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Medien
Ideologisch voreingenommene Berichterstattung westlicher Medien am Beispiel Iran
Zweierlei Schriftmaß
Von Harald Schauff

Droht ein militärischer Konflikt zwischen den USA und dem Iran? Seit Jahren und Jahrzehnten schwebt diese Frage im Raum. Bislang blieb es zum Glück bei vorüber gehenden Perioden des Säbelrasselns. Zuletzt erklang das Rasseln bedrohlich laut. Den ungeklärten Angriffen auf Handelsschiffe und Tanker durch Haftminen nahe der Straße von Hormus im Mai und Juni diesen Jahres folgte der Abschuss einer US-Drohne durch die iranische Flugabwehr. Für weitere Spannungen sorgten schließlich mysteriöse Drohnenangriffe auf saudi-arabische Ölraffinerien. Die Kriegsgefahr scheint größer denn je. Zumal der derzeitige Chefdiplomat im Weißen Haus nicht gerade durch Fingerspitzengefühl brilliert. Ein Jahr vor den US-Präsidentschaftswahlen mutet es andererseits unwahrscheinlich an, dass Trump es demnächst auf einen neuen Militärkonflikt anlegt. Nach jahrelanger Präsenz von US-Truppen im Irak und in Afghanistan sind die USA sichtlich kriegsmüde. Da möchte Trump seine mögliche Wiederwahl nicht durch einen Militärschlag gefährden. Die Entlassung des berüchtigten Scharfmachers John Bolton als Sicherheitsberater weist in diese Richtung. Ein Jahr ist jedoch schnell vorüber. Wer weiß, was danach kommt.

Zu Großteilen haben sich westliche Medien seit langem auf den ‚Schurkenstaat‘ Iran eingeschossen. Angeführt von Presse-Urgesteinen wie der Washington Post oder der New York Times tragen sie unrühmlicherweise bei zur Verschärfung des Konflikts und zum Anwachsen der Kriegsgefahr. Grund genug für Serge Halimi und Pierre Rimbert, die einseitige westliche, ‚asymmetrische Berichterstattung‘ in der August-Ausgabe der internationalen Monatszeitung le monde diplomatique näher unter die Lupe zu nehmen.

Ihr Artikel beginnt mit einem Gedankenspiel: Was würde passieren, wenn über dem US-Luftraum oder in seiner Nähe eine Drohne aus dem Iran abgeschossen würde? Keiner wäre am genauen Abschussort interessiert, sondern alle würden der Frage nachgehen, was die Drohne dort, Tausende Kilometer fern von Teheran, zu suchen hatte.

Beim tatsächlich erfolgten Abschuss der besagten US-Drohne durch Irans Flugabwehr am 20. Juni wurde diese Frage nicht gestellt. Offenkundig hegen westliche Medien keine Zweifel, dass die Anwesenheit der US-Militärs am Golf legitim ist. Der Bruch internationalen Rechts zählt für sie weniger als die Frage, ob es sich beim Rechtsbrecher um einen (guten) demokratischen oder einen (bösen) autoritären Staat handelt.

Der Medienwissenschaftler Gregory Shupak von der Guelph-Humber-Universität in Toronto warnt davor, Iran als ständige atomare und sonstige Bedrohung darzustellen. So würde die Botschaft vermittelt, das Land müsse angegriffen werden. Shupak sieht das Gegenteil als Wahrheit: Die USA bedrohen Teheran und nicht umgekehrt. Die US-Sanktionen schwächen die iranische Wirtschaft extrem und erschweren die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten. Außerdem haben die USA ihren Gegner mit Militärbasen, See-, Land- und Luftstreitkräften eingekreist. Von Iran ging in Richtung USA nichts Vergleichbares aus. Um das einzusehen, braucht man kein Freund des Teheraner Theokraten-Regimes zu sein.

Woher kommt diese ungleiche Wahrnehmung, welche das Recht stets auf der US-Seite verortet? Halimi und Rimbert erklären es mit einem ‚selektiven Gedächtnis‘, einem ‚Gemisch aus politisch induziertem Vergessen und von Medien transportierten Lügen, die auf Auslassungen basieren‘. Dann erinnern sie an ein Ereignis, das sich nicht im Zeitgedächtnis verankert hat: Flug 655 der Iran Air. Am 3.Juli 1988 wurde das iranische Linienflugzeug mit 290 Passagieren an Bord auf dem Weg nach Dubai vom amerikanischen Kreuzer ‚USS Vincennes‘ bei dessen Patrouille in iranischen Hoheitsgewässern abgeschossen.

