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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Globales
Die Proteste gehen weiter
Frankreich vor einem "Schwarzen September"
Von Georges Hallermayer

Wird es ein schwarzer September, wie es Sprecher der „gilets jaunes“ (Gelbwesten) zum „rentree“ angekündigt haben? „La rentree“, der Schulanfang, nach monatelangen Schulferien ein Start in den Herbst, für Lehrer und Schüler gleichermaßen frustrierende Neuerungen: größere Klassen und weniger Lehrer, daher bei Krankheit oder Fortbildung droht fachfremder Unterricht (ein Widerspruch in sich) etc. Und sehen die Lehrer (wie der gesamte öffentliche Dienst) ein fünftes Jahr ihre Gehälter eingefroren? Der Monatskalender September ist gefüllt mit organisierter Opposition, dem „Protest der Straße“. Praktisch alle Bereiche des Lebens sind betroffen.

Gilets jaunes: „act 43“ der Gelbwesten am 7. September war im südfranzösischen Montpellier die nationale Manifestation angesagt, ein „Warmlaufen“ von 5000 Teilnehmern, davon zählte die Präfektur 500 vom „black block“, aus deren Reihen eine Brandflasche in einen Polizeiwagen flog – ein „Fressen“ für die Medien, die fünf Festnahmen meldeten.

In der normannischen Hauptstadt Rouen sind von Anfang an Samstag-Demos im Zentrum von der Präfektur verboten, um „den Handel zu schützen“. Unterstützt von der Gewerkschaft CGT sind knapp Eintausend Gelbwesten auf die Straße, wohlgemerkt außerhalb der „verbotenen Zone“ - wie der lokale TV-Sender Normandie 3 berichtete. Ein „Fressen“ für die Polizei: 25 vorläufige Festnahmen, 111 gebührenpflichtige Verwarnungen (zitiert Le Monde vom Sonntag die Präfektur).

In Toulouse mehrere Hundert, auch in Lille war die Beteiligung größer als dem Sommer über, etwa 1.500 gingen auf die Straße, in Toulouse ebenso mehrere Hundert wie in Strasbourg. In Besancon blieb der Umzug ebenso relativ friedlich.

Auch in Paris war die Beteiligung größer als die letzten Wochen. „Le Monde“ meldete knapp Tausend Demonstranten. Die Polizei begrenzte, behinderte und zerstreute schnell mit Wasserwerfern, (so die SNJ-CGT auf twitter) und nahm 107 fest, darunter Benoit Martin, den Pariser CGT-Gewerkschaftssekretär. Die „Champs Elysee“ wurde am Wochenende wieder abgesperrt, die drei Metrostationen zwischen Louvre und „place etoile“ geschlossen.

In Bordeaux, wo die erste Sommeruniversität der Macron-Partei LREM stattfand, versuchten mehrere Hundert Demonstranten auf den Campus zu gelangen, um ihren Protest hinüberzuschreien. Die Polizei verhinderte ein Eindringen in das abgesperrte Areal, verhaftete neun Personen und steckte fünf in Untersuchungshaft.

Der folgende Samstag, „act 44“ wird sicher hitziger, zumindest in Nantes an der Loire-Mündung. Dort ertrank der junge Erzieher Steve Maia Canico Ende Juni auf der „Fete de la musique“, im Pulk von der Polizei in den Fluss getrieben. Die Proteste gelten auch der internen Aufarbeitung der Polizeiinspektion IPGN, die keinerlei Anlass sah, juristische Ermittlungen einzuleiten.

Gesundheit: Zum Mittwoch, dem 11. September, ruft die „Föderation Gesundheit“ der Gewerkschaft CGT zum landesweiten Streik auf und mobilisiert nach Paris eine Großdemonstration. Seit Monaten arbeiten Ärzte, Pflege- und Büropersonal in den Notaufnahmestationen der Krankenhäuser unter Burn-out-Bedingungen. Anfang des Monats zählte man in ganz Frankreich über 240 Notaufnahme-Stationen im Streik. Seit Monaten kämpfen sie für mehr Finanzen für Ausstattung und mehr Stellen. Die 70 Mio. Euro, die Frau Ministerin Agnes Buzyn versprochen hatte, sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Und die „Risikoprämie“, fürs Personal (außer den Ärzten) trägt nichts zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Versorgung der Patienten bei, wie „Inter-Urgence“, die Vereinigung des Notdienste-Personals, betonte. Deshalb möchte die CGT den öffentlichen wie privaten Bereich mobilisieren, denn die Macron’sche Kürzungspolitik trifft alle sozialen Berufe.

