ sein Politwerk verrichten wie weiland Pontius Pilatus. Kritik am kapitalistischen System wird auf individuelles Fehlverhalten zurückgeführt. Der Zorn der Gelbwesten soll nicht wieder entfacht werden. Und so davon ablenken, dass er das staatlich garantierte Solidarsystem der sozialen Absicherung schleift, bislang geschützte Bereiche der Profitmacherei übereignet. Große „Reformen“ wie die Kürzung der Renten (in Höhe und Dauer der Zahlung) stehen auf der neoliberalen Agenda.

Dazu passt eine populistische Verdummungsaktion wie die bis 2023 schrittweise Abschaffung der „tax d’habitation“. Peanuts? Wie alle 22 Millionen Haushalte habe ich mich vor zwei Monaten auch über die im ersten Zug rückerstatteten 30 Prozent gefreut. Die nach sozialen Kriterien (Eigentum/Miete und Größe) gestaffelte „Wohnsteuer wird der Bourgeoisie jedes Jahr 8 Mrd. Euro in den Rachen werfen, wie Le Monde am 20. Juni ausrechnete. Peanuts, schließlich wird an der Reform von Assedic, der Arbeitslosenversicherung 3,4 Mrd. Euro eingespart. In kleinen Schritten wird das Steuerrecht weiter von sozialen Komponenten entkleidet. Den Herren bleibt allemal zum Regieren, was im Feudalismus der Zehnte war, und was in der marktkonformen Demokratie die Mehrwertsteuer ist. 

Stocktaub dagegen stellt sich weiterhin die Regierung gegenüber der Forderung der Gelbwesten, die 40 Mrd. Euro Subvention „CICE“ abzuschaffen, ein appetitmachendes Geschenk von Präsident Francois Hollande, um die „Wettbewerbsfähigkeit anzuregen und Arbeitsplätze zu schaffen“, wie es hieß. Was davon zu halten ist, demonstriert aktuell die große Supermarktkette „Auchan“ (Umsatz 2016 1,3 Mrd. Euro), wie „Mediapart“ am 30. April dieses Jahres berichtete: 88 Mio. Euro an CICE einkassiert und 313 Moi. Euro 2018 an die Aktionäre ausgeschüttet. Dafür werden 21 Niederlassungen mit fast 800 Beschäftigten geschlossen.

Großzügig verspricht Präsident Macron, die Wiedereinführung der „solidarischen Vermögenssteuer“ (4 Mrd. Euro) zu prüfen, ein Zynismus, der nur übertroffen wird durch die Kouponschneiderei der Aktionäre der CAC40-Unternehmen, die sich 2016 54 Prozent des Gewinns (schlappe 50,9 Mrd. Euro) ausschütten ließen und sich 2017 sogar 62,4 Prozent der 54,7 Mrd. Euro Gewinn unter den Nagel rissen - nicht zu vergessen, den zuvor zigtausende Beschäftigte erarbeitet haben.

Das Ministerkarussell drehte sich weiter

Transportministerin Elisabeth Borne übernimmt zusätzlich das Ressort der „ökologisch-solidarischen Transition“. Eine Frau mit neoliberalem Profil, die sich unter Präsident Hollande als Präfektin (Verwaltungs-Chefin eines Departements) in Poitou-Charentes und in Vienne und als Kabinett-Chefin von Segolene Royal hochgedient hatte, um zuletzt in die Direktion der Pariser Regionalbahn RATP einzusteigen. Ihr Job wird es sein, die Rentabilitäts-Strategie der SNCF umzusetzen, mittels Stilllegungen ganzer Strecken wie zum Beispiel die von Tour über Le Mans nach Caen und Schalterschließungen in Bahnhöfen wie gerade eben in Sedan. Die Veräußerung des Pariser Großflughafens Charles de Gaulle und Wasserkraftwerke wird sie ebenso im Namen des Klimaschutzes privater Gewinnaneignung öffnen.

Wenn nicht das Aufbegehren der Bevölkerung - beim Flughafen haben zwar erst eine halbe Million fürs Referendum unterschrieben – auf der Straße und im Betrieb dem Präsidenten Macron, der wiedergewählt werden will, einen Strich durch die Rechnung macht.


Verfasst am 20. Juli 2019

Online-Flyer Nr. 714  vom 31.07.2019



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