Zunächst stritten die USA die Verantwortung für die Katastrophe ab. Dann gab Washington an, der Kreuzer habe sich in internationalen Gewässern aufgehalten und die iranische Passagiermaschine für einen Jäger gehalten, weil sie dem Schiff im Tiefflug bedrohlich nahe gekommen sei. Beide Aussagen wurden später als Lügen entlarvt.

Schließlich erklärte die US-Administration ihr ‚tiefes Bedauern‘ über den Vorfall und gewährte den Angehörigen der Opfer eine Entschädigung in Höhe von 61,8 Mill. Dollar.

Im Westen geriet der Vorfall danach recht bald in Vergessenheit. An ein anderes, ganz ähnliches, Drama wurde sich dagegen noch lange kollektiv erinnert, obwohl es beinahe 5 Jahre früher passiert war, nämlich am 1. September 1983: Der Abschuss einer Boeing 747 der Korean Airline, die mit 269 Passagieren von Seoul nach New York unterwegs war, durch einen sowjetischen Suchoi-Jäger.

Die koreanische Maschine war versehentlich von ihrer Route abgekommen und hatte den sowjetischen Luftraum durchquert, ausgerechnet über sensiblen Militäranlagen. Laut Kreml war sie irrtümlich für ein Spionageflugzeug gehalten worden.

Sowohl der Abschuss der koreanischen als auch jener der iranischen Maschine sind genügend dokumentiert und daher gut zu vergleichen. Dabei fallen beträchtliche Unterschiede in der Berichterstattung auf. Sie zeigen die ideologische Färbung der angeblich so vorbildlichen westlichen, insbesondere der amerikanischen, Presse.

Einen Tag nach dem Abschuss der koreanischen Maschine durch den sowjetischen Jäger trägt das Editorial der New York Times (2.Sept. 1983) den Titel: ‚Mord in der Luft‘. Im Text darunter heißt es könne keine Entschuldigung geben, ‚wenn ein Land, ganz gleich welches, ein harmloses Linienflugzeug abschießt.‘

5 Jahre später, nach dem Abschuss des iranischen Flugzeugs durch den amerikanischen Kreuzer, lieferte das Editorial derselben Times genau eine solche Entschuldigung: ‚Auch wenn das Ereignis schrecklich ist, es war ein Unfall.‘ Den habe die Navy nur schwerlich verhindern können. Dem Leser wurde nahe gelegt, sich an die Stelle des befehlshabenden Captain Rogers zu versetzen. Ihm sei wenig vorzuwerfen, die Verantwortung läge auch beim Iran, ‚wenn er zivile Flugzeuge in der Nähe eines Kampfgebietes fliegen lässt, zumal er diese Auseinandersetzung selbst begonnen hat‘.

Anfang der 90er veröffentlichte der Politikwissenschaftler Robert Entman eine Vergleichsstudie zur unterschiedlichen Darstellung beider Fälle in den US-Medien. Diese ergab: Im Fall des sowjetischen Abschusses 1983 wurde der moralische Bankrott und die Schuld der Nation betont, von welcher der Angriff ausging. Beim Navy-Abschuss der iranischen Maschine 1988 wurde dagegen die Schuld klein geredet bzw. geschrieben und die Komplexität von Militäroperationen, bei denen moderne Technologie zum Einsatz kommt, hervor gehoben.

Umfang, Wortwahl und inhaltliche Schwerpunkte der Berichte lassen erkennen, wie in beiden Fällen zweierlei Maß angelegt wurde. So schrieb die US-Presse in den ersten beiden Wochen nach dem jeweiligen Vorfall zwei- bis dreimal so häufig über die koreanische als später über die iranische Maschine. Auf 51 Seiten zum koreanischen Flugzeug in Time Magazine und Newsweek kamen in denselben Printmedien 20 Seiten zur iranischen Maschine. 286 Artikel brachte die New York Times zum sowjetischen Abschuss, 102 zu jenem der USS Vincennes.

