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Norman Junge: Malermanöver
Aberwitz einer todbringenden Kriegsmaschinerie
Buchtipp von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Es war nicht einfach, als Schlachtenmaler dabei zu sein – beim europaweiten NATO-Manöver Cold Fire im Herbst 1986, einer Heeresübung vom Nordkap bis nach Sizilien. Doch es gelang – mit einer am 29. September 1984 beginnenden, fast zwei Jahre währenden Korrespondenz zwischen dem Zeichner und Historienmaler Norman Junge aus Köln und dem Bundesverteidigungsministerium auf der Hardthöhe in Bonn. Schließlich, am 16. Juli 1986, hieß es vonseiten Generalleutnant Diedrichs: „Ich würde mich sehr freuen, Sie an einem der genannten Tage im Übungsraum begrüßen zu können.“ Der zugewiesene Übungsraum war der Abschnitt "Fränkischer Schild" im Frankenland. Der Zeitraum war der 18. bis 26. September 1986. Es entstanden Gemälde und "Tempozeichnungen" von Norman Junge, "geschossene Fotos" von Axel Krause sowie der Film "Norman Junge – Schlachtenmaler" von Christian Maiwurm (dem Buch als DVD beiliegend). Und die Aktion inspiriert im Nachhinein den von Norman Junge "gezeichneten Aberwitz einer todbringenden Kriegsmaschinerie".


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – fotografiert von Axel Krause


Tempozeichnung von Norman Junge auf dem Feld


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – fotografiert von Axel Krause


Tempozeichnung von Norman Junge auf dem Feld


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – fotografiert von Axel Krause


Tempozeichnung von Norman Junge auf dem Feld


NATO-Manöver Cold Fire – fotografiert von Axel Krause


Tempozeichnung von Norman Junge auf dem Feld


NATO-Manöver Cold Fire – fotografiert von Axel Krause


Zeichnung von Norman Junge


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – fotografiert von Axel Krause


Zeichnung von Norman Junge


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – fotografiert von Axel Krause


Zeichnung von Norman Junge


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – fotografiert von Axel Krause


Zeichnung von Norman Junge


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – Filmstill aus dem Film "Norman Junge – Schlachtenmaler" von Christian Maiwurm


Zeichnung von Norman Junge


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – Filmstill aus dem Film "Norman Junge – Schlachtenmaler" von Christian Maiwurm


Zeichnung von Norman Junge


Norman Junge beim NATO-Manöver Cold Fire im Einsatz – Filmstill aus dem Film "Norman Junge – Schlachtenmaler" von Christian Maiwurm


Zeichnung von Norman Junge


Der Herausgeber des Buches Joachim Rönneper schreibt einleitend "von einem, der auszog, das Schlachten zu malen":

Norman Junge, geboren 1938, (Vor-)Kriegskind, einstiger Wehrpass-Inhaber, Bildhauer absurder und archaisch wirkender wie wirkungsvoller Plastiken, mehrfach national und international ausgezeichneter Kinderbuchillustrator, gab sich im Jahr 1986 als Historienmaler aus.

Er bewarb sich 1984 aufgrund seiner musischen Eigenschaft beim Bundesverteidigungsministerium, um teilnehmen zu können an dem europaweiten NATO-Manöver Cold Fire im Herbst 1986, einer Heeresübung vom Nordkap bis nach Sizilien: abertausende Soldaten und ein Schlachtenmaler, zugewiesen dem Abschnitt Fränkischer Schild im Frankenland.

Bewerbungsmaterial waren Gemälde – abstrakte Malerei auf schwarzem Hintergrund – deren sonderbare Motive keinen Bilderstreit, vielmehr Krieg im Universum zeigen: bizarr, wüst, technoid. Der vorliegende Band dokumentiert neben den zeichnerischen Arbeiten fotografisch wie in Filmsequenzen Junges Aktionskunst aus dem Felde: ein Malermanöver – ein weites Feld.

Die Dokumentation beginnt mit der Korrespondenz Junge / Bundesverteidigungsministerium, Aktenzeichen 35-20-00, vorangestellt eine Einleitung von Martin Stankowski, der als anonymer Schreiber fungierte. Es folgen die Momentaufnahmen des an der Kunstaktion beteiligten Axel Krause. Sein Blick fängt die Atmosphäre zwischen Idylle und Ernstfall auf Probe treffsicher ein. Titelbild: Ein Maler sitzt auf einem Klappstuhl, eine Rückenansicht. In der rechten Hand vor ihm ein Zeichenblock, keine Staffelei. Ein Linkshänder. Ringsum abgemähtes Ährenfeld und Weite, Ackerbau. Unweit des Malenden stehen Apfelbäume, Blütezeit vorbei. Ein Panzerohr ragt aus dem bald blattlosen Geäst horizontal hervor, Freiluftmalerei im goldgelben Herbst. Und einer sitzt da, skizziert, zeichnet oder malt. Der Panzer ist getarnt.

Er parkt nicht. Er wartet. Es liegt in der Natur des Panzers, zu fahren, zu zielen und zu treffen: plattwalzende Wirklichkeit, einebnend, vermeintliche Harmlosigkeit mit tödlichem Ausgang. Und einer drückt den Auslöser einer Kamera: ein geschossenes Foto. Die Acrylfarben, die Junge neben Bleistift und Tusche malend benutzte, so erklärte er während einer Feldmahlzeit seinem Begleitoffizier, seien hitzebeständig, getestet auf achthundert Grad Celsius, kurzum ohne Atomblitz kriegstauglich: eine Eulenspiegelei.