Nahverkehr: Freitag, der 13. September steht ganz im Zeichen des Streiks im Pariser Nahverkehr RATP, um gegen die einschneidende Rentenreform nach deutschem Punktesystem zu protestieren. UNSA, CGT, FO, SUD und CFE-CGC haben dazu aufgerufen. Die Linie nach La Courneuve dürfte nicht betroffen sein, damit die Hunderttausende die „Fete Humanite“, der gleichnamigen kommunistischen Tageszeitung besuchen können.

Öffentliche Finanzen: Am 16. September geht der Protest gegen die Rentenreform weiter. Die CGT, FO, CFDT, Solidaires und CFTC der Finanzdirektion protestieren gemeinsam gegen die „globale Attacke auf den Beamtenstatus“ und die Aushöhlung des öffentlichen Dienstes, speziell gegen die Schließung bestimmter Finanzbehörden. Rechtsanwälte und andere freie Berufe, schließen sich dem Protest an und gehen mit auf die Straße, denn sie befürchten nicht nur eine Verdoppelung ihrer Abgaben, die Schwestern in der freien Krankenpflege sogar, dass  - wie bei uns viele Hebammen - aufgeben müssen.

EDF.Energieversorgung: Am 19. September treten die Beschäftigten bei Electricite de France in Ausstand, aufgerufen von mehreren Gewerkschaften gegen die Privatisierung und das Projekt „Hercule“ der Nuklearpolitik der Regierung. Sie fordern eine öffentliche Stromversorgung und eine konsequente Energiewende.

Klima. Rente. Gelbwesten: Einen ersten Höhepunkt im heißen Herbst verspricht der 21. September in Paris zu werden. Tags zuvor beginnen die Aktionen zur Klimakatastrophe. Die Gelbwesten zum „act 45“, Umwelt- und Schüler-Initiativen, die Gewerkschaften CGT, Force Ouvriere und FSU sowie Parteien rufen zu einer „historischen Mobilisierung“ auf. Ihr gemeinsames Motto: „Marschieren wir zusammen gegen das System, gegen die Zerstörung des Planeten, der Überheblichkeit der Eliten, gegen die Rentenreform und die knappe Kasse am Monatsende“. Die FO ruft zu einer „Versammlung im nationalen Rahmen“ auf, um die Reform der Renten- wie der Arbeitslosenversicherung zu verhindern.

Rente: Dieser Großdemo folgt am 24. September ein Streik, von der CGT gegen die Rentenreform aufgerufen. SUD-Rail schließt sich dem Streikaufruf an, gegen „das Sozial-dumping bei der Eisenbahn und das Vorhaben der Regierung, den öffentlichen Dienst zu liquidieren“

Notaufnahme-Stationen: Das Collectif Inter-Urgence kündigte für den 26. September einen nationalen Streiktag der Notaufnahme-Dienste an. Weder nationale noch regionale Behörden auf die Forderungen der landesweit 240 streikenden Stationen reagiert. 

Atommüll: Das Wochenende 28./20. September ziehen Umweltbewegte, Anti-Atom-Freunde aus allen Ecken Frankreichs, aber auch aus der deutschen Nachbarschaft nach Bure an der Meuse in Lothringen, wo seit 25 Jahren die staatliche Agentur CIGEO einen unterirdischen Müllabladeplatz für die anfallenden Nuklearabfälle plant und vorbereitet. Wo aber auch seit 25 Jahren ein Kollektiv von Bürgerinitiativen, Bauernvereinigungen und Umweltinitiativen den Widerstand organisiert.


Verfasst am 8. September 2019

Online-Flyer Nr. 718  vom 11.09.2019

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