Zum Abschuss der koreanischen Maschine gab es empörte und moralisch aufgeladene Schlagzeilen wie ‚Mord in der Luft. Ein unbarmherziger Hinterhalt‘ (Newsweek v. 13. Sept. 1983). Oder: ‚Schießen, um zu töten. Gräueltat in der Luft. Die Sowjets schießen ein ziviles Flugzeug ab‘ entsetzte sich das Time Magazine (ebenfalls am 13.9.83). Am 19. September legte Newsweek nach mit ‚Warum Moskau das tat‘. Die todbringende US-Rakete wurde sprachlich schonender behandelt. Keine Rede von einer Gräueltat, erst recht nicht von einer absichtlichen Tötung. Die Wortwahl tendierte eher in Richtung‚ tragischer Unglücksfall. Newsweek titelte am 18. Juli 1988 ‚Warum es geschah‘, ohne den Urheber der Tat klar zu benennen. Das Time Magazine nahm die russische Marsmission auf die Titelseite. Tiefer im Innenteil wurde der Abschuss des iranischen Flugzeugs behandelt. Die Überschrift lautete: ‚Was am Golf schiefging‘.

Beim Gebrauch von Attributen zur Umschreibung des sowjetischen Angriffs gaben sich Washington Post und New York Times wenig distanziert und zimperlich: ‚Brutal‘, ‚barbarisch‘, ‚absichtlich‘, ‚kriminell‘. Weniger schlimm klang der Abschuss durch den US-Kreuzer: ‚Irrtümlich‘, ‚tragisch‘, ‚verständlich‘, ‚gerechtfertigt‘. Die Opfer wurden neutral als ‚Passagiere‘, ‚Reisende‘ oder schlicht ‚Menschen‘ bezeichnet. Beim sowjetischen Abschuss war bewegender von ‚unschuldigen‘ oder ‚geliebten Menschen‘ mit ‚ergreifenden persönlichen Geschichten‘ die Rede.

Halimi und Rimbert sehen bei dieser Form der Berichterstattung ‚journalistische Automatismen‘ am Werk, die ebenso zur Desinformation beitragen wie eindeutige Lügen. Fake News wird über die Analyse transatlantischer Vorurteile gestellt. Journalisten machen Karriere, in dem sie den Hass auf den Iran schüren und die Lügen des Pentagons verbreiten. Billige Klischees wie ‚Die Perser lügen wie die Teppichhändler‘ finden sich in Leitartikeln der Washington Post (in diesem Fall von Richard Cohen am 29. September 2009). Bret Stephens, seit 2017 Kolumnist der New York Times, schreibt im Wall Street Journal vom 25. November 2013, das Atomabkommen mit dem Iran sei ‚schlimmer als München‘. Nach der Aufkündigung des Abkommens durch die USA dieses Jahr wirkt er wie ein Einflüsterer Trumps.

Oktober 2018 wurde der Journalist und Kolumnist der Washington Post Jamal Kashoggi ermordet und mit einer Säge zerstückelt. Einige seiner Kollegen von den US-Medien hielt das nicht davon ab, die Saudis als Erzfeinde Irans weiterhin zu belobhudeln. Selbst der Trump-kritische öffentlich-rechtliche Sender PBS, der große Stücke hält auf Trumps Amtsvorgänger Obama, weicht von seiner Linie ab, wenn es um den Iran geht.

Obama hätte sich vollkommen getäuscht, als er hoffte, ‚Iran werde sich mäßigen und ein anständiges Mitglied der Völkerfamilie werden‘, meinte der Starkolumnist David Brooks in einem Kommentar vom 11. Mai 2018.

Brooks hält Iran für den ‚völkermörderischten Staat der Erde‘, der die Welt mit Gewalt und Terror übersät. Er gibt Trump recht, dagegen zu halten, vermutet, dass jener ‚solche Leute‘ besser versteht als jemand mit akademischer Bildung.

Halimi und Rimbert erkennen darin eine gewisse Logik: Um die öffentliche Meinung auf einen Krieg vorzubereiten, ‚ist es besser, nichts von der Geschichte oder Zivilisation des betreffenden Landes zu verstehen.‘

Hintergrundwissen wirkt sich schädlich auf Feindbilder aus. Derartiges Wissen zu verbreiten, gehört eigentlich zum Auftrag unabhängiger Medien und sollte in ihrem Kodex stehen. Leider ist wie gesehen das Gegenteil der Fall. Somit bleibt die Kriegsgefahr am Golf hoch.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe November 2019, erschienen.

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