»Der Wirt vom Gasthaus zum Löwen in Wilfingen verrät, was Ernst Jünger, seinem berühmten, nun 100jährigen Stammgast, noch immer am besten schmeckt: Schlachtplatte.« (Hans Bender, 1919-2015, Ich schreibe kurz. Aufzeichnungen 1994/1995)

Die darstellenden Zeichnungen, die im Manöver entstanden, haben bei dieser Bildauswahl vielmals Kriegsgeräte im Visier: Phantomjäger im Tiefflug, immer wieder Panzer, Radarschirme etc. In naturalistisch angelehntem Stil entstanden auf der Suche nach der Front und in unmittelbarer Feindberührung situative Tempozeichnungen im Din A2- und Din A3-Format. Zwischen Detonationen und ohrenbetäubendem Ortsbeschuss, Flussüberquerungen und Schützengräben, Panzerfäusten und unheimlicher Ruhe vor dem Sturm schmuggelte Norman Junge Bilder aus dem militärischen Sperrbezirk aufs Papier: Top secret!, wie ein ausländischer General mit seinem Zeigefinger auf eine Zeichnung tippend anmerkte.

»Kriege und Geschäftsbücher werden mit Gott geführt.« (Karl Kraus, 1874-1936, Nachts. Aphorismen, 1919)

Während diverser Angriffe verflogen einige der Zeichnungen, zerfetzt vom Rotorblatt eines Helikopters; andere, vom heftigen Wind aufgewirbelt, fielen ins Wasser. Motive verschwammen: Zerstörung pur, unwiederbringliche Wirklichkeit.

Diese und andere Situationen filmte aktionsbegleitend ein Kamerateam unter der Regie von Christian Maiwurm (Kamera: Gerd von Richthofen, Ton: Jochen Fischer). Das Manöver Cold Fire dauerte vom 18. bis zum 26. September 1986. Diese Bilder strahlte der Monitor/ARD in einem gekürzten Beitrag unter dem sinnigen Produktionsnamen Telekomander aus: Pinsel, Panzer und Patronen.

Die freien Zeichnungen schuf Norman Junge lange Zeit nach dem Manöver, etwa von 2000 bis 2008. Sie sind sarkastisch wie ironisch Ausdruck einer währenden Auseinandersetzung mit dem leidvollen Thema Krieg und seiner nichtsnutzigen ästhetik. Junge, der dreijährig seinen Vater im Krieg verlor, erklärt nicht den Krieg mit dem Krieg, sondern den Krieg – Friede auf verlorenem Posten – mit seiner Kunst: Flugzeuge mit Totenköpfen, eine Torte als Panzerturm, Triumphbögen aus Knochen, ein Fadenkreuz, explosiv, Krücken, die sich personenlos auf irgendeinen Weg machen, Hügel aus Skeletten und Schrott, Panzer mit Raketenkreuz, erfundenes Kriegsgerät als Affront gegen Hochrüstung und Unmenschlichkeit – gezeichneter Aberwitz einer todbringenden Kriegsmaschinerie.


Desweiteren enthält das Buch:

Norman Junge / Bundesverteidigungsminister:
Aktenzeichen 35-20-00, Briefwechsel

Norman Junge:
Confrontationes, Bewerbungsgemälde

Martin Stankowski (Text):
Mit Kaltem Auge

Manfred Schneckenburger (Text):
Gefechtsnovize mit Sonderstatus

Norman Junge:
Schlachtenbummler, Aktionszeichnungen

Axel Krause:
Geschossene Fotos, Dokumentation

Christian Maiwurm:
Pinsel, Panzer und Patronen, Filmstills

Alfred Polgar (Text):
Schöner Krieg

Norman Junge:
täuschen, tarnen, taktieren – Freie Zeichnungen 2008

Hergen Junge (Text):
eine Kinderfrage: Warum nicht lieber Frieden?

Biografien

Dem Buch als DVD beiliegend:
Film "Norman Junge – Schlachtenmaler" von Christian Maiwurm.


Norman Junge: Malermanöver


 
herausgegeben von Joachim Rönneper, Klappenbroschur, Arachne-Verlag 2019, 136 Seiten, 14,80 Euro

Norman Junge, geboren 1938, (Vor-)Kriegskind, einstiger Wehrpass-Inhaber, Bildhauer, mehrfach national und international ausgezeichneter Kinderbuchillustrator, gab sich im Jahr 1986 als Historienmaler aus. Er bewarb sich beim Bundesverteidigungsministerium, um an dem europaweiten NATO-Manöver Cold Fire im Herbst 1986 teilnehmen zu können. Das Resultat: Aktionskunst aus dem Felde: ein Maler-Manöver.

Die darstellenden Zeichnungen, die im Manöver entstanden, haben Kriegsgeräte im Visier: Phantomjäger im Tiefflug, immer wieder Panzer, Radarschirme etc. Situative Tempozeichnungen im Din-A2- und Din-A3-Format entstanden zwischen Detonationen und ohrenbetäubendem Ortsbeschuss, Flussüberquerungen und Schützengräben, Panzerfäusten und unheimlicher Ruhe.

Die freien Zeichnungen schuf Norman Junge lange Zeit nach dem Manöver, etwa von 2000 bis 2008. Sie sind sarkastisch wie ironisch Ausdruck einer währenden Auseinandersetzung mit dem leidvollen Thema Krieg und seiner nichtsnutzigen Ästhetik.

An der Kunstaktion waren Axel Krause als Fotograf, Christian Maiwurm als Filmemacher und Martin Stankowski beteiligt. So versammelt der vorliegende Band die Bilder und Zeichnungen Norman Junges, dokumentiert darüber hinaus aber den Prozess des Malermanövers selbst.

Online-Flyer Nr. 714  vom 01.08.2